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BGH - Entscheidung vom 05.06.2018

X ZR 86/16

Normen:
EPÜ Art. 56 S. 1

BGH, Urteil vom 05.06.2018 - Aktenzeichen X ZR 86/16

DRsp Nr. 2018/17648

Patentfähigkeit und Schutzfähigkeit des Patents mit der Bezeichnung "Mikrotiterplatten mit dünnwandigen Näpfen ("thin-well microplates")" als Erfindung

Die Ausgestaltung der Patentnichtigkeitsklage als Popularklage setzt der Möglichkeit, einer Person den Zugang zum Nichtigkeitsverfahren als Kläger aus in ihrer Person begründeten Umständen zu versagen, von vornherein enge Grenzen. Nur der Kläger, der zwar im eigenen Namen, aber ohne jedes eigene Interesse und Risiko im Auftrag und Interesse eines Dritten klagt, muss bei einer Klageerhebung alle Einwendungen, die gegen seinen Hintermann greifen, gegen sich gelten lassen.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 7. Juni 2016 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Normenkette:

EPÜ Art. 56 S. 1;

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 20. Juli 2000 unter Inanspruchnahme der Priorität US-amerikanischer Patentanmeldungen vom 23. Juli 1999 und vom 19. Juli 2000 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 198 293 (Streitpatents), das in der erteilten Fassung 22 Patentansprüche umfasste. Auf eine Nichtigkeitsklage der Alleingesellschafterin der Klägerin (R. GmbH) und deren - auch die Geschäfte der Klägerin führenden - Geschäftsführer gegen die erteilten Patentansprüche 1 bis 3, 7, 8, 11, 12 bis 15 und 19 bis 22 erklärte das Bundespatentgericht das Streitpatent im Umfang der Ansprüche 13 und 14 und unter Abweisung der Klage im Übrigen rechtskräftig für nichtig (BPatG, Urteil vom 24. April 2012 - 3 Ni 45/10).

Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache:

"A thin-well microplate comprising:

a skirt and frame portion (11), constructed of a first material, having a top planar surface (15) and a bottom (16), having a plurality of holes (13) arranged in a first array pattern extending through the top planar surface, and skirt walls (17a-d) of equal depth extending from the top planar surface to the bottom;

a well and deck portion (12), constructed of a second material, joined with the top planar surface (15) of the skirt and frame portion to form a unitary plate;

a plurality of sample wells (14) integral with the well and deck portion (12) arranged in the first array pattern such that the plurality of sample wells extend downwardly through the plurality of holes (13) in the top planar surface of the skirt and frame portion."

Die Klägerin hat das Streitpatent mit ihrer Nichtigkeitsklage im Umfang der Klageabweisung im Vorprozess angegriffen. Sie hat geltend gemacht, insoweit sei sein Gegenstand nicht patentfähig. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und das Streitpatent hilfsweise in beschränkten Fassungen verteidigt.

Das Patentgericht hat das Streitpatent antragsgemäß für nichtig erklärt. Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

I. Das Streitpatent betrifft als "thin-well microplates" bezeichnete Mikrotiterplatten.

1. In seiner Beschreibung wird erläutert, verschiedene biologische Forschungs- und klinische Diagnoseverfahren und -techniken setzten Anordnungen mit einer unterschiedlich hohen Anzahl von kleinen Näpfen, Mulden bzw. Kavitäten (im Folgenden einheitlich: Näpfe) zur Aufnahme zu untersuchender oder aufzubewahrender kleiner, oft wässriger Probevolumina ein ("multi-well plates"). Eine solche Untersuchungsmethode betreffe Polymerase-Kettenreaktionen ("polymerase chain reactions [PCR]", Beschreibung Abs. 4) in Verfahren, in denen die Proben zyklisch erhitzt und abgekühlt werden ("thermal cycles", "thermal cycling", Beschreibung Abs. 4, 7, 18, im Folgenden: thermozyklische Erhitzungsverfahren).

Verschiedene Untersuchungsmethoden stellten, wie in der Beschreibung weiter ausgeführt ist, unterschiedliche Anforderungen an die Materialeigenschaften und die Oberflächenbeschaffenheit der Näpfe und an die Ausgestaltung und Struktur dieser Mikrotiterplatten insgesamt, wobei die Abstimmung auf die Anforderungen in hoch automatisierten Untersuchungsverfahren wohl zu den drängendsten Problemen gehöre (Abs. 5).

