Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 09.05.2018

2 StR 308/17

Normen:
StGB § 21
StGB § 63

BGH, Urteil vom 09.05.2018 - Aktenzeichen 2 StR 308/17

DRsp Nr. 2018/7998

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach Begehung eines Totschlags in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung; Ordnungsgemäße Begründung des symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Zustand des Angeklagten und der abgeurteilten Tat

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB setzt die Feststellung voraus, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Dies ist der Fall, wenn der Angeklagte durch eine früher erlittene schwere Kopfverletzung hirnorganische Veränderungen davongetragen hat, die die Affektkontrolle massiv einschränken und das Tatgericht vom Vorliegen eines hirnorganischen Psychosyndrom ausgeht.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 26. Januar 2017 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Normenkette:

StGB § 21 ; StGB § 63 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Totschlags in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte reiste im September 2015 nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. In der ihm zugewiesenen Asylbewerbereinrichtung in D. trat er gegenüber Mitbewohnern und Mitarbeitern aggressiv und beleidigend auf und wurde Ende Dezember 2015 als "Störer" in eine Unterkunft nach B. verlegt. Dort geriet er Mitte März 2016 mit dem späteren Tatopfer G. (genannt: M. ), einem albanischen Asylbewerber, in Streit. Im Zuge einer von ihm begonnenen körperlichen Auseinandersetzung mit M. wurde er von dessen Freunden verprügelt. Trotz anschließender Versöhnung provozierten sich der Angeklagte und M. wechselseitig weiter. Wegen einer von ihm als herausfordernd empfundenen Geste forderte der Angeklagte M. am Abend des 3. April 2016 auf, den Streit im Wege einer körperlichen Auseinandersetzung "zu klären". Beide begaben sich zu diesem Zweck mit dem Zeugen C. auf die Straße vor die Einrichtung. Dort entwickelte sich eine Schlägerei, in die der Zeuge C. auf Seiten des M. eingriff und daraufhin vom Angeklagten eine "Kopfnuss" erhielt. Im weiteren Verlauf des Kampfes kam der Angeklagte auf dem Rücken in einem Gebüsch zu liegen, während M. gebeugt über ihm stand, um weiter einzuschlagen. C. stand leicht versetzt hinter M. . Da er nicht - wie drei Wochen zuvor - im Kampf unterliegen wollte, zog der Angeklagte ein von ihm mitgeführtes und bis dahin verborgen gehaltenes Messer, stach in Tötungsabsicht mindestens fünf Mal gezielt auf den Oberkörper des M. ein und traf ihn in der Brust und am Oberarm. Als der Zeuge C. näher herantrat, stach der Angeklagte noch zweimal in Richtung der Beine des C. , um ihn zu verletzen, verfehlte ihn aber. M. verstarb kurz darauf an den Folgen der Stichverletzungen.

Nach Auffassung der sachverständig beratenen Strafkammer war der Angeklagte zur Tatzeit infolge einer hirnorganisch bedingten Wesensveränderung in Form einer reizbaren Schwäche in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt (§ 21 StGB ).

II.

Die Verfahrensrügen bleiben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 25. Juli 2017 genannten Gründen ohne Erfolg.

III.

Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

1. Die Feststellungen beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und tragen den Schuldspruch; gegen die Strafzumessung ist ebenfalls nichts zu erinnern.

2. Auch der Maßregelausspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.

a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB setzt die Feststellung voraus, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um die notwendige Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Prognostisch muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB ). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 10. November 2015 - 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 f. mwN).

b) Die getroffenen Feststellungen belegen, dass beim Angeklagten ein überdauernder psychischer Defektzustand vorliegt.

Das Landgericht hat im Anschluss an den Sachverständigen dargelegt, dass beim Angeklagten infolge einer im 16. Lebensjahr erlittenen schweren Kopfverletzung und damit einhergehender Operationen mit bildgebenden Verfahren erkennbare irreversible hirnorganische Veränderungen vorliegen, die die Affektkontrolle massiv einschränken. Der Angeklagte sei daher erhöht reizbar, könne die Befriedigung von Bedürfnissen nicht aufschieben und müsse Verärgerungen unmittelbar ausagieren. Auch wenn das Urteil keine ausdrückliche Einordnung der beschriebenen chronifizierten Störung in die gängigen Klassifikationssysteme enthält, folgt aus den Ausführungen hinreichend deutlich, dass das Landgericht vom Vorliegen eines hirnorganischen Psychosyndroms ausgeht, das zu den von ICD-10 unter F07 aufgeführten Störungsbildern zählt.

c) Die Strafkammer hat auch in nachvollziehbarer Weise den symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Zustand des Angeklagten und der abgeurteilten Tat begründet.

Dass sich die festgestellte Störung in der konkreten Tatsituation auf die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat, hat die Strafkammer tragfähig damit begründet, dass sich der Angeklagte trotz bestehender Hämophilie und dadurch erhöhter Verletzbarkeit bewusst in die konkrete Kampfsituation begeben habe. Dabei hat das Landgericht unter Würdigung der von ihm in der "Tatvorgeschichte" ausführlich festgestellten Verhaltensauffälligkeiten des Angeklagten seit der Einreise nach Deutschland ausgeschlossen, dass in der Person des Angeklagten oder in seiner Tat lediglich nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervorgetreten sind, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2015 - 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 mwN).

d) Auch die vom Landgericht angestellte Gefährlichkeitsprognose hält rechtlicher Nachprüfung (noch) stand.

Im Rahmen seiner - allerdings knapp gehaltenen - Gesamtwürdigung, in der die Begehung weiterer vergleichbarer Taten besorgt wird, hat das Tatgericht maßgeblich auf den vom Angeklagten im Jahr 2015 in seiner Heimat begangenen tätlichen Angriff und die Verhaltensauffälligkeiten in Deutschland abgestellt, die - wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen lässt - nach Überzeugung der Strafkammer auf dessen psychischer Störung beruhen. Im Hinblick auf die in der "Tatvorgeschichte" festgestellten Auseinandersetzungen des Angeklagten mit anderen Personen - insbesondere die noch vor dem Konflikt mit M. stattgefundene Schlägerei mit vier oder fünf albanischen Mitbewohnern in der Küche der Einrichtung - handelte es sich beim Anlassdelikt auch nicht lediglich um eine Gelegenheits- und Konflikttat, die die Gefährlichkeitsprognose regelmäßig nicht rechtfertigen kann. Da die Anforderungen an die "Wahrscheinlichkeit höheren Grades" im Sinne des § 63 StGB umso geringer sind, je gravierender die zu befürchtende Straftat ist (van Gemmeren in MüKo- StGB , 3. Aufl., § 63 Rn. 62), ist die Darlegung des Landgerichts nach den Umständen des konkreten Einzelfalls noch ausreichend.

e) Auch die Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus ist ausreichend belegt.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Bonn, vom 26.01.2017