Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BVerwG - Entscheidung vom 27.09.2018

9 VR 5.18

Normen:
BNatSchG § 44 Abs. 1 Nr. 4
FStrG § 17e Abs. 1

BVerwG, Beschluss vom 27.09.2018 - Aktenzeichen 9 VR 5.18

DRsp Nr. 2018/17900

Untersagung der Durchführung weiterer Rodungsarbeiten auf dem ehemaligen Standortübungsplatz Friedrichsfeld bis zur Umsetzung der Maßnahme i.R.d. Baus der Küstenautobahn A 20 (hier: "Umsetzung von Orchideen")

Tenor

Der Antrag des Antragstellers, der Antragsgegnerin aufzugeben, die Fortsetzung der auf der für den Abschnitt 1 der Küstenautobahn A 20 vorgesehenen Kompensationsfläche Friedrichsfeld begonnenen Arbeiten, mit denen Gehölze zurückgeschnitten, gefällt oder gerodet werden, so lange zu unterbinden, bis die Vermeidungsmaßnahme 205.1 VCEF "Umsetzung von Orchideen" durch Umsetzung der auf den betroffenen Flächen befindlichen Orchideen verwirklicht worden ist, wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7 500 € festgesetzt.

Normenkette:

BNatSchG § 44 Abs. 1 Nr. 4 ; FStrG § 17e Abs. 1 ;

Gründe

Das Begehren des Antragstellers, der Antragsgegnerin im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes aufzugeben, bis zur Umsetzung der Maßnahme 205.1 VCEF die Durchführung weiterer Rodungsarbeiten auf dem ehemaligen Standortübungsplatz Friedrichsfeld gemäß der Maßnahme 12.1 ACEF zu unterbinden, hat ungeachtet der Frage, ob es als Antrag nach § 123 oder nach § 80 Abs. 5 VwGO auszulegen ist, keinen Erfolg.

1. Das Bundesverwaltungsgericht ist gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO i.V.m. § 17e Abs. 1 FStrG für die Entscheidung des Rechtsstreits sachlich zuständig.

Danach entscheidet das Bundesverwaltungsgericht im ersten und letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten, die Planfeststellungsverfahren und Plangenehmigungsverfahren für Vorhaben betreffen, die - wie der hier planfestgestellte Abschnitt - in der Anlage zu § 17e Abs. 1 FStrG aufgeführt sind. Durch die Konzentration der Streitsachen beim Bundesverwaltungsgericht soll die Verwirklichung der von der Vorschrift erfassten Infrastrukturvorhaben beschleunigt und sollen divergierende Entscheidungen vermieden werden. Dieser Gesetzeszweck verlangt eine weite Auslegung der Vorschrift dahingehend, dass sie alle Rechtsstreitigkeiten erfasst, die einen unmittelbaren Bezug zu konkreten Planfeststellungs- oder -genehmigungsverfahren für Vorhaben nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO haben, also die genehmigungsrechtliche Bewältigung des Vorhabens betreffen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. Juni 2007 - 7 VR 1.07 - Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 25 Rn. 8 und vom 15. Juni 2011 - 7 VR 8.11 - Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 20 Rn. 5).

