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BGH - Entscheidung vom 31.01.2017

X ZB 10/16

Normen:
VgV § 60
VOB/A § 16d Abs. 1 Nrn. 1 und 2
VOB/A § 16d EU Abs. 1 Nrn. 1 und 2
VOL/A 2009 § 16 Abs. 6
GWB § 71 Abs. 1, § 72
GWB § 71 Abs. 1, § 165
VgV § 60
VOB/A § 16d Abs. 1 Nr. 1-2
VOB/A § 16d EU Abs. 1 Nr. 1-2
VOL/A (2009) § 16 Abs. 6
GWB § 71 Abs. 1
GWB § 72
GWB § 165
GWB § 71 Abs. 1
VOL/A § 16 Abs. 6
VOB/A § 16d Abs. 1 Nr. 1

Fundstellen:
BGHZ 214, 11
NZBau 2017, 230
ZfBR 2017, 492

BGH, Beschluss vom 31.01.2017 - Aktenzeichen X ZB 10/16

DRsp Nr. 2017/2980

Verpflichtung der Vergabestelle zum Eintritt in die vorgesehene nähere Prüfung der Preisbildung bei einem ungewöhnlich niedrigen Preis

VOB/A § 16d Abs. 1 Nrn. 1 und 2; § 16d EU Abs. 1 Nrn. 1 und 2 VOL/A 2009 § 16 Abs. 6 GWB § 71 Abs. 1 , §§ 72 , 165 a) Erscheint ein Angebotspreis aufgrund des signifikanten Abstands zum nächstgünstigen Gebot oder ähnlicher Anhaltspunkte, wie etwa der augenfälligen Abweichung von preislichen Erfahrungswerten aus anderen Beschaffungsvorgängen, ungewöhnlich niedrig, können die Mitbewerber verlangen, dass die Vergabestelle in die vorgesehene nähere Prüfung der Preisbildung eintritt.b) Wird für bereits vorliegende oder von der Vergabestelle zur Aufklärung des Preises nachgeforderte Informationen Schutz als Geschäftsgeheimnis begehrt, entscheidet die Vergabekammer zunächst in einem Zwischenverfahren über deren Offenlegung. Für die Entscheidung, ob das Geheimhaltungs- oder das Offenlegungsinteresse überwiegt, ist eine Abwägung der beiderseitigen geschützten Interessen vorzunehmen.c) Die Vergabekammer darf bei der Sachentscheidung Umstände berücksichtigen, deren Offenlegung sie mit Rücksicht auf ein Geheimhaltungsinteresse abgelehnt hat, das nach Abwägung aller Umstände das Interesse der Beteiligten auf rechtliches Gehör auch unter Beachtung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz überwiegt.

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer Berlin vom 6. August 2015 (VK B 1 17/15) aufgehoben. Die Vergabekammer wird verpflichtet, erneut über die Sache und über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden.

Normenkette:

GWB § 71 Abs. 1 ; VOL/A § 16 Abs. 6 ; VOB/A § 16d Abs. 1 Nr. 1 ;

Gründe

A. Das vorliegende Nachprüfungsverfahren bezieht sich auf eine von der Berliner Feuerwehr als Vergabestelle durchgeführte beschränkte Ausschreibung mit öffentlichem Teilnahmewettbewerb, die schwerpunktmäßig die Gestellung von Notärzten für das in 17 Versorgungsgebiete (Gebietslose) unterteilte Land Berlin für drei Jahre mit der Option der einmaligen Verlängerung um zwei weitere Jahre zum Gegenstand hatte. Die Antragstellerin beteiligte sich mit einem Angebot für ein Versorgungsgebiet zu einem jährlichen Preis von €. Nachdem die Vergabestelle sie darüber informiert hatte, dass der Zuschlag auf das Angebot einer Mitbewerberin zu einem jährlichen Angebotspreis von € erteilt werden soll, beantragte die Antragstellerin Vergabenachprüfung und machte unter anderem geltend, jenes Angebot sei ungewöhnlich niedrig im Sinne von § 16 Abs. 6 Satz 1 VOL/A 2009 und hätte deshalb ausgeschlossen werden müssen.

Die Vergabekammer hat den hierauf gestützten Nachprüfungsantrag mit der Begründung für unzulässig erachtet, § 16 Abs. 6 VOL/A 2009 entfalte im Streitfall keine drittbieterschützende Wirkung, so dass sich die Antragstellerin insoweit nicht auf eine Rechtsverletzung im Sinne von § 97 Abs. 6 GWB berufen könne.

Dagegen hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde eingelegt. Nachdem die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels entfallen war, erteilte die Vergabestelle den Zuschlag entsprechend ihrem Informationsschreiben. Daraufhin hat die Antragstellerin ihr primäres Rechtsschutzbegehren für erledigt erklärt und beantragt festzustellen, dass sie durch den Antragsgegner in ihren Rechten verletzt ist. Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Das Kammergericht möchte die sofortige Beschwerde zurückweisen, sieht sich daran aber durch einen Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts gehindert, demzufolge § 25 Nr. 3 Abs. 1 VOB/A aF, dessen Regelungsgehalt sich im Wesentlichen mit dem von § 16 Abs. 6 VOL/A 2009 deckt, auch dem Schutz aller anderen Bieter dient, die bei einem echten Wettbewerb ihre Preise aufgrund einer ordnungsgemäßen Kalkulation berechnet haben. Der nächstgünstigste Bieter habe deshalb ein Recht, diesen Vergabeverstoß in einem Nachprüfungsverfahren zu unterbinden (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29. Oktober 2003 - 1 Verg 2/03, NZBau 2004, 117 , 118).

B. Die Vorlage ist zulässig.

I. Die Voraussetzungen des § 179 Abs. 2 Satz 1 GWB liegen nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn das vorlegende Oberlandesgericht seiner Entscheidung als tragende Begründung einen Rechtssatz zugrunde legen will, der mit einem die Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts tragenden Rechtssatz unvereinbar wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014 - X ZB 15/13, BGHZ 199, 327 Rn. 10 - Stadtbahnprogramm Gera).

