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BGH - Entscheidung vom 01.06.2017

I ZR 188/16

Normen:
ZPO § 552a S. 1
RL 2001/83/EG Art. 86 Abs. 1
HWG § 1 Abs. 1 Nr. 1
HWG § 3a S. 2

BGH, Beschluss vom 01.06.2017 - Aktenzeichen I ZR 188/16

DRsp Nr. 2017/17568

Abgabe einer wissenschaftlichen Fachpublikation durch ein pharmazeutisches Unternehmen als Werbung im Sinne des Heilmittelwerbegesetzes ( HWG ); Positive Auswirkung des Inhalts der Publikation auf den Absatz von Arzneimitteln

Eine zum Zwecke der Information an interessierte Kongressteilnehmer von einem Pharmaunternehmen abgegebene Leitlinie über die ästhetische Botulinumtoxin-Therapie ist auch dann als Werbung anzusehen, wenn man den Umstand berücksichtigt, dass die Kongressteilnehmer die in der Leitlinie enthaltenen Informationen erst an ihrem Wohn- oder Geschäftssitz zur Kenntnis nehmen. Die die wettbewerbsrechtliche Haftung begründende Verhaltensweise liegt bereits in der als geschäftliche Handlung zu qualifizierenden Abgabe der Leitlinie an Kongressteilnehmer.

Tenor

Die Beklagte wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, ihre zugelassene Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 7. Juli 2016 gemäß § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Normenkette:

ZPO § 552a S. 1; RL 2001/83/EG Art. 86 Abs. 1 ; HWG § 1 Abs. 1 Nr. 1 ; HWG § 3a S. 2;

Gründe

I. Die Parteien sind in Deutschland tätige Pharmaunternehmen, die Präparate mit dem Wirkstoff Botulinumtoxin Typ A vertreiben. Die Klägerin vertreibt unter dem Handelsnamen "Bo. " ein für neurologische Indikationen zugelassenes Produkt und unter dem Handelsnamen "V. " ein für die ästhetische Anwendung zur Beseitigung von Glabella- und Kanthalfalten zugelassenes Produkt. Für die Beklagte ist ein Produkt unter dem Handelsnamen "X. " für die neurologische Indikation und ein Produkt "B. " für die Behandlung von Glabella- und Kanthalfalten zugelassen.

Die Beklagte unterhielt auf dem Anfang November 2013 von der dermatologischen Klinik der Ruhr-Universität in Bochum veranstalteten Fachkongress für ästhetisch-operative Medizin einen Messestand. Sie legte dort auf einem gesonderten Tisch die "S1-Leitlinie Ästhetische Botulinumtoxin-Therapie" zur Mitnahme aus. Bei der Leitlinie handelt es sich um eine im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Dermatochirurgie und der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft erstellte wissenschaftliche Stellungnahme, in der die zugelassenen Präparate einschließlich der Präparate der Parteien dargestellt wurden und deren Anwendung erläutert wurde. Im Teil B "Indikationen und Injektionspunkte" erfolgte nach Ausführungen zu der seinerzeit einzigen zugelassenen Indikation für die Behandlung von Glabella-Falten die Darstellung als bewährt bezeichneter Indikationen, die nicht von der Zulassung der Mittel der Parteien erfasst sind. Unter dem Punkt A 6 "Dosisäquivalenz" wurde erläutert, welches Dosisverhältnis nach Auffassung der Autoren zwischen den in Deutschland zugelassenen Botulinumtoxin-Typ-A-Präparaten besteht.

Nach Auffassung der Klägerin hat die Beklagte damit und insbesondere mit dem Passus zur Dosisäquivalenz für Arzneimittel außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete sowie irreführend geworben.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Androhung bestimmter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs die als Anlage K 1 beigefügte S1-Leitlinie "Ästhetische Botulinumtoxin-Therapie" abzugeben oder abgeben zu lassen,

wie geschehen auf dem Kongressstand der Beklagten bei der Messe "Cosmedica" im "Ruhrcongress" in Bochum vom 1. bis 3. November 2013.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.

