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BGH - Entscheidung vom 12.09.2019

V ZR 276/18

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
ZPO § 139 Abs. 4 S. 1
BGB § 812 Abs. 1 Hs. 2

BGH, Beschluss vom 12.09.2019 - Aktenzeichen V ZR 276/18

DRsp Nr. 2019/15866

Verletzung des rechtlichen Gehörs durch eine unzulässige Überraschungsentscheidung; Fehlender rechtlicher Hinweis durch das Berufungsgericht; Voraussetzungenfür einen Anspruch aus Zweckverfehlungskondiktion

Eine in erster Instanz siegreiche Partei darf darauf vertrauen, von dem Berufungsgericht rechtzeitig einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will und neuer Vortrag oder ein Beweisantritt erforderlich ist, um auf der Grundlage dieser Beurteilung zu obsiegen. Der Hinweis muss so rechtzeitig erfolgen, dass darauf noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung reagiert werden kann.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt vom 25. Oktober 2018 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 160.000 €.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; ZPO § 139 Abs. 4 S. 1; BGB § 812 Abs. 1 Hs. 2;

Gründe

Die Beklagte war Miteigentümerin eines Hauses, aus dessen Verkauf sie 200.000 € erhalten hatte. Bei der Suche nach einer neuen Unterkunft, in der sie auch ihre Fußpflegepraxis ausüben konnte, kam sie mit dem Kläger, ihrem Sohn, überein, dass dieser ein Haus kaufen und sie ihm dafür einen Zuschuss zahlen werde. Sie überwies dem Kläger im September 2013 200.000 € und im Oktober 2013 weitere 20.000 €. Der Kläger nahm ein Darlehen auf und erwarb ein Haus zu einem Preis von 440.000 €. Zugunsten der Beklagten wurde für das Erdgeschoss des Hauses ein Wohnrecht bestellt und in das Grundbuch eingetragen. Im Obergeschoss wurde ein Zimmer für die Fußpflegepraxis abgeteilt. Im Februar 2014 zogen die Parteien ein. In der Folgezeit kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Parteien. Die Beklagte erklärte im Oktober 2016 unter Bezugnahme auf die Geldhingabe die Kündigung eines Darlehens über 250.000 €, im Februar 2017 widerrief sie eine eventuelle Schenkung. Im August 2017 verkaufte der Kläger das Haus und zog aus.

Das Landgericht hat, soweit von Interesse, die auf Rückzahlung von 250.000 € gerichtete Widerklage der Beklagten abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihr in Höhe von 160.000 € stattgegeben. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

Das Berufungsgericht hält die Widerklage unter dem Gesichtspunkt der Zweckverfehlungskondiktion für teilweise begründet (§ 812 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB ). Nach den Gesamtumständen sei davon auszugehen, dass die Beklagte dem Kläger die Geldbeträge deshalb habe zukommen lassen, damit das gemeinsame Projekt des Hauskaufs und des gemeinsamen Wohnens verwirklicht werde. Die Beklagte habe in der Berufungsverhandlung anschaulich und überzeugend geschildert, dass es nicht lediglich um ein Wohnrecht gegangen sei, sondern dass die übrigen Räume gemeinschaftlich dazu hätten genutzt werden sollen, die Familie zu beherbergen. Auch die Nutzung des Gartens sei nach der Vorstellung der Beklagten davon geprägt gewesen, dass sie sich darin im Rahmen der familiären Zusammengehörigkeit frei habe bewegen können. Dieser Zweck sei nicht mehr zu erreichen, wofür dahinstehen könne, ob dies durch das Verhalten einer Partei oder beider Seiten verursacht worden sei. Der Kläger sei deshalb auf Kosten der Beklagten ohne Rechtsgrund bereichert. Im Weg der Saldierung seien wegen des überlassenen Zimmers im Obergeschoss 6.000 € und als Wert für das Wohnrecht 54.000 € in Abzug zu bringen. Es verbleibe ein Betrag von 160.000 €, dem keine Gegenleistung des Klägers mehr gegenüberstehe.

III.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Das angefochtene Urteil ist gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG ) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Es handelt sich um eine unzulässige Überraschungsentscheidung.

