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BGH - Entscheidung vom 22.05.2019

1 StR 79/19

Normen:
StPO § 261
StPO § 349 Abs. 4

Fundstellen:
NStZ-RR 2019, 253

BGH, Beschluss vom 22.05.2019 - Aktenzeichen 1 StR 79/19

DRsp Nr. 2019/9465

Revisionsrechtliche Überprüfung einer Verurteilung wegen u.a. erpresserischen Menschenraubs; Anforderungen an die Darstellung einer gesicherten DNA-Spur in dem Gutachten eines Sachverständigen

Ist dem Tatgericht mangels Sachkunde eine eigene Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Gutachtens eines Sachverständigen nicht möglich, so genügt es zwar, dass er sich von der Sachkunde des Gutachters überzeugt und sich danach dem Ergebnis des Gutachtens anschließt. Liegt dem Gutachten ein standardisiertes Verfahren zugrunde, wie es etwa beim daktyloskopischen Gutachten, der Blutalkoholanalyse oder der Bestimmung von Blutgruppen der Fall ist, so genügt die bloße Mitteilung des erzielten Ergebnisses.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 17. August 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StPO § 261 ; StPO § 349 Abs. 4 ;

Gründe

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „erpresserischen Menschenraubs in vier tateinheitlichen Fällen, jeweils in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung in zwei tateinheitlichen Fällen, mit besonders schwerem Raub in zwei tateinheitlichen Fällen, mit gefährlicher Körperverletzung in vier tateinheitlichen Fällen und mit Sachbeschädigung“ zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Rechtzeitigkeit der erhobenen Verfahrensrüge und einer gegebenenfalls zu gewährenden Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt es daher nicht an.

1. Nach den Urteilsfeststellungen drang der Angeklagte zusammen mit zwei Mittätern am 23. November 2017 gegen 0.30 Uhr in ein Wohnanwesen in H. ein, indem sie mit Gewalt eine gekippte Terrassentür zum Schlafzimmer eindrückten, während ein weiterer Tatbeteiligter das Tatobjekt von außen absicherte. Entsprechend ihrem Tatplan überwältigten der Angeklagte und die beiden Mittäter die in ihrem Bett schlafenden Wohnungseigentümer, die Geschädigten V. und K. , mit erheblicher Gewalteinwirkung und fesselten sie mit bereits vorbereitetem Klebeband. In der Folgezeit erzwangen die Täter von den Geschädigten mittels körperlicher Gewalt und gegen das Leben gerichteter Drohungen die Herausgabe von Bargeld und Schmuck im Wert von etwa 34.500 Euro. Im Anschluss daran öffneten der Angeklagte und ein Mittäter mit einem aufgefundenen Schlüssel eine im Obergeschoss des Anwesens befindliche separate Wohnung und fesselten die beiden Mieterinnen mit dem mitgebrachten Klebeband. Sie verlangten von den Tatopfern mit Gewalt und Drohungen die Herausgabe von Wertsachen, wozu diese jedoch aufgrund ihres Zustandes nicht in der Lage waren. Deshalb durchsuchten die beiden Täter die Wohnung selbst und nahmen Bargeld und Schmuck im Wert von 4.140 Euro mit. Schließlich verließen die Täter um 2.15 Uhr mit der Tatbeute das Haus und ließen die vier verletzten Geschädigten gefesselt zurück.

2. Das Landgericht hat sich aufgrund einer Vielzahl von Beweisanzeichen von der Täterschaft des Angeklagten, der die Tat bestritten und in der Hauptverhandlung im Wesentlichen geschwiegen hat, überzeugt. Im Rahmen einer „Gesamtschau“ hat die Strafkammer dabei auf die „ganz besondere Indizbedeutung“ der Tatsache abgestellt, dass die DNA des Angeklagten am Schlafanzugoberteil des Geschädigten V. gesichert werden konnte. Auf einem anderen Weg als durch die Tatbegehung des Angeklagten selbst könne dessen DNA-Spur nicht dorthin gekommen sein (UA S. 73).

II.

Die Beweiswürdigung (§ 261 StPO ) des Landgerichts hält wegen eines durchgreifenden Darstellungsmangels der sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil sie sich nicht zu den Grundlagen verhält, aus denen abzuleiten ist, dass das an der Unterarmseite des Schlafanzugoberteils eines Tatopfers gesicherte DNA-Material mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 429 Millionen vom Angeklagten während der Tatbegehung angetragen wurde.

