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BGH - Entscheidung vom 06.04.2017

3 StR 5/17

Normen:
StGB § 53 Abs. 1
StPO § 52 Abs. 1
StPO § 55
StPO § 302 Abs. 1 S. 3

Fundstellen:
NStZ 2017, 546
StV 2019, 312

BGH, Urteil vom 06.04.2017 - Aktenzeichen 3 StR 5/17

DRsp Nr. 2017/6224

Geltung der Grundsätze des allgemeinen Strafrechts für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im Betäubungsmittelrecht; Beschränkung der Beteiligung des Täters am Handeltreiben mit Betäubungsmitteln auf einen Teilakt des Umsatzgeschäfts; Beurteilung der Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts; Erschöpfung der Tätigkeit im bloßen Transport von Betäubungsmitteln; Ablehnung eines Beweisantrags

Für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme gelten auch im Betäubungsmittelrecht die Grundsätze des allgemeinen Strafrechts. Erschöpft sich die Tätigkeit im bloßen Transport von Betäubungsmitteln, besteht in der Regel keine täterschaftliche Gestaltungsmöglichkeit mit Blick auf die Straftat des Handeltreibens. Anderes kann nur gelten, wenn der Beteiligte erhebliche, über den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten entfaltet, am An- und Verkauf des Rauschgifts unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse wie Umsatzbeteiligung am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts hat.

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 22. Februar 2016, soweit es die Angeklagte betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Oldenburg zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 53 Abs. 1 ; StPO § 52 Abs. 1 ; StPO § 55 ; StPO § 302 Abs. 1 S. 3;

Gründe

Das Landgericht hatte die Angeklagte im ersten Rechtsgang mit Urteil vom 14. Januar 2015 wegen "bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge" zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Dieses Urteil hatte der Senat auf die Revisionen der Angeklagten und des Mitangeklagten E. R. mit Beschluss vom 15. September 2015 ( 3 StR 229/15 - [...]) aufgehoben, in einem Fall auch, soweit es den nicht revidierenden Mitangeklagten El. R. betraf.

Nunmehr hat das Landgericht die Angeklagte V. wegen "unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen Beihilfe zu unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge" zur Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Im Übrigen hat es die Angeklagte freigesprochen. Gegen die Mitangeklagten E. und El. R. hat die Strafkammer ebenfalls wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln Gesamtfreiheitsstrafen verhängt sowie eine Verfallsentscheidung getroffen und eine Maßregelanordnung aufrecht erhalten.

Die Staatsanwaltschaft hat sich mit ihrer Revision zunächst insgesamt gegen dieses Urteil gewandt und in der Revisionsbegründung zu Ungunsten der Angeklagten und der Mitangeklagten eine Verfahrensrüge erhoben, zu Gunsten der Angeklagten V. gerügt, dass sie im Fall III. 3. e) der Urteilsgründe wegen täterschaftlichen Handeltreibens verurteilt worden ist, und die Strafzumessung betreffend den Mitangeklagten E. R. als zu seinen Gunsten rechtsfehlerhaft beanstandet. Mit einem späteren Schreiben hat sie sodann die Revision betreffend die Mitangeklagten E. und El. R. insgesamt zurückgenommen und betreffend die Angeklagte auf den Teilfreispruch im Fall III. 3. c) der Urteilsgründe beschränkt. Das Rechtsmittel führt erneut zur Aufhebung der Verurteilung der Angeklagten V. insgesamt.

I. Die Beschränkung des Rechtmittels betreffend die Angeklagte V. auf den Teilfreispruch ist, wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift vom 16. Januar 2017 zutreffend ausgeführt hat, unwirksam. Das Landgericht und - ihm folgend - die Staatsanwaltschaft sind davon ausgegangen, dass sich die Handlungen der Angeklagten in Bezug auf die insgesamt vier festgestellten Beschaffungsfahrten vom 25. und 26. März 2014 als jeweils selbständige Taten im Sinne von § 53 Abs. 1 StGB darstellen. Dies ist indes nicht der Fall; es liegt vielmehr nur eine Tat im Rechtssinne vor. Angefochten ist damit infolge der Unteilbarkeit des Schuldspruchs das Urteil insgesamt, soweit es die Angeklagte V. betrifft. Im Einzelnen:

