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BGH - Entscheidung vom 25.07.2017

3 StR 93/17

Normen:
StPO § 349 Abs. 2
StGB § 113 Abs. 1
StGB § 224 Abs. 1 Nr. 4

Fundstellen:
StV 2020, 299

BGH, Beschluss vom 25.07.2017 - Aktenzeichen 3 StR 93/17

DRsp Nr. 2017/13838

Voraussetzungen einer gemeinschaftlichen Begehungsweise der gefährlichen Körperverletzung; Einverständliches Zusammenwirken von Täter und Beteiligtem bei Begehung der Körperverletzung; Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Eine gemeinschaftliche Begehungsweise der gefährlichen Körperverletzung ist nur gegeben, wenn Täter und Beteiligter bei Begehung der Körperverletzung einverständlich zusammenwirken, wobei es bereits genügt, wenn ein am Tatort anwesender Tatgenosse die Wirkung der Körperverletzungshandlung des Täters bewusst in einer Weise verstärkt, welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet ist. Daran kann es fehlen, wenn sich mehrere Opfer jeweils nur einem Angreifer ausgesetzt sehen, ohne dass die Positionen ausgetauscht werden.

Tenor

1.

Auf die Revisionen der Angeklagten wird

a)

das Urteil des Landgerichts Trier vom 4. November 2016 in den Schuldsprüchen dahin geändert, dass die Angeklagten im Fall 2 der Urteilsgründe wie folgt schuldig sind:

aa)

die Angeklagten E. und A. der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, der Angeklagte E. zusätzlich in Tateinheit mit Beleidigung;

bb)

der Angeklagte H. der Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte;

b)

das vorgenannte Urteil aufgehoben

aa)

im Fall 1 der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen, soweit es die Angeklagten H. und E. betrifft;

bb)

in den (verbleibenden) Strafaussprüchen; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2.

Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Normenkette:

StPO § 349 Abs. 2 ; StGB § 113 Abs. 1 ; StGB § 224 Abs. 1 Nr. 4 ;

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurteilt: die Angeklagten H. und E. jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung in drei tateinheitlichen Fällen und wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in zwei tateinheitlichen Fällen - den Angeklagten E. insoweit zusätzlich in weiterer Tateinheit mit Beleidigung - zu Gesamtfreiheitsstrafen von drei Jahren (Angeklagter H. ) bzw. vier Jahren (Angeklagter E. ) und den Angeklagten A. wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten; im Übrigen hat es den Angeklagten A. freigesprochen. Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihren Revisionen gegen ihre Verurteilungen und rügen die Verletzung materiellen Rechts; der Angeklagte A. beanstandet zudem das Verfahren. Die Rechtsmittel haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen erweisen sie sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO .

I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Die Angeklagten beschlossen in der Tatnacht, nachdem sie an einem Clubtreffen des Motorradclubs C. MC teilgenommen hatten, gemeinsam mit zwei Bekannten eine Kneipentour durch T. zu unternehmen. Sie tranken dabei Alkohol, ohne dass festgestellt werden konnte, was genau und wieviel jeder von ihnen zu sich nahm. Gegen 5:30 Uhr morgens begegneten sie den später Geschädigten und deren Begleiterin, die von einer Weihnachtsfeier kamen, dort ebenfalls Alkohol getrunken hatten und leicht angetrunken waren. Eine Person aus der Gruppe um die Angeklagten hob einen Gullideckel aus seiner Fassung und legte ihn mitten auf die Straße. Dies sah der Zeuge M. , war darüber verärgert, äußerte dies laut und begann, den Deckel wieder zurückzuschieben. Darauf entwickelte sich eine zunächst verbale Auseinandersetzung zwischen dem Zeugen und den Angeklagten H. und E. , die kurz darauf begannen, auf M. und die beiden anderen Geschädigten, die Zeugen K. und V. , einzuschlagen und davon auch nicht abließen, als die Zeugen zu Boden gegangen waren. Der Angeklagte E. schlug dem Zeugen V. unter anderem mit der Faust ins Gesicht; weitere konkrete Feststellungen dazu, wer wie oft und wen schlug, hat das Landgericht nicht treffen können (Fall 1 der Urteilsgründe).

