Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 17.05.2018

V ZB 258/17

Normen:
FamFG § 71 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b)

BGH, Beschluss vom 17.05.2018 - Aktenzeichen V ZB 258/17

DRsp Nr. 2018/8294

Anordnung einer Abschiebungshaft gegenüber eines abgelehnten Asylbewerbers tunesischer Herkunft; Nachweis der Zustellung eines Bescheids

Die Postzustellungsurkunde bei der Zustellung eines Bescheids nach dem Asylgesetz hat den Beweiswert einer öffentlichen Urkunde , auch wenn sie nicht von einer öffentlichen Stelle, sondern zum Beispiel von einem Postunternehmen ausgestellt worden ist. Die Beweiskraft einer Postzustellungsurkunde reicht zwar nur so weit, wie gewährleistet ist, dass die zur Beurkundung berufene Person die Tatsachen selbst verwirklicht oder aufgrund eigener Wahrnehmung zutreffend festgestellt. Sie erbringt aber auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit vollen Beweis für den äußeren Zustellungsvorgang.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der Zivilkammer 84 des Landgerichts Berlin vom 8. Dezember 2017 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 71 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b);

Gründe

I.

Der Betroffene, ein tunesischer Staatsangehöriger, reiste ohne gültige Papiere nach Deutschland ein und stellte im Oktober 2014 einen Asylantrag, den das zuständige Bundesamt mit Bescheid vom 5. Februar 2016 unter Androhung der Abschiebung als offensichtlich unbegründet ablehnte. Am 19. Juli 2017 ordnete das Amtsgericht gegen den Betroffenen im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Freiheitsentziehung an, "um ihn am 23. Juli 2017, 30. Juli 2017 oder 6. August 2017 festzunehmen". Die Festnahme erfolgte am 23. Juli 2017.

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am gleichen Tag nach Anhörung des Betroffenen gegen diesen Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum Ablauf des 16. August 2017 angeordnet. Die mit anwaltlichem Schriftsatz vom 4. August 2017 eingelegte und nach Abschiebung des Betroffenen am 16. August 2017 mit dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung weiterverfolgte Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die beteiligte Behörde beantragt.

II.

Nach Auffassung des Beschwerdegerichts waren die Voraussetzungen für die Anordnung der Abschiebungshaft gegeben. Entgegen der Annahme des Betroffenen sei auch davon auszugehen, dass der Bescheid über die Zurückweisung seines Asylantrags vom 5. Februar 2016 ihm ordnungsgemäß bekannt gegeben worden sei. Es gebe zwar Unstimmigkeiten. Auf der Postzustellungsurkunde sei der Vermerk "Bescheid v. 09.02.16" angebracht. In einem vorgehefteten Vermerk vom 9. Februar 2016 sei angegeben, dass der Bescheid am 15. Februar 2016 mit Postzustellungsurkunde zur Post gegeben worden sei. Diese Unstimmigkeiten änderten aber nichts daran, dass die Postzustellungsurkunde den Bescheid über die Zurückweisung des Asylantrags vom 5. Februar 2016 betreffe, dieser ordnungsgemäß zugestellt worden und der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig gewesen sei.

III.

Diese Erwägungen halten im Ergebnis einer rechtlichen Prüfung stand.

1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist zulässig. Das Beschwerdegericht hat mit dem angefochtenen Beschluss nicht über den eingangs seiner Entscheidungsgründe erwähnten, im Verfahren der einstweiligen Anordnung ergangenen und nach § 70 Abs. 4 FamFG nicht rechtsbeschwerdefähigen Beschluss des Amtsgerichts vom 19. Juli 2017 entschieden, sondern über die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts, durch den Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum Ablauf des 16. August 2017 angeordnet worden ist. Das ist der im Hauptsacheverfahren ergangene Beschluss vom 23. Juli 2017; nur gegen diesen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt.

2. Das Rechtsmittel ist aber unbegründet.

a) Der Betroffene wendet gegen die auf einem - was von Amts wegen zu prüfen ist - zulässigen Haftantrag beruhende Haftanordnung nur ein, das Beschwerdegericht habe auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht zu der Würdigung gelangen dürfen, der Ablehnungsbescheid des Bundesamtes sei dem Betroffenen am 12. Februar 2016 zugestellt worden und habe seine vollziehbare Pflicht zur Ausreise ausgelöst. Angesichts der Häufung falscher Datumsangaben habe das Beschwerdegericht durch Nachfrage bei dem Bundesamt von Amts wegen klären müssen, auf welcher Grundlage das Amt von einer wirksamen Zustellung seines Bescheids vom 5. Februar 2016 ausgegangen sei. Mit Mutmaßungen habe das Gericht sich nicht begnügen dürfen.

b) Diese Rüge ist schon nicht zulässig erhoben, weil die Tatsachen nicht, wie aber nach § 71 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe b FamFG geboten, bezeichnet werden, die den Sachaufklärungsfehler des Gerichts ergeben. Sie ist auch unbegründet.9 aa) Die von dem Betroffenen für notwendig gehaltene ergänzende Aufklärung, ob und wann der Bescheid vom 5. Februar 2016 zugestellt worden ist, wäre nur geboten gewesen, wenn sich diese Frage nicht anhand der von dem Beschwerdegericht herangezogenen Ausländerakte hätte klären lassen. Der Betroffene gibt dazu nur an, die Begründung der Entscheidung des Beschwerdegerichts ergebe eine Häufung falscher Datumsangaben. Das besagt aber für die Frage, ob die für die Entscheidung maßgebliche Feststellung des Beschwerdegerichts, der Bescheid vom 5. Februar 2016 sei am 12. Februar 2016 zugestellt worden, durch den Inhalt der Ausländerakte belegt wird oder ergänzender Aufklärung bedarf, nichts und genügt den Anforderungen des § 71 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe b FamFG nicht.

bb) Die gebotene Befassung des Betroffenen mit den von dem Beschwerdegericht verwerteten Teilen der Ausländerakten hätte zudem ergeben, dass die angegriffene Feststellung nach dem Akteninhalt bewiesen ist und der gerügte Verfahrensfehler nicht vorliegt.