Das Berufungsgericht hat die Abgabe der Leitlinie auf dem Messestand der Beklagten als Werbung im Sinne des Heilmittelwerbegesetzes angesehen. Zwar stellten wissenschaftliche Fachpublikationen als solche regelmäßig keine Werbung dar, wenn sie von den Autoren verbreitet würden, weil dies nicht der Förderung der Verschreibung diene. Anders sei der hier gegebene Fall zu beurteilen, dass ein Pharmaunternehmen die wissenschaftliche Fachpublikation im Rahmen seiner Werbung für ein entsprechendes Arzneimittel einsetze. Die Beklagte habe die Leitlinie verbreitet, um die Kongressbesucher zu veranlassen, in erheblichem Umfang Botulinumtoxin-Präparate wie ihr eigenes auch außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete zu verwenden. Da die Verwendung der unter anderem von der Beklagten vertriebenen Präparate außerhalb der Zulassung in der Leitlinie umfassend beschrieben und als wirksam, erprobt und sicher dargestellt werde, liege auch ein Verstoß gegen § 3a HWG vor.

II. Der Senat beabsichtigt, die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten durch einstimmigen Beschluss gemäß § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (dazu II 1). Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg (dazu II 2).

1. Der vom Berufungsgericht angenommene Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor.

a) Das Berufungsgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, weil die Frage, ob die Abgabe einer wissenschaftlichen Fachpublikation, deren Inhalt geeignet sei, sich positiv auf den Absatz auszuwirken, durch ein pharmazeutisches Unternehmen Werbung im Sinne des Heilmittelwerbegesetzes darstelle, die obergerichtliche Rechtsprechung bereits mehrfach beschäftigt habe und ihre höchstrichterliche Klärung daher wünschenswert sei. Der Senat hat jedoch schon wiederholt entschieden, dass der Begriff der Werbung für ein Arzneimittel im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 HWG alle produkt- oder leistungsbezogenen Aussagen umfasst, die darauf angelegt sind, den Absatz des beworbenen Mittels zu fördern, wobei die Nennung eines bestimmten Arzneimittelnamens sich regelmäßig als eine für die Absatzförderung des Mittels geeignete Maßnahme darstellt (vgl. BGH, Urteil vom 26. März 2009 - I ZR 213/06, BGHZ 180, 355 Rn. 13 - Festbetragsfestsetzung, mwN). Diese Auslegung steht im Einklang mit dem in Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (Humanarzneimittelkodex) verwendeten Begriff der Werbung für Arzneimittel, der alle Maßnahmen zur Information, zur Marktuntersuchung und zur Schaffung von Anreizen mit dem Ziel umfasst, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern (BGHZ 180, 355 Rn. 14 Festbetragsfestsetzung). In Anwendung dieser Grundsätze hat der Senat etwa zu der Frage, inwieweit Angaben in der Packungsbeilage von Arzneimitteln als Werbung anzusehen sind, bereits wiederholt entschieden, dass die Anforderungen des Heilmittelwerbegesetzes zu beachten sind, wenn eine Packungsbeilage neben den in § 11 AMG vorgeschriebenen oder danach zulässigen Angaben einen werblichen Überschuss enthält oder zu Werbezwecken verwendet wird (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2008 - I ZR 95/05, GRUR 2008, 1014 Rn. 21 = WRP 2008, 1335 - Amlodipin, mwN). Dasselbe gilt für Angaben auf Behältnissen und Umhüllungen von Arzneimitteln (vgl. BGH, GRUR 2008, 1014 Rn. 22 - Amlodipin; BGH, Urteil vom 5. Februar 2009 - I ZR 127/07, GRUR 2009, 990 Rn. 14 = GRUR 2009, 990 - Metoprolol). Danach kann kein Zweifel daran bestehen, dass die von einem pharmazeutischen Unternehmen vorgenommene Abgabe einer wissenschaftlichen Fachpublikation, deren Inhalt sich positiv auf den Absatz von Arzneimitteln auswirken kann, Werbung im Sinne des Heilmittelwerbegesetzes darstellt.

b) Die vom Berufungsgericht als grundsätzlich angesehene Rechtsfrage ist auch weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum umstritten. Die vom Berufungsgericht angeführte Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamburg (MD 1996, 533 [...] Rn. 15 bis 17; Urteil vom 20. Dezember 2007 - 3 U 160/06, [...] Rn. 106; Urteil vom 4. Dezember 2008 - 3 U 152/07, [...] Rn. 29) steht ebenso im Einklang mit der Rechtsansicht, die das Berufungsgericht in seinem Urteil vertreten hat, wie die in WRP 2015, 1143 veröffentlichte Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg vom 30. Juli 2015 (vgl. dort Rn. 39).

c) Dass der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung hat, wird auch durch den Umstand bestätigt, dass das Berufungsgericht selbst eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union mit der Begründung abgelehnt hat, die Auslegung des Werbebegriffs in Art. 86 des Humanarzneimittelkodexes erfasse den Streitfall hinreichend klar.