Eine Untergruppe von Mikrotiterplatten bilden in der Diktion des Streitpatents als "thin-well microplates" bezeichnete Platten zum Einsatz in thermozyklischen Erhitzungsverfahren. Solche Mikrotiterplatten seien in Punkto Struktur und Materialbeschaffenheit besonders auf die Anforderungen in diesen Verfahren zugeschnitten, insbesondere hinsichtlich der guten Wärmeleitung zu den in die Näpfe gegebenen Proben. Diese hätten dünne Wände und seien darüber hinaus konisch geformt, um sie in komplementär geformte Heiz- oder Kühlblöcke einsetzen zu können.

Viele Laboratorien seien dazu übergegangen, namentlich die thermozyklischen Erhitzungsverfahren durch Einsatz roboterisierter Technik weiter zu rationalisieren. Die dabei an die allgemeine physikalische und materielle Beschaffenheit der Mikrotiterplatten gestellten Anforderungen seien tendenziell gegenläufig. Für die Handhabung durch Roboter in solchen hoch automatisierten Prozessen müssten Formstabilität und Verwindungsfreiheit sowie Beständigkeit in den geometrischen Ausdehnungen auch bei Temperaturen von bis zu 100°C gewährleistet sein; für einen akkuraten und zuverlässigen Einsatz bei flüssigen Proben müsse die Anordnung der Näpfe ebenmäßig sein; für eine optimale Wärmeleitung seien dünnwandige Näpfe gefragt. Die gegenläufigen Eigenschaften würden von den verfügbaren Mikrotiterplatten aber nicht gleichermaßen erfüllt; die verwendeten Polymere seien stofflich wohl zur Herstellung ausreichend steifer und stabiler, aber nicht unbedingt auch biologisch kompatibler Platten mit hinreichend dünnwandigen Näpfen geeignet. Die erhältlichen "thin-well microplates" genügten den entsprechenden Beschaffenheitsanforderungen jedenfalls nicht (Abs. 9).

2. Das Patentgericht hat daraus die Problemstellung abgeleitet, eine mit dünnwandigen Näpfen ausgestattete einheitliche Mikrotiterplatte bereitzustellen, die auch bei thermozyklischen Abläufen für eine Handhabung durch hochpräzise Roboter in hoch automatisierten Verfahren geeignet sei. Daran beanstandet die Berufung zu Recht, dass dies Lösungselemente ("einheitliche" Mikrotiterplatte) einbezieht.

Die Bestimmung des technischen Problems dient nach ständiger Rechtsprechung dazu, den Ausgangspunkt der fachmännischen Bemühungen um eine Bereicherung des Stands der Technik ohne Kenntnis der Erfindung zu lokalisieren; das schließt unter anderem aus, bei der Bestimmung des technischen Problems Elemente zu berücksichtigen, die zur patentgemäßen Lösung gehören (BGH, Urteil vom 11. November 2014 - X ZR 128/09, GRUR 2015, 356 Rn. 9 - Repaglinid; Urteil vom 13. Januar 2015 - X ZR 41/13, GRUR 2015, 352 Rn. 16 - Quetiapin).

Um Lösungsansätze bereinigt betrifft das Streitpatent das Problem, Mikrotiterplatten bereitzustellen, die materialmäßig den Anforderungen in hoch automatisiert unter Einsatz von Robotern geführten thermozyklischen Erhitzungsverfahren mit den dafür typischen Temperaturbedingungen standhalten und die für die dort auftretenden Reaktionen, wie etwa in PCR-Untersuchungen (oben Rn. 6), förderlich sind (Beschreibung Abs. 18). Patentanspruch 1 schlägt dafür in merkmalsmäßiger Gliederung vor (in eckigen Klammern die Gliederungsziffern des Patentgerichts):

Eine Mikrotiterplatte mit dünnwandigen Näpfen ("thin-well microplate"), die umfasst:

1.

