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BGH - Entscheidung vom 26.02.2019

4 StR 514/18

Normen:
StGB § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2

Fundstellen:
JZ 2019, 948
NStZ-RR 2019, 171
NStZ-RR 2021, 206
StV 2020, 97

BGH, Beschluss vom 26.02.2019 - Aktenzeichen 4 StR 514/18

DRsp Nr. 2019/6074

Gerichtliche Ablehung des Rücktritts vom Versuch des Mordes mit rechtlich nicht tragfähigen Erwägungen; Anforderungen an das Entfalten wirksamer Rettungsbemühungen beim Rücktritt

Ein Rücktritt nach § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB scheidet aus, wenn der Notruf des Angeklagten, der den Brand vorsätzlich gelegt hatte, nicht auf die Rettung der anderen Hausbewohner gerichtet war, sondern lediglich auf die Vorbereitung des geplanten Versicherungsbetrugs. Dies ist der Fall, wenn der Angeklagte bei dem Notrufen verschwiegen hat, dass es sich bei dem Brandobjekt um ein Mehrfamilienhaus handelt, und nur Hilfe für sich selbst angefordert hat.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 29. Juni 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.

2.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in sechs tateinheitlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung und mit versuchter Brandstiftung mit Todesfolge sowie wegen Betruges zu einer Einheitsjugendstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte lebte seit November 2016 in einer Mietwohnung im ersten Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses in T. . Dort wohnten neun weitere Personen, verteilt auf sieben weitere Wohneinheiten im Erd-, Ober- und Dachgeschoss.

Im Jahr 2017 geriet der Angeklagte zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten. Am frühen Morgen des Tattages, dem 1. Oktober 2017, fasste er den Entschluss, in seiner Wohnung Feuer zu legen, um anschließend die von ihm im Juni 2017 abgeschlossene Hausratsversicherung unter Geltendmachung deutlich überhöhter Schäden in Anspruch zu nehmen. Es war dem Angeklagten bewusst, dass das gesamte Haus in Brand geraten und andere Bewohner zu Tode kommen könnten, was er billigend in Kauf nahm.

Der Angeklagte entzündete nach 0.41 Uhr Papier und legte es auf seiner im Wohnzimmer befindlichen Couchgarnitur ab. Anschließend begab er sich in das Schlafzimmer, wo er verschiedene Kleidungsstücke auf seinem Bett aufhäufte und ebenfalls anzündete. In der Wohnung des Angeklagten entwickelte sich schnell ein Vollbrand, der unter anderem die hölzernen Türzargen sowie die Rollladenkästen erfasste.

Der Angeklagte erkannte, dass er das Feuer nicht mehr kontrollieren konnte, und fürchtete die Konsequenzen seiner Tat. Um den Tatverdacht von sich auf eine dritte Person zu lenken, warf er seine Geldbörse in den Hausflur, ließ seine Wohnungstür offen stehen und fügte sich mit einem Küchenmesser eine oberflächliche Verletzung im Bauchbereich zu. Um 0.57 Uhr wählte er die Notrufnummer und gab an, dass bei ihm eingebrochen worden sei, der Täter habe ihn angegriffen und verletzt, seine Wohnung stehe in Flammen. Hierdurch wollte der Angeklagte den von ihm beabsichtigten Versicherungsbetrug vorbereiten; ihm ging es jedoch nicht darum, die übrigen Hausbewohner zu retten.

Zur Untermauerung des von ihm erfundenen Überfalls legte sich der Angeklagte vor seiner Wohnung in den Flur. Bei dem Versuch, die Taschenlampenfunktion seines Mobiltelefons anzustellen, wählte er versehentlich erneut den Notruf; nunmehr forderte er ausdrücklich ein Löschfahrzeug der Feuerwehr an. Anschließend schaffte er es aufgrund der starken Rauchentwicklung nicht mehr, eigenständig aufzustehen, und er rief laut um Hilfe.

Zur Tatzeit befanden sich sechs weitere Personen im Gebäude. Diese wurden teils durch das Signal der Brandmelder sowie die Rufe des Angeklagten aufmerksam und verließen das Haus, teils wurden sie von den alsbald erschienenen Feuerwehr- und Polizeikräften gerettet. Verletzt wurde niemand.

Am 4. Oktober 2017 meldete der Angeklagte gegenüber seiner Versicherung den angeblich von einem unbekannten Täter gelegten Brand und machte Versicherungsleistungen geltend. Es kam hierauf zur Auszahlung von insgesamt circa 2.400 Euro. Als durch das Gutachten eines Brandsachverständigen Zweifel an dem vom Angeklagten geschilderten Hergang aufkamen, wurden weitere Versicherungsleistungen abgelehnt.

II.

1. Der Schuldspruch hat keinen Bestand, soweit der Angeklagte wegen versuchten Mordes in sechs tateinheitlich zusammentreffenden Fällen und wegen versuchter Brandstiftung mit Todesfolge verurteilt worden ist.

a) Das Landgericht hat insoweit einen Rücktritt vom Versuch mit rechtlich nicht tragfähigen Erwägungen abgelehnt.

Es hat hierzu ausgeführt, dass ein Rücktritt nach § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB ausscheide, da die Notrufe des Angeklagten nicht auf die Rettung der anderen Hausbewohner gerichtet gewesen seien. Der Angeklagte habe nämlich bei den Notrufen verschwiegen, dass es sich bei dem Brandobjekt um ein Mehrfamilienhaus handele, und habe nur Hilfe für sich selbst angefordert; er habe auch davon abgesehen, die übrigen Hausbewohner vor dem Feuer zu warnen, obwohl ihm dies möglich gewesen sei. Motiv für die Notrufe sei vielmehr die Vorbereitung des geplanten Versicherungsbetrugs gewesen.

aa) Soweit das Landgericht darauf abgestellt hat, dass der Angeklagte wirksamere Rettungsbemühungen hätte entfalten können, geht dies über die Anforderungen an einen Rücktritt nach § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative StGB hinaus.