1. Nach ständiger Rechtsprechung darf eine in erster Instanz siegreiche Partei darauf vertrauen, von dem Berufungsgericht rechtzeitig einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will und neuer Vortrag oder ein Beweisantritt erforderlich ist, um auf der Grundlage dieser Beurteilung zu obsiegen (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Juni 2008 - V ZR 225/07, juris Rn. 5; BGH, Beschluss vom 15. März 2006 - IV ZR 32/05, NJW-RR 2006, 937 mwN; BVerfG, NJW 2003, 2524 ). Dabei muss der Hinweis so rechtzeitig erfolgen, dass darauf noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung reagiert werden kann (Senat, Beschluss vom 26. Juni 2008 - V ZR 225/07, juris Rn. 5, BGH, Beschluss vom 18. September 2006 - II ZR 10/05, NJW-RR 2007, 412 Rn. 4). Erteilt das Gericht entgegen § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO den Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung, muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Kann eine sofortige Äußerung nach den konkreten Umständen nicht erwartet werden, darf die mündliche Verhandlung nicht ohne weiteres geschlossen werden. Vielmehr muss das Gericht die mündliche Verhandlung dann vertagen, soweit dies im Einzelfall sachgerecht erscheint, ins schriftliche Verfahren übergehen oder, wenn von der betroffenen Partei nach § 139 Abs. 5 ZPO beantragt, einen Schriftsatznachlass gewähren (BGH, Beschluss vom 18. September 2006 - II ZR 10/05, NJW-RR 2007, 412 Rn. 4). Die mündliche Verhandlung darf in dieser Situation auch dann nicht geschlossen werden, wenn die Partei einen Antrag nach § 139 Abs. 5 ZPO nicht stellt (Senat, Urteil vom 27. September 2013 - V ZR 43/12, ZOV 2013, 159 Rn. 13 - 15; BGH, Beschluss vom 18. September 2006 - II ZR 10/05, aaO).

2. Diese Grundsätze sind von dem Berufungsgericht nicht beachtet worden. Die Beklagte hat geltend gemacht, ihr stehe ein Anspruch auf Rückzahlung aus gewährten Darlehen (§ 488 Abs. 1 Satz 2 BGB ), aus ungerechtfertigter Bereicherung nach Widerruf einer Schenkung (§ 530 BGB ) oder wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB ) zu. Das Landgericht hat die Sachprüfung auf diese Anspruchsgrundlagen beschränkt und einen Rückzahlungsanspruch der Beklagten verneint. Der in erster Instanz obsiegende Kläger musste nicht damit rechnen, dass das Berufungsgericht den Sachverhalt im Hinblick auf die Erklärung der Beklagten in der Berufungsverhandlung anders würdigt und einen Bereicherungsanspruch wegen (teilweisen) Nichteintritts des mit der Geldhingabe bezweckten Erfolgs, nämlich der Verwirklichung des gemeinsamen Projekts des Hauskaufs und des dauerhaften gemeinsamen Wohnens, bejaht (§ 812 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB ). Ein solcher Anspruch ist weder von den Parteien noch von dem Landgericht erwogen worden. Auf den neuen rechtlichen Gesichtspunkt hätte das Berufungsgericht den Kläger hinweisen müssen. Ein Hinweis, der nach § 139 Abs. 4 Satz 2 ZPO nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden kann, ist ausweislich des Protokolls der letzten mündlichen Verhandlung nicht erfolgt.

3. Der Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht geht rechtsfehlerhaft davon aus, dass es für einen Anspruch aus Zweckverfehlungskondiktion maßgeblich auf die von der Beklagten in der Berufungsverhandlung geschilderten Erwartung ankommt. Der Zweck im Sinne des § 812 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB darf zwar einerseits nicht Gegenstand der vertraglichen Bindung oder Bedingung eines Rechtsgeschäfts, andererseits aber auch nicht ein bloßer, wenn auch vom Empfänger erkannter, Beweggrund oder eine einseitige Erwartung des Leistenden geblieben sein. Notwendig ist vielmehr eine - auch stillschweigend mögliche - Einigung im Sinne der tatsächlichen Willensübereinstimmung zwischen beiden Partnern über den verfolgten Zweck (vgl. Senat, Urteil vom 19. Januar 1973 - V ZR 24/71, NJW 1973, 612 , 613; BGH, Urteil vom 29. November 1965 - VII ZR 214/63, BGHZ 44, 321 , 323; Urteil vom 10. November 2003 - II ZR 250/01, NJW 2004, 512 , 513; Urteil vom 22. Juli 2004 - IX ZR 183/03, NJW-RR 2004, 1563 , 1565). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht eine solche Zweckabrede verneint hätte, wenn der Kläger Gelegenheit erhalten hätte, zu der Darstellung der Beklagten über das „gemeinsame Projekt Hauskauf“ Stellung zu nehmen.

IV.

Der Verstoß gegen das rechtliche Gehör des Klägers führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die Beklagte für die Voraussetzungen des § 812 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB und des § 818 Abs. 3 BGB darlegungs- und beweispflichtig ist. Für die Einwendung nach § 815 BGB trägt der Kläger die Darlegungs- und Beweislast.

Vorinstanz: LG Darmstadt, vom 13.10.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 4 O 163/17
Vorinstanz: OLG Frankfurt/Main, vom 25.10.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 22 U 196/17