Zu Recht hat der vorlegende Vergabesenat die Divergenz nicht dadurch ausgeräumt gesehen, dass die Entscheidung, von der er abweichen möchte, älteren Datums ist und sich zudem zeitlich danach unter anderen Vergabesenaten eine anderslautende Auffassung zu der Streitfrage herausgebildet hat (vgl. dazu etwa OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. September 2008 - Verg 50/08, [...] Rn. 37 zu § 25 Nr. 2 Abs. 3 VOL/A aF), der er sich anschließen möchte.

Der Senat weist außerdem darauf hin, dass es für das Bestehen einer Divergenz nicht darauf ankommt, ob der andere Vergabesenat seine abweichende Auffassung begründet hat (vgl. insoweit OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Februar 2016 - Verg 37/14, [...] Rn. 47), sondern nur darauf, dass erkennbar ein abweichender Rechtssatz angewendet wurde. Die Voraussetzungen für eine Divergenzvorlage können schließlich auch vorliegen, wenn ein Vergabesenat von der Ansicht eines anderen Vergabesenats abweichen will, die dieser (lediglich) in einem Verfahren nach § 173 Abs. 1 Satz 3 oder § 176 GWB gefasst hat. Das Gesetz sieht zwar im Interesse der möglichst beschleunigten Vergabe öffentlicher Aufträge eine Divergenzvorlage in einem dieser Eilverfahren selbst nicht vor. Es ist mit Blick auf das Ziel einer bundeseinheitlichen Rechtsprechung in Vergabesachen aber zu bedenken, dass die Vergabesenate, wenn es nur noch um die Anwendung des Rechts auf einen feststehenden Sachverhalt geht, mitunter bereits im Eilverfahren - namentlich im Verfahren nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB - die rechtlichen Streitfragen erschöpfend beantworten, von denen der endgültige Ausgang des Beschwerdeverfahrens abhängt und es dann gegebenenfalls nicht mehr zu einer Entscheidung in der Hauptsache kommt. Dem Gewicht, das den in den Eilverfahren ergehenden Entscheidungen deshalb zukommt, würde es nicht gerecht, wenn sie generell bei der Prüfung auf eine bestehende Divergenz unberücksichtigt blieben.

II. Die Divergenz ergibt sich im Streitfall daraus, dass die Antragstellerin als mit einer Preisdifferenz von über 30 % zweitbeste Bieterin auf der Grundlage der Rechtsprechung des Saarländischen Oberlandesgerichts zur Überprüfung durch die Nachprüfungsinstanzen stellen könnte, ob der Zuschlag insoweit zu einem unangemessen niedrigen Preis ergangen ist, der vorlegende Vergabesenat demgegenüber meint, die Antragstellerin könne sich nicht auf § 16 Abs. 6 VOL/A 2009 stützen, weil dieser Vorschrift im Streitfall keine bieterschützende Wirkung zukomme. Er sieht sich dabei in Einklang mit der Rechtsprechung anderer Vergabesenate, die der § 16 Abs. 6 VOL/A 2009 entsprechenden Regelung in § 19 EG Abs. 6 Satz 2 VOL/A 2009 bieterschützende Wirkung nur dann beimessen, wenn das ungewöhnlich günstig erscheinende Angebot Ausdruck wettbewerbswidriger Praktiken ist, denen der Auftraggeber keinen Vorschub leisten dürfe. Diese Voraussetzungen erfüllten Angebote nur, wenn der unangemessen niedrige Preis als Mittel zur zielgerichteten Verdrängung anderer Bieter nicht lediglich aus dem laufenden Vergabeverfahren, sondern vom Markt insgesamt eingesetzt werde oder zumindest die Gefahr einer entsprechenden Entwicklung bestehe, oder wenn die niedrige Preisgestaltung den Auftragnehmer voraussichtlich in so erhebliche Schwierigkeiten bringen werde, dass er den Auftrag nicht zu Ende ausführen könne, sondern die Ausführung abbrechen müsse (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31. Oktober 2012 - Verg 17/12, VergabeR 2013, 243, 248; Beschluss vom 9. Mai 2011 - Verg 45/11, VergabeR 2011, 884 f.; OLG München, Beschluss vom 21. Mai 2010 - Verg 2/10, VergabeR 2010, 992, 1008; vgl. auch Thüringer OLG, Beschluss vom 5. Juni 2009 - 9 Verg 5/09, VergabeR 2009, 809, 812 ff.). Der vorlegende Senat sieht im Streitfall diese zusätzlich geforderten Voraussetzungen für den Zugang zum Nachprüfungsverfahren nicht dargelegt und möchte die geltend gemachte Verletzung der Antragstellerin in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB deshalb verneinen.

C. Die zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Verpflichtung der Vergabekammer zu neuer Entscheidung.

I. Der Nachprüfungsantrag ist entgegen der Ansicht der Vergabekammer zulässig.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für die Zulässigkeit eines auf § 160 Abs. 2 Satz 1 und 2 GWB gestützten Nachprüfungsantrags erforderlich, dass ein Unternehmen mit Interesse am Auftrag eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB schlüssig aufzeigt (vgl. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 18. Mai 2004 - X ZB 7/04, BGHZ 159, 186 , 191 f.).

2. Soll der Zuschlag nach der Vorinformation (§ 134 Abs. 1 GWB ) auf ein Angebot mit einem Preis erteilt werden, den der Antragsteller für unangemessen niedrig hält, gehört es in Anbetracht der einschlägigen Regelungen in § 60 VgV , §§ 16d, 16d EU VOB/A oder hier in § 16 Abs. 6 VOL/A 2009 zur Schlüssigkeit, genügt insoweit aber auch, dass die Unangemessenheit des Preises indizierende Umstände dargelegt werden. Regelmäßig wird es sich dabei, wie auch hier, um die Höhe des beanstandeten Preises und den Abstand zum eigenen bzw. zum nächstgünstigen Angebot handeln.