Ein Rahmen- (Rand-) und Gestellteil (frame and skirt portion 11) [2]

1.1

das aus einem ersten Material konstruiert ist, [2.1]

1.2

mit einer ebenen Oberseite (top planar surface 15), [2.2]

1.3

in die eine Vielzahl von Löchern (13) eingebracht ist, [2.4, 2.4.2]

1.3.1

die in einem ersten Muster angeordnet sind, [2.4.1]

1.4

mit einem Sockelbereich (16); [2.3]

1.5

und mit Seitenwänden, [2.5]

1.5.1

von gleichmäßiger Tiefe, [2.5.1]

1.5.2

die sich von der ebenen Oberseite (15) zur Unterkante (16) erstrecken; [2.5.2]

2.

ein Napf- und Aufsatzteil (well and deck portion 12), [4]

2.1

das aus einem zweiten Material konstruiert [4.3]

2.2

und mit der ebenen Oberseite (15) des Rahmen- und Gestellteils verbunden ist, um eine einheitliche Platte zu bilden; [4.1, 4.2]

3.

eine Mehrzahl von Proben-Näpfen (14), [3]

3.1

die in das Napf- und Aufsatzteil (12) integriert [5]

3.2

und in dem ersten Muster angeordnet sind, [3.1]

3.3

so dass sie sich nach unten durch die Löcher in der ebenen Oberseite (15) des Rahmen- und Gestellteils (11) erstrecken. [3.2].

3. Diese Lehre bedarf in zwei Punkten näherer Erläuterung.

a) In dem Terminus "thin-well microplate" bezieht sich das Attribut "thin" nur auf die Wände der Näpfe, auch wenn das in dieser vom Streitpatent gewählten Bezeichnung sprachlich nur verkürzt zum Ausdruck kommt. Denn es sind nur und gerade die Napfwände, die "dünnwandig" ("thin-walled") ausgebildet sein sollen, um dem Einsatzzweck zu entsprechen, während für die anderen Bestandteile der Mikrotiterplatten, für die die Faktoren der Stabilität, Verwindungsfreiheit und Formbeständigkeit im Vordergrund stehen, eher die Ausformung mit größeren Wandstärken angezeigt ist (Beschreibung Abs. 9). In Bezug auf die Wandstärke der Näpfe spricht die Beschreibung von einem Bereich von etwa 0,38 mm oder weniger. Im ersten Ausführungsbeispiel des Streitpatents ist insoweit von 0,15 bis 0,25 mm die Rede (Beschreibung Rn. 47). Entgegen der Berufung ergeben sich hieraus und aus dem Wortsinn von "thin" allerdings keine exakten Ober- und Untergrenzen für die Wandstärke der Näpfe. Ebenso wenig lassen sich aus der Verwendungseignung für thermozyklische Erhitzungsverfahren konkrete Anforderungen an weitere körperliche Eigenschaften der streitpatentgemäßen Mikrotiterplatte exakt ableiten.

b) Nach den Merkmalen 2 und 2.2 wird das Napf- und Aufsatzteil mit der ebenen Oberseite (15) des Rahmen- und Gestellteils verbunden, um eine "einheitliche" Platte zu bilden. Diese Einheitlichkeit ist aus fachmännischer Sicht das zentrale technische Lösungsmittel des Streitpatents um zu gewährleisten, dass "thin-well microplates" in den Untersuchungsverfahren, für die sie vorgesehen sind, also insbesondere in thermozyklischen Erhitzungsverfahren, auch dann erfolgreich eingesetzt werden können, wenn diese hoch automatisiert unter Einsatz von Robotern durchgeführt werden. Napf- und Aufsatzteil sowie Rahmen- und Gestellteil sollen eine stabil verbundene Einheit bilden, die, wie der Bundesgerichtshof in einem das Streitpatent betreffenden Verletzungsprozess erwogen hat, zwar nicht unlösbar sein, aber jede praktisch bedeutsame relative Bewegung der beiden Komponenten auch in Verfahren mit Robotereinsatz ausschließen muss (BGH, Urteil vom 29. Juli 2014 - X ZR 5/13, juris Rn. 17 ff.). Diese Einheit muss, wie das Patentgericht im Zusammenhang mit der Prüfung der Patentfähigkeit zutreffend ausgeführt hat, als Verbund in einen üblichen Thermocycler eingebracht werden können. Für die Herstellung entsprechender patentgemäßer Mikrotiterplatten schlägt das Streitpatent mehrere Verfahrensvarianten vor (Beschreibung Abs. 28 ff.).