Erweist sich das auf Erfolgsabwendung gerichtete Handeln des Versuchstäters als erfolgreich und für die Verhinderung der Tatvollendung ursächlich im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative StGB , so kommt es nicht darauf an, ob dem Täter schnellere oder sichere Möglichkeiten der Erfolgsabwendung zur Verfügung gestanden hätten; das Erfordernis eines "ernsthaften Bemühens" gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB gilt für diesen Fall nicht (vgl. BGH, Urteile vom 20. Mai 2010 - 3 StR 78/10, NStZ-RR 2010, 276 , 277; vom 16. März 2006 - 4 StR 594/05, NStZ 2006, 503 , 505; Beschluss vom 20. Dezember 2002 - 2 StR 251/02, BGHSt 48, 147 , 150). Da die Strafkammer davon ausgegangen ist, dass die von dem Angeklagten abgesetzten Notrufe kausal waren für die Rettung aller anwesenden Hausbewohner, ist dies für einen Rücktritt nach § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative StGB ausreichend. Auf ein etwaiges Nichtergreifen besserer Rettungshandlungen kommt es nicht an.

bb) Einem strafbefreienden Rücktritt steht - entgegen der Auffassung des Landgerichts - auch nicht entgegen, dass das Vorgehen des Angeklagten nach den getroffenen Feststellungen der Vorbereitung des Versicherungsbetruges diente.

Abgesehen davon, dass die Annahme des Landgerichts, die Motivation des Angeklagten bei Absetzen der Notrufe sei ausschließlich auf die Vorbereitung des Versicherungsbetrugs gerichtet gewesen, nicht tragfähig belegt ist, da sie im Widerspruch zu der Feststellung steht, der Angeklagte habe "die Konsequenzen seiner Tat" gefürchtet, stünde selbst eine solche Motivation einem strafbefreienden Rücktritt nicht entgegen. Verschleierungsbemühungen schließen einen Rücktritt nicht aus, wenn die Verhinderung der Tatvollendung Teil dieser Bemühungen ist; anders ist dies nur, wenn die Tatvollendung im Rahmen der Verschleierungshandlung lediglich aus Versehen verhindert wird (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 1985 - 4 StR 593/85, NJW 1986, 1001 ; Fischer, StGB , 66. Aufl., § 24 Rn. 31; LK-StGB/Lilie-Albrecht, 12. Aufl., § 24 Rn. 282 f.). Nach den getroffenen Feststellungen alarmierte der Angeklagte die Rettungskräfte zwar, um den von ihm erfundenen Hergang - Überfall und Brandlegung durch einen Dritttäter - glaubhaft erscheinen zu lassen. Hiermit hat er aber notwendigerweise zugleich Rettungsmaßnahmen in Gang gesetzt.

b) Es kommt somit nicht mehr entscheidend darauf an, dass auch die Beweiswürdigung, auf welche die Strafkammer die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes gestützt hat, rechtlichen Bedenken begegnet.

aa) Das Landgericht hat in der Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite zunächst auf die "auch insoweit geständige Einlassung des Angeklagten" verwiesen, ohne diese jedoch inhaltlich mitzuteilen.

Zwar ist es nach § 267 StPO nicht angezeigt, sondern regelmäßig sogar verfehlt, dass die Einlassung des Angeklagten in allen Einzelheiten in den Urteilsgründen wiedergegeben wird (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 17. Januar 2018 - 4 StR 305/17, juris Rn. 35 ff.). Um die Beweiswürdigung des Tatrichters auf sachlich-rechtliche Fehler überprüfen zu können, ist es allerdings geboten, dass jedenfalls zum eigentlichen Tatvorwurf eine geschlossene und zusammenhängende Wiedergabe der wesentlichen Grundzüge der Einlassung erfolgt (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2015 - 2 StR 483/14, NStZ 2016, 25 , 26; Beschlüsse vom 30. Dezember 2014 - 2 StR 403/14, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 2 Einlassung 2; vom 7. Mai 1998 - 4 StR 88/98, NStZ-RR 1999, 45 ). Eine solche Wiedergabe der wesentlichen Einlassungsinhalte lassen die Urteilsgründe vorliegend vermissen, obwohl dies gerade angesichts der Feststellung eines bloß bedingten Tötungsvorsatzes geboten gewesen wäre.

bb) Hinzu kommt, dass es gänzlich an Ausführungen zum voluntativen Vorsatzelement, dessen Vorliegen ohne Begründung nur behauptet wird, fehlt. Vorsatzkritische Gesichtspunkte, wie der Verbleib des Angeklagten in dem brennenden Haus, bleiben unerörtert.

2. Wegen des Vorliegens von Tateinheit kann auch die für sich rechtsfehlerfreie Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schwerer Brandstiftung keinen Bestand haben (vgl. BGH, Urteile vom 28. September 2017 - 4 StR 282/17, juris Rn. 14; vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).

Aufgrund des - schon wegen § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 StGB bestehenden - inneren Zusammenhangs zwischen dem Brandgeschehen und dem nachfolgenden Betrug zum Nachteil der Versicherung hebt der Senat das Urteil auch insoweit auf, um dem neuen Tatgericht eine widerspruchsfreie Bewertung des Gesamtgeschehens zu ermöglichen.

Vorinstanz: LG Münster, vom 29.06.2018
Fundstellen
JZ 2019, 948
NStZ-RR 2019, 171
NStZ-RR 2021, 206
StV 2020, 97