a) In der Rechtsprechung der Vergabesenate sind insoweit Aufgreifschwellen anerkannt, bei deren Erreichen eine Verpflichtung des Auftraggebers angenommen wird, in eine nähere Prüfung der Preisbildung des fraglichen Angebots einzutreten. Unterschiedliche Einschätzungen bestehen diesbezüglich nur darüber, ob diese Aufgreifschwelle immer erst bei einem Preisabstand von 20 % zum nächsthöheren Angebot erreicht ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. April 2012 - Verg 61/11, ZfBR 2012, 613 ) oder schon in einem Bereich über 10 % einsetzen kann (vgl. Ziekow/Völlink/Vavra, Vergaberecht, 2. Aufl., § 16 VOB/A Rn. 46 unter Hinweis auf OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27. September 2009 - 15 Verg 3/09, VergabeR 2010, 96).

b) Ob eine Schwelle von 20 % als unverrückbare Untergrenze anzusehen ist oder ob besondere Umstände im Einzelfall Aufklärungsbedarf auch bei geringeren Abständen indizieren können, kann fraglich sein, bedarf im Streitfall aber keiner abschließenden Beurteilung, weil hier der Preisabstand von über 30 % zum Angebot der Antragstellerin jedenfalls hinreicht, um den Auftraggeber zu einer Angemessenheitsprüfung zu veranlassen. Im Übrigen kann sich die Frage der Unangemessenheit eines Preises nicht nur aufgrund des signifikanten Abstandes zum nächstgünstigen Gebot im selben Vergabeverfahren stellen, sondern gleichermaßen etwa bei augenfälliger Abweichung von in vergleichbaren Vergabeverfahren oder sonst erfahrungsgemäß verlangten Preisen (vgl. OLG München, Beschluss vom 21. Mai 2010 - Verg 2/10, VergabeR 2010, 992, 1008; OLG Karlsruhe VergabeR 2010, 96).

c) Darüber hinaus obliegt dem Antragsteller darzulegen, ob er die vorgesehene Vergabe zu dem fraglichen Preis gerügt, wie sich der Auftraggeber dazu gegebenenfalls vorprozessual gestellt hat und inwieweit dies die eigenen Bedenken nicht ausräumt.

d) Weitergehende Anforderungen an die Darlegung einer Rechtsverletzung können in Fällen der vorliegenden Art für den Zugang zum Nachprüfungsverfahren nicht gestellt werden.

Dazu, ob der ungewöhnlich niedrige Preis zur Marktverdrängung von Konkurrenten verlangt wird oder ob die Gefahr besteht, dass der Auftrag infolge dieser Preisbildung nicht ordnungsgemäß ausgeführt werden kann, wird der Antragsteller bei Einreichung des Nachprüfungsantrags regelmäßig schon deshalb nichts Konkretes vortragen können, weil dies Einblicke in die Sphäre jenes Unternehmens voraussetzt, über die er üblicherweise nicht verfügen wird und für die er schon in Anbetracht des engen Fristenrahmens für vergaberechtliche Beanstandungen (§ 160 Abs. 3 GWB ) auch kaum rechtzeitig hinreichende Indizien zusammentragen kann. Deshalb überspannt es die Anforderungen an den Zugang zum vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren, vom Antragsteller hierzu substanziierten Vortrag zu verlangen. Das Gleiche gilt in Bezug auf den Gesichtspunkt der Gefahr der Verdrängung seines Unternehmens vom Markt (kritisch zu den zusätzlichen Anforderungen an die Darlegung eines Vergaberechtsverstoßes in der Rechtsprechung der Vergabesenate auch Dicks in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV , § 60 Rn. 38).

II. Der angefochtene Beschluss kann hiernach mit der von der Vergabekammer gegebenen Begründung keinen Bestand haben. Er stellt sich beim gegebenen Sach- und Streitstand auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar.

1. Nach § 60 Abs. 1 , 2 VgV hat der öffentliche Auftraggeber, wenn Preis oder Kosten eines Angebots im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheinen, vom Bieter Aufklärung zu verlangen. Entsprechendes sehen § 16d Abs. 1 und § 16d EU Abs. 1 VOB/A sowie § 16 Abs. 6 VOL/A 2009 vor. Auf die Einhaltung dieser Bestimmungen über das Vergabeverfahren hat jeder Bieter nach § 97 Abs. 6 GWB Anspruch.

a) Die Regelungen über den möglichen Ausschluss von ungewöhnlich niedrigen Angeboten und die damit korrespondierende Prüfungspflicht basieren auf dem Erfahrungswissen, dass niedrige Preise für die öffentlichen Belange von einem bestimmten Niveau an nicht mehr von Nutzen sein, sondern diese umgekehrt sogar gefährden können, weil sie das gesteigerte Risiko einer nicht einwandfreien Ausführung von Bauleistungen einschließlich eines Ausfalls bei der Gewährleistung oder der nicht einwandfreien Lieferung bzw. Erbringung der nachgefragten Dienstleistung und damit einer im Ergebnis unwirtschaftlichen Beschaffung bergen. Geschützt wird dementsprechend in erster Linie das haushaltsrechtlich begründete Interesse des Auftraggebers und der Öffentlichkeit an der jeweils wirtschaftlichsten Beschaffung.

b) Geschützt wird darüber hinaus vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteil vom 29. März 2012 - C-599/10, VergabeR 2012, 584) das Interesse des betreffenden Anbieters am Auftrag insofern, als er, dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs vergleichbar, verlangen kann, dass sein Angebot nicht ohne den Versuch der vorherigen Aufklärung der aufgekommenen Fragen und Ausräumung entstandener Bedenken aus der Wertung genommen wird.

c) Auf die Beachtung der Vorgaben in § 60 Abs. 3 VgV sowie § 16d Abs. 1 und § 16d EU Abs. 1 VOB/A 2016 sowie § 16 Abs. 6 VOL/A 2009 können sich grundsätzlich aber auch die anderen Teilnehmer am Vergabeverfahren berufen. Soll ein nach den Vorgaben der Vergabeverordnung oder der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen an sich wegen seines zu niedrigen Preises auszuschließendes Angebot den Zuschlag erhalten, geht es in der Sache um eine Auftragserteilung unter Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz (§ 97 Abs. 1 GWB ) konkretisierende Regelungen. Dies betrifft in vergleichbarer Weise unmittelbar die Position der übrigen Bewerber im Wettbewerb wie etwa die Bejahung der zunächst zweifelhaft erscheinenden Eignung (zutreffend Opitz in: Beck'scher Vergaberechtskommentar, 2. Aufl., VOB/A § 16 Rn. 268; für bieterschützende Wirkung auch Dicks in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV , § 60 Rn. 38; vgl. auch Ziekow/Völlink/Vavra, Vergaberecht, 2. Aufl., § 16 VOB/A Rn. 46).