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts bestellte der Mitangeklagte El. R. im März 2014 bei einem unbekannt gebliebenen Betäubungsmittelhändler in Bremen fünf Kilogramm Marihuana zum Preis von 20.000 € und zahlte davon 7.000 € an. Mit seinem Bruder, dem Mitangeklagten E. R. , kam El. überein, dass E. von der Betäubungsmittelmenge 150 Gramm abnehmen und an seine Abnehmer verkaufen solle. Die Angeklagte wusste zu dieser Zeit noch nichts von dem Drogengeschäft. Aus Sicherheitsgründen entschied der Mitangeklagte El. R. , dass die fünf Kilogramm Marihuana in Teilmengen aus Bremen abgeholt werden sollten und gewann als Kurierfahrer den gesondert Verfolgten Ro. , der die Betäubungsmittel mit vier Fahrten von Bremen nach Achim brachte und deswegen bereits mit Urteil des Landgerichts Verden vom 14. Januar 2015 rechtskräftig wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln verurteilt worden ist.

Die erste Fahrt am 25. März 2014 (Fall III. 3. b) der Urteilsgründe), bei der Ro. ein Kilogramm Marihuana transportierte, hatte das Landgericht betreffend die Angeklagte V. bereits im ersten Rechtsgang nach § 154a Abs. 2 StPO von der Verfolgung ausgenommen und das Verfahren auf die anderen Tatvorwürfe beschränkt.

Zu der zweiten Fahrt (Fall III. 3. c) der Urteilsgründe), bei der am selben Tag ebenfalls ein Kilogramm Marihuana nach Achim gebracht wurde, ist die Strafkammer nunmehr zu Gunsten der Angeklagten davon ausgegangen, dass die Betäubungsmittel nicht in ihrer Wohnung und ohne ihre Kenntnis an den gesondert Verfolgten H. übergeben wurden, der sie für El. R. aufbewahrte; darauf bezieht sich der Teilfreispruch.

Im Fall III. 3. d) der Urteilsgründe fuhr Ro. nach der dritten Fahrt am 26. März 2014 mit den transportierten anderthalb Kilogramm Marihuana zur Adresse der Angeklagten, traf sie vor dem Haus an und bat sie, gemeinsam in ihre Wohnung zu gehen. Wiederum zu Gunsten der Angeklagten ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass sie immer noch nichts von den Drogen wusste, sondern davon erst erfuhr, als Ro. in ihrer Wohnung die Tasche öffnete, in der sich das Marihuana befand. Nachdem sie die Päckchen mit den Betäubungsmitteln - nach den Feststellungen der Strafkammer aus Erstaunen über die große Menge - angefasst hatte, desinfizierte sie diese, wischte sie mit Tüchern ab und wickelte sie in Frischhaltefolie ein. Anschließend rief sie auf Bitte von El. R. den gesondert verfolgten, bereits rechtskräftig verurteilten K. an, der einen Teil des Marihuanas abholte, um ihn bei sich für El. R. zu lagern. Den Rest der Betäubungsmittel erhielt die deswegen ebenfalls bereits rechtskräftig verurteilte B. zur Aufbewahrung. Diese Handlungen der Angeklagten hat die Strafkammer als Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewertet.

Im Anschluss an diese Geschehnisse wurde in der Wohnung der Angeklagten besprochen, wie El. R. die noch ausstehende Betäubungsmittelmenge von anderthalb Kilogramm Marihuana von Bremen nach Achim schaffen könnte (Fall III. 3. e) der Urteilsgründe). Um weniger verdächtig zu erscheinen, sollte ein anderes Fahrzeug verwendet und zu Zwecken der Tarnung ein Beifahrer dabei sein. Die Angeklagte erklärte sich dazu bereit, um El. R. zu helfen; sie versprach sich davon, aus der Lieferung etwas Marihuana für den Eigenkonsum ihres Lebensgefährten zu einem günstigeren Preis erwerben zu können. Nachdem sie mit dem gesondert Verfolgten Ro. , der den Pkw steuerte, mit den Betäubungsmitteln wieder in Achim angekommen war, desinfizierte sie wiederum die Päckchen, wischte sie ab und wickelte sie in Frischhaltefolie ein. Zwei Päckchen zu jeweils 500 Gramm wurden auf Veranlassung von El. R. bei weiteren Personen eingelagert; aus dem letzten Päckchen nahm sich der Mitangeklagte E. R. 150 Gramm zum gewinnbringenden Weiterverkauf an seine Abnehmer und die Angeklagte 50 Gramm, die zum Eigenkonsum durch ihren Lebensgefährten bestimmt waren und die sie in kleine Päckchen aufteilte; dafür bezahlte sie an El. R. 300 €. Dieses Verhalten hat die Strafkammer als täterschaftliches Handeltreiben der Angeklagten mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewertet.