II. Das Patentgericht hat die Klage für zulässig erachtet. Die Rechtskraft des Urteils im vorangegangenen Nichtigkeitsverfahren stehe ihrer Erhebung ebenso wenig entgegen wie die für die Klage eines Strohmanns entwickelten Grundsätze.

In der Sache hat das Patentgericht offengelassen, ob der Gegenstand von Patentanspruch 1 durch die auf S. 32 und 33 des Katalogs der Nalge Nunc International, Naperville "NUNCTMProducts", 1996 (D1) vorgestellten Systeme oder die US-amerikanische Patentschrift 5 514 343 (D2) vorweggenommen ist und angenommen, dieser Gegenstand sei dem Fachmann, einem mit der Entwicklung von Mikrotiterplatten betrauten Diplomingenieur der Fachrichtung Verfahrenstechnik, der bei Bedarf auf das Fachwissen eines Chemikers (Fachrichtung makromolekulare Chemie) und eines (Molekular-)Biologen zurückgreife, durch D2 und D1 jedenfalls nahegelegt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen zu I 2.7 der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (UA S. 14 ff.) Bezug genommen.

III. Diese Beurteilung hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren zwar stand, soweit es die Zulässigkeit der Klage betrifft, nicht aber hinsichtlich der Bewertung der Patentfähigkeit.

1. Das Patentgericht hat bei Bejahung der Zulässigkeit der Klage die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dazu beachtet, ob eine Nichtigkeitsklage von einem "Strohmann" für einen Dritten erhoben worden ist, der selbst durch die Rechtskraftwirkung eines vorangegangenen Nichtigkeitsurteils an der erneuten Klageerhebung gehindert ist.

a) Die Ausgestaltung der Patentnichtigkeitsklage als Popularklage setzt der Möglichkeit, einer Person den Zugang zum Nichtigkeitsverfahren als Kläger aus in ihrer Person begründeten Umständen zu versagen, von vornherein enge Grenzen (BGH, Urteil vom 29. Juni 2010 - X ZR 49/09, GRUR 2010, 992 Rn. 8 - Ziehmaschinenzugeinheit II). Nur der Kläger, der zwar im eigenen Namen, aber ohne jedes eigene Interesse und Risiko im Auftrag und Interesse eines Dritten klagt, muss bei einer Klageerhebung alle Einwendungen, die gegen seinen Hintermann greifen, gegen sich gelten lassen (BGH, Urteil vom 30. April 2009 - Xa ZR 64/08, juris Rn. 10 mwN). Sobald ein bestehendes Schutzrecht einer derzeitigen oder auch nur zukünftig möglichen gewerblichen Betätigung im Wege stehen könnte, kann nicht nur ein Interesse des betroffenen Gewerbetreibenden daran, dieses Schutzrecht mit einer Nichtigkeitsklage anzugreifen, anzuerkennen sein, sondern auch ein berechtigtes Interesse an der Möglichkeit einer zweiten Nichtigkeitsklage unabhängig von dem Verhältnis des Klägers zu einem früheren Nichtigkeitskläger (BGH, Urteil vom 13. Januar 1998 - X ZR 82/94, GRUR 1998, 904 - Bürstenstromabnehmer).

b) Ob das klagende Unternehmen in diesem Sinne in der Zukunft eine gewerbliche Tätigkeit aufnehmen möchte, für welche der Bestand des Schutzrechts hinderlich sein könnte, erfordert eine Prognoseentscheidung. Diese hat das Patentgericht in Bezug auf die Klägerin im Streitfall rechtsfehlerfrei getroffen. Es hat dabei entgegen der Ansicht der Berufung insbesondere nicht die Darlegungs- und Beweislast verkannt. Die erforderliche Gewissheit, die das Gericht in solchen Fällen gewinnen muss (§ 286 ZPO ), bezieht sich lediglich auf die Möglichkeit einer entsprechenden gewerblichen Betätigung. Das Gericht muss also (lediglich) davon überzeugt sein, dass das klagende Unternehmen möglicherweise eine entsprechende geschäftliche Tätigkeit in der Zukunft aufnehmen wird.