Dem Zeugen M. gelang es, sich zu befreien und loszulaufen, um Hilfe zu holen. Er traf nach etwa 100 Metern auf zwei uniformierte Polizisten, die sich mit ihm zurück zum Tatort begaben. Der Angeklagte H. schlug zu diesem Zeitpunkt noch auf einen der Geschädigten ein, ohne dass aufgeklärt werden konnte, auf wen. PHK S. gab sich sofort als Polizeibeamter zu erkennen und forderte H. auf, den Angriff zu beenden. Dieser ließ daraufhin von seinem Opfer ab und wollte - wie auch der Rest der Gruppe um die Angeklagten - fliehen. PHK S. setzte den Angeklagten nach und befahl ihnen, stehen zu bleiben. Der Angeklagte E. fragte daraufhin: "Was willst du Scheißbulle machen, wenn nicht?", und schlug ihm unmittelbar danach vor die Brust. Der Angeklagte A. war währenddessen hinter PHK S. hergegangen und versetzte ihm von der Seite einen Faustschlag, so dass er zu Boden ging. Sodann schlugen und traten die Angeklagten A. und E. - teils massiv - gemeinsam auf Kopf und Körper des Polizeibeamten ein, der versuchte, sich mit seinem Schlagstock zu schützen und diesen auch zu Schlägen einsetzte. Nachdem der Angeklagte A. , der weiter auf PHK S. hatte einwirken wollen, von einer unbekannten Person weggezogen worden war, kniete der Angeklagte E. auf dem immer noch am Boden liegenden Polizeibeamten. In diesem Moment kam ihm die zweite Polizistin, PK'in B. , zu Hilfe und schlug dem Angeklagten E. mit ihrem Schlagstock auf den Rücken. Dies nahm wiederum der Angeklagte H. zum Anlass, PK'in B. wegzuziehen und ihr einen Faustschlag zu versetzen. In der rechtlichen Würdigung hat die Strafkammer ausgeführt, dass der Angriff der Angeklagten A. und E. auf PHK S. nicht ausschließbar bereits beendet war, als der Angeklagte H. PK'in B. angriff (Fall 2 der Urteilsgründe).

II. Die von dem Angeklagten A. erhobene Verfahrensrüge hat aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Erfolg.

III. Die auf die Rügen der Verletzung materiellen Rechts veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils führt zur Aufhebung der Verurteilungen der Angeklagten H. und E. im Fall 1 der Urteilsgründe, zur Änderung der Schuldsprüche betreffend alle Angeklagten im Fall 2 der Urteilsgründe sowie zur Aufhebung der (verbleibenden) Strafaussprüche. Im Einzelnen:

1. Im Fall 1 der Urteilsgründe hält die Verurteilung der Angeklagten H. und E. wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ist eine gemeinschaftliche Begehungsweise im Sinne der Vorschrift nicht belegt; eine solche ist nur gegeben, wenn Täter und Beteiligter bei Begehung der Körperverletzung einverständlich zusammenwirken, wobei es bereits genügt, wenn ein am Tatort anwesender Tatgenosse die Wirkung der Körperverletzungshandlung des Täters bewusst in einer Weise verstärkt, welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet ist (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2012 - 3 StR 158/12, BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 4 Gemeinschaftlich 4 mwN). Daran kann es indes fehlen, wenn sich mehrere Opfer jeweils nur einem Angreifer ausgesetzt sehen, ohne dass die Positionen ausgetauscht werden. Denn in einem solchen Fall stehen dem jeweiligen Opfer die Beteiligten gerade nicht gemeinschaftlich gegenüber. Damit fehlt es an dem Grund für die Strafschärfung des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB , der in der erhöhten abstrakten Gefährlichkeit der Tat liegt, weil einem Geschädigten mehrere Angreifer körperlich gegenüberstehen und er deshalb in seiner Verteidigungsmöglichkeit tatsächlich oder vermeintlich eingeschränkt ist (BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 3 StR 171/15, BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 4 Gemeinschaftlich 5 mwN). Da die Strafkammer - bis auf einen Faustschlag des Angeklagten E. gegen den Zeugen V. - nicht feststellen konnte, wer von den Angeklagten welchen Geschädigten schlug, bleibt offen, ob die Angeklagten bei der Verletzung der Geschädigten in dem für die Verwirklichung des Qualifikationstatbestands erforderlichen Sinn zusammenwirkten.

