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BGH - Entscheidung vom 24.01.2019

5 StR 559/18

Normen:
StGB § 316

BGH, Beschluss vom 24.01.2019 - Aktenzeichen 5 StR 559/18

DRsp Nr. 2019/3274

Rechtmäßige Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus; Beweiswürdigung für das Vorliegen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie

Für die Anwendung der §§ 20 , 21 StGB und des § 63 StGB darf regelmäßig nicht offen bleiben, ob ein Defekt die Unrechtseinsicht oder die Steuerungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt hat.

Tenor

Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 27. Juni 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 316 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Dessen gegen das Urteil gerichtete Revision führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen festgestellt:

a) Tat 1:

Im November 2017 entzündete der aus Zentralafrika stammende Beschuldigte in seinem Zimmer in einer Asylbewerberunterkunft einen Koffer mit Kleidung und Papieren sowie das von ihm getragene T-Shirt. Er nahm zumindest billigend in Kauf, dass sich das Feuer auf das Zimmer ausbreiten und die Rauch- und Rußgase gesundheitliche Beeinträchtigungen der rund 150 Bewohner verursachen könnten. Sicherheitsbedienstete löschten den Brand. Der Beschuldigte hatte bei deren Eintreffen apathisch im Zimmer gestanden und etwas gemurmelt. Er stieg auf die Heizung und wollte nach dem Eindruck der Bediensteten aus dem Fenster springen, was diese verhinderten.

b) Tat 2:

Anfang Dezember 2017 schloss sich der Beschuldigte in seinem Zimmer in einer anderen Asylbewerberunterkunft ein und entzündete die Sitzfläche eines Stuhls sowie die Bettmatratze. Das Bett verbrannte bis auf das Metallgestell, der Stuhl wurde zerstört. Die hinzukommenden Bediensteten fragte der Beschuldigte, was sie hier wollten, und ging nicht beiseite. Ein Bediensteter besprühte ihn deshalb mit dem Feuerlöscher. Der Beschuldigte steckte sich eine Zigarette an und ging in die 2. Etage. Er bezeichnete Bedienstete als „Arschlöcher“, die ihn in Ruhe lassen sollten. Später wurde er aufgrund einer Kohlenmonoxidvergiftung bewusstlos in der 2. Etage gefunden und ins Krankenhaus verbracht. Während der Fahrt war er apathisch, reagierte kaum auf Ansprache und murmelte Unverständliches. Im Krankenhaus machte er einen verwirrten Eindruck. Er behauptete, dass ihm etwas durch die Haare laufe. Dann sprang er plötzlich auf, tanzte auf dem Bett und rief „heute Disko“ und „heute bin ich glücklich“. Dem Arzt sagte er, dass er Hunde, Katzen und Löwen essen und mit der Straßenbahn nach China fahren wolle. Er versuchte, sich Kaffee über den Kopf zu schütten.

Am Gebäude entstand ein Sachschaden von 40.748,31 €. Der Wohnraum des Beschuldigten war zur Zeit der Urteilsverkündung nicht wieder bewohnbar.

2. Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, dass der Beschuldigte bei den Taten wegen einer paranoiden Schizophrenie nicht in der Lage gewesen sei, „das Unrecht der Taten einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln“. Aufgrund des Defekts sei von einer Aufhebung der Steuerungsfähigkeit auszugehen. Der Beschuldigte habe es offensichtlich nicht vermocht, „die Ereignisse am 06.11.2017 und 01.12.2017 sachgerecht zu erfassen und in adäquater Weise zu reagieren“. Die Taten seien Ausfluss seiner krankheitsbedingten Angst vor jungen Männern, die ihm das Jugendamt zu dem Zweck geschickt habe, mit ihm „Sex zu machen“.

3. Das Urteil hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Bereits das Vorliegen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie ist nicht hinreichend belegt.

a) Die beweiswürdigenden Ausführungen der Strafkammer zum Vorhandensein von Wahnsymptomen begegnen auch eingedenk des insoweit eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs durchgreifenden Rechtsbedenken.

aa) Zu Tat 2 hatte der Beschuldigte im Ermittlungsverfahren angegeben, er habe eine Flasche Wodka getrunken und dann „den Kopf verloren“. Erst zu einem späteren Zeitpunkt hat er bekundet, dass vor der Tat ein Deutscher und ein Araber gekommen seien, die „mit ihm Sex machen“ wollten. Eine Würdigung des Wechsels des Einlassungsverhaltens in diesem nach Auffassung des Landgerichts zentralen Punkt lässt das angefochtene Urteil vermissen. Eine solche wäre jedoch umso mehr geboten gewesen, als beim Beschuldigten nach den Taten weder eine Blut- noch eine Atemalkoholkontrolle durchgeführt worden ist. Dass der Polizeibeamte nach Tat 2 keinen Alkoholgeruch im Atem des Beschuldigten wahrgenommen hat, ist dabei kein sicheres Beweisanzeichen für eine nicht vorhandene Alkoholintoxikation. Denn das Fehlen einer „Alkoholfahne“ kann gerade bei Konsum von Wodka durch dessen geringen Eigengeruch bedingt sein (vgl. Dettmeyer/Schütz/Verhoff Rechtsmedizin, 2. Aufl., S. 167; siehe auch LK-StGB/König, 12. Aufl., § 316 Rn. 122). Die Beweiswürdigung ist deshalb lückenhaft (vgl. etwa BGH, Urteile vom 16. August 1995 – 2 StR 94/95, BGHR StPO § 261 Einlassung 6; vom 6. November 2003 – 4 StR 270/03, NStZ-RR 2004, 88 ; BGH, Urteil vom 21. November 2017 – 1 StR 261/17 Rn. 26).

