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BGH - Entscheidung vom 03.04.2019

3 StR 572/18

Normen:
StGB § 177 Abs. 1
StGB § 177 Abs. 5 Nr. 1
StGB § 177 Abs. 6 Nr. 1

BGH, Beschluss vom 03.04.2019 - Aktenzeichen 3 StR 572/18

DRsp Nr. 2019/13940

Revision gegen eine Verurteilung wegen Vergewaltigung u.a.; Gewaltqualifikation bei der Vergewaltigung ab dem Zeitpunkt des Versuchsbeginns des sexuellen Übergriffs; Zeitpunkt der Gewalteinwirkung

Die Verwirklichung der Gewaltqualifikation des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB kommt auch dann in Betracht, wenn der Täter das Opfer imRahmen körperlicher Übergriffe gewaltsam entkleidet und vor der Vergewaltigung noch ein etwa viertelstündiges Gespräch mit dem Opfer führt.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 29. August 2018 im Schuldspruch

a)

in den Fällen II. 1 und 2 der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt wird und

b)

im Fall II. 4 der Urteilsgründe dahin neu gefasst, dass er der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung schuldig ist.

2.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

3.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Normenkette:

StGB § 177 Abs. 1 ; StGB § 177 Abs. 5 Nr. 1 ; StGB § 177 Abs. 6 Nr. 1 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung, Vergewaltigung, versuchter Nötigung, sexueller Nötigung ʺmit Gewaltʺ in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach § 1 Gewaltschutzgesetz in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die er auf zwei Verfahrensrügen und die allgemein erhobene Sachrüge stützt. Die Verfahrensrügen erweisen sich aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift dargelegten Gründen jeweils als jedenfalls unbegründet. Die auf die Sachbeschwerde erfolgte umfassende Überprüfung des Urteils hat hinsichtlich der Fälle II. 3 bis 6 der Urteilsgründe keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO ). Im Fall II. 4 der Urteilsgründe war lediglich die Urteilsformel klarstellend neu zu fassen (s.u. 2.).

1. Dagegen hält die rechtliche Bewertung der Fälle II. 1 und 2 der Urteilsgründe der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Das Landgericht hat zu diesen Fällen folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte betrat am Tattag das gemeinsame Schlafzimmer, in dem sich seine Frau nach einem Streit aufhielt, schloss von innen ab und forderte sie auf, sich zu entkleiden, was sie verweigerte. Daraufhin schlug der Angeklagte seine auf dem Boden sitzende Frau zweimal mit der flachen Hand ins Gesicht, trat sie, nachdem sie schließlich am Boden lag, und entkleidete sie. Schließlich schlug er sie mit einem Gürtel. Außerdem formte er, als die Nebenklägerin schrie, den Gürtel zu einem Kreis und bemerkte, dass er sie, wenn sie nicht ruhig sei, ʺhier begrabenʺ werde. Schließlich spritzte er der Nebenklägerin Wasser ins Gesicht und führte mit ihr ein ca. 15 Minuten dauerndes Gespräch (Fall II. 1 der Urteilsgründe). Nunmehr legte er seine immer noch von Schmerzen benommene und weinende Frau aufs Bett und vollzog mit ihr gegen ihren erkennbaren Willen den vaginalen Geschlechtsverkehr (Fall II. 2 der Urteilsgründe).

b) Das Landgericht hat das unter Fall II.1 der Urteilsgründe festgestellte Verhalten des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung und sein Vorgehen im Fall II. 2 der Urteilsgründe als - tatmehrheitlich hierzu begangene - Vergewaltigung im Sinne des § 177 Abs. 1 , Abs. 6 Nr. 1 StGB gewertet. Diese rechtliche Bewertung hat keinen Bestand. Der Angeklagte hat sich wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung und Vergewaltigung strafbar gemacht. Im Einzelnen:

aa) Entgegen der Auffassung des Landgerichts stellt sich das in den Fällen II. 1 und 2 der Urteilsgründe festgestellte Vorgehen des Angeklagten als ein einheitliches Geschehen dar, bei dem der sexuelle Übergriff des Angeklagten auf seine Frau nicht nur die Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 , Abs. 6 Nr. 1 StGB , sondern auch die des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB - Anwendung von Gewalt - erfüllt. Dieser Qualifikationstatbestand setzt voraus, dass der Täter - ohne dass es auf den nach § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF erforderlichen finalen Zusammenhang ankommt - zum Zeitpunkt des sexuellen Übergriffs nach § 177 Abs. 1 StGB Gewalt ʺgegenüber dem Opferʺ anwendet. Die Gewaltqualifikation kann mithin ab dem Zeitpunkt des Versuchsbeginns des sexuellen Übergriffs eingreifen, wobei der Versuchsbeginn auch mit der Gewaltanwendung zeitlich zusammenfallen kann, etwa wenn diese zur unmittelbaren Erzwingung einer sexuellen Handlung erfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2018 - 4 StR 311/18, NJW 2019, 1010 ff.).