2. Nach den Feststellungen ist es - wie auch die Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründung ausgeführt hat - zunächst rechtsfehlerhaft, dass das Landgericht im Fall III. 3. e) der Urteilsgründe von täterschaftlichem Handeltreiben der Angeklagten mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ausgegangen ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gelten für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme auch im Betäubungsmittelrecht die Grundsätze des allgemeinen Strafrechts. Beschränkt sich die Beteiligung des Täters am Handeltreiben mit Betäubungsmitteln auf einen Teilakt des Umsatzgeschäfts, kommt es maßgeblich darauf an, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt. Erschöpft sich die Tätigkeit im bloßen Transport von Betäubungsmitteln, besteht in der Regel keine täterschaftliche Gestaltungsmöglichkeit mit Blick auf die Straftat des Handeltreibens. Anderes kann nur gelten, wenn der Beteiligte erhebliche, über den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten entfaltet, am An- und Verkauf des Rauschgifts unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts hat, weil er eine Beteiligung am Umsatz oder dem zu erzielenden Gewinn erhalten soll (siehe zuletzt etwa BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2015 - 3 StR 287/15, [...] mwN).

Nach diesen Maßstäben belegen die festgestellten Tatbeiträge der Angeklagten ein täterschaftliches Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nicht: Sie war lediglich Beifahrerin auf der Kurierfahrt, hatte also noch nicht einmal insoweit Handlungsspielräume. Später säuberte sie die Betäubungsmittelpäckchen und verpackte sie neu. Diese untergeordneten Hilfstätigkeiten zeigen - wovon die Strafkammer im Fall III. 3. d) der Urteilsgründe ebenfalls ausgegangen ist keine täterschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten auf. Auch mit Blick auf das Tatinteresse der Angeklagten ergeben sich keine Hinweise auf ein täterschaftliches Handeltreiben mit Betäubungsmitteln. Sie war an Umsatz oder Gewinn des von El. R. durchgeführten Betäubungsmittelgeschäfts nicht beteiligt; ihr finanzielles Interesse bestand allein darin, eine verhältnismäßig kleine Betäubungsmittelmenge (1 % der Handelsmenge) zum Eigenkonsum durch ihren Lebensgefährten zu einem etwas günstigeren Preis, der aber jedenfalls deutlich über dem Einkaufspreis von R. lag, erwerben zu können.

War nach alledem auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nur von einer Beihilfe der Angeklagten zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auszugehen, stellen sich ihre Unterstützungshandlungen in den Fällen III. 3. d) und e) der Urteilsgründe als eine Tat im Rechtssinne dar: Die Strafkammer ist hinsichtlich des Mitangeklagten El. R. - zutreffend - davon ausgegangen, dass für ihn als Haupttäter die vier Lieferungen eine Bewertungseinheit bildeten, weil sie, wie die einheitliche Bestellung der Handelsmenge von fünf Kilogramm zeigte, auf die Förderung ein und desselben Güterumsatzes abzielten (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 31. Juli 2013 - 4 StR 223/13, NStZ-RR 2014, 144 , 145). Dies hat aber zur Konsequenz, dass wegen der Akzessorietät der Beihilfe auch die mehreren Unterstützungshandlungen der Angeklagten V. zu einer Tat im Rechtssinne zusammenzufassen waren (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2014 - 1 StR 664/13, NStZ 2014, 465 mwN; Körner/Patzak/Volkmer, BtMG , 8. Aufl., § 29 Rn. 306).

Es kommt danach nicht mehr darauf an, dass die Staatsanwaltschaft die Revision, soweit sie im Fall III. 3. e) der Urteilsgründe auch zu Gunsten der Angeklagten V. eingelegt worden war, ohne deren - hier nicht gegebene - Zustimmung ohnehin nicht zurücknehmen konnte (§ 302 Abs. 1 Satz 3 StPO ).