bb) Der Senat versteht die Urteilsgründe ferner dahin, dass der Beschuldigte den nach Tat 1 hinzukommenden Polizeibeamten erklärt hat, er habe sich umbringen wollen, weil „er den Kopf verloren“ habe. In der Hauptverhandlung hat er geäußert, zuvor viel Alkohol getrunken zu haben. Es versteht sich danach nicht von selbst, dass er durch die Tat versucht haben könnte, seiner „ihn überflutenden Angst“ vor jungen Männern mit selbst- und fremdgefährdendem Verhalten zu begegnen.

b) Das Landgericht setzt sich darüber hinaus unzureichend mit dem Umstand auseinander, dass nach den Erzählungen des Beschuldigten bis zu seinem Eintreffen in Deutschland keinerlei Wahngedanken bei ihm aufgetreten sind. Die vom Sachverständigen hierfür gegebene und von der Strafkammer übernommene Begründung, dass „Psychosen üblicherweise nicht in Kriegsgebieten bei bestehendem Krieg ausbrechen, sondern erst zu einem Zeitpunkt, in dem sich die äußere Situation entspannt“ habe, vermag der Senat ohne nähere Erläuterungen nicht nachzuvollziehen.

c) Hinzu kommt, dass sich der Beschuldigte nach den Bekundungen der behandelnden Ärzte während der seit 6. Dezember 2017 andauernden einstweiligen Unterbringung völlig unauffällig verhalten hat, weswegen ihn diese als ungefährlich einstuften. Angesichts dessen hätte sich das Landgericht im Einzelnen mit dem Verlauf der einstweiligen Unterbringung und den in diesem Rahmen gewonnenen Erkenntnissen der behandelnden Ärzte auseinandersetzen müssen. Daran fehlt es. Der in den Urteilsgründen enthaltene bloße Hinweis auf die geschützte Umgebung und eine – im Urteil nicht näher beschriebene – Medikamentengabe genügen nicht, um den angesichts der Diagnose einer schweren Psychose ungewöhnlichen Befund zu erklären.

4. Die Sache bedarf nach alledem – naheliegend unter Hinzuziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen – neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt das Urteil insgesamt auf, um dem Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.

5. Für die neue Hauptverhandlung ist auf Folgendes hinzuweisen:

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf für die Anwendung der §§ 20 , 21 StGB und des § 63 StGB regelmäßig nicht offen bleiben, ob – wozu sich das angefochtene Urteil nicht eindeutig bzw. widersprüchlich verhält – ein Defekt die Unrechtseinsicht oder die Steuerungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt hat (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 12. November 2004 – 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347 , 356 ff.; vom 2. August 2016 – 2 StR 574/15, jeweils mwN).

b) Die vom Landgericht als wesentlich gewichteten mehrfachen Aussagen des Beschuldigten, er könne durch den Verzehr bestimmter Tiere (Löwen, Hunden oder Katzen) schneller und kräftiger werden, sind normalpsychologisch erklärbar und stellen deswegen kein aussagekräftiges Beweisanzeichen für eine Wahnsymptomatik dar.

c) Nach den bisherigen Feststellungen zu Tat 2 hat der Beschuldigte nur hinsichtlich des von ihm bewohnten Raums eine längere Unbewohnbarkeit herbeigeführt. Das Merkmal einer wenigstens partiellen Zerstörung eines Gebäudes gemäß § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB wäre danach entgegen dem im angefochtenen Urteil eingenommenen Standpunkt nicht erfüllt; jedoch wäre eine versuchte schwere Brandstiftung zu prüfen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 2009 – 3 StR 276/09, NStZ 2010, 151 , 152; vom 5. September 2017 – 3 StR 362/17 Rn. 27 f.).

Denselben unzutreffenden rechtlichen Maßstab hat das Landgericht bei Tat 1 angelegt. Der (bedingte) Vorsatz des Beschuldigten bezog sich ausweislich der Urteilsgründe lediglich auf eine Zerstörung seines Zimmers, was aus den genannten Gründen für die Annahme einer versuchten schweren Brandstiftung am Gebäude nicht ausreichen würde. Der Senat schließt aber nicht aus, dass insofern noch Feststellungen getroffen werden können, die eine Versuchsstrafbarkeit ergeben.

d) Das neue Tatgericht wird für Tat 2 gegebenenfalls weitere Feststellungen zu der im angefochtenen Urteil ohne nähere Begründung angenommenen konkreten gesundheitlichen Gefährdung der anderen Bewohner der Unterkunft im Sinne von § 306a Abs. 2 StGB zu treffen haben.

Vorinstanz: LG Dresden, vom 27.06.2018