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BFH - Entscheidung vom 29.08.2017

VIII R 32/15

Normen:
AO §§ 153 Abs. 1, 169 Abs. 2, 44 Abs. 2, 45, 370
AO § 153 Abs. 1
AO § 169 Abs. 2
AO § 44 Abs. 2
AO § 45
AO § 370

BFH, Urteil vom 29.08.2017 - Aktenzeichen VIII R 32/15

DRsp Nr. 2018/1964

Rechtsstellung des Erben hinsichtlich der Einkommensteuer Pflicht des Erben zur Berichtigung einer wegen Demenz des Erblassers unwirksamen Einkommensteuererklärung

1. Der Erbe tritt sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht in die abgabenrechtliche Stellung des Erblassers ein und schuldet die Einkommensteuer als Gesamtschuldner in der Höhe, in der sie durch die Einkünfteerzielung des Erblassers entstanden ist. 2. Auch eine wegen Demenz des Erblassers unwirksame Einkommensteuererklärung führt —ist sie unrichtig oder unvollständig— zu einer Berichtigungspflicht des Erben nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 AO , bei deren Verletzung eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO durch Unterlassen vorliegen kann. 3. Die Berichtigungspflicht des Erben nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 AO wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass er bereits vor dem Tod des Erblassers Kenntnis davon hatte, dass dessen Steuererklärung unrichtig ist. 4. Die Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 und 3 1. Halbsatz AO tritt auch dann ein, wenn der als Gesamtschuldner in Anspruch genommene Erbe keine Kenntnis von der Steuerhinterziehung eines Miterben hat. 5. Jedem Erben steht die Möglichkeit zu, sich nach Maßgabe des § 169 Abs. 2 Satz 3 2. Halbsatz AO zu exkulpieren.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 30. Juli 2015 13 K 2871/09 wird bezüglich der Streitjahre 1991, 1993 und 1994 als unzulässig verworfen und im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen.

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 30. Juli 2015 13 K 2871/09 bezüglich der Streitjahre 1995 und 1996 aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des gesamten Klageverfahrens tragen die Klägerin 93 % und der Beklagte 7 %.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Normenkette:

AO §§ 153 Abs. 1 , 169 Abs. 2 , 44 Abs. 2 , 45 , 370;

Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist gemeinsam mit C Gesamtrechtsnachfolgerin der am ... 2000 verstorbenen W. Der Beigeladene ist als Gesamtrechtsnachfolger der nach dem Erbfall verstorbenen C in die Erbengemeinschaft eingetreten.

Der Klägerin wurde von der Steuerfahndungsstelle des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung mit Schreiben vom 21. März 2005 mitgeteilt, dass gegen sie als Gesamtrechtsnachfolgerin der W ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei. Nach den Feststellungen der Steuerfahndungsstelle im Bericht vom 26. März 2007 hatte W in den Jahren 1993 bis 1999 Kapitaleinkünfte im Ausland erzielt, die sie nicht in ihren Einkommensteuererklärungen angegeben hatte.

Die Steuererklärungen der W waren unter Beteiligung von C gefertigt und im März 1995 (für den Veranlagungszeitraum 1993), im März 1996 (für den Veranlagungszeitraum 1994), im August 1997 (für den Veranlagungszeitraum 1995), im Oktober 1997 (für den Veranlagungszeitraum 1996), im November 1998 (für den Veranlagungszeitraum 1997), im Januar 2000 (für den Veranlagungszeitraum 1998) und im November 2000 (für den Veranlagungszeitraum 1999) beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) abgegeben worden. Das FA legte die von der Steuerfahndung ermittelten Zinserträge für die Streitjahre 1993 bis 1999 mit jeweils am 30. April 2007 geänderten Einkommensteuerbescheiden der Besteuerung zugrunde. Für das Streitjahr 1991 erhöhte es mit Änderungsbescheid vom 30. April 2007 die Einkommensteuer wegen des entfallenden Verlustrücktrags.

Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Aufgrund der Vorlage einer Bankbescheinigung über die von W in den Jahren 1997 bis 1999 erzielten Zinserträge änderte das FA die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 1997 bis 1999 jeweils am 13. August 2009 und setzte die Einkommensteuer herab. Für die übrigen Jahre verblieb es bei den Bescheiden vom 30. April 2007. Die Einsprüche wurden mit Einspruchsentscheidung vom 23. Oktober 2009 zurückgewiesen.

Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen gerichteten Klage mit Urteil vom 30. Juli 2015 13 K 2871/09 für die Streitjahre 1993 bis 1996 teilweise statt und wies die Klage für die Streitjahre 1991 und 1997 bis 1999 als unbegründet zurück. Die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 523 veröffentlicht.

Am 25. September 2015 erließ das FA geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 1995 und 1996.

Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, eine mögliche Steuerhinterziehung eines Gesamtrechtsnachfolgers (der C) könne nicht einem anderen Gesamtrechtsnachfolger (der Klägerin) zugerechnet werden, der die entsprechenden Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt habe. Die Klägerin habe von der Steuerhinterziehung nichts gewusst.