Da der Senat in diesem Fall nicht ausschließen kann, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitergehende Feststellungen getroffen werden, die eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung erlauben, hebt er das Urteil insoweit mit den zugehörigen Feststellungen auf.

2. Im Fall 2 der Urteilsgründe gilt Folgendes:

a) Indem die Angeklagten A. und E. gemeinsam auf PHK S. einschlugen und -traten, haben sie sich gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 , 5 StGB wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht. In diesem Fall ist ein gemeinschaftliches Vorgehen im Sinne der Vorschrift ausdrücklich festgestellt; zudem liegen wegen der massiven Tritte gegen den Kopf auch die Voraussetzungen einer (abstrakt) lebensgefährlichen Behandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB vor. Tateinheitlich verwirklichten sie den Tatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1 StGB und der Angeklagte E. darüber hinaus denjenigen der Beleidigung nach § 185 StGB . Allerdings fehlt es an der Begehung der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte "in zwei tateinheitlichen Fällen": Die Tätlichkeiten der Angeklagten richteten sich nur gegen PHK S. . Die Angeklagten A. und E. haben damit nur einem Vollstreckungsbeamten Widerstand geleistet und auch nur zum Nachteil eines Menschen gemeinschaftlich eine Körperverletzung begangen. Die allein durch den Angeklagten H. begangene Körperverletzung zum Nachteil von PK'in B. könnte ihnen in diesem Zusammenhang allenfalls zugerechnet werden, wenn dadurch weitere Tätlichkeiten der Angeklagten zum Nachteil von PHK S. ermöglicht worden wären. Das hat das Landgericht indes nicht festzustellen vermocht, sondern ist zu Gunsten des Angeklagten H. davon ausgegangen, dass der Angriff der Angeklagten A. und E. bereits beendet war, als der Angeklagte H. in das Geschehen eingriff.

b) Aus dem gleichen Grund hat der Angeklagte H. , der allein auf PK'in B. einwirkte, nur einer Vollstreckungsbeamtin Widerstand geleistet und nur zum Nachteil eines Menschen eine Körperverletzung begangen. Dies geschah - wie dargelegt - auch nicht mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich und erfüllte auch keinen anderen Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 StGB , so dass eine gefährliche Körperverletzung durch ihn insoweit nicht begangen wurde. Allerdings hat er sich wegen einer Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht; Strafantrag ist von PK'in B. rechtzeitig gestellt worden (§ 230 Abs. 1 , § 77 Abs. 1 StGB ).

c) Der Senat hat die Schuldsprüche in diesem Fall in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO geändert; er schließt aus, dass ein neues Tatgericht in diesem Fall weitere Feststellungen würde treffen können, die zu anderen Schuldsprüchen führen würden.

3. Die Aufhebung des Urteils im Fall 1 der Urteilsgründe führt zum Wegfall der gegenüber den Angeklagten H. und E. verhängten Einzelstrafen und bedingt die Aufhebung der Gesamtstrafen. Aus den Schuldspruchänderungen im Fall 2 der Urteilsgründe folgt darüber hinaus die Aufhebung der insoweit verhängten (Einzel-)Strafen gegenüber allen drei Angeklagten. Dies folgt hinsichtlich des Angeklagten H. bereits daraus, dass der Qualifikationstatbestand, aus dessen - gemilderten - Strafrahmen die Strafkammer die Strafe entnommen hat, nicht erfüllt ist. Hinsichtlich der Angeklagten A. und E. hat das Landgericht - wie bei dem Angeklagten H. im Übrigen auch - zudem straferschwerend berücksichtigt, dass durch die Tat mehrere Personen verletzt wurden, was indes - wie dargelegt - nicht der Fall ist. Der Senat kann deshalb nicht ausschließen, dass die Strafkammer unter Zugrundelegung der zutreffenden Schuldsprüche zu niedrigeren (Einzel-)Strafen gelangt wäre.

Die zu den Strafaussprüchen getroffenen Feststellungen sind von den Rechtsfehlern indes nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben.

Vorinstanz: LG Trier, vom 04.11.2016
Fundstellen
StV 2020, 299