2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg.

a) Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die im Streitfall gegebenen objektiven Umstände für die Annahme einer Werbung der Beklagten sprechen.

aa) Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen verstehen die angesprochenen Fachkreise das Auslegen der Leitlinie so, dass die Beklagte mit den in ihr gemachten Aussagen über ihr Präparat übereinstimmt. Schon das Unterhalten des Messestandes als solches diene der Absatzförderung der Produkte der Beklagten. Danach sei die Verbreitung einer Leitlinie, die ersichtlich geeignet sei, die angesprochenen Fachkreise zu einer dort im Einzelnen beschriebenen und als sicher und wirksam dargestellten Verwendung außerhalb der Zulassung zu veranlassen, ebenfalls zur Absatzförderung bestimmt. Sie sei geeignet und bestimmt, die Kongressbesucher zu veranlassen, in erheblichem Umfang Botulinumtoxin-Präparate wie das der Beklagten auch außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete zu verwenden.

bb) Soweit die Revision dieser Beurteilung entgegenhält, aus der maßgeblichen Sicht der Kongressteilnehmer führe das bloße Auslegen der Leitlinie nicht dazu, dass die darin enthaltenen Aussagen der Beklagten wie eigene Werbeaussagen zuzurechnen seien, setzt sie lediglich ihre eigene Beurteilung an die Stelle der tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts. Damit kann sie schon deshalb keinen Erfolg haben, weil ihre eigene Beurteilung in der Sache nicht zu überzeugen vermag.

(1) Bei der ausgelegten Leitlinie handelt es sich nicht - wie die Revision geltend macht - um eine rein wissenschaftliche Abhandlung. So wird dort sowohl in den Passagen über die Dosisäquivalenz als auch bei den Ausführungen über die Anwendungsgebiete und überdies bei den Ausführungen über die Verwendung außerhalb der Zulassung ("Off-Label-Use") die Effektivität der Botulinumtoxin-Typ-A-Präparate herausgestellt. Außerdem wird - auch insoweit anders als bei einer wissenschaftlichen Abhandlung - die Möglichkeit eines "OffLabel-Use" nur in Bezug auf drei Mittel angesprochen.

(2) Davon abgesehen waren die in der Leitlinie enthaltenen Informationen nach den getroffenen Feststellungen geeignet, sich positiv auf den Absatz des Mittels der Beklagten "Bocouture®" auszuwirken. Schon aus diesem Grund ist die zum Zwecke der Information an interessierte Kongressteilnehmer abgegebene Leitlinie als Werbung anzusehen (vgl. BGHZ 180, 355 Rn. 14 - Festbetragsfestsetzung).

(3) Ohne Erfolg macht die Revision des Weiteren geltend, die Kongressteilnehmer nähmen die in der Leitlinie enthaltenen Informationen erst an ihrem Wohn- oder Geschäftssitz zur Kenntnis und könnten sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr daran erinnern, an welchem Stand sie die Leitlinie mitgenommen hätten. Unabhängig davon, ob diese Sichtweise mit der Lebenserfahrung in Einklang steht, liegt die die wettbewerbsrechtliche Haftung begründende Verhaltensweise der Beklagten bereits in der als geschäftliche Handlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG zu qualifizierenden Abgabe der Leitlinie an Kongressteilnehmer. Außerdem enthält die Leitlinie Aussagen zu den Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Botulinumtoxin und damit auch zu den in ihr positiv dargestellten Arzneimitteln der Beklagten. Dementsprechend kommt es auch aus diesem Grund nicht darauf an, ob sich die Kongressteilnehmer später noch daran erinnern, an welchem Stand sie die Leitlinie auf dem Kongress erhalten haben.

