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BFH - Entscheidung vom 23.06.2017

X B 34/17

Normen:
AO § 357 Abs. 3 S. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3

Fundstellen:
BFH/NV 2017, 1411

BFH, Beschluss vom 23.06.2017 - Aktenzeichen X B 34/17

DRsp Nr. 2017/12792

Zulässigkeit der Klage gegen einen Sammelbescheid bei Begründung nur hinsichtlich eines von mehreren in dem Bescheid enthaltenen Verwaltungsakten

1. Sind in einem Sammelbescheid mehrere Verwaltungsakte enthalten (hier: Festsetzung von Einkommensteuer, Nachzahlungszinsen, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer) und bezieht sich die in einem Einspruchsschreiben enthaltene Begründung nur auf einen dieser Verwaltungsakte (hier: Nachzahlungszinsen), ist der Einspruch dahingehend auszulegen, dass nur derjenige Verwaltungsakt angefochten ist, auf den sich die Einspruchsbegründung bezieht. 2. Ein Verfahrensmangel kann auch darin liegen, dass ein FG sich an einer Sachentscheidung über eine erhobene Klage gehindert sieht, weil es zu Unrecht annimmt, der angefochtene Bescheid sei wegen verspäteter Einlegung des Einspruchs bestandskräftig geworden.

Hat ein Steuerpflichtiger Einspruch gegen den „Bescheid. ... über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag“ eingelegt, den Einspruch aber lediglich hinsichtlich der Festsetzung von Zinsen begründet, so ist der Einspruch dahingehend auszulegen, dass er sich ausschließlich gegen die Festsetzung der Zinsen richtet. Werden zu einem späteren Zeitpunkt weitere Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheides erhoben, so ist dies verfristet.

Tenor

Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Januar 2017 1 K 9123/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Normenkette:

AO § 357 Abs. 3 S. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe

I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) hatte am 18. März 2015 einen auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung ( AO ) gestützten Änderungsbescheid zur Einkommensteuer 2003 erlassen, mit dem er die Festsetzungen sowohl der Einkommensteuer als auch der Nachzahlungszinsen, des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer erhöhte.

Die —damals noch nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertretenen— Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) legten am 31. März 2015 Einspruch ein. Die Überschrift dieses Schreibens lautet: "Einspruch gegen Bescheid für 2003 über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag vom 18.03.2015". Anschließend heißt es: "Hiermit erheben wir Einspruch gegen o.g. Bescheid f. 2003 vom 18.03.2015, und zwar gegen die Berechnung der Zinsen." Weiter beantragten die Kläger den Erlass der Zinsen, da sie die Doppelberücksichtigung —die Grund für die Änderung der Einkommensteuerfestsetzung war— nicht verursacht hätten.

Das FA lehnte den Erlass der Zinsen am 2. April 2015 ab. Mit Schreiben vom 21. April 2015, das beim FA am 24. April 2015 einging, legte der nunmehrige Prozessbevollmächtigte der Kläger Einspruch gegen die Ablehnung des Erlassantrags ein. Ferner vertrat er die Auffassung, schon die Zinsfestsetzung sei fehlerhaft. Auch hätte der Einkommensteuerbescheid nicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert werden dürfen.

Am 29. Juni 2015 wies das FA in zwei getrennten Einspruchsentscheidungen die Einsprüche hinsichtlich der Zins- und Einkommensteuerfestsetzungen zurück.

Das Finanzgericht (FG) vertrat in seinem Urteil —nach vorherigem Hinweis— die Auffassung, das Einspruchsschreiben der Kläger vom 31. März 2015 sei dahingehend auszulegen, dass es nur einen Einspruch gegen die Festsetzung der Zinsen sowie einen Antrag auf Erlass der Zinsen enthalte. Das spätere Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Kläger, in dem erstmals ein Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid enthalten sei, sei erst nach Ablauf der Einspruchsfrist beim FA eingegangen. Der Einkommensteuerbescheid sei daher bestandskräftig geworden; seine Änderung durch das Gericht sei nicht mehr möglich. Daran ändere der Umstand nichts, dass das FA in der Sache über den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid entschieden habe. Die —rechtzeitig angefochtene— Zinsfestsetzung sei rechtmäßig.

