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BGH - Entscheidung vom 23.10.2019

XII ZB 208/19

Normen:
FamFG § 276
FamFG § 295
FamFG § 276
FamFG § 295

Fundstellen:
FamRZ 2020, 191
FuR 2020, 111
MDR 2020, 184
NJW-RR 2020, 66

BGH, Beschluss vom 23.10.2019 - Aktenzeichen XII ZB 208/19

DRsp Nr. 2019/17109

a) In Verfahren zur Aufhebung einer Betreuung oder eines Einwilligungsvorbehalts ist dem Betroffenen unter den Voraussetzungen des § 276 FamFG jedenfalls dann ein Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn das Gericht in nennenswerte neue Tatsachenermittlungen eintritt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 22. August 2018 - XII ZB 180/18 - FamRZ 2018, 1776 ).b) In Verfahren, die die Verlängerung eines umfassenden Einwilligungsvorbehalts in Vermögensangelegenheiten zum Gegenstand haben, ist dem Betroffenen grundsätzlich ein Verfahrenspfleger zu bestellen. Sieht das Gericht davon ab, hat es die Gründe hierfür in der Entscheidung darzulegen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 9. Mai 2018 - XII ZB 577/17 - FamRZ 2018, 1193 ).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Schweinfurt vom 29. April 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Wert: 5.000 €

Normenkette:

FamFG § 276 ; FamFG § 295 ;

Gründe

I.

Für den Betroffenen wurde erstmals im Jahr 2000 eine rechtliche Betreuung eingerichtet. Zuletzt verlängerte das Landgericht die Betreuung auf der Grundlage des vom Amtsgericht eingeholten psychiatrischen Gutachtens der Sachverständigen Dr. M. und Prof. Dr. V. vom 28. Mai 2017 durch Beschluss vom 29. August 2017 mit dem Aufgabenkreis notwendige ärztliche Behandlung/Gesundheitssorge, Behördenangelegenheiten, Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Unterbringung sowie Vermögenssorge mit Überprüfungsfrist zum Juni 2019. Zugleich erhielt es den im Bereich der Vermögenssorge bestehenden Einwilligungsvorbehalt aufrecht. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Betroffenen wurde durch Senatsbeschluss vom 29. November 2017 verworfen.

Seit Juli 2018 hat der Betroffene wiederholt die Aufhebung seiner Betreuung verlangt. Das Amtsgericht hat am 17. Dezember 2018 die Einholung eines neuen Gutachtens angeordnet, das der Sachverständige Dipl.-Med. L. am 14. Februar 2019 erstattet hat. Nach Anhörung des Betroffenen hat das Amtsgericht die Betreuung verlängert, dabei aber auf den Aufgabenkreis "Vermögenssorge mit Hausverwaltung des Hauseigentums und Einwilligungsvorbehalt" eingeschränkt. Zugleich hat es eine Überprüfungsfrist bis zum 9. März 2026 bestimmt. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Landgericht nach erneuter Anhörung des Betroffenen zurückgewiesen.

Mit seiner Rechtsbeschwerde erstrebt der Betroffene weiterhin die Aufhebung seiner Betreuung.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, nach dem Gutachten des Sachverständigen L. lägen die Voraussetzungen für eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge mit Hausverwaltung des Hauseigentums nebst Einwilligungsvorbehalt weiterhin vor. Der Sachverständige L. habe ausgeführt, dass der Betroffene an paranoider Schizophrenie mit Residualsymptomatik leide. Aufgrund dieser psychischen Krankheit sei der Betroffene unfähig, alle Angelegenheiten ohne Nachteile selbst zu besorgen. Zum Wohle des Betroffenen sei der Aufgabenkreis der Vermögenssorge mit Einwilligungsvorbehalt weiterhin erforderlich. Die Krankheit und das daraus folgende Unvermögen zur Besorgung der Vermögensangelegenheiten werde voraussichtlich lebenslang fortbestehen, so dass die Betreuung auf Dauer notwendig sei. Eine Besserung des Krankheitsbildes über die bislang durch Medikamente erreichte Stabilisierung hinaus sei nicht zu erwarten. Der systematisierte Größenwahn und der teilweise verlorene Realitätsbezug bei Verschleierung der psychotischen Symptomatik im Sinne einer "doppelten Buchführung" seien in den letzten fünfzehn Jahren mit medikamentöser Behandlung nicht durchgreifend beeinflussbar gewesen. Der Betroffene sei nur beschränkt zur freien Willensbildung fähig und deshalb partiell geschäftsunfähig. Krankheitsbedingt könne er die für und wider eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge sprechenden Umstände nicht nach vernünftigen Maßstäben gegeneinander abwägen, ihre Sinnhaftigkeit nicht einsehen und dementsprechend keinen freien Willen zu dieser Entscheidung bilden. Diese Feststellungen des Sachverständigen seien überzeugend und nachvollziehbar. Die vom Beschwerdegericht durchgeführte Anhörung habe die Einschätzungen und Feststellungen des Sachverständigen bestätigt. So habe sich bei der Gesprächsführung schnell das vom Sachverständigen schlagwortartig als "doppelte Buchführung" bezeichnete Verhalten gezeigt: Der Betroffene sei sich darüber bewusst, welche Umstände für sein angestrebtes Ziel der Aufhebung der Betreuung negativ sein könnten ("fehlende Krankheitseinsicht" und "Patentierung von Erfindungen"), und versuche, seine tatsächlichen Überlegungen und Gedanken hierzu zu verschleiern.