II. Das mithin vollständig angefochtene Urteil unterliegt der Aufhebung insgesamt, soweit es die Angeklagte V. betrifft.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

1. Dieser liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Die Staatsanwaltschaft beantragte in der Hauptverhandlung am 15. Februar 2016, die früheren Mitangeklagten S. und U. K. sowie Ro. , die unter anderem wegen ihrer Beteiligung an dem verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittelgeschäft rechtskräftig wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden waren, als Zeugen zu vernehmen. In dem Beweisantrag wurden zahlreiche Beweisbehauptungen aufgestellt, die jedenfalls soweit sie den Zeugen Ro. betrafen, die Angeklagte V. auch mit der zweiten Beschaffungsfahrt des Zeugen am 25. März 2014 (Fall III. 3. c) der Urteilsgründe) in Verbindung brachten. Danach sollten die Betäubungsmittel auch in diesem Fall mit ihrem Wissen in ihre Wohnung gebracht werden, was auch tatsächlich so geschehen sei. Bei Ankunft des Zeugen habe die Angeklagte V. ihm die Tür geöffnet; auch der Mitangeklagte El. R. sei bereits anwesend gewesen. Anschließend habe die Angeklagte V. auch in diesem Fall die Päckchen gesäubert.

Die Strafkammer wies die Anträge der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 22. Februar 2016 zurück, weil diese bereits unzulässig seien. Sie habe freibeweislich ermittelt, dass sich die benannten Zeugen auf ihr Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO berufen hätten. Ihnen stehe nach der sog. Mosaiktheorie ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zu, weil trotz ihrer rechtskräftigen Aburteilung und des daraus resultierenden Strafklageverbrauchs nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie sich der Gefahr einer weiteren Strafverfolgung aussetzen könnten. Das Landgericht begründete diese Auffassung konkret hinsichtlich einiger Umstände, die in das Wissen der Zeugen K. gestellt worden waren und führte weiter aus, eine mittelbare Gefahr sei auch darin zu sehen, dass die Angeklagte V. oder die Mitangeklagten durch die Aussagen der Zeugen veranlasst sein könnten, diese "im Sinne einer 'Revanche'" mit anderen Straftaten zu belasten. Im Übrigen seien die in das Wissen der Zeugen gestellten Tatsachen für die Entscheidung auch aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung. Insoweit sei Ziel der Staatsanwaltschaft "im Wesentlichen, eine Bandenabrede der drei Angeklagten nachzuweisen". Mit Blick auf die bislang durchgeführte Beweisaufnahme seien die unter Beweis gestellten Tatsachen indes nicht geeignet, "die Kammer zu veranlassen, den Schluss auf eine solche Bandenabrede zu ziehen".

Im Folgenden wurde die Beweisaufnahme geschlossen, ohne dass die Zeugen vernommen wurden.

2. Die Ablehnung des Beweisantrags war, jedenfalls soweit es den Zeugen Ro. betrifft, durchgreifend rechtsfehlerhaft.

Entgegen der Annahme des Landgerichts war die Vernehmung des Zeugen nicht unzulässig; jedenfalls ihm stand ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO nicht zu.

Die Gefahr einer Strafverfolgung im Sinne des § 55 StPO setzt voraus, dass ein Zeuge Tatsachen bekunden müsste, die geeignet sind, unmittelbar oder (auch nur) mittelbar den Anfangsverdacht einer von ihm selbst oder von einem Angehörigen (§ 52 Abs. 1 StPO ) begangenen Straftat zu begründen oder einen bereits bestehenden Verdacht zu bestärken. Bloße Vermutungen ohne Tatsachengrundlage oder rein denktheoretische Möglichkeiten reichen für die Annahme einer solchen Verfolgungsgefahr nicht aus. Eine das Recht zur Auskunftsverweigerung begründende Verfolgungsgefahr im Sinne des § 55 Abs. 1 StPO besteht grundsätzlich dann nicht mehr, wenn gegen den Zeugen hinsichtlich der Tat, deren Begehung er sich durch wahrheitsgemäße Beantwortung der Frage verdächtig machen könnte, bereits ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, sodass die Strafklage verbraucht ist, oder wenn die Straftat verjährt oder aus anderen Gründen zweifelsfrei ausgeschlossen wäre, dass er für diese noch verfolgt werden könnte. Eine Verfolgungsgefahr ist selbst bei Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung aber dann nicht auszuschließen, wenn zwischen der abgeurteilten Tat und anderen Straftaten, deretwegen der Zeuge noch verfolgt werden könnte, ein so enger Zusammenhang besteht, dass die Beantwortung von Fragen zu der abgeurteilten Tat die Gefahr der Verfolgung wegen dieser anderen Taten mit sich bringt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2012 - StB 16/12, NStZ 2013, 241 mwN).