d) Dies gilt grundsätzlich auch für den hier allgemein betroffenen Bereich der sozialen und besonderen Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU , zu denen Dienstleistungen der Feuerwehr und Rettungsdienste (CPV-Code 75252000-7) prinzipiell zählen. Die Bestimmungen der Vergabeverordnung beziehen sich grundsätzlich auch hierauf (vgl. § 130 Abs. 1 GWB ; § 64 VgV ), gegebenenfalls vorbehaltlich der Regelung in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB . Nach der Übergangsregelung in § 186 Abs. 2 GWB sind im Streitfall zwar noch die Bestimmungen der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen Teil A 2009 anzuwenden; der Regelungsgehalt von § 16 Abs. 6 VOL/A 2009 entspricht aber in wesentlichen Teilen § 60 VgV .

2. Der Anspruch ist im Falle möglicherweise unangemessen niedriger Angebotspreise darauf gerichtet, dass der Auftraggeber die nach § 16d Abs. 1 , § 16d EU Abs. 1 VOB/A , § 60 VgV oder § 16 Abs. 6 VOL/A 2009 vorgesehene Prüfung vornimmt (ebenso: Opitz aaO § 16 VOB/A Rn. 268).

a) Nach § 60 Abs. 2 VgV hat der öffentliche Auftraggeber, wenn der Preis oder die Kosten eines Angebots im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheinen, die Zusammensetzung des Angebots zu überprüfen. Diese Prüfung kann insbesondere die Wirtschaftlichkeit des Fertigungsverfahrens einer Lieferleistung oder der Erbringung der Dienstleistung, die gewählten technischen Lösungen oder die außergewöhnlich günstigen Bedingungen, über die das Unternehmen bei der Lieferung der Waren oder Erbringung der Dienstleistung verfügt, die Besonderheiten der besonderen Lieferoder Dienstleistung sowie die Einhaltung der Verpflichtungen nach § 128 Abs. 1 GWB oder die Gewährung einer staatlichen Beihilfe betreffen.

b) Bei der Vergabe von Bauleistungen im Geltungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen prüft der Auftraggeber die Angemessenheit des Preises - abgesehen von einem möglichen Zusammenhang mit der Nichterfüllung umwelt- oder sozial- und arbeitsrechtlicher Anforderungen (§ 16d EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A 2016) - anhand der üblicherweise im Zusammenhang mit der Angebotseinreichung vorliegenden oder angeforderten Unterlagen über die Preisermittlung des betreffenden Bieters. Reicht dies nicht aus, um die Angemessenheit befriedigend beurteilen zu können, gibt der Auftraggeber dem Bieter weitere Gelegenheit zur Aufklärung über die Bildung seiner Preise oder Kosten für die Gesamtleistung oder für Teilleistungen und prüft zur Beurteilung der Angemessenheit die betreffende Zusammensetzung unter Berücksichtigung der gelieferten Nachweise. Die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen enthält hierzu zwar keine weiteren detaillierten Angaben. Es können jedenfalls aber die Angaben verlangt werden, die Art. 69 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU - für alle Arten von Leistungen - vorsieht (so auch Dicks in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOB/A , 3. Aufl., § 16 EG Rn. 257). Dazu gehören Angaben zur Wirtschaftlichkeit des Fertigungsverfahrens, der Erbringung der Dienstleistung oder des Bauverfahrens, zu den gewählten technischen Lösungen oder allen gegebenenfalls außergewöhnlich günstigen Bedingungen, über die der Bieter bei der Lieferung der Waren oder der Erbringung der Dienstleistung sowie bei der Durchführung der Bauleistungen verfügt, und sonst zur Eigenart der angebotenen Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen.

3. Kann der öffentliche Auftraggeber die geringe Höhe des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten mit der Prüfung nicht zufriedenstellend aufklären, darf er den Zuschlag auf dieses Angebot ablehnen (§ 60 Abs. 3 VgV ).

a) Die Berechtigung des Auftraggebers, den Zuschlag auf solche Angebote abzulehnen, trägt dem Anliegen des Vergabewettbewerbs Rechnung, die wirtschaftlichste Beschaffung zu realisieren. Unangemessen niedrige Angebotspreise bergen insoweit gesteigerte Risiken (oben Rn. 21), die sich in vielfältiger Weise verwirklichen können. Dies gilt etwa für die in der Rechtsprechung der Vergabesenate angeführte Möglichkeit, dass der Auftragnehmer infolge der zu geringen Vergütung in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und den Auftrag deshalb nicht vollständig ausführen kann. Der Schutz der öffentlichen Interessen setzt aber nicht erst bei derart gravierenden Gefährdungen ein. Öffentliche Interessen sind in schützenswerter Weise auch dadurch gefährdet, dass der betreffende Anbieter in Anbetracht des zu niedrigen Preises versuchen könnte, sich des Auftrags so unaufwändig wie möglich und insoweit auch nicht vertragsgerecht zu entledigen, durch möglichst viele Nachträge Kompensation zu erhalten oder die Ressourcen seines Unternehmens auf besser bezahlte Aufträge zu verlagern, sobald sich die Möglichkeit dazu bietet. Dies gilt ungeachtet des Hinweises im Vorlagebeschluss, es sei einem Bieter grundsätzlich unbenommen, zu einem Preis zu bieten, der ihm lediglich einen Deckungsbeitrag zu seinen Fixkosten verspricht (Unterkostenangebote, vgl. etwa OLG München, Beschluss vom 21. Mai 2010 - Verg 2/10, VergabeR 2010, 992, 1008). Dass ein solches Angebot nicht von vornherein unzulässig ist, ändert nichts an den hiermit verbundenen Gefahren.