(4) Das Berufungsgericht konnte sich bei der von ihm vorgenommenen Beurteilung des Sachverhalts durchaus auf die von ihm herangezogene Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamburg stützen. Der Umstand, dass es dort nicht um in jeder Hinsicht identische Sachverhalte ging, steht dem nicht entgegen. Entscheidend ist, dass es im Streitfall ebenso wie bei den dortigen Sachverhalten um das Auslegen wissenschaftlicher Publikationen und deren Abgabe an interessierte Mitglieder der Fachkreise auf einem Kongress ging. Eine solche Verhaltensweise unterfällt, soweit sie auf die Förderung des Absatzes von Arzneimitteln gerichtet ist, dem weiten Werbebegriff des Art. 86 Abs. 1 des Humanarzneimittelkodexes.

b) Keinen Erfolg hat auch die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe die subjektiv-rechtliche Komponente der Absatzförderung nicht geprüft, sondern diese unausgesprochen aus der seiner Ansicht nach bestehenden objektiven Werbewirksamkeit der Leitlinie hergeleitet.

aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union erfordert die Beurteilung der Frage, ob die Verbreitung von Informationen über Arzneimittel ein Werbeziel im Sinne von Art. 86 Abs. 1 des Humanarzneimittelkodexes beinhaltet, eine konkrete Prüfung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls (EuGH, Urteil vom 5. Mai 2011 - C-316/09, Slg. 2011, I-3249 = GRUR 2011, 1160 Rn. 33 - MSD Sharp & Dohme). Der Umstand, dass Informationen über ein Arzneimittel von dessen Hersteller verbreitet werden, erlaubt dabei als solcher noch nicht den Schluss, dass der Hersteller ein Werbeziel verfolgt; hinzukommen muss, dass das Verhalten, die Initiative und das Vorgehen des Herstellers auf seine Absicht hinweisen, durch eine solche Verbreitung die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern (EuGH, GRUR 2011, 1160 Rn. 34 - MSD Sharp & Dohme).

bb) Nach diesen Maßstäben ist davon auszugehen, dass die Beklagte bei ihrer beanstandeten Verhaltensweise mit dem für die Anwendung des § 3a Satz 2 HWG erforderlichen Werbeziel gehandelt hat.

(1) Das Berufungsgericht hat der Begründung, mit der das Landgericht der Klage stattgegeben hatte, in jeder Hinsicht zugestimmt und sich diese Begründung zu eigen gemacht.

(2) Das Landgericht hat ausgeführt, die in subjektiver Hinsicht erforderliche Absatzförderung sei aufgrund objektiver Umstände zu ermitteln, wobei insbesondere maßgeblich sei, ob der Inhalt der Werbeaussage nach dem Verständnis der Werbeadressaten das Ziel der Absatzförderung habe. Vom positiven Aussagegehalt der Passage in der Leitlinie über die Dosisäquivalenz profitiere zwar nicht allein, aber zumindest auch das Produkt der Beklagten. Dass die angegriffene Aussage darüber hinaus geeignet sei, den Absatz von Wettbewerbern der Beklagten zu fördern, stehe der Annahme einer Absatzförderungsabsicht nicht entgegen. Der Werbende könne eine Absatzförderung auch dadurch beabsichtigen, dass die Warengattung, zu der das Produkt gehöre, bekannter gemacht werde, zumal wenn diese Warengattung - wie vorliegend überschaubar sei. Nach dem Inhalt der Leitlinie würden neben dem Produkt der Beklagten andere zugelassene Botulinumtoxin-Typ-A-Präparate lediglich noch von zwei anderen Herstellern vertrieben. Der angesprochene Verkehrskreis werde aufgrund des überschaubaren Marktes und der namentlichen Bezeichnung des Produkts der Beklagten auch ausgehend von der positiven Bewerbung der Warengattung direkt auf das Produkt der Beklagten schließen. Dass es sich bei der Abgabe der Broschüre um eine bloße Informationstätigkeit der Beklagten handele, sei vor dem Hintergrund der weiteren Umstände der Abgabe der Leitlinie lebensfremd. Die Beklagte präsentiere sich mit einem eigenen Messestand als Pharmaunternehmen auf einer Fachmesse auf dem Gebiet der ästhetisch-operativen Medizin, auf dem das von ihr vertriebene Produkt Anwendung finde. Dass für sie trotz eines solchen Auftritts der Informationscharakter im Vordergrund stehe, erschließe sich dem fachkundigen Messebesucher nicht. Das Fachpublikum von Anwendern und Ärzten treffe seine Entscheidung über die Anwendung eines Arzneimittels typischerweise vor dem Hintergrund von Fachinformationen und wissenschaftlichen Untersuchungen, weshalb hier Information und Werbung zusammenfielen.