bb) Danach hat der Angeklagte vorliegend die Gewaltqualifikation des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB verwirklicht. Dem Gesamtzusammenhang, insbesondere der gewaltsamen Entkleidung der Nebenklägerin im Rahmen der körperlichen Übergriffe, ist zu entnehmen, dass der Angeklagte mit der Gewaltanwendung jedenfalls auch die Vornahme sexueller Handlungen einleiten wollte, die Gewaltanwendung mithin der Erzwingung der sexuellen Handlung diente. Dass der Angeklagte damit im Sinne des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB Gewalt anwendete, wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass er mit der Nebenklägerin vor dem schließlich gegen deren Willen durchgeführten Vaginalverkehr noch ein etwa viertelstündiges Gespräch führte. Vielmehr wirkte die Gewaltanwendung, mit der der Angeklagte jedenfalls auch das Ziel verfolgte, die Nebenklägerin zur Duldung sexueller Handlungen zu veranlassen, zum Zeitpunkt des Vaginalverkehrs noch fort, da er diesen gegen den Willen seiner Frau vollzog, während sie aufgrund der durch die vorangegangenen Gewalttätigkeiten verursachten Schmerzen noch benommen war.

Erfüllt die Gewaltanwendung den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 5 StGB , so steht der durch sie gleichzeitig verwirklichte Straftatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB hierzu im Verhältnis der Tateinheit.

c) Die abweichende konkurrenzrechtliche Beurteilung lässt den Strafausspruch unberührt.

aa) Die Schuldspruchänderung zieht das Entfallen der in den Fällen ll. 1 und 2 verhängten Einzelfreiheitsstrafen nach sich. Indes setzt der Senat für die nunmehr als tateinheitlich bewertete Tat in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die im Fall II. 2 ausgesprochene Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten als Rechtsfolge fest. Das Landgericht hat die Strafe für die in diesem Fall begangene Vergewaltigung dem Strafrahmen des § 177 Abs. 6 StGB - zwei bis 15 Jahre - entnommen. Dem Vorliegen des Qualifikationstatbestandes des § 177 Abs. 5 StGB kommt damit im Rahmen der Strafrahmenbestimmung keine eigenständige Bedeutung zu. Es ist aber auszuschließen, dass das Landgericht hinsichtlich des in den Fällen II. 1 und 2 der Urteilsgründe festgestellten Geschehens auf eine niedrigere Strafe als die im Fall II. 2 der Urteilsgründe verhängte Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten erkannt hätte, wenn es davon ausgegangen wäre, dass der Angeklagte nicht nur einen sexuellen Übergriff nach § 177 Abs. 1 StGB vornahm, sondern hierbei auch Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB anwendete.

bb) Der Gesamtstrafenausspruch bleibt vom Wegfall der für die gefährliche Körperverletzung (Fall II. 1 der Urteilsgründe) verhängten Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten unberührt. Es ist auszuschließen, dass das Landgericht, das im Weiteren auf Einzelfreiheitsstrafen von zwei Jahren sowie sechs Monaten und zwei Geldstrafen von jeweils 60 Tagessätzen zu je 10 € erkannt hat, ohne die genannte Strafe eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte, zumal sich hier durch die abweichende konkurrenzrechtliche Beurteilung der Umfang des verwirklichten Unrechts insbesondere auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass bei richtiger Bewertung zusätzlich der Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB als erfüllt anzusehen war, nicht ändert.

2. Im Fall II. 4 der Urteilsgründe hat der Angeklagte neben demjenigen des § 223 StGB den Straftatbestand des § 177 Abs. 1 und 5 StGB erfüllt und ist deshalb vom Landgericht wegen ʺsexueller Nötigung mit Gewalt in Tateinheit mit Körperverletzungʺ verurteilt worden. Diesen Schuldspruch hat der Senat neu gefasst. Der Generalbundesanwalt hat insoweit in seiner Zuschrift Folgendes angeführt:

ʺDie rechtliche Bezeichnung der Tat im Tenor soll sich gemäß § 260 Abs. 4 Satz 2 StPO grundsätzlich nach der gesetzlichen Überschrift des erfüllten Straftatbestands richten. § 177 sieht in seiner seit dem 10. November 2016 gültigen Fassung als rechtliche Bezeichnung für die Qualifikation des § 177 Abs. 5 StGB den Begriff ʹsexuelle Nötigungʹ vor (vgl. Fischer, 65. Auflage, § 177 Rn. 61). Eine weitere Differenzierung nach dem eingesetzten Nötigungsmittel ist im Tenor hingegen nicht geboten, sodass die Qualifikation dort allein als ʹsexuelle Nötigungʹ zu bezeichnen ist (vgl. zur Tenorierung auch BGH, Beschluss vom 5. Juni 2018, 2 StR 170/18, juris).ʺ

Dem schließt sich der Senat an.

Vorinstanz: LG Trier, vom 29.08.2018