b) Ob oder inwieweit sich die vorstehend aufgezeigten oder andere Risiken für eine auftragsgerechte Ausführung bei Auftragserteilung verwirklichen, kann im Zeitpunkt der Vergabeentscheidung kaum je hinreichend sicher vorausgesagt werden. Vor diesem Hintergrund trifft § 60 Abs. 3 VgV Vorkehr dagegen, dass der Auftraggeber ein vermeintlich sehr günstiges Angebot annehmen muss, das tatsächlich aber mit erheblichen potenziellen Verlustrisiken behaftet ist, und ordnet an, dass Angebote wegen eines ungewöhnlich niedrigen Preises bereits dann ausgeschlossen werden können, wenn sich die geringe Höhe nicht zufriedenstellend aufklären lässt.

c) Dem Auftraggeber ist hierbei ein rechtlich gebundenes Ermessen eingeräumt. Die Verwendung des Verbs "dürfen" in § 60 Abs. 3 VgV ist nicht so zu verstehen, dass es im Belieben des Auftraggebers stünde, den Auftrag trotz weiterbestehender Ungereimtheiten doch an den betreffenden Bieter zu vergeben. Die Ablehnung des Zuschlags ist vielmehr grundsätzlich geboten, wenn der Auftraggeber verbleibende Ungewissheiten nicht zufriedenstellend aufklären kann. Bei der Beurteilung der Anforderungen an eine zufriedenstellende Aufklärung berücksichtigt der Auftraggeber Art und Umfang der im konkreten Fall drohenden Gefahren für eine wettbewerbskonforme Auftragserledigung.

d) Diese in § 60 Abs. 3 VgV ausdrücklich vorgesehene Regelung geht auf Art. 69 Abs. 3 Satz 2 RL 2014/24/EU zurück und gilt gleichermaßen für die Vergabe von Bauleistungen.

4. Ob die Vergabestelle die Preisbildung des günstigsten Angebots entsprechend aufgeklärt hat, kann nicht nachvollzogen werden.

III. Nach alledem kann der angefochtene Beschluss der Vergabekammer keinen Bestand haben und ist nach § 178 Satz 1 GWB aufzuheben. Der Senat macht entsprechend § 178 Satz 2 GWB von der Möglichkeit Gebrauch, die Vergabekammer zu verpflichten, unter Berücksichtigung seiner Rechtsauffassung über den Feststellungsantrag zu entscheiden.

Im Regelfall, auf den die gesetzliche Regelung zugeschnitten ist, entscheidet, wenn sich das primäre Rechtsschutzbegehren während des Beschwerdeverfahrens in der Hauptsache erledigt, zwar das Beschwerdegericht über einen solchen Antrag (§ 178 Satz 3 GWB ). Der Streitfall weist jedoch Besonderheiten auf, die eine erstinstanzliche Entscheidung über das Feststellungsbegehren angezeigt erscheinen lassen.

Die Vergabekammer hat sich ungeachtet der von ihr ausgesprochenen Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags bereits mit dem Ergebnis der nachträglichen Prüfung der Angemessenheit des von der Ausschreibungsgewinnerin verlangten Preises durch die Vergabestelle befasst und dieses Ergebnis - allerdings unter Verletzung der Mitwirkungsrechte der Antragstellerin - für vergaberechtskonform zustande gekommen erachtet. Dieser Streitstoff wäre bereits für das Primärrechtsschutzbegehren der Antragstellerin entscheidungserheblich gewesen. Im Interesse der Verfahrensökonomie und um insoweit eine Prüfung in zwei Instanzen zu gewährleisten, ist deshalb der Vergabekammer die erneute Prüfung zu übertragen.

IV. Bei der erneuten Entscheidung wird die Vergabekammer zu beachten haben, dass bei der Nachprüfung der Angemessenheit eines ungewöhnlich niedrigen Angebotspreises Geheimhaltungsinteressen des betreffenden Bieters berührt sein können.

1. Die Bieter werden die Kalkulation ihrer Angebote und die mit der Preisermittlung zusammenhängenden Daten und Inhalte vielfach als ihre Geschäftsgeheimnisse betrachten.

a) Zu den Geschäftsgeheimnissen gehören alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind, an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat, in Bezug auf die sein Geheimhaltungswille bekundet worden oder erkennbar ist und von denen sich ein größerer Personenkreis nur unter Schwierigkeiten Kenntnis verschaffen kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087/03, 1 BvR 2111/03, BVerfGE 115, 205 Rn. 87; BGH, Beschluss vom 16. November 2009 - X ZB 37/08, BGHZ 183, 153 Rn. 17 - Lichtbogenschnürung; Urteil vom 7. November 2002 - I ZR 64/00, GRUR 353, 356 m.w.N. - Präzisionsmessgeräte; vgl. auch Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie (EU) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen [Geschäftsgeheimnisse] vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, ABl. Nr. L 157 vom 15. Juni 2015 S. 1).

b) Auch Betriebsgeheimnisse, zu denen die Fabrikationsgeheimnisse zählen (vgl. BR-Drucks. 441/04 S. 114 zu Nr. 43 und S. 124 zu Nr. 62), können von der Angemessenheitsprüfung berührt sein, etwa wenn es darum geht, ob besonders wirtschaftliche Fertigungsverfahren den niedrigen Preis erklären könnten (oben Rn. 27).

c) Die vorstehend genannten tatbestandlichen Voraussetzungen müssen für alle Informationen, für die Geheimnisschutz beansprucht wird, erfüllt sein (vgl. auch Art. 2 Nr. 1 RL (EU) 2016/943).

d) Wird ein Nachprüfungsantrag mit dem Ziel der Überprüfung eines dem Antragsteller ungewöhnlich niedrig erscheinenden Angebotspreises gestellt, gehören die mit diesem Angebot eingereichten oder vom Auftraggeber gegebenenfalls zur Aufklärung des niedrigen Preises nachgeforderten Unterlagen zu den Vergabeakten. Darin können Informationen enthalten sein, die der betreffende Bieter als seine Geschäftsgeheimnisse ansieht.

