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BGH - Entscheidung vom 25.04.2017

1 StR 147/17

Normen:
StGB § 40 Abs. 2 S. 1-2
StGB § 40 Abs. 3

Fundstellen:
NStZ-RR 2017, 305

BGH, Beschluss vom 25.04.2017 - Aktenzeichen 1 StR 147/17

DRsp Nr. 2017/8063

Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte; Anforderungen an die Bestimmung der Tagessatzhöhe; Beschränkung des Rechtsmittels auf die Bemessung der Tagessatzhöhe

Bei der Bemessung der Höhe eines Tagessatzes ist grundsätzlich vom Nettoeinkommen auszugehen, das der Täter an einem Tag hat oder haben könnte, wobei auch Unterhalts- und Sachbezüge oder sonstige Naturalleistungen zum Einkommen zählen. Grundsätzlich kann daher auch das Einkommen des Ehepartners berücksichtigt werden, wenn dem Täter hieraus tatsächlich Vorteile zufließen.

Tenor

1.

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ulm vom 12. Dezember 2016 im Ausspruch über die Höhe der verhängten Tagessätze aufgehoben.

2.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Göppingen- Strafrichter - zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 40 Abs. 2 S. 1-2; StGB § 40 Abs. 3 ;

Gründe

I.

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 25 Euro verurteilt und von einem weiteren Tatvorwurf freigesprochen.

Mit ihrer auf die Höhe der verhängten Tagessätze beschränkten Revision wendet sich die Angeklagte gegen die Festsetzung der Höhe des einzelnen Tagessatzes durch das Landgericht. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

II.

1. Zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Angeklagten hat das Landgericht festgestellt, dass diese im Anschluss an ihre Schulzeit eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin machte und nach deren Abschluss noch etwa eineinhalb Jahre in diesem Beruf in einer Zahnarztpraxis tätig war. Nachdem sie aber mit ihrem damaligen Chef nicht zurecht kam, beendete sie das Arbeitsverhältnis und unternahm mehrere Versuche, andere berufliche Tätigkeiten zu finden, welche allesamt scheiterten. In der Folge lebte sie bis zu ihrer Heirat im Alter von 27 Jahren im Haushalt ihrer Mutter, ohne irgendeiner Berufstätigkeit nachzugehen. Nach der Eheschließung hatte sie auch weiterhin keine eigenen Einkünfte; die Eheleute haben zwei gemeinsame Kinder im Alter von nunmehr 21 und 19 Jahren, welche noch zu Hause wohnen. Der Ehemann verdient monatlich zwischen 3.000 € und 3.500 € netto, wobei er für die Wohnungsmiete 900 € monatlich aufbringen muss.

Die Angeklagte befindet sich seit 1988 regelmäßig in psychologischer und psychiatrischer Behandlung und war erstmals auch 1988 für vier und folgend für sechs Wochen wegen Magersucht und Depressionen in einer Klinik. Ein weiterer stationärer Aufenthalt erfolgte über 14,5 Wochen 1992 wegen Bulimie. Beginnend Mitte der 1990er Jahre folgten 30-35 stationäre Aufenthalte im C. , welche zwischen drei Tagen und zweieinhalb Jahren dauerten. Derzeit ist die Angeklagte auf freiwilliger Basis im C. untergebracht, wobei sie allerdings an den Wochenenden zu Hause bei ihrer Familie ist.

2. Keine Feststellungen hat die Strafkammer dazu getroffen, wer aktuell für die Kosten der Unterbringung aufkommt und in welchem Umfang gegebenenfalls weitere Kosten der Lebenshaltung von ihrem Ehemann übernommen werden.

III.

Das Rechtsmittel ist wirksam auf die Bemessung der Tagessatzhöhe beschränkt (BGH, Beschluss vom 30. November 1976 - 1 StR 319/76, BGHSt 27, 70 , 73). Ein Ausnahmefall, bei dem sich die Zumessungsakte zur Anzahl des Tagessatzes und dessen Höhe überschneiden, liegt nicht vor. Die Festsetzung der Tagessatzhöhe hält rechtlicher Prüfung nicht stand, weil das Landgericht vor der Vornahme der Schätzung die Einkommens- und Zahlungsverhältnisse sowie eventuell vorhandene Ansprüche an Sozialhilfeträger nicht ausreichend geklärt hat (§ 40 Abs. 2 Satz 2 StGB ).