Mit ihrer Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, wegen eines schwerwiegenden Rechtsfehlers und eines Verfahrensmangels.

Das FA hat sich zu der Beschwerde nicht geäußert.

II. Der Senat legt die Beschwerde der Kläger dahingehend aus, dass sie allein die Einkommensteuer 2003, nicht aber auch die Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer 2003 betrifft.

Zwar heißt es im Rubrum des Beschwerdeschreibens —mit dem die Beschwerde sowohl eingelegt als auch begründet worden ist—: "wegen: Einkommensteuer 2003 sowie einschließlich Zinsen zur Einkommensteuer Einkommensteuer 2003" (Schreibfehler bereits im Original enthalten). In der anschließenden Begründung gehen die Kläger aber ausschließlich auf denjenigen Teil des FG-Urteils ein, der sich mit der Einkommensteuerfestsetzung befasst. Mit denjenigen Ausführungen des FG-Urteils, die die Zinsfestsetzung betreffen, befassen sich die Kläger hingegen nicht. Insoweit wäre die Beschwerde daher wegen des Fehlens der nach § 116 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) erforderlichen Begründung als unzulässig zu verwerfen.

Da aber aus der Begründung eines Rechtsmittels auf das eigentliche Begehren des Rechtsmittelführers zu schließen ist (dazu noch unten III.1.b), legt der Senat die Beschwerde —zugunsten der Kläger, die dadurch vom Anfall unnötiger zusätzlicher Kosten verschont bleiben— dahingehend aus, dass sie von vornherein nur wegen der Einkommensteuerfestsetzung erhoben ist.

III. Die so ausgelegte Beschwerde ist zwar zulässig, aber in der Sache unbegründet. Keiner der von den Klägern geltend gemachten Zulassungsgründe ist tatsächlich gegeben.

1. Der näheren Erörterung bedarf vor allem der von den Klägern gerügte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ).

a) Ausdrücklich machen die Kläger zwar lediglich geltend, das FG habe infolge fehlerhafter Auslegung des Einspruchs zu Unrecht entschieden, dass die Klage unzulässig sei. Dieser Verfahrensmangel läge —offensichtlich— nicht vor, da das FG die Klage insgesamt als zulässig angesehen hat.

Allerdings hat das FG —was die Kläger mit ihren insoweit nicht ganz exakten Formulierungen wohl meinen— sich an einer Sachentscheidung über die gegen den Einkommensteuerbescheid 2003 erhobene Klage gehindert gesehen, weil es annahm, dieser Bescheid sei bestandskräftig geworden. Auch hierin läge ein Verfahrensmangel, sofern die Annahme des FG unrichtig wäre (Beschluss des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 6. September 2005 II B 85/04, BFH/NV 2006, 99 , unter II.1., m.w.N.).

b) Tatsächlich ist dem FG ein solcher Verfahrensmangel aber nicht unterlaufen. Seine Auslegung des Einspruchsschreibens —und die darauf gestützte Folgerung, wegen der Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids 2003 an einer Sachentscheidung hierüber gehindert zu sein— erweist sich vielmehr als zutreffend.

Der Sachverhalt des vorliegenden Verfahrens ist in den entscheidungserheblichen Punkten in vollem Umfang vergleichbar mit den Sachverhalten, über die der BFH in seinen Urteilen vom 8. Mai 2008 VI R 12/05 (BFHE 222, 196 , BStBl II 2009, 116 ) und vom 19. August 2013 X R 44/11 (BFHE 243, 304 , BStBl II 2014, 234 ) zu befinden hatte. In beiden Fällen ist der BFH zu dem Ergebnis gekommen, das jeweils maßgebliche Einspruchsschreiben sei auslegungsbedürftig. Die danach erforderliche Auslegung sei dahingehend vorzunehmen, dass jeweils nur derjenige in dem ergangenen Sammelbescheid enthaltene Einzel-Verwaltungsakt angefochten sei, auf dessen Änderung das Begehren der Steuerpflichtigen ausweislich der Rechtsbehelfsbegründung gerichtet sei.