2. Die Entscheidung hält bereits der Verfahrensrüge der Rechtsbeschwerde nicht stand. Diese beanstandet zu Recht, dass die Bestellung eines Verfahrenspflegers verfahrensfehlerhaft unterblieben ist.

a) Einen Antrag oder eine Anregung auf Aufhebung der Betreuung kann das Gericht nur unter Beachtung der für das Betreuungsverfahren geltenden Verfahrensvorschriften der §§ 272 bis 277 FamFG - in Verbindung mit den Regelungen des allgemeinen Teils - ablehnen. Dabei ist unter den Voraussetzungen des § 276 FamFG auch im Aufhebungsverfahren die Bestellung eines Verfahrenspflegers zu prüfen, wenn das Gericht in nennenswerte neue Tatsachenermittlungen eintritt (vgl. Senatsbeschluss vom 22. August 2018 - XII ZB 180/18 - FamRZ 2018, 1776 Rn. 7 mwN).

Für die Verlängerung der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gelten gemäß § 295 Abs. 1 Satz 1 FamFG die Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahme entsprechend. Daher ist auch insoweit nach §§ 295 Abs. 1 Satz 1, 276 FamFG die Bestellung eines Verfahrenspflegers zu prüfen.

b) Unter Anwendung der genannten Grundsätze hätte das Beschwerdegericht deshalb prüfen müssen, ob die Voraussetzungen des § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG für die Bestellung eines Verfahrenspflegers vorliegen. Danach hat das Gericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist.

Dass das Gericht sich im Rahmen seiner Ermittlungen nicht auf die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme der vorangehend tätig gewesenen Sachverständigen beschränkt, sondern eine umfassende Neubegutachtung des Betroffenen durch einen anderen psychiatrischen Sachverständigen angeordnet hat, legt insoweit die Bestellung eines Verfahrenspflegers nahe.

Darüber hinaus ist nach der Rechtsprechung des Senats - auch wenn keiner der in § 276 Abs. 1 Satz 2 FamFG aufgeführten gesetzlichen Regelfälle vorliegt - die Bestellung eines Verfahrenspflegers grundsätzlich erforderlich, wenn - wie im vorliegenden Fall - ein Einwilligungsvorbehalt für das gesamte Vermögen angeordnet worden ist. Durch die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts wird in dessen Geltungsbereich die Möglichkeit des Betroffenen zur eigenverantwortlichen Teilnahme am Rechtsverkehr in stärkerem Maße eingeschränkt als durch die bloße Bestellung eines Betreuers mit einem entsprechenden Aufgabenkreis. Dieser gravierenden Auswirkung des Einwilligungsvorbehalts auf die Freiheitsrechte des Betroffenen ist dadurch Rechnung zu tragen, dass in Verfahren, die einen umfassenden Einwilligungsvorbehalt in Vermögensangelegenheiten zum Gegenstand haben, für den Betroffenen regelmäßig ein Verfahrenspfleger zu bestellen ist. Sieht das Gericht gleichwohl von der Bestellung eines Verfahrenspflegers ab, hat es die Gründe dafür entsprechend § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG in seiner Entscheidung darzulegen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. August 2018 - XII ZB 180/18 - FamRZ 2018, 1776 Rn. 10 mwN und vom 9. Mai 2018 - XII ZB 577/17 - FamRZ 2018, 1193 Rn. 12 mwN).

Fehlen dagegen - wie hier - Ausführungen hinsichtlich eines Verfahrenspflegers vollständig, kann das Rechtsbeschwerdegericht weder prüfen, ob das Beschwerdegericht von seinem Ermessen bezüglich der Bestellung eines Verfahrenspflegers überhaupt Gebrauch gemacht hat, noch ob seine Entscheidung ermessensfehlerfrei ergangen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 22. August 2018 - XII ZB 180/18 - FamRZ 2018, 1776 Rn. 10 mwN). Bereits dies gebietet die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

3. Soweit die Rechtsbeschwerde darüber hinaus die Würdigung des Beschwerdegerichts, wonach die Ausführungen des Sachverständigen sich bei der Anhörung des Betroffenen bestätigt haben, als "Gedankenleserei" und damit als denkgesetzliche Unmöglichkeit beanstandet, greift diese Rüge allerdings nicht durch.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Vorinstanz: AG Schweinfurt, vom 10.03.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 1 XVII 202/14
Vorinstanz: LG Schweinfurt, vom 29.04.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 11 T 55/19
Fundstellen
FamRZ 2020, 191
FuR 2020, 111
MDR 2020, 184
NJW-RR 2020, 66