Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 12.01.2017

V ZB 123/16

Normen:
AufenthG § 62 Abs. 3
AufenthG § 63 Abs. 3 Nr. 5
FamFG § 70 Abs. 3 S. 1 Nr. 3

BGH, Beschluss vom 12.01.2017 - Aktenzeichen V ZB 123/16

DRsp Nr. 2017/2345

Gerichtliche Unzuständigkeit für die Anordnung einer Haft zur Sicherung der Abschiebung

War das Beschwerdegericht nicht befugt, eine Haftanordnung zur Sicherung der Abschiebung in der Hauptsache zu treffen, obwohl Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ausschließlich ein im Wege der einstweiligen Anordnung ergangener Beschluss des Amtsgerichts war, so ist die Sache unter Aufhebung der Beschwerdeentscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen. Dass der in der Haftanordnung vorgesehene Haftzeitraum zwischenzeitlich abgelaufen ist, macht die Beschwerde nicht unzulässig.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Coburg - 2. Zivilkammer - vom 18. August 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 62 Abs. 3 ; AufenthG § 63 Abs. 3 Nr. 5 ; FamFG § 70 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 ;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am 12. Februar 2015 erstmalig in das Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. November 2015 wurde der Asylantrag als unzulässig abgelehnt und auf der Grundlage der Regelungen der Dublin-III-VO die Rücküberstellung nach Italien angeordnet. Mit Schreiben vom 17. Juni 2016 hat die beteiligte Behörde beantragt, gegen den Betroffenen die Haft zur Sicherung der Abschiebung anzuordnen. Dabei ist für den Fall, dass über den Antrag nicht sofort entschieden werden könne, beantragt worden, die Sicherungshaft im Wege der einstweiligen Anordnung für die Dauer von sechs Wochen, beginnend mit dem Aufgreifen, anzuordnen. Das Amtsgericht hat zunächst durch Beschluss vom selben Tag "gemäß § 427 FamFG , § 62 Abs. 3 AufenthG " die Freiheitsentziehung des Betroffenen angeordnet, die spätestens sechs Wochen nach dessen Festnahme enden sollte. Nachdem der Betroffene am 20. Juli 2016 polizeilich festgenommen und durch das Amtsgericht angehört worden war, hat es durch Beschluss vom selben Tag "gemäß § 427 FamFG , § 62 Abs. 3 AufenthG " dem Betroffenen die Freiheit entzogen und bestimmt, dass die Freiheitsentziehung spätestens am 31. August 2016 enden sollte. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die beteiligte Behörde beantragt, erstrebt der Betroffene die Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts und die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

II.

Das Beschwerdegericht meint, die Voraussetzungen für die Anordnung der Freiheitsentziehung des Betroffenen gemäß § 63 Abs. 3 Nr. 5 AufenthG seien gegeben. Der erforderliche Haftantrag sei von der zuständigen Behörde gestellt worden. Zudem lägen Gründe vor, die auf den in § 2 Abs. 14 AufenthG festgelegten Anhaltspunkten beruhten und aus denen sich der begründete Verdacht ergebe, dass der Betroffene sich seiner Abschiebung durch Flucht entziehen wolle. Die Anordnung der Sicherungshaft sei auch verhältnismäßig.

III.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 , Satz 2 FamFG ohne Zulassung statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Vorschrift des § 70 Abs. 4 FamFG , wonach gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung die Rechtsbeschwerde nicht stattfindet, ist hier nicht einschlägig.

a) Allerdings hat das Amtsgericht entgegen der von der beteiligten Behörde in der Beschwerdeerwiderung vertretenen Auffassung eine einstweilige Anordnung i.S.d. § 427 FamFG erlassen. Dies ergibt sich aus dem Anführen dieser Vorschrift in dem Beschluss unter Wiedergabe ihres wesentlichen Wortlauts und wird dadurch bestätigt, dass die Haft auf die für einstweilige Anordnungen gemäß § 427 Abs. 1 Satz 2 FamFG zu beachtende Höchstdauer von sechs Wochen beschränkt worden ist. In der Begründung des Beschlusses heißt es zudem, es sei "zunächst eine einstweilige Anordnung zu erlassen, nachdem der Betroffene aufgegriffen worden" sei. Dass nur der vorangegangene Beschluss vom 17. Juni 2016 eine einstweilige Anordnung enthielt, ergibt sich aus dieser Formulierung des Beschlusses vom 20. Juli 2016 nicht. Konsequenterweise ist in den Rechtsmittelbelehrungen beider Beschlüsse die für Beschwerden gegen einstweilige Anordnungen geltende Beschwerdefrist von zwei Wochen (§ 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG ) angegeben worden und nicht die bei der Einlegung einer Beschwerde gegen eine Hauptsacheentscheidung zu beachtende Frist von einem Monat (§ 63 Abs. 1 FamFG ).

b) Das Beschwerdegericht hat demgegenüber eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen, weil es offenbar - rechtsirrtümlich - davon ausgegangen ist, dass nur der Beschluss des Amtsgerichts vom 17. Juni 2016 im Wege der einstweiligen Anordnung erlassen worden sei, während es sich bei dem mit der Beschwerde angegriffenen Beschluss vom 20. Juli 2016 um eine Hauptsacheentscheidung handele. In der Schilderung des Verfahrensablaufs bezeichnet das Beschwerdegericht nämlich nur den Beschluss vom 17. Juni 2016 als einstweilige Anordnung nach § 62 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 427 FamFG , während eine solche Qualifizierung des Beschlusses vom 20. Juli 2016 unterbleibt. Folgerichtig hält das Beschwerdegericht gegen seine Entscheidung ausweislich der dem Beschluss beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde nach §§ 70 ff. FamFG für statthaft. Hätte es im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens entscheiden wollen, hätte es von einer solchen Rechtsbehelfsbelehrung wegen des Ausschlusses der Rechtsbeschwerde in solchen Verfahren (§ 70 Abs. 4 FamFG ) abgesehen.

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch in der Sache begründet.

a) Das Beschwerdegericht war nicht befugt, eine Entscheidung in der Hauptsache zu treffen, obwohl Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ausschließlich ein im Wege der einstweiligen Anordnung ergangener Beschluss des Amtsgerichts war (vgl. hierzu im Einzelnen: Senat, Beschluss vom 16. September 2015 - V ZB 40/15, InfAuslR 2016, 55 Rn. 7 ff.). Die Sache ist daher unter Aufhebung der Beschwerdeentscheidung nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen. Eine eigene Entscheidung des Senats ist bereits deshalb ausgeschlossen, weil es um die Rechtmäßigkeit einer im einstweiligen Anordnungsverfahren ergangenen Entscheidung des Amtsgerichts geht und in diesem Verfahren eine Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 4 FamFG nicht vorgesehen ist.

b) Dass der in der Haftanordnung vorgesehene Haftzeitraum (bis längstens 31. August 2016) zwischenzeitlich abgelaufen ist, macht die Beschwerde nicht unzulässig. Vielmehr ist dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, im wiedereröffneten Beschwerdeverfahren einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der im Wege der einstweiligen Anordnung angeordneten Haft (§ 62 FamFG ) zu stellen.

Vorinstanz: AG Lichtenfels, vom 20.07.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 2 XIV 42/16
Vorinstanz: LG Coburg, vom 18.08.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 22 T 33/16