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BGH - Entscheidung vom 22.03.2017

2 StR 595/16

Normen:
StGB § 64

BGH, Beschluss vom 22.03.2017 - Aktenzeichen 2 StR 595/16

DRsp Nr. 2017/6241

Beweiswürdigung zum Umfang der gehandelten über der i.R.d. Durchsuchung sichergestellten Menge von Heroin; Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

Eine Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge wird von den Feststellungen nicht getragen, wenn die Darstellung des strafbaren Verhaltens widersprüchlich ist und deshalb unklar bleibt, welche Tatsachen das Gericht aufgrund der Hauptverhandlung für erwiesen hält und welchen Sachverhalt es seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt hat. Dies ist der Fall, wenn das Gericht davon ausging, dass der Angeklagte 19 Taten in einem Zeitraum von ungefähr 21 Wochen beging und dass der Angeklagte "etwa alle zwei Wochen" die Betäubungsmittel erwarb. Dies ist nicht miteinander zu vereinbaren.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 14. Oktober 2016 mit den Feststellungen aufgehoben

a)

in den Fällen A. II. 1-19 der Urteilsgründe,

b)

im Strafausspruch im Fall A. II. 20 der Urteilsgründe,

c)

im Gesamtstrafenausspruch und

d)

hinsichtlich der Anordnung von Vorwegvollzug von Freiheitsstrafe; die Anordnung entfällt.

2.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3.

Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Normenkette:

StGB § 64 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 19 Fällen sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Waffen in einem Fall" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet sowie bestimmt, dass sechs Monate der "Freiheitsstrafe" vor der Unterbringung zu vollstrecken sind. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts kaufte der Angeklagte im Zeitraum zwischen Ende Oktober 2015 und Ende März 2016 etwa "alle zwei Wochen, mindestens in 20 Fällen, zunächst - in zehn Fällen - jeweils 50 Gramm Heroin, später - in neun weiteren Fällen - jeweils mindestens 70 Gramm" (Fälle A. II. 1 bis 19 der Urteilsgründe) und schließlich - in einem weiteren Fall 150 Gramm Heroin, um dieses jeweils gewinnbringend weiter zu verkaufen (Fall A. II. 20 der Urteilsgründe). Von der Betäubungsmittelmenge aus dem letzten Fall konnten im Rahmen einer Durchsuchung seiner Wohnung noch 65,93 Gramm Heroin im Wohnzimmer sichergestellt werden. Im selben Raum lagen zudem - was der Angeklagte wusste - in einer Schublade eines TV-Schrankes ein Springmesser und Pfefferspray neben dem Bargeld, das er durch die Betäubungsmittelverkäufe eingenommen hatte.

2. Die Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in den Fällen A. II. 1 bis 19 der Urteilsgründe wird von den Feststellungen nicht getragen, weil die Darstellung des strafbaren Verhaltens widersprüchlich ist und deshalb unklar bleibt, welche Tatsachen das Gericht aufgrund der Hauptverhandlung für erwiesen hält und welchen Sachverhalt es seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 5. Dezember 2008 - 2 StR 424/08, und BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 - 4 StR 597/16).

Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte 19 Taten in einem Zeitraum von ungefähr 21 Wochen beging. Gleichzeitig hat es ausgeführt, dass der Angeklagte "etwa alle zwei Wochen" (UA S. 9), bzw. "in Abständen von ca. 2 Wochen" (UA S. 12) die Betäubungsmittel erwarb. Dies ist nicht miteinander zu vereinbaren.

3. Im Fall A. II. 20 der Urteilsgründe tragen hingegen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen den Schuldspruch wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Allerdings begegnet der Strafausspruch rechtlichen Bedenken, denn insoweit erweist sich die Beweiswürdigung zum Umfang der gehandelten über der im Rahmen der Durchsuchung sichergestellten Menge von 65,93 Gramm Heroin hinausgehenden Menge und damit zum Schuldumfang als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

Das Landgericht hat seine Feststellungen bezüglich der Ankaufsmenge von 150 Gramm Heroin allein auf die "geständige Einlassung des Angeklagten" gestützt. Die Beweiswürdigung erschöpft sich damit in einem einzigen Satz (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 3. März 2016 - 2 StR 360/15, NStZ 2016, 489 ), der hier den Besonderheiten des Falles nicht genügt.

Die aus dem Schuldprinzip folgende Verpflichtung der Strafgerichte, von Amts wegen den wahren Sachverhalt zu erforschen (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058 , 1060), gilt auch dann, wenn sich der Angeklagte geständig gezeigt hat (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 5. November 2013 - 2 StR 265/13, NStZ 2014, 170 und vom 24. September 2013 - 2 StR 267/13, BGHSt 59, 21 , 27 f.). Die Urteilsgründe lassen nicht erkennen, dass die Strafkammer das Geständnis des Angeklagten einer inhaltlichen Überprüfung unterzogen hat. Das wäre indes hier angezeigt, weil die Ankaufsmenge von 150 Gramm gegenüber denjenigen in den anderen 19 Fällen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln um etwa das Dreifache höher liegt. Damit setzt sich das Urteil im Rahmen der Beweiswürdigung nicht ausreichend auseinander. Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird insoweit ergänzende Feststellungen zu treffen haben.

4. Mit der Aufhebung sämtlicher Einzelstrafen entfällt auch der Gesamtstrafenausspruch. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB ist hingegen rechtsfehlerfrei und kann bestehen bleiben; die Anordnung von Vorwegvollzug hat indes aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts zutreffend angeführten Gründen zu entfallen.

Vorinstanz: LG Bonn, vom 14.10.2016