c) Im Streitfall hat das Patentgericht dies in Bezug auf das Unternehmen der Klägerin ohne Rechtsfehler bejaht. Deshalb kann dahinstehen, was zu gelten hätte, wenn mit hinreichender Sicherheit angenommen werden könnte, dass allein die erste Nichtigkeitsklägerin (R. GmbH) für den Eintritt in dieses Tätigkeitsfeld infrage komme, keineswegs aber die jetzige Klägerin. Die von der Beklagten dafür angeführten Gesichtspunkte hat das Patentgericht zu Recht nicht als ausreichend bewertet. Dass die frühere Nichtigkeitsklägerin Alleingesellschafterin der Klägerin ist und die Geschäftsführer beider Unternehmen personenidentisch sind, mag Anlass genug sein, um (überhaupt) in die Prüfung einzutreten, ob ein Strohmannverhältnis besteht, rechtfertigt aber nicht ohne weiteres die Schlussfolgerung, dass kein eigenes Interesse des vermeintlichen Strohmanns an der Nichtigerklärung des Schutzrechts bestehen kann. Auch der Umstand, dass die Klägerin für ihre gegenwärtige geschäftliche Tätigkeit lediglich anführt, bestimmte Kartuschen und Kolben sowie Aufnahmevorrichtungen und Verschlüsse betreffende Schutzrechte angemeldet zu haben und zu halten, reicht nicht aus, um die zukünftige Aufnahme einer vom Gegenstand des Streitpatents berührten Geschäftstätigkeit mit hinreichender Sicherheit auszuschließen.

2. Mit Erfolg wendet die Berufung sich gegen die Bewertung des Patentgerichts, der Gegenstand von Patentanspruch 1 beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit (Art. 56 Satz 1 EPÜ). Entgegen seiner Auffassung gaben D2 oder D1 aus fachmännischer Sicht keine hinreichend konkreten Anregungen, um die Problemlösung auf dem Wege des Streitpatents zu suchen.

a) Schon die Annahme, D2 suche "in gleicher Weise" wie das Streitpatent nach Lösungen, um den losen Sitz der Näpfe in einer Rahmenplatte mit Öffnungen für die Näpfe zu vermeiden, findet im Offenbarungsgehalt dieses Dokuments nicht den erforderlichen Rückhalt.

D2 betrifft ein Mikrotitrationssystem für diagnostische Untersuchungen von Körperflüssigkeiten mit einem im Wesentlichen rechteckigen, rahmenartigen Träger ("substantially rectangular frame-like holder or tray" 10) aus einem geeigneten Kunststoffmaterial, wofür Acrylbutadienstyrol vorgeschlagen wird. Das System umfasst eine Vielzahl von Behältern oder Küvetten ("wells or cuvettes" 16), die vorzugsweise in geraden Reihen ("straight rows" 17) angeordnet und durch zerbrechbare stabförmige Verbindungsteile bzw. Stiele miteinander verbunden sind ("breakable connecting parts or stems" 18).

D2 will dabei das technische Problem lösen, wie verhindert werden kann, dass die Näpfe aus dem Träger fallen, wenn beide zusammen, etwa während eines Waschvorgangs, bewegt oder umgestülpt werden. Dass der Fachmann die dafür zu erwartenden Beanspruchungen als mit denjenigen vergleichbar angesehen hätte, denen Näpfe und Rahmen in robotergesteuerten Untersuchungsverfahren ausgesetzt sind und deshalb in D2 einen geeigneten Ausgangspunkt für die Verbesserungen gesehen hätte, um die es dem Streitpatent geht, ist nicht ohne weiteres plausibel. Das gilt gleichermaßen für die Arretierung der Näpfe wie für die Verwendung der Mikrotitrationssysteme von D2 im Ganzen insbesondere in thermozyklischen Erhitzungsverfahren.