1. Die Höhe eines Tagessatzes bestimmt sich unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters (§ 40 Abs. 2 Satz 1 StGB ). Dabei ist grundsätzlich vom Nettoeinkommen auszugehen, das der Täter an einem Tag hat oder haben könnte (§ 40 Abs. 2 Satz 2 StGB ). Jedoch erschöpft sich die Festlegung der Tagessatzhöhe nicht in einem mechanischen Rechenakt, sondern es handelt sich um einen wertenden Akt richterlicher Strafzumessung, der dem Tatrichter Ermessensspielräume hinsichtlich der berücksichtigungsfähigen Faktoren belässt (MüKo-StGB/Radtke, 3. Aufl., § 40 Rn. 56; ebenso Fischer, StGB , 64. Aufl., § 40 Rn. 6a). Zudem ist das Einkommen ein rein strafrechtlicher und nicht steuerrechtlicher Begriff, welcher alle Einkünfte aus selbständiger und nicht selbständiger Arbeit sowie aus sonstigen Einkunftsarten umfasst (Fischer, aaO Rn. 7), wobei es auch nicht erforderlich ist, dass es sich um Einnahmen in Form von Geldleistungen handelt (MüKo-StGB/Radtke, 3. Aufl., § 40 Rn. 60), auch Unterhalts- und Sachbezüge oder sonstige Naturalleistungen zählen hierzu.

Grundsätzlich kann auch das Einkommen des Ehepartners berücksichtigt werden, wenn dem Täter hieraus tatsächlich Vorteile zufließen, wobei aber das Strafgericht den Entschluss eines Ehepartners, nicht berufstätig zu werden, zu respektieren hat (Fischer, aaO Rn. 9). Im Ergebnis kommt es in solchen Fällen darauf an, inwieweit der nicht berufstätige Ehepartner am Familieneinkommen teilhat, indem ihm tatsächlich Naturalunterhalt, gegebenenfalls auch ein Taschengeld, gewährt wird.

Von den anzurechnenden Einkünften abzuziehen sind damit zusammenhängende Ausgaben, wie beispielsweise Werbungskosten und Betriebsausgaben, auch Sozialversicherungsbeiträge; ebenfalls sind in der Regel außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, Unterhaltsverpflichtungen des Täters demgegenüber nur in angemessenem Umfang (Fischer, aaO Rn. 13 ff.; MüKo-StGB/Radtke, 3. Aufl., § 40 Rn. 65 ff.; vgl. auch Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 121).

Dem Tatrichter steht gemäß § 40 Abs. 3 StGB eine Schätzungsbefugnis zu, sofern entweder der Angeklagte keine oder unrichtige Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen macht oder deren Ermittlung zu einer unangemessenen Verzögerung des Verfahrens führen würde bzw. der erforderliche Aufwand nicht im Verhältnis zur Höhe der Geldstrafe stehen würde (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Januar 1995 - 5 Ss 437/94; MüKo-StGB/ Radtke, 3. Aufl., § 40 Rn. 119).

2. Demgegenüber hat das Landgericht die Tagessatzhöhe durch Schätzung festgelegt, ohne ausreichend die wirtschaftlichen Verhältnisse der Angeklagten aufzuklären. Es hat zwar festgestellt, dass die Angeklagte ohne eigene Erwerbseinkünfte ist, der Ehemann mindestens 3.000 € monatlich verdient, an monatlicher Miete 900 € aufwendet und den beiden noch im Haushalt lebenden 21 und 19 Jahre alten Kindern Naturalunterhalt gewährt, und dass die Angeklagte jeweils am Wochenende sich in der Familienwohnung aufhält. Ob der Aufenthalt am Wochenende 2,5 Tage oder etwa nur 1,5 Tage ausmacht, ergibt sich aus den Feststellungen des Landgerichts nicht, was aber entscheidend dafür sein dürfte, ob der damit geleistete und vom Landgericht auf 750 € geschätzte Naturalunterhalt tatsächlich ein Viertel des Nettoverdienstes des Ehegatten ausmachen kann.

Des weiteren gibt es keine Feststellungen dazu, wer die Kosten der freiwilligen Unterbringung der Angeklagten im C. ganz oder teilweise aufbringt, ob es insoweit Ansprüche gegen Sozialhilfeträger gibt oder ob diese bei einer Leistung möglicherweise Rückzahlungsansprüche gegen den Ehegatten haben oder bereits geltend machen.

Die Aufklärung der vorgenannten Grundlagen für die Bestimmung der Tagessatzhöhe benötigt ersichtlich keinen unübersehbaren zeitlichen Aufwand, weshalb die Voraussetzungen einer Schätzung gemäß § 40 Abs. 3 StGB vorliegend noch nicht gegeben waren.

3. Der neue Tatrichter wird nach den erforderlichen ergänzenden Feststellungen die Höhe des Tagessatzes unter Berücksichtigung von § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO neu festzulegen haben, wobei ihm die Schätzungsbefugnis zusteht, wenn auch aufgrund der weiteren Feststellungen keine eindeutigen Grundlagen für die richterliche Strafzumessung gegeben sind.

4. Nachdem die durch rechtskräftigen Schuldspruch festgestellte Straftat auch zur Zuständigkeit des Amtsgerichts - Strafrichter - gehört, hat der Senat von der Möglichkeit gemäß § 354 Abs. 3 StPO Gebrauch gemacht und die Sache an den Strafrichter des örtlich zuständigen Amtsgerichts Göppingen zurückverwiesen.

Vorinstanz: LG Ulm, vom 12.12.2016
Fundstellen
NStZ-RR 2017, 305