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BGH - Entscheidung vom 23.01.2018

1 StR 523/17

Normen:
StGB § 21
StGB § 63 S. 1

Fundstellen:
NStZ-RR 2018, 239
StV 2019, 241

BGH, Beschluss vom 23.01.2018 - Aktenzeichen 1 StR 523/17

DRsp Nr. 2018/2521

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen (verminderter) Schuldunfähigkeit bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts

Steht nach den Feststellungen der Strafkammer fest, dass der Angeklagte aufgrund einer Intelligenzminderung erheblich in seiner Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt war, so kann zwar eine Intelligenzminderung ohne nachweisbaren Organbefund dem Eingangsmerkmal des 'Schwachsinns' unterfallen und damit eine besondere Erscheinungsform schwerer anderer seelischer Abartigkeiten darstellen, die zu einer erheblich verminderten oder sogar aufgehobenen Schuldfähigkeit führen kann. Auf der Ebene der Darlegungsanforderungen bedarf es aber stets einer konkretisierenden Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 20. Juni 2017 im Ma?regelausspruchmit den zugeh?rigen Feststellungen aufgehoben.

2.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auchber die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zur?ckverwiesen.

3.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Normenkette:

StGB § 21 ; StGB § 63 S. 1;

Gr?nde

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in 32 F?llen sowiewegen versuchten Betrugs in 20 F?llen und wegen Computerbetrugs zu einerGesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und seineUnterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegenrichtet sich die mit einer Verfahrensr?ge und der Sachr?ge begr?ndete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformelersichtlichen Teilerfolg; imbrigen ist es unbegr?ndet im Sinne des 349Abs. 2 StPO .

II.

Der Ma?regelausspruch hat keinen Bestand.

Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 24. Oktober2017 insoweit unter anderem ausgef?hrt: Die Strafkammer hat zutreffend erkannt, dass die Gef?hrlichkeitsprognose nach der zum 1. August 2016 in Kraft getretenen, f?r denT?ter gegen?ber der Altfassung g?nstigeren (vgl. BT-Drucksache18/7244 S. 41) Neufassung des 63 StGB zu treffen ist (? 2 Abs. 6StGB, UA S. 26).

"Die Anordnung der Unterbringung h?lt revisionsgerichtlicher Nachpr?fung nicht stand. Die Voraussetzungen f?r die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (? 63 StGB ) sind nichthinreichend belegt.

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem?? 63StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass derUnterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunf?hig oder vermindert schuldf?hig war und dieTatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, umdie notwendige Gef?hrlichkeitsprognose tragen zu k?nnen, von l?ngererDauer sein. Prognostisch muss eine Wahrscheinlichkeit h?heren Gradesdaf?r bestehen, der T?ter werde infolge seines fortdauernden Zustandsin Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche dieOpfer seelisch oder k?rperlich erheblich gesch?digt oder erheblich gef?hrdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird(? 63 Satz 1 StGB ). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnungzugrunde liegenden Umst?nde in den Urteilsgr?nden so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; etwa BGH, Beschluss vom21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16 -, m.w.N.).

Diesen Anforderungen wird das Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.

a) Aus den Urteilsgr?nden ergibt sich nicht zweifelsfrei, dass der Angeklagte bei Tatbegehung an einem geistigen oder seelischen Zustandlitt, der die Voraussetzungen des 21 StGB sicher begr?ndete.

Nach den Feststellungen der Strafkammer war der Angeklagte 'aufgrund einer Intelligenzminderung erheblich in seiner Steuerungsf?higkeit beeintr?chtigt' (UA S. 12).

Zwar kann - wie von der Strafkammer f?r den Angeklagten im Rahmen der Beweisw?rdigung angenommen (UA S. 14 f.) - eine Intelligenzminderung ohne nachweisbaren Organbefund dem Eingangsmerkmal des 'Schwachsinns' unterfallen und damit eine besondereErscheinungsform schwerer anderer seelischer Abartigkeiten darstellen, die zu einer erheblich verminderten oder sogar aufgehobenenSchuldf?higkeit f?hren kann (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2017 1 StR 55/17 -, m.w.N.). Auf der Ebene der Darlegungsanforderungenbedarf es aber stets einer konkretisierenden Darstellung, in welcherWeise sich die n?her festgestellte psychische St?rung bei Begehungder Tat auf die Handlungsm?glichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsf?higkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 1 StR 594/16 -, m.w.N.).