2. Beantragt der Antragsteller im Nachprüfungsverfahren Akteneinsicht auch in solche Unterlagen, ist zunächst in einem Zwischenverfahren über deren Offenlegung oder Geheimhaltung zu entscheiden (§ 165 Abs. 2 GWB ).

a) Dieses Zwischenverfahren hat die Vergabekammer unter sinngemäßer Heranziehung der Bestimmungen über die Akteneinsicht im Kartellbeschwerdeverfahren (§ 72 GWB ) durchzuführen, auch wenn § 175 Abs. 2 GWB die entsprechende Anwendung von § 72 GWB nur auf das Beschwerdeverfahren bezieht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Dezember 2007 - VII Verg 40/07, VergabeR 2008, 281; OLG Naumburg, Beschluss vom 1. Juni 2011 - 2 Verg 3/11, VergabeR 2012, 250). An dem Verfahren sind bei die Preisermittlung eines Angebots betreffenden Geschäftsgeheimnissen grundsätzlich nur der jeweilige Bieter und das die Einsicht begehrende Unternehmen, regelmäßig also der Antragsteller im Nachprüfungsverfahren oder gegebenenfalls ein beigeladenes Unternehmen, beteiligt; der Auftraggeber kann nur dann ein Beteiligter sein, wenn eigene Geheimschutzbereiche berührt sind.

b) Aus in der Natur der Sache liegenden Gründen handelt es sich bei dem Zwischenverfahren um die Gewährung von Akteneinsicht in Geschäftsoder Betriebsgeheimnisse um ein sogenanntes In-camera-Verfahren. Für den Streit um die Geheimhaltung von Aktenbestandteilen dürfen die Informationen, um deren Geheimhaltung es geht, dem außenstehenden Beteiligten nicht zugänglich gemacht werden.

3. Für die Prüfung, ob die Einsicht in bestimmte Unterlagen nach § 165 Abs. 2 GWB zu versagen ist, gilt Folgendes:

a) Akteneinsicht in unternehmensbezogene Geheimnisse kommt nur dann und insoweit in Betracht, als deren Kenntnis entscheidungserheblich ist und andere Möglichkeiten der Sachaufklärung nicht bestehen (vgl. § 72 Abs. 2 Satz 4 GWB ).

b) Auch wenn bestimmte Informationen und Daten ihrer Qualität nach als Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse anzuerkennen sind, folgt daraus nicht, dass sie unter allen Umständen von der Akteneinsicht eines anderen Beteiligten ausgeschlossen wären. Dies ergibt sich bereits aus der entsprechenden Anwendung von § 72 Abs. 2 S. 4 GWB . Übertragen auf die Vergabenachprüfung folgt daraus, dass sich der Geheimhaltungsvorrang vielmehr als Ergebnis einer Abwägung mit den entgegenstehenden Offenlegungsinteressen ergeben muss.

c) Bei dieser Abwägung sind zugunsten des Inhabers unternehmensbezogener Geheimnisse die mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Nachteile zu berücksichtigen, die er im zukünftigen Wettbewerb durch die Offenlegung der fraglichen Informationen erleiden könnte. Er hat deshalb im Streit um die Akteneinsicht plausibel - wenn auch ohne inhaltliche Preisgabe seiner Geheimnisse - aufzuzeigen, inwieweit die Kenntnis des Gegners von den fraglichen Informationen seine Stellung im zukünftigen Wettbewerb außerhalb des konkreten Nachprüfungsverfahrens beeinträchtigen könnte (vgl. BGHZ 183, 153 Rn. 37, 38 - Lichtbogenschnürung).

Zugunsten des Akteneinsicht begehrenden Beteiligten ist zu berücksichtigen, dass es ihm regelmäßig erst die Kenntnis dieser Informationen ermöglicht, durch detailliertes und von der eigenen Sachkunde getragenes Vorbringen etwa zu der Preisbildung beim ungewöhnlich günstigen Angebot zum richtigen Ausgang des Nachprüfungsverfahrens und damit mittelbar auch zu einer vergaberechtskonformen Zuschlagserteilung beizutragen.

4. Gelangt die Vergabekammer zu dem Ergebnis, dass bestimmte Informationen, für die Schutz als Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis beansprucht wird, offenzulegen sind, fasst sie im Zwischenverfahren einen Beschluss darüber.

a) In der Rechtsprechung der Vergabesenate ist zu Recht anerkannt, dass diese Entscheidung rechtsmittelfähig ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Dezember 2007 - VII Verg 40/07, VergabeR 2008, 281; ebenso z. B. OLG Frankfurt, Beschluss vom 12. Dezember 2014 - 11 Verg 8/14, NZBau 2015, 514 und OLG München, Beschluss vom 28. April 2016 - Verg 3/16, VergabeR 2016, 679). Daraus folgt, dass aus dem Beschluss der Vergabekammer die geschützten Informationen selbst nicht in einer Weise hervorgehen dürfen, bei der der Geheimnischarakter verloren geht. Außerdem darf Akteneinsicht nicht vor Eintritt der Bestandskraft dieses Beschlusses gewährt werden.

b) Soweit die Vergabekammer Akteneinsicht wegen vorrangigen Geheimnisschutzes verweigert, gilt § 165 Abs. 4 GWB ; diese Entscheidung kann nur im Zusammenhang mit der sofortigen Beschwerde in der Hauptsache angegriffen werden.

c) Regelmäßig wird die Offenlegung von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen nur entweder angeordnet oder verneint werden können. Eine vermittelnde Lösung, wie sie etwa im Zusammenhang mit nach § 140c Abs. 1 , 3 PatG angeordneten Besichtigungen zum Schutz vertraulicher Informationen dahin getroffen werden kann, dass nur die Verfahrensbevollmächtigten des Schutzrechtsinhabers der Besichtigung beiwohnen dürfen oder nur sie unter Verschwiegenheitspflicht gegenüber ihrem Mandanten Einsicht in ein darüber erstelltes Sachverständigengutachten erhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 16. November 2009 - X ZB 37/08, BGHZ 183, 153 Rn. 17 - Lichtbogenschnürung; vgl. auch Art. 9 RL (EU) 2016/943), wäre nicht zielführend. Während es bei Anordnungen nach § 140c PatG darum geht, dass etwa eine Besichtigung nicht für anderweitige Einblicke in schützenswerte Bereiche des mutmaßlichen Verletzers außerhalb der vermuteten Schutzrechtsverletzung instrumentalisiert wird, sind in Fällen der vorliegenden Art die geschützten Daten und Informationen selbst Untersuchungsgegenstand, zu dem prinzipiell Vortrag gehalten werden muss, was naturgemäß nicht an der Partei vorbei geschehen kann.

d) Unbeschadet des vorstehend Ausgeführten prüft die Vergabekammer allerdings regelmäßig, auch wenn das Geheimhaltungsinteresse überwiegt, ob und inwieweit die übrigen Verfahrensbeteiligten über die von der Akteneinsicht auszunehmenden Inhalte ohne Preisgabe des Geheimnisses zumindest in allgemeiner oder anonymisierter Form unterrichtet werden können (vgl. insoweit auch OLG Naumburg, VergabeR 2012, 250 ff.).