Dem ist das FG in dem angefochtenen Urteil gefolgt und zu einem Ergebnis gelangt, das mit der Auslegung, die der BFH in den angeführten vergleichbaren Sachverhalten vorgenommen hat, übereinstimmt. Die Ablehnung einer Sachentscheidung durch das FG ist daher nicht verfahrensfehlerhaft, sondern —im Gegenteil— zutreffend.

2. Da die Entscheidung des FG sachlich zutreffend ist, kann dem FG auch der von den Klägern gerügte schwerwiegende Rechtsfehler nicht unterlaufen sein.

3. Als grundsätzlich bedeutsam (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ) bezeichnen die Kläger die Frage, "ob durch das FG ein nicht der Auslegung zugänglicher oder zumindest von den Beteiligten übereinstimmend verstandener Einspruch erstmals im gerichtlichen Verfahren als auslegungsfähig und auslegungsbedürftig angesehen wird und abweichend von dem übereinstimmenden Verständnis der Parteien einer willkürlichen Auslegung durch das FG zugeführt wird".

a) Wie bereits ausgeführt (oben 1.), war das Einspruchsschreiben der Kläger der Auslegung zugänglich. Soweit die von den Klägern formulierte Rechtsfrage das Gegenteil unterstellt, wäre sie in einem künftigen Revisionsverfahren im Streitfall schon nicht klärungsfähig (vgl. zu diesem Erfordernis Senatsbeschluss vom 23. Januar 2013 X B 84/12, BFH/NV 2013, 771 , unter II.1.a, m.w.N.).

b) Soweit die Kläger es als grundsätzlich bedeutsam ansehen, ob erstmals das FG eine bisher von den Beteiligten übereinstimmend vorgenommene Auslegung eines Einspruchsschreibens in Frage stellen dürfe, legt die Beschwerde nicht dar, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchem Grunde die Beantwortung dieser Frage zweifelhaft und streitig —also grundsätzlich klärungsbedürftig— sein soll (zu diesem Darlegungserfordernis vgl. Senatsbeschluss vom 24. Juni 2014 X B 216/13, BFH/NV 2014, 1888 ). Dazu hätte umso mehr Anlass bestanden, als das FG seine Auffassung, die Sachentscheidung des FA über den Einspruch entfalte keine Bindungswirkung für das gerichtliche Verfahren, ausdrücklich und unter Verweis auf entsprechende Literatur begründet hat.

4. In Bezug auf den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO ) haben die Kläger vorgetragen, die vom FG vorgenommene Auslegung widerspreche der —in der Beschwerdebegründung im Einzelnen angeführten— BFH-Rechtsprechung, wonach grundsätzlich davon auszugehen sei, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten wolle, der angefochten werden müsse, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen.

Damit haben die Kläger zwar einen abstrakten Rechtssatz aus den vermeintlichen Divergenzentscheidungen dargelegt. Zur formgerechten Darlegung einer Divergenzrüge wäre es aber erforderlich gewesen, auch aus dem angefochtenen Urteil der Vorinstanz einen abstrakten Rechtssatz herauszuarbeiten, der mit dem Rechtssatz aus den vermeintlichen Divergenzentscheidungen in Widerspruch steht (Senatsbeschluss vom 18. Januar 2011 X B 34/10, BFH/NV 2011, 813 , unter 1.c, m.w.N.). Daran fehlt es.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO .

6. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.

Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg, vom 18.01.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 1 K 9123/15
Fundstellen
BFH/NV 2017, 1411