1. Ist dem Tatgericht mangels Sachkunde eine eigene Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Gutachtens eines Sachverständigen nicht möglich, so genügt es zwar, dass er sich von der Sachkunde des Gutachters überzeugt und sich danach dem Ergebnis des Gutachtens anschließt. Jedoch muss es in diesem Fall die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Sachverständigen im Urteil so wiedergeben, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Januar 2019 – 1 StR 564/18, juris Rn. 7; vom 19. Dezember 2018 – 4 StR 410/18, juris Rn. 5; vom 27. Juni 2017 – 2 StR 572/16, juris Rn. 11 und vom 31. Juli 2013 – 4 StR 270/13, NStZ-RR 2014, 115 , 116 mwN). Der Umfang der Darlegungspflicht richtet sich dabei nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt (BGH, Urteil vom 3. Mai 2012 – 3 StR 46/12, NStZ 2013, 177 , 178). Liegt dem Gutachten ein standardisiertes Verfahren zugrunde, wie es etwa beim daktyloskopischen Gutachten, der Blutalkoholanalyse oder der Bestimmung von Blutgruppen der Fall ist, so genügt die bloße Mitteilung des erzielten Ergebnisses (BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2018 – 4 StR 410/18, juris Rn. 5 und vom 15. September 2010 – 5 StR 345/10, NStZ 2011, 171 mwN).

2. Für molekulargenetische Vergleichsgutachten gilt nichts anderes. Nach der neueren Rechtsprechung muss in den in der forensischen Praxis gebräuchlichen Verfahren lediglich das Gutachtenergebnis in Form der biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage in numerischer Form mitgeteilt werden, sofern sich die Untersuchungen auf eindeutige Einzelspuren beziehen und keine Besonderheiten in der forensischen Fragestellung aufweisen (BGH, Beschluss vom 28. August 2018 – 5 StR 50/17, NJW 2018, 3192 , 3193). Diese Vereinfachung gilt demnach aber nicht für Mischspuren (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2018 – 4 StR 410/18, juris Rn. 7; Urteil vom 6. Februar 2019 – 1 StR 499/18, juris Rn. 17); solche Spuren weisen mehr als zwei Allele in einem DNA-System auf, mithin Zellmaterial von mehr als einer einzelnen Person. Insoweit ist nach wie vor grundsätzlich in den Urteilsgründen mitzuteilen, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergaben, mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer weiteren Person zu erwarten ist und, sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, ob dieser Umstand bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war. Bei Mischspuren können je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls strengere Anforderungen gelten (BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 – 1 StR 564/18, juris Rn. 9 mwN), auch in Bezug auf die Vergleichspopulation. Gegebenenfalls ist es notwendig, ergänzende molekulargenetische Untersuchungen durchzuführen (BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13, NStZ 2014, 477 , 479). Regelmäßig wird sich die Angabe empfehlen, wie viele Spurenverursacher in Betracht kommen und um welchen Typ von Mischspur es sich handelt (BGH, Beschluss vom 27. Juni 2017 – 2 StR 572/16, juris Rn. 13 mwN).

3. Die Ausführungen des Landgerichts genügen diesen Anforderungen nicht. Zu der am Schlafanzugoberteil des Geschädigten gesicherten DNA-Spur, der eine „ganz besondere Indizbedeutung“ beigemessen wird, teilt die Strafkammer lediglich mit, dass diese mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 429 Millionen vom Angeklagten herrührt. Dazu, ob es sich um eine eindeutige Einzelspur oder um eine Mischspur handelt und die Untersuchungen bei Vorliegen einer eindeutigen Einzelspur keine Besonderheiten in der forensischen Fragestellung aufweisen, verhält sich das Urteil nicht. Auch die vom Landgericht erörterten vier DNA-Spuren am Klebeband, die mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten von 1 : 1.300 bis 1 : 279.000 dem Angeklagten zuzuordnen seien, ermöglichen keine revisionsrechtliche Prüfung. Denn insoweit wird lediglich eine Spur als Mischspur bezeichnet, bei der viele Personen als Mitverursacher in Betracht kämen; zu den anderen drei Spuren verhält sich das Urteil nicht.

III.

Der aufgezeigte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils mitsamt den Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO ). Das neue Tatgericht wird im Falle einer Verurteilung des Angeklagten auch Ausführungen zur Art der DNA-Spuren am Klebeband vorzunehmen haben, soweit es darin ein Indiz für die Täterschaft des Angeklagten sieht. Gleiches gilt auch für die Darstellung der gesicherten DNA-Spur des Mittäters Va. , soweit es aus dessen Beziehung zum Angeklagten ein Indiz für die Täterschaft des Angeklagten herleitet.

Darüber hinaus belegen die bisherigen Feststellungen nicht, dass eine Körperverletzungshandlung zum Nachteil der Geschädigten V. und K. auch in der Tatvariante eines hinterlistigen Überfalls im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB verwirklicht wurde. Ein hinterlistiger Überfall im Sinne der Vorschrift setzt voraus, dass sich die Absicht des Täters, dem Geschädigten die Verteidigungsmöglichkeit zu erschweren, äußerlich manifestiert, der Täter also seine Verletzungsabsicht planmäßig verbirgt. Ein plötzlicher Angriff oder das bloße Ausnutzen eines Überraschungsmoments reichen für sich allein nicht aus (vgl. Fischer, StGB , 66. Aufl., § 224 Rn. 22 mwN).

Vorinstanz: LG Heilbronn, vom 17.08.2018
Fundstellen
NStZ-RR 2019, 253