(3) Die vorstehend wiedergegebenen Erwägungen des Landgerichts, denen sich das Berufungsgericht bei seiner Beurteilung angeschlossen hat, stehen in Übereinstimmung mit dem vorstehend unter II 2 b aa dargestellten Maßstäben, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union für die Beurteilung der Frage gelten, ob aus den Umständen, unter denen die Verbreitung von Informationen über ein Arzneimittel durch den Hersteller erfolgt, auf ein Werbeziel des Herstellers im Sinne von Art. 86 Abs. 1 des Humanarzneimittelkodexes geschlossen werden kann.

c) Der mit der Klage geltend gemachte Verstoß gegen § 3a Satz 2 HWG ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil in der Leitlinie nach dem Vortrag der Revision die nicht zugelassenen Anwendungsgebiete klar von den zugelassenen Anwendungsgebieten getrennt waren und es somit ausgeschlossen gewesen sei, dass die Leser der Leitlinie über den Umfang der Zulassung der Präparate getäuscht würden. Eine solche Trennung änderte nichts daran, dass in der Leitlinie der Eindruck einer wirksamen und sicheren Anwendung auch für die nicht zugelassenen Indikationen erweckt wurde und damit nicht auszuschließen war, dass eine Anwendung gerade auch für diese Indikationen erfolgte und deshalb die Gefahr einer Gesundheitsgefährdung bestand, vor der die arzneimittelrechtlichen Zulassungsvorschriften sowie die Bestimmung des § 3a HWG gerade schützen sollen (vgl. Kügel/Hesshaus, PharmR 2006, 70, 71). Dementsprechend ist ein Hinweis in der Werbung, dass eine Zulassung für das beworbene Anwendungsgebiet nicht vorliegt, allenfalls geeignet, einer insoweit ansonsten möglicherweise auch gegebenen Irreführung gemäß § 3 HWG entgegenzuwirken, nicht dagegen, den Verstoß gegen § 3a HWG auszuräumen (vgl. OLG Stuttgart, PharmR 1998, 290, 293; MD 2006, 631 [...] Rn. 20; OLG Hamburg, PharmR 1996, 212, 213; MD 2002, 119 [...] Rn. 52; Brixius in Bülow/Ring/Artz/Brixius, HWG , 5. Aufl., § 3a Rn. 1; Reinhart in Fezer/Büscher/ Obergfell, UWG , 3. Aufl., S 4 Rn. 471).

d) Die Auslegung und Abgabe der streitgegenständlichen Leitlinie ist nicht von der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit gedeckt.

aa) Der Anwendung des von der Revision insoweit angeführten Art. 5 Abs. 1 GG steht im Streitfall entgegen, dass bei der Auslegung des der Umsetzung von Richtlinien des Unionsrechts dienenden nationalen Rechts nach Art. 51 Abs. 1 Satz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGrundrechtecharta) die dort niedergelegten Grundrechte zu beachten und daher, soweit die Freiheit der Meinungsäußerung und Berichterstattung in Rede steht, vorrangig die insoweit einschlägigen Regelungen in Art. 11 Abs. 1 und 2 EU-Grundrechtecharta anzuwenden sind (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Mai 2003 - C-465/00, C-138/01 und C-139/01, Slg. 2003, I-4989 = EuGRZ 2003, 232 Rn. 68 und 80 - Rechnungshof/Österreichischer Rundfunk u.a.; BVerfGK 10, 153 = GRUR 2007, 1064 Rn. 20; BGH, Urteil vom 14. Oktober 2010 - I ZR 191/08, BGHZ 187, 240 Rn. 20 - AnyDVD; Urteil vom 31. März 2016 - I ZR 160/14, GRUR 2016, 710 Rn. 45 = WRP 2016, 843 - Im Immobiliensumpf; Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl., Art. 51 Rn. 21 ff., 23). Die Bestimmung des § 3a Satz 2 HWG hat ihre unionsrechtliche Grundlage in Art. 87 Abs. 2 des Humanarzneimittelkodexes, wonach alle Elemente der Arzneimittelwerbung mit den Angaben in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels vereinbar sein müssen (vgl. Reinhart in Fezer/Büscher/Obergfell aaO S 4 Rn. 472a; Brixius in Bülow/Ring/Artz/Brixius aaO § 3a Rn. 24).