Ein solcher Bezug fehlt allerdings, wenn nicht über die Rechtmäßigkeit der Planfeststellung, sondern - jedenfalls nach deren Bestandskraft - darüber gestritten wird, ob das Vorhaben planwidrig verwirklicht wird. Denn Auseinandersetzungen darüber beziehen sich nicht auf die genehmigungsrechtliche Bewältigung des Vorhabens, sondern allein auf dessen Umsetzung. Auch treffen die Erwägungen, die die beschleunigende Konzentration der richterlichen Überprüfung wichtiger Infrastrukturvorhaben auf eine Instanz rechtfertigen, auf Streitigkeiten über die Vollziehung eines bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses allenfalls eingeschränkt zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Juli 2013 - 9 VR 5.13 - Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 32 Rn. 9 m.w.N.). Vorliegend steht jedoch nicht nur dessen Umsetzung in Streit, sondern vielmehr, welche naturschutzrechtlichen Vorkehrungen der Planfeststellungsbeschluss für die naturnahe Entwicklung des ehemaligen Standortübungsplatzes Friedrichsfeld von Gesetzes wegen treffen muss. Der Antragsteller legt den Planfeststellungsbeschluss nicht nur dahingehend aus, dass er die Umsiedlung aller Orchideen anordnet, sondern erachtet dies auch aufgrund der §§ 15 , 44 BNatSchG für erforderlich, wohingegen der Antragsgegner der Ansicht ist, dass der Planfeststellungsbeschluss in Übereinstimmung mit den naturschutzrechtlichen Vorgaben eine Verpflanzung nur eines Teils des Bestandes bestimmt. Damit steht nicht allein die Ausführung des Planfeststellungsbeschlusses, sondern auch die Bewertung seiner Rechtmäßigkeit inmitten, für die der Gesetzgeber aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung nur eine Instanz vorgesehen hat. Zugleich bestünde im Falle einer Zuständigkeit der Instanzgerichte die Gefahr, dass diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Streitfragen anders beantworten als das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung der Hauptsache.

2. Soweit das Begehren des Antragstellers als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO auszulegen sein sollte, ist es gemäß § 123 Abs. 5 VwGO unzulässig. Denn statthafter Rechtsbehelf für das Ziel des Antragstellers, die Fortführung der Rodungsarbeiten bis zur Umsetzung des gesamten Orchideenbestandes zu verhindern, ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss gemäß § 80 Abs. 5 VwGO . Dass dieser vorliegend mangels fristgerechter Einlegung gleichfalls keinen Erfolg haben kann (hierzu nachfolgend unter 3.), lässt § 123 Abs. 5 VwGO unberührt (vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO , Stand Mai 2018, § 123 Rn. 20).

Das Antragsbegehren, die Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses bis zu einer Umsiedlung der Orchideen zu unterbinden, kann - wenn überhaupt - nur mit einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung erreicht werden. Denn der Planfeststellungsbeschluss verpflichtet den Vorhabenträger entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht zu einer Umsiedlung aller im Bereich der Rodungsfläche vorkommenden Exemplare des Großen Zweiblatts und der Breitblättrigen Stendelwurz, sondern lässt diese Frage offen. Mit der Indexierung als CEF-Maßnahme definiert er lediglich das Ziel einer funktionserhaltenden Umsiedlung, ohne bereits die hierfür erforderliche Zahl der umzusiedelnden Exemplare festzulegen. So ordnet er in dem als Teil der Unterlage 9.4 planfestgestellten Maßnahmenblatt 205.1 VCEF die Umsiedlung "von" - und nicht: "der" - Pflanzenbestände(n) an, wohingegen er eindeutige Festlegungen bezüglich des gesamten Vorkommens von Pflanzen, beispielsweise in der Maßnahme 12.5 A, durch die Anordnung einer Rodung "der" Gehölze formuliert. Der Hinweis, bei einer vorherigen Beimpfung möglicher Umsiedlungsorte mit Bodensubstrat aus aktuellen Beständen könne zusätzlich eine gezielte Ausbreitung mit im Vorfeld gesammelten Diasporen erfolgen, lässt ebenfalls die Möglichkeit offen, die Maßnahme statt durch die Erhaltung des gesamten vorhandenen Bestandes teilweise auch durch eine sporenbasierte Ausbreitung umzusetzen.

Inmitten steht danach der Einwand, der Planfeststellungsbeschluss selbst - und nicht erst seine Umsetzung - treffe keine ausreichenden Vorkehrungen zum Schutz der vorliegend betroffenen Orchideen und sei daher wegen eines Verstoßes gegen § 44 Abs. 1 Nr. 4 BNatSchG rechtswidrig. Dem entspricht es, dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren, in welchem er im Wege der Anfechtungsklage die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses begehrt, zwar ebenfalls die Ansicht vertritt, der Planfeststellungsbeschluss verpflichte den Vorhabenträger zu einer vollständigen Umsetzung der Orchideen, hierin jedoch gleichwohl einen Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 4 BNatSchG mit der Begründung erblickt, der Orchideenbestand sei so dicht und so stark mit Gehölzaufwuchs verwoben, dass eine Umsiedlung wenn, dann nur in geringem Umfang erfolgen könne.