b) Eine dem ein Napf- und Aufsatzteil des Streitpatents (Merkmal 2) funktional entsprechende Anordnung entsteht bei D2 von vornherein nur dann, wenn mehrere Näpfe oder Streifen von Näpfen über die erwähnten Verstrebungen oder Stiele miteinander verbunden sind (D2 Sp. 4 Z. 37 ff.). Für die Herstellung der vom Streitpatent geforderten Einheit zwischen Napf- und Aufsatzteil einerseits und Rahmen- und Gestellteil andererseits (Merkmale 2, 2.2) kommt in D2 nur das Einklipsen der einzelnen durch die erwähnten Verstrebungen zu einer Gesamtheit verbundenen Näpfe in die nach D2 vorgesehenen federnden Arretierungsvorrichtungen ("resilient aperture defining means", D2 Sp. 2 Z. 1 ff.) in Betracht. Zur Vermeidung von Materialermüdungen wird für diese Arretierungsvorrichtungen in einer bevorzugten Ausführungsform vorgeschlagen, die Ausnehmung für das Einrasten dieser Mittel so zu dimensionieren, dass Letztere dabei im Wesentlichen nicht unter Spannung stehen. Die dementsprechende Verbindung ist aus fachmännischer Sicht nicht von der Qualität und Stabilität, die jede praktisch bedeutsame relative Bewegung zwischen der dem Napf- und Gestellteil entsprechenden Einheit und dem Rahmen auch in Verfahren mit Robotereinsatz als ausgeschlossen erscheinen lassen, wie es die Merkmale 2 und 2.2 aber voraussetzen (oben Rn. 15).

Hinzu kommt, dass das in D2 als für den Rahmen geeignetes Material genannte Acrylbutadienstyrol nach den nicht angezweifelten Ausführungen in der Streitpatentschrift für die Durchführung einer PCR-Untersuchung ungeeignet ist (Beschreibung Abs. 12). Diesem Befund entspricht im Übrigen, dass nach D1 Seite 48 "Polystyrene" über längere Zeit ("continuous exposure") Temperaturen von bis zu 70°C soll standhalten können und dieser Wert auf maximal 90°C steigen kann, wenn das Material dieser Temperatur nur zeitweilig ("temporary") ausgesetzt wird.

Richtig ist zwar, worauf die Klägerin hinweist, dass D1 Seite 32 Temperaturbeständigkeit für die NucleoLinkTMStrips oder die TopYieldTMStrips von bis zu 120°C versichert. Das gilt aber nur für die zu Streifen verbundenen Näpfe, die aus einem hitzebeständigen Polymer ("heat stable polymer") bzw. Polycarbonat bestehen. Die Rahmen sind den Produktbeschreibungen auf Seite 32 zufolge wie bei D2 aus Acrylbutadienstyrol ("Acrylonitrile-Butadiene-Styrene") und demgemäß nicht in dem erforderlichen Maße hitzebeständig, um als Rahmen- und Gestellteil einheitlich mit dem Napf- und Aufsatzteil in einen Thermocycler eingebracht werden zu können. Dementsprechend zeigt die nachfolgend eingefügte Abbildung auf Seite 14 der Produktbeschreibung für NucleoLinkTMStrips (Anlage B2 zu WRST05),

wie einer dieser Streifen nach Herausnahme aus dem Rahmen isoliert in einen Thermocycler eingeführt wird.

D1/D2 sehen nach allem zwar eine gewisse Fixierung der Näpfe im Halterrahmen vor; diese führt aus fachmännischer Sicht vor dem Hintergrund, dass die Näpfe händisch aus dem Rahmen herausnehm- und in das Aufheizgerät einsetzbar sein sollen, aber nicht zu einer streitpatentgemäßen Ausgestaltung hin. Das gilt umso mehr, als das gesamte Konzept des Streitpatents sich dadurch, dass Halterahmen und Streifen im Verbund in Thermocycler einbringbar ausgestaltet sein sollen, als Abkehr von D1/D2 darstellt. Dementsprechend war es, um zum Gegenstand von Patentanspruch 1 zu gelangen, ohne rückschauende Betrachtung auch nicht damit getan, ausgehend von D1/D2 lediglich hinreichend hitzebeständige Materialien für den Trägerrahmen aufzufinden, wie es im angefochtenen Urteil aber anklingt.

IV. Das Urteil des Patentgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als zutreffend. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist neu. Aus dem oben Dargelegten folgt, dass D1 oder D2 keine "thin-well microplate" mit allen Merkmalen des Streitpatents offenbaren.

V. Mit Patentanspruch 1 haben auch die angegriffenen Unteransprüche 2, 3, 7, 8, 11, 12, 15 und 19 bis 22 Bestand.

VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 ZPO .

Von Rechts wegen

Verkündet am: 5. Juni 2018

Vorinstanz: BPatG, vom 07.06.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 3 Ni 16/15 (EP)