Eine solche ist - auch bei Ber?cksichtigung des Gesamtkontextes derUrteilsgr?nde - dem Urteil nicht zu entnehmen. Die Strafkammer gehtdavon aus, dass aufgrund der beim Angeklagten anzunehmenden Intelligenzminderung ein 'Bed?rfnisaufschub f?r ihn nur schwer zu kontrollieren und eine Abw?gung der f?r und wider eine Tatbegehungsprechenden Gesichtspunkte nur eingeschr?nkt m?glich' sei (UAS. 14). Wie sich diese festgestellten Defizite konkret auswirken, wirdnicht n?her beschrieben. Nicht nachvollziehbar dargelegt ist daher,weshalb die Strafkammer aufgrund dieser Defizite 'hinsichtlich des Tatentschlusses' von einer erheblich verminderten Steuerungsf?higkeit(UA S. 15) ausgeht, zumal sie ohne weitere Begr?ndung zwischen Tatentschluss und Umsetzung desselben differenziert und bei letzterereine Beeintr?chtigung der Steuerungsf?higkeit verneint (UA S. 15).Die Urteilsausf?hrungen hinsichtlich der Diagnose des Schwachsinnssind auch insoweit wenig aussagekr?ftig, als dass nicht mitgeteilt wird,aufgrund welcher Untersuchungsverfahren und Kriterien der Sachverst?ndige zu seiner Diagnose gelangt ist (vgl. BGH, Beschluss vom24. Mai 2017 - 1 StR 55/17 -).

b) Die Gefahrenprognose begegnet ebenfalls rechtlichen Bedenken.

aa) Sie hat allerdings nicht rechtsfehlerfrei begr?ndet, dass es sich beiden verfahrensgegenst?ndlichen Taten um solche handelt, durchdie ein 'schwerer wirtschaftlicher Schaden' im Sinne des 63 Satz1 StGB entstanden ist und derartige Taten in Zukunft zu erwartensind.

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass f?r die Auslegung des Begriffs 'schwerer wirtschaftlicher Schaden' im Sinne des 63 Satz 1StGB grunds?tzlich auf die Literatur und die Rechtsprechung zurAuslegung der gleichlautenden Formulierung in 66 Abs. 1 Nr. 3StGB in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung zur?ckgegriffen werden kann (vgl. BT-Drucksache a.a.O., S. 20). Erhat den Richtwert f?r die Bewertung eines Schadens als 'schwer'mit einem Betrag in H?he von 5.000,- € beziffert, aber darauf hingewiesen, dass die konkreten Umst?nde des Einzelfalls zu ber?cksichtigen seien. Daher k?nne im Einzelfall auch ein geringererdrohender Schaden die Gef?hrlichkeit des T?ters begr?nden,ebenso wie diese auch bei h?heren Sch?den verneint werdenk?nne. Ebenfalls auf die Umst?nde des Einzelfalls sei f?r die Frage abzustellen, ob bei einer drohenden Vielzahl von wenigerschweren Taten, die f?r sich gesehen keinen schweren wirtschaftlichen Schaden begr?nden w?rden, auf den drohenden Gesamtschaden abzustellen ist, wobei auch hier der generelle Ma?stabdas Ausma? der St?rung des Rechtsfriedens sei. So k?nne schondie Tendenz zur serienm??igen Tatbegehung den friedensst?renden Charakter jeder einzelnen Tat so erh?hen, dass sie alle alserheblich empfunden werden, w?hrend auf der anderen Seitedrohende Taten mit geringen Schadenswerten selbst dann nichtzu einer empfindlichen, die Unterbringung des T?ters erfordernden St?rung des Rechtsfriedens f?hren d?rften, wenn diese aufgrund der zu erwartenden serienm??igen Begehung insgesamt zueinem 'schweren' wirtschaftlichen Schaden f?hren w?rden (vgl.BT- Drucksache a.a.O., S. 21, m.w.N.).

Die Strafkammer hat bei der danach gebotenen Gesamtw?rdigung wesentliche Umst?nde nicht erkennbar bedacht.

Sie stellt ma?geblich auf den durch die verfahrensgegenst?ndlichen Taten entstandenen und durch k?nftige Taten zu erwartenden Gesamtschaden ab, wobei auch Erw?hnung findet, dass 'mitSchadenssummen analog denen im gegenst?ndlichen Verfahren,

das hei?t von Einzelsch?den im Bereich von einigen hundert Euromit Abweichungen nach unten und nach oben (bis deutlichber1.000,- € hinaus)' zu rechnen sei (UA S. 26). Diese pauschalenErw?gungen lassen besorgen, dass die Strafkammer nicht bedacht hat, dass sich die Einzelsch?den vorliegend in denberwiegenden F?llen allenfalls im mittleren dreistelligen, teilweise sogar nur im zweistelligen Bereich bewegen (UA S. 4 ff.), mithindeutlich unterhalb des Richtwertes von 5.000,- € liegen, was gegen einen friedensst?renden Charakter der Taten sprechen k?nnte (vgl. BT- Drucksache a.a.O., S. 21, m.w.N.).

Soweit die Strafkammer bei der vorzunehmenden Gesamtw?rdigung auch darauf abstellt, dass voraussichtlich wahllos unterschiedliche Arten von Unternehmen, vom kleinen Internetshop bishin zum Serviceprovider, gesch?digt werden (UA S. 26), lassendie Urteilsgr?nde ebenfalls die gebotene Differenzierung vermissen. Lediglich in vier F?llen (F?lle IV. 1. bis 4.; UA S. 9 f.) handeltees sich bei dem Gesch?digten um einen Einzelunternehmer, w?hrend in den weiteren F?llen - zum Teil finanzkr?ftige - Unternehmen gesch?digt wurden."

Diesen Ausf?hrungen tritt der Senat bei.

Der Ma?regelausspruch bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung.

Fundstellen
NStZ-RR 2018, 239
StV 2019, 241