Eine solche Gefahr einer weiteren Strafverfolgung, die zu einem umfassenden Auskunftsverweigerungsrecht führen könnte, hat die Strafkammer nicht dargelegt. Insbesondere die in das Wissen des Zeugen Ro. gestellten Tatsachen betreffend die Beteiligung der Angeklagten V. bereits im Fall III. 3. c) der Urteilsgründe konnten für ihn unter keinem denkbaren Gesichtspunkt die Gefahr einer weiteren Strafverfolgung hervorrufen, weil es hierbei nur um die Fahrten ging, mit denen der Zeuge das Marihuana im Auftrag des Mitangeklagten El. R. von Bremen nach Achim gebracht hatte und wegen derer er bereits rechtskräftig abgeurteilt worden war. Soweit das Landgericht darauf abgestellt hat, die Aussagen der Zeugen in der Hauptverhandlung könnten die Angeklagte V. oder die Mitangeklagten dazu veranlassen, möglicherweise die Zeugen über die bereits bekannten Taten hinausgehend zu belasten, so ist dies - worauf die Staatsanwaltschaft zutreffend bereits in dem Beweisantrag hingewiesen hatte - vom Schutzzweck der verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbelastungsfreiheit nicht umfasst (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2006 - 1 StR 326/06, BGHR StPO § 55 Abs. 1 Verfolgung 9; BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 - 2 BvR 281/03, NJW 2003, 3045 , 3046).

Die Ablehnung des Beweisantrags war - jedenfalls hinsichtlich des Zeugen Ro. - auch mit Blick auf die Annahme der Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Gründen rechtsfehlerhaft. Insoweit hat die Strafkammer in unzulässiger Weise die unter Beweis gestellten Tatsachen, die eine weitergehende Beteiligung der Angeklagten V. auch im Fall III. 3. c) der Urteilsgründe belegen sollten, dahin umgedeutet (vgl. dazu LR/Becker, StPO , 26. Aufl., § 244 Rn. 221 mwN), dass diese lediglich für das Beweisziel einer Bandenabrede zwischen der Angeklagten V. und den Mitangeklagten R. von Bedeutung seien und sie damit in ihrer Tragweite verkürzt. Denn sie waren - wie dargelegt - unabhängig von der Frage, ob eine Bandentat vorlag, auch für den Umfang der Beteiligungshandlungen der Angeklagten bedeutsam.

3. Das Urteil beruht auf dem Rechtsfehler. Die Strafkammer hat eine Beteiligung der Angeklagten V. im Fall III. 3. c) der Urteilsgründe verneint, indem sie zu ihren Gunsten die - den in das Wissen des Zeugen Ro. gestellten Umständen zuwiderlaufenden - Angaben des Mitangeklagten El. R. ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat.

Insoweit war - wie dargelegt - nicht von einer selbständigen Beihilfehandlung der Angeklagten V. auszugehen, so dass sich der Teilfreispruch auch unter diesem Gesichtspunkt als rechtsfehlerhaft erweist. Der Senat kann indes nicht ausschließen, dass das Landgericht, wenn es von einer Tatbeteiligung der Angeklagten V. auch mit Blick auf die durch die zweite Fahrt nach Achim geschafften Betäubungsmittel ausgegangen wäre, wegen des damit erhöhten Schuldumfangs auf eine höhere Freiheitsstrafe erkannt hätte.

Da bereits insoweit ein durchgreifender Rechtsfehler vorliegt, kann der Senat offen lassen, ob bei Vernehmung aller benannten Zeugen - wie die Staatsanwaltschaft meint - auch auf ein täterschaftliches Handeltreiben der Angeklagten V. hätte geschlossen werden können, wenn diese die in ihr Wissen gestellten Beweistatsachen bestätigt hätten. Dies wird das neue Tatgericht nach erneuter umfassender Beweisaufnahme unter Beachtung der oben aufgezeigten Maßstäbe zu entscheiden haben.

III. Der Senat hat gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 StPO von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an ein zu demselben Land gehörendes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Verden, vom 22.02.2016
Fundstellen
NStZ 2017, 546
StV 2019, 312