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BGH - Entscheidung vom 02.02.2017

4 StR 610/16

Normen:
StPO § 261

BGH, Beschluss vom 02.02.2017 - Aktenzeichen 4 StR 610/16

DRsp Nr. 2017/2928

Durchgreifender Widerspruch in den Urteilsgründen bei der Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes; Fehlende nachvollziehbare Würdigung der Beweisanzeichen

Hat das Gericht lediglich einen Verletzungsvorsatz festgestellt, im Rahmen der rechtlichen Würdigung jedoch einen bedingten Tötungsvorsatz begründet, so besteht ein druchgreifender Widerspruch bei der Annahme des bedingten Tötungsvorsatzes. An diesem Umstand ändert auch die Indizwirkung einer äußerst gefährlichen Gewalthandlung nichts, mit der der Angeklagte einen schwarfkantigen Gegenstand in Richtung des Opfers geworfen haben soll, wenn Feststellungen dazu, dass der Angeklagte auf den Kopf des Opfers gezielt hat, in den Urteilsfeststellungen und in der Beweiswürdigung nicht belegt sind.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 12. August 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StPO § 261 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte am Tattag eine Auseinandersetzung mit dem später Geschädigten M. im Speisesaal des Wohnheims für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in K. , in dem beide untergebracht waren. Nach wechselseitigen Beleidigungen forderte der Angeklagte M. auf, mit ihm das Gebäude zu verlassen. Beide entledigten sich vor der Tür ihrer T-Shirts und begannen eine körperliche Auseinandersetzung, in deren Verlauf es M. gelang, den Angeklagten am Boden zu fixieren. Die Erzieherin B. , die beiden gefolgt war, versuchte, M. vom Angeklagten wegzuziehen. M. ließ vom Angeklagten ab. Obwohl die Auseinandersetzung nun beendet war, holte sich der Angeklagte einen mittig zerbrochenen, scharfkantigen Ziegelstein mit mindestens 1,5 kg Gewicht von einem nahe liegenden Steinhaufen. "Der Angeklagte beabsichtigte, den Stein in Richtung des Zeugen M. zu werfen, wobei er billigend in Kauf nahm, dass dieser durch den Stein getroffen und lebensgefährlich verletzt werden könnte" (UA S. 4). M. sah, dass der Angeklagte den Stein ergriff, und flüchtete. Der Angeklagte setzte ihm zwei bis drei Schritte nach und warf dann gezielt den Stein in Richtung des etwa vier bis fünf Meter entfernten M. . Der Stein traf M. am rechten Hinterkopf. Der Geschädigte taumelte und brach in einer Drehbewegung bewusstlos zusammen, so dass er ungebremst auf dem Betonboden aufschlug. Durch den Steinwurf erlitt er eine Kopfplatzwunde und ein Schädel-Hirn-Trauma; durch den Aufprall auf den Boden brachen drei Vorderzähne ab. Der Angeklagte sah den Geschädigten regungslos am Boden liegen. Er begab sich erneut zu dem Steinhaufen, nahm einen weiteren scharfkantigen halben Ziegelstein von mindestens 1,5 kg Gewicht und schleuderte ihn in Richtung des Geschädigten. Der Stein prallte auf dem Betonboden auf und rollte gegen das Bein des Geschädigten, der keine Reaktion zeigte. Der Angeklagte nahm nun sein T-Shirt, zog es an und begab sich wieder in den Speisesaal.

2. Die Urteilsgründe enthalten zur Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes einen durchgreifenden Widerspruch und entbehren insoweit zudem einer nachvollziehbaren Würdigung der Beweisanzeichen.

Das Landgericht hat lediglich einen Verletzungsvorsatz festgestellt (UA S. 4), auf UA S. 14 f. im Rahmen der rechtlichen Würdigung jedoch einen - bedingten - Tötungsvorsatz begründet. Dieser Widerspruch wird nicht aufgelöst, denn das Landgericht hat die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht tragfähig begründet. Es hat zwar zu Recht auf die Indizwirkung einer äußerst gefährlichen Gewalthandlung und dazu maßgeblich darauf hingewiesen, dass der Angeklagte mit einem scharfkantigen Ziegelstein mit einem Gewicht von mindestens 1,5 kg auf den ungeschützten Kopf des Opfers gezielt habe. Dass der Angeklagte auf den Kopf des Opfers gezielt hat, ist in den Urteilsfeststellungen und in der Beweiswürdigung aber nicht belegt. Vielmehr heißt es insoweit wiederholt, er habe "in Richtung des Zeugen" bzw. "in dessen Richtung" (UA S. 4), "zwei Steine gezielt in Richtung des Tatopfers" (UA S. 5) oder auch "den Stein in Richtung des Flüchtenden" (UA S. 7) bzw. "in Richtung des Zeugen" (UA S. 8) geworfen. Der Angeklagte sprach in seiner Einlassung ebenfalls nur davon, dass er "in dessen Richtung" geworfen habe. Das Landgericht erörtert in diesem Zusammenhang nicht, worauf es seine Annahme von einem gezielten Wurf nach dem Kopf des Flüchtenden stützt. Auch setzt es sich nicht mit dem Umstand auseinander, dass der vom Angeklagten "ruhig und bedacht" ausgewählte und nach dem liegenden Opfer geworfene zweite Stein kurz vor dessen Bein auf den Boden prallte (UA S. 8), was gegen einen Wurf nach dem Kopf sprechen könnte.

Vorinstanz: LG Dessau-Roßlau, vom 12.08.2016