Steht somit der Statthaftigkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits § 123 Abs. 5 VwGO entgegen, so bedarf es keiner Entscheidung, ob § 2 Abs. 1 Satz 1, 2 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 UmwRG anerkannten Vereinigungen einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf den Erlass aufsichtsbehördlicher Maßnahmen zur Gewährleistung einer planfeststellungskonformen Umsetzung eines Vorhabens einräumt, und zwar selbst dann, wenn eine solche Maßnahme aufgrund der Identität von Planfeststellungsbehörde und Vorhabenträger mangels Außenwirkung nicht in der Form eines Verwaltungsakts erginge.

3. Dahingestellt bleiben kann, ob eine Auslegung des Begehrens des Antragstellers als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss gemäß § 80 Abs. 5 VwGO bereits durch den Umstand ausgeschlossen wird, dass er einen hierauf gerichteten Antrag unter dem 18. September 2018 für erledigt erklärt hat. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist jedenfalls deshalb unzulässig, weil der Antragsteller nach der Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses am 16. Mai 2018 entgegen § 17e Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht innerhalb eines Monats, sondern trotz ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung erst am 13. September 2018 gestellt und begründet hat. Die Wahrung der Antragsfrist folgt auch nicht aus § 17e Abs. 4 FStrG . Danach kann, sofern später Tatsachen eintreten, die die Anordnung der aufschiebenden Wirkung rechtfertigen, der durch den Planfeststellungsbeschluss Beschwerte einen hierauf gestützten Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO innerhalb einer Frist von einem Monat ab Kenntniserlangung von den Tatsachen stellen. Bei der Frage, ob die vorgenannten Maßnahmen den naturschutzrechtlichen Vorgaben widersprechen, handelt es sich indes um keine erst später eingetretenen Tatsachen. Vielmehr haftete ein etwaiger Rechtsverstoß - wie vom Antragsteller im Klageverfahren geltend gemacht - dem Planfeststellungsbeschluss von vornherein an.

4. Hat danach der Antrag des Antragstellers unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Erfolg, so kann offen bleiben, ob er - entgegen der ausdrücklichen Beschränkung seines Wortlauts auf die Umsiedlung der Orchideen - auch auf einen vermeintlich unzureichenden Schutz von Fledermäusen zielt. Der Planfeststellungsbeschluss verpflichtet den Vorhabenträger mit der Maßnahme 202.2 VCEF, die zu rodenden Bereiche auf das Vorhandensein potentieller Revierbäume sowie Baumhöhlen auf Fledermausbesatz zu überprüfen, gefundene Tiere umzusetzen und Höhlen zu verschließen. Dies stimmt mit den einschlägigen Arbeitshilfen und Leitfäden zum Schutz von Fledermäusen überein. Mit dem 1. Planänderungsbeschluss vom 11. September 2018 wurde zusätzlich die Nebenbestimmung Nr. 16 des Planfeststellungsbeschlusses um eine entsprechende Verpflichtung ergänzt. Der Antragsgegner hat des Weiteren zugesagt, verdächtige Bäume von Hand und zudem erst ab einem Zeitpunkt zu fällen, in dem in Übereinstimmung mit der ökologischen Baubegleitung ein Fledermausbesatz vollständig ausgeschlossen werden kann, sowie die ökologische Baubegleitung zu intensivieren. Danach bestehen insoweit weder Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses noch sind sonst Umstände ersichtlich, die hinsichtlich der weiteren Gehölzarbeiten die Anordnung der aufschiebenden Wirkung oder den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigen könnten.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO , die Festsetzung des Streitwertes auf § 53 Abs. 2 , § 52 Abs. 1 GKG .