bb) Die Auslegung und Abgabe der Leitlinie durch die Beklagte fällt in den Schutzbereich der in Art. 11 der EU-Grundrechtecharta verankerten Freiheit der Meinungsäußerung und der Information. Diese Freiheit gilt auch für die Verbreitung von Informationen geschäftlicher Art durch einen Unternehmer und damit für Werbebotschaften (EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2015 - C-157/14, ZLR 2016, 46 Rn. 64 - Nephne Distribution, mwN). Gemäß Art. 52 Abs. 3 der EU-Grundrechtecharta hat die in deren Art. 11 gewährleistete Meinungs- und Informationsfreiheit die gleiche Bedeutung und Tragweite wie die durch Art. 10 EMRK garantierte Freiheit (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2016 - C-547/14, ZLR 2016, 643 Rn. 147 - PMI & BAT/Secretary of State for Health).

cc) Nach Art. 52 Abs. 1 Satz 1 der EU-Grundrechtecharta muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta verankerten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Außerdem dürfen Einschränkungen nach Art. 52 Abs. 1 Satz 2 der EU-Grundrechtecharta unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

dd) Nach diesen Maßstäben verstößt weder das auf der Vorschrift des Art. 87 Abs. 2 des Humanarzneimittelkodexes aufbauende und die Zulassungspflicht von Arzneimitteln gemäß Art. 6 des Humanarzneimittelkodexes und § 21 AMG ergänzende Verbot der Werbung für nicht zugelassene Anwendungsgebiete eines zugelassenen Arzneimittels in § 3a Satz 2 UWG noch - unter Berücksichtigung der Ausführungen zu vorstehend II 2 a bis c - die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe mit ihrem beanstandeten Verhalten gegen diese Bestimmung verstoßen, gegen die in Art. 11 Abs. 1 der EUGrundrechtecharta geschützte Freiheit der Meinungsäußerung. Insbesondere hat das Berufungsgericht nach den Ausführungen zu vorstehend II 2 b mit Recht das Vorliegen eines von der Beklagten mit ihrem beanstandeten Verhalten verfolgten Werbeziels bejaht.

3. Nach den Ausführungen zu vorstehend II 2 a und b stellt sich die von der Revision formulierte Frage,

ob die Abgabe einer wissenschaftlichen Publikation, die sachlich, vollständig und ohne werblichen Überschuss über ein Präparat informiert, eine Werbung im Sinne des Art. 86 des Humanarzneimittelkodexes darstellt,

nicht in entscheidungserheblicher Weise. Zu den Kriterien, nach denen die Frage zu beurteilen ist, ob eine Absicht zur Absatzförderung vorliegt, hat sich der Gerichtshof der Europäischen Union bereits im Urteil "MSD Sharp & Dohme" geäußert (vgl. oben unter II 2 b aa). Auch ansonsten stellt sich im Streitfall keine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung des Unionsrechts, die nicht bereits durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt oder nicht zweifelsfrei zu beantworten ist (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - C-283/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 21 = NJW 1983, 1257 , 1258 - C.I.L.F.I.T.; Urteil vom 1. Oktober 2015 - C-452/14, GRUR-Int. 2015, 1152 Rn. 43; Doc Generici, mwN).

III. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

IV. Streitwert der Revision: 100.000 €.

Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.

Vorinstanz: LG Düsseldorf, vom 05.03.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 12 O 46/14
Vorinstanz: OLG Düsseldorf, vom 07.07.2016 - Vorinstanzaktenzeichen I-20 U 47/15