5. Die Vergabekammer darf bei der Sachentscheidung Umstände berücksichtigen, deren Offenlegung sie mit Rücksicht auf ein Geheimhaltungsinteresse abgelehnt hat, das nach Abwägung aller Umstände das Interesse der Beteiligten auf rechtliches Gehör auch unter Beachtung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz überwiegt.

a) Im Vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist nicht ausdrücklich geregelt, auf welcher Tatsachengrundlage die Entscheidung der Vergabekammer oder des Vergabesenats ergeht, wenn dem Geheimnisschutz Vorrang eingeräumt wird, ob mithin die fraglichen Daten bei der Entscheidung unberücksichtigt bleiben müssen oder verwertet werden dürfen. Nach § 175 Abs. 2 GWB ist allerdings die entsprechende Anwendung der die Akteneinsicht und den Inhalt der Beschwerdeentscheidung betreffenden Regelungen in § 71 Abs. 1 und 6 und § 72 GWB vorgesehen.

b) Der Konflikt um die Akteneinsicht betrifft bei allen Beteiligten widerstreitende Schutzgüter von Verfassungsrang. Die Offenlegung von Geschäftsoder Betriebsgeheimnissen berührt die Berufsausübung und das Eigentumsrecht (Art. 12 Abs. 1 , Art. 14 Abs. 1 GG ) des Betroffenen; demgegenüber betrifft das Interesse des Kontrahenten an der Kenntnis der fraglichen Daten und Informationen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ), der grundsätzlich gebietet, dass die Beteiligten sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen äußern konnten (vgl. § 108 Abs. 2 VwGO ). Wären die Nachprüfungsinstanzen in solchen Fällen gehalten, die Tatsachen, zu denen der Antragsteller sich wegen des als vorrangig erachteten Geheimnisschutzes nicht äußern konnte, bei ihrer Entscheidung unberücksichtigt zu lassen, liefe dies bei kollidierenden grundrechtlich geschützten Positionen (Art. 12 Abs. 1 , Art. 14 Abs. 1 , Art. 103 Abs. 1 GG ) auf eine Beweislastentscheidung ohne angemessenen Ausgleich zwischen den berührten Rechten hinaus (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087/03, 1 BvR 2111/03, BVerfGE 115, 205 ff. mit abweichender Meinung des Richters Gaier aaO Rn. 144 ff.).

c) Bei dieser Sachlage ist zum verfassungskonformen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Rechtsgütern § 71 Abs. 1 Satz 3 GWB sinngemäß anzuwenden.

aa) Danach darf das Beschwerdegericht im Kartellverwaltungsverfahren von dem Grundsatz, dass die Beschwerdeentscheidung nur auf Tatsachen und Beweismittel gestützt werden darf, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten, abgewichen werden, soweit Beigeladenen aus wichtigen Gründen, insbesondere zur Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen, Akteneinsicht nicht gewährt und der Akteninhalt aus diesen Gründen auch nicht vorgetragen worden ist. Diese Regelung beruht auf dem gesetzlichen Grundgedanken, dass es aus Gründen der Verhältnismäßigkeit im Interesse eines Beteiligten sachgerecht sein kann, den Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Konflikt mit anderen Rechtsgütern von Verfassungsrang in der Weise modifiziert zurücktreten zu lassen, dass ihm bestimmte schutzwürdige Informationen vorenthalten werden können, das Gericht sie aber gleichwohl verwerten darf, was sich zu seinen Gunsten auswirken kann. Würden etwa dem Antragsteller im Nachprüfungsverfahren die Einsicht in unternehmensbezogene Geheimnisse eines Mitbewerbers vorenthalten und der Grundsatz des rechtlichen Gehörs i. S. der Regelungen in § 71 Abs. 1 Satz 2 GWB oder § 108 Abs. 2 VwGO in der Weise angewendet, dass die Vergabekammer oder der Vergabesenat die geheimen Tatsachen, die dem Antragsteller vorenthalten wurden, bei der Entscheidung nicht berücksichtigen darf, erginge insoweit in jedem Fall eine Beweislastentscheidung zum Nachteil des Antragstellers. Dürfen die Vergabekammer und der Vergabesenat die fraglichen Geheimnisse dagegen berücksichtigen, kann eine Entscheidung zugunsten des Antragstellers ergehen, wenn dies der Sachlage entspricht. Geht es etwa um die Frage, ob sich ein besonders günstiger Angebotspreis eines Mitbewerbers im Nachprüfungsverfahren plausibel durch effiziente Herstellungsmöglichkeiten erklären lässt, für die der betreffende Bieter zu Recht Schutz als Betriebsgeheimnis beansprucht, und verneint die Vergabekammer die Vorzugswürdigkeit ohne Gewährung von Akteneinsicht, ist den Belangen des Antragstellers Genüge getan, auch wenn er sich nicht äußern konnte. Unvermeidbare "Nachteile" entstehen für ihn bei dieser Handhabung nur in den Fällen, in denen die Nachprüfungsinstanzen zu einer für ihn negativen Entscheidung gelangen, auf die er wegen der vorenthaltenen Akteneinsicht keinen Einfluss nehmen konnte.

bb) Allerdings sieht § 71 Abs. 1 Satz 4 GWB eine Entscheidung unter Einschränkung des rechtlichen Gehörs von solchen Beigeladenen nicht vor, die an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Vergleichbar kann es sich im Nachprüfungsverfahren verhalten, etwa dann, wenn der Antragsteller den Ausschluss des Angebots eines Mitbewerbers begehrt oder umgekehrt und dafür wechselseitig unternehmensbezogene Geheimnisse eine Rolle spielen. Der Senat hält indes dafür, dass die nach § 175 Abs. 2 GWB vorgesehene entsprechende Anwendung von § 71 Abs. 1 und § 72 GWB zu einer insoweit einheitlichen Behandlung der Beteiligten entsprechend § 71 Abs. 1 Satz 3 GWB berechtigt.