(1) Die Ausländerakte enthält eine Postzustellungsurkunde, nach deren Inhalt dem Betroffenen am 12. Februar 2016 ein Bescheid des Bundesamts vom 9. Februar 2016 zugestellt worden ist. Auf die Zustellung eines Bescheids nach dem Asylgesetz durch Postzustellungsurkunde gemäß § 3 Abs. 1 VwZG ist nach Absatz 2 Satz 1 dieser Vorschrift unter anderem § 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO entsprechend anwendbar, wonach die Postzustellungsurkunde den Beweiswert einer öffentlichen Urkunde gemäß § 418 ZPO hat, auch wenn sie nicht von einer öffentlichen Stelle, sondern zum Beispiel von einem Postunternehmen ausgestellt worden ist (vgl. BFH, BFH/NV 2016, 922 , 923). Die Beweiskraft einer Postzustellungsurkunde reicht zwar nur so weit, wie gewährleistet ist, dass die zur Beurkundung berufene Person die Tatsachen selbst verwirklicht oder aufgrund eigener Wahrnehmung zutreffend festgestellt hat (BGH, Beschluss vom 6. Mai 2004 - IX ZB 43/03, WM 2004, 1391 , 1392). Sie erbringt aber auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit vollen Beweis für den äußeren Zustellungsvorgang (BayObLG, NZM 2000, 245 , 246). Deshalb ist durch die Urkunde bewiesen, dass dem Betroffenen am 12. Februar 2016 ein Bescheid des Bundesamts vom 9. Februar 2016 zugestellt worden ist. Der nach § 3 Abs. 1 u. Abs. 2 Satz 1 VwZG i.V.m. § 182 Abs. 1 Satz 2 u. § 418 Abs. 2 ZPO mögliche Gegenbeweis ist nicht geführt.

(2) Mit dem Nachweis der Zustellung des Bescheids vom 9. Februar 2016 ist auch die Zustellung des Bescheids vom 5. Februar 2016 über die Zurückweisung des Asylantrags am 12. Februar 2016 bewiesen. Die Begründung, die das Beschwerdegericht für diese Feststellung gegeben hat, beruht zwar auf einem Irrtum, ändert aber an deren Richtigkeit nichts.

(a) Das Beschwerdegericht erklärt den Umstand, dass das Schriftstück, dessen Zustellung die Postzustellungsurkunde belegt, auf der Urkunde nicht mit "Bescheid v. 05.02.16", sondern mit "Bescheid v. 09.02.16" bezeichnet ist, mit einem Schreibfehler des Bundesamts. Es hat dabei aber übersehen, dass das Bundesamt den Ablehnungsbescheid vom 5. Februar 2016, wie sich aus der verwerteten Stelle der Ausländerakte ergibt, dem Betroffenen nicht unmittelbar, sondern - unter dem gleichen Aktenzeichen - mit einem Begleitbescheid vom 9. Februar 2016 zugestellt hat, der auf der Postzustellungsurkunde deshalb auch zutreffend als Gegenstand der Zustellung angegeben wird. Grund für dieses Vorgehen ist die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet. Denn in einem solchen Fall ist dem Asylbewerber nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AsylG mit der Zustellung der Entscheidung eine Kopie des Inhalts der Asylakte zu übermitteln, weil die Klagefrist ebenso wie die Frist zur Stellung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO in diesem Fall gemäß § 74 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG nur eine Woche beträgt.

(b) Der Absendevermerk vom 9. Februar 2016 bezieht sich deshalb nicht auf den vorgehefteten Ablehnungsbescheid, sondern auf den Bescheid vom 9. Februar 2016, dem dieser Ablehnungsbescheid neben anderen Unterlagen als Anlage beigefügt ist. Dieser Vermerk enthält allerdings einen Schreibfehler: Der Bescheid vom 9. Februar 2016 kann nicht, wie es dort heißt, am 15. Februar 2016 und damit nach der mit der Postzustellungsurkunde bewiesenen Zustellung zur Post gegeben worden sein. Dieser Fehler ist offensichtlich und gibt keinen Anlass, an der Richtigkeit der anhand des Aktenzeichens eindeutig dem Ablehnungs- und dem Begleitbescheid zuzuordnenden Postzustellungsurkunde zu zweifeln. Es bestand deshalb auch kein Anlass zu weiterer Aufklärung von Amts wegen. Vielmehr muss der Betroffene die Unrichtigkeit der Urkunde beweisen. Das ist nicht geschehen.

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Vorinstanz: AG Berlin-Tiergarten, vom 23.07.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 384 XIV 68/17
Vorinstanz: LG Berlin, vom 08.12.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 84 T 63/17