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BGH - Entscheidung vom 21.06.2018

V ZB 129/17

Normen:
AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 und Nr. 4

BGH, Beschluss vom 21.06.2018 - Aktenzeichen V ZB 129/17

DRsp Nr. 2018/12868

Voraussetzungen für die Anordnung der Abschiebungshaft; Haftgrund des nicht angezeigten Aufenthaltswechsels

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kleve vom 23. Mai 2017 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die mit Beschluss des Amtsgerichts Moers vom 27. September 2016 angeordnete Haft den Betroffenen in dem Zeitraum vom 27. September 2016 bis 19. Dezember 2016 in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Kreis W. auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 und Nr. 4 ;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, reiste im Juli 2012 unerlaubt in das Bundesgebiet ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 15. Juli 2014 ab und drohte die Abschiebung nach Bangladesch an. Eine für den 8. August 2016 geplante Abschiebung konnte nicht durchgeführt werden, da der Betroffene nicht in der Unterkunft angetroffen wurde. Nach seiner Vorsprache bei dem Ausländeramt am 27. September 2016 wurde er festgenommen.

Das Amtsgericht hat auf Antrag der beteiligten Behörde gegen den Betroffenen Abschiebungshaft bis längstens 25. Dezember 2016 angeordnet. Die nach der am 19. Dezember 2016 erfolgten Abschiebung nach Bangladesch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

II.

Das Beschwerdegericht meint, die Voraussetzungen für die Anordnung der Abschiebungshaft hätten vorgelegen. Es könne dahin stehen, ob die Haftgründe des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 4 AufenthG vorlägen, da jedenfalls der Haftgrund der Entziehungsabsicht nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG erfüllt sei. Der Betroffene, der bereits im Jahr 2014 ausreisepflichtig gewesen sei, habe bei seiner Vorsprache am 11. September 2014 und nochmals am 28. Juni 2016 erklärt, nicht freiwillig ausreisen zu wollen.

III.

Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG ) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die notwendigen Feststellungen zu dem Vorliegen eines Haftgrundes nicht getroffen worden sind.

1. Die von dem Amtsgericht angenommenen Haftgründe des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG liegen nicht vor. Der Haftgrund des nicht angezeigten Aufenthaltswechsels nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG setzt voraus, dass die Ausländerbehörde dem Ausländer die Anzeigepflicht und die mit einem Unterlassen der Anzeige des Aufenthaltswechsels verbundenen einschneidenden Folgen durch einen Hinweis deutlich vor Augen führt (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Oktober 2016 - V ZB 33/15, InfAuslR 2017, 60 Rn. 11; Beschluss vom 14. Januar 2016 - V ZB 178/14, FGPrax 2016, 87 Rn. 6). Der erforderliche Hinweis muss dem Betroffenen, der die deutsche Sprache nicht beherrscht, in seine Muttersprache oder eine andere Sprache übersetzt werden, die er beherrscht (Senat, Beschluss vom 14. Januar 2016 - V ZB 178/14, aaO Rn. 9). Dazu hat das Beschwerdegericht keine Feststellungen getroffen. Auch die Voraussetzung des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AufenthG , dass sich der Ausländer in sonstiger Weise der Abschiebung entzogen hat, liegen nicht vor. Dieser Haftgrund setzt ein Verhalten des Betroffenen voraus, mit dem er eine konkrete, auf seine Abschiebung gerichtete Maßnahme der Behörde vereitelt hat (Senat, Beschluss vom 22. Juni 2017 - V ZB 21/17, FGPrax 2017, 231 Rn. 6). Hiervon kann nicht schon deshalb ausgegangen werden, weil der Betroffene am 8. August 2016 nicht in der Unterkunft angetroffen wurde; denn die an diesem Tag geplante Abschiebung war nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts dem Betroffenen nicht angekündigt worden.

2. Ob - wie das Beschwerdegericht annimmt - der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. § 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG erfüllt ist, kann dahinstehen. Denn das Beschwerdegericht durfte seine Entscheidung nicht auf einen neuen Haftgrund stützen, ohne den Betroffenen hierzu persönlich anzuhören (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juni 2017 - V ZB 21/17, FGPrax 2017, 231 Rn. 8; Beschluss vom 16. Februar 2017 - V ZB 10/16, juris Rn. 9; Beschluss vom 7. Juli 2016 - V ZB 21/16, FGPrax 2016, 278 Rn. 6; vgl. dagegen für die Änderung eines Anhaltspunkts für eine Fluchtgefahr nach § 2 Abs. 14 AufenthG : Senat, Beschluss vom 23. Januar 2018 - V ZB 53/17, FGPrax 2018, 135 Rn. 7); nachdem die angeordnete Haftzeit im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung bereits abgelaufen war, schied eine solche Anhörung ohnehin aus.

3. Der Senat kann daher in der Sache selbst entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG ) und die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung bis zur Abschiebung des Betroffenen feststellen.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 , § 83 Abs. 2 , § 430 FamFG , Art. 5 EMRK . Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 36 Abs. 3 GNotKG .

Vorinstanz: LG Kleve, vom 23.05.2017
Vorinstanz: AG Moers, vom 27.09.2016