(1) Diese unterscheidende Beurteilung findet ihre Rechtfertigung darin, dass Bestand oder Aufhebung einer Verfügung der Kartellbehörde aus in der Natur der Sache liegenden Gründen strukturelle oder sonst dauerhafte Auswirkungen auf das Marktgeschehen haben und sich auch auf das Unternehmen notwendig Beigeladener nachhaltig auswirken kann, wohingegen es in der Vergabenachprüfung stets um die Entscheidung eines einzelnen Vergabeverfahrens geht. Je nach Auftragsvolumen kann zwar auch der Ausgang eines einzelnen solchen Verfahrens für ein Unternehmen von nicht unerheblichem Gewicht sein; bei der insoweit gebotenen generalisierenden Betrachtung kann auf solche besonderen Konstellationen jedoch nicht ausschlaggebend abgestellt werden.

(2) Hinzu kommt, dass es bei der Geheimhaltung unternehmensbezogener Geheimnisse vielfach um die Angebotspreise betreffende Daten gehen wird und der Gegenstand des Geheimhaltungsinteresses somit typischerweise ein Ähnlicher ist wie bei der Entgeltregulierung im Telekommunikationssektor. Für diesen Bereich ermöglichen § 138 Abs. 2 und 3 TKG in der durch das Gesetz zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Regelungen vom 3. Mai 2012 (BGBl. I S. 958 ) erhaltenen Fassung die Verwertung von Geschäftsgeheimnissen auch dann, wenn sich einzelne Beteiligte dazu nicht äußern konnten (vgl. dazu etwa Gurlit in: Säcker, Komm. zum TKG , 3. Aufl., § 138 Rn. 16 ff.). Das Gericht der Hauptsache entscheidet auf Antrag eines Beteiligten, der ein Geheimhaltungsinteresse an vorgelegten Unterlagen geltend macht, in einem Incamera-Zwischenverfahren durch Beschluss darüber, inwieweit die §§ 100 und 108 Abs. 1 Satz 2 sowie Abs. 2 VwGO auf die Entscheidung in der Hauptsache anzuwenden sind, und darf die Informationen bei seiner Entscheidung auch dann verwerten, wenn es dafür ein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse anerkennt. Es trägt dem Geheimnisschutz in den schriftlichen Urteilsgründen dadurch Rechnung, dass die für die richterliche Überzeugung maßgeblichen Gründe (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO ) nicht angegeben werden und das Urteil entgegen § 108 Abs. 2 VwGO insoweit auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen die Beteiligten sich nicht äußern konnten. Die Mitglieder des Gerichts sind darüber hinaus auch persönlich zur Geheimhaltung verpflichtet.

(3) Dass für diesen Bereich mit vergleichbarer Interessenlage der Beteiligten ein besonderes Verfahren geschaffen wurde, um einen befriedigenden Ausgleich zwischen den berührten Interessen und Grundrechtspositionen auch unter Hauptbeteiligten des gerichtlichen Verfahrens zu ermöglichen, stützt die vom Senat befürwortete entsprechende Anwendung von § 71 Abs. 1 Satz 3 GWB auch gegenüber einem notwendig Beigeladenen oder dem Antragsteller des Nachprüfungsverfahrens.

6. Im neu eröffneten Nachprüfungsverfahren wird zunächst in dem geschilderten Zwischenverfahren nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen zu klären sein, ob gegebenenfalls von dem für die noch streitigen Beanstandungen der Antragstellerin relevanten Inhalt der Vergabeakten im Geheimhaltungsinteresse der Ausschreibungsgewinnerin bestimmte konkrete Inhalte von der Akteneinsicht auszunehmen sind.

Die Vergabestelle hat zwar infolge der Beanstandungen der Antragstellerin den Preis der günstigsten Bieterin nachträglich auf seine Angemessenheit hin untersucht und der Vergabekammer dazu bestimmte Informationen übermittelt. Die Vergabekammer hat diese Mitteilungen auch bei ihrer Entscheidung verwertet und dahin gewürdigt, die von der Vergabestelle vorgelegten Erläuterungen der Ausschreibungsgewinnerin und der Prüfvermerk gäben die Kalkulation des Angebots schlüssig wieder, seien sachlich nachvollziehbar und enthielten keine Anhaltspunkte für Beurteilungsfehler bei der nachträglichen Prüfung. Die Vergabekammer hat der Antragstellerin jedoch schon wegen der von ihr angenommenen Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags keine Akteneinsicht gewährt.

Sollte die Vergabekammer die Akteneinsicht beschränken, muss sie zwar keinen gesonderten Beschluss darüber fassen (arg. aus § 165 Abs. 4 GWB ). Ihr instanzbeendender Beschluss muss dann aber erkennen lassen, dass sie in der gebotenen Weise vorgegangen ist und vom Betroffenen (hier: der Ausschreibungsgewinnerin) geltend gemachte Geheimhaltungsinteressen gegen das Offenlegungsinteresse des Antragstellers abgewogen hat.

Es muss ferner erkennbar sein, nach welchen Parametern und Kriterien die Vergabestelle kontrolliert hat, ob das beste Angebot nach § 16 Abs. 6 VOL/A 2009 ausgeschlossen werden muss, und weshalb dies der Überprüfung durch die Vergabekammer standgehalten hat. Es liegt zwar auf der Hand, dass die schriftliche Begründung dafür, warum Akteneinsicht wegen überwiegender Geheimhaltungsinteressen verweigert wird, nicht selbst Quelle entsprechend konkreter Informationen sein darf (oben Rn. 45, 52). Regelmäßig wird aber eine abstrakte Erläuterung der vorgenommenen Prüfung und der dabei angesetzten Parameter ohne Aufdeckung des Geschäftsgeheimnisses möglich sein.

Vorinstanz: KG, vom 27.05.2016 - Vorinstanzaktenzeichen Verg 12/15
Fundstellen
BGHZ 214, 11
NZBau 2017, 230
ZfBR 2017, 492