Der Klägervertreter hat im Rahmen des Revisionsverfahrens ärztliche Atteste vorgelegt, die bescheinigen, dass die Klägerin zwischenzeitlich selbst dement ist. Einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) i.V.m. § 246 Abs. 1 der Zivilprozessordnung ( ZPO ) hat er nicht gestellt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil der Vorinstanz, die Einspruchsentscheidung vom 23. Oktober 2009 sowie die Änderungsbescheide vom 25. September 2015 für 1995 und 1996, vom 13. August 2009 für 1997 bis 1999 und vom 30. April 2007 für 1991, 1993 und 1994 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer sowie Zinsen aufzuheben.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Beigeladene hat keine Anträge gestellt.

II.

Die Revision ist hinsichtlich der Streitjahre 1991, 1993 und 1994 als unzulässig zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO ) und im Übrigen als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO ).

1. Der Sachentscheidung steht nicht entgegen, dass die Klägerin möglicherweise prozessunfähig geworden ist, da sie seit Beginn des Klageverfahrens durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten wurde. Es bestehen für den Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin bereits bei Erteilung der Vollmacht prozessunfähig war (vgl. Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung , 8. Aufl., § 62 Rz 6; Brandt in Beermann/Gosch, FGO § 62 Rz 42). Die Wirksamkeit der Prozessvollmacht wird gemäß § 155 FGO i.V.m. § 86 ZPO durch den späteren Verlust der Prozessfähigkeit nicht berührt. Aus diesem Grund tritt gemäß § 155 FGO i.V.m. § 246 Abs. 1 ZPO auch keine Unterbrechung des Verfahrens ein (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 27. April 2000 I R 65/98, BFHE 191, 494 , BStBl II 2000, 500 ). Ein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens wurde vom Prozessbevollmächtigten nicht gestellt.

2. Die Revision ist bezüglich der Streitjahre 1991, 1993 und 1994 als unzulässig zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO ). Der Inhalt der Revisionsbegründung entspricht nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen des § 120 Abs. 3 FGO .

a) Nach § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a FGO muss die Revisionsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt. Dies erfordert, dass die erhobene Rüge eindeutig erkennen lassen muss, welche Norm der Revisionskläger für verletzt hält. Ferner muss der Revisionskläger die Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art angeben, die nach seiner Auffassung das erstinstanzliche Urteil als unrichtig erscheinen lassen. Erforderlich ist damit eine zumindest kurze Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils, aus der zu erkennen ist, dass der Revisionskläger die Begründung dieses Urteils und sein eigenes Vorbringen überprüft hat (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 9. März 2016 I R 79/14, BFH/NV 2016, 1039 ). Der Revisionskläger muss danach im Einzelnen und in Auseinandersetzung mit der Argumentation des FG dartun, welche Ausführungen der Vorinstanz aus welchen Gründen unrichtig sein sollen (z.B. BFH-Beschlüsse vom 20. August 2012 I R 3/12, BFH/NV 2012, 1990 , und vom 7. April 2010 I R 34/06, BFH/NV 2010, 1466 , mit weiteren Rechtsprechungshinweisen).

b) Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung der Klägerin für die Streitjahre 1991, 1993 und 1994 nicht gerecht. Sie stützt ihre Revisionsbegründung darauf, dass die Entscheidung des FG rechtswidrig sei, weil "eine mögliche Steuerhinterziehung eines Gesamtrechtsnachfolgers (hier: der C) nicht einem anderen Gesamtrechtsnachfolger (hier: der Klägerin) zugerechnet werden könne, der diese Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt habe". Einen solchen Sachverhalt hat das FG jedoch seiner Entscheidung für die Streitjahre 1991, 1993 und 1994 nicht zugrunde gelegt. Es ist vielmehr davon ausgegangen, dass die Erblasserin in den Streitjahren 1993 und 1994 selbst die Steuerhinterziehung begangen hat. Auch die Änderung der Steuerfestsetzung für das Streitjahr 1991 beruht nicht auf einer Steuerhinterziehung der Miterbin C, sondern auf dem Wegfall eines Verlustrücktrags. Danach wurde eine Rechtsverletzung mangels Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des FG-Urteils für diese Streitjahre nicht ausreichend dargelegt.

c) Auch soweit sich die Klägerin gegen die Höhe der festgesetzten Einkommensteuer wendet, genügt ihr Vorbringen nicht den Anforderungen des § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a FGO , da sie zur Begründung der Revision lediglich auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Bezug nimmt und auf die vom FG angestellten Erwägungen nicht eingeht (vgl. BFH-Beschluss vom 1. Juni 2006 I R 12/05, BFH/NV 2006, 2088 ).

3. Die hinsichtlich der Streitjahre 1995 bis 1999 zulässige Revision ist unbegründet und gemäß § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen.

a) Die Revision führt zwar für die Streitjahre 1995 und 1996 aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung. Denn Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens waren die geänderten Einkommensteuerbescheide für 1995 und 1996 vom 30. April 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. Oktober 2009. An deren Stelle traten während des Revisionsverfahrens die geänderten Einkommensteuerbescheide für 1995 und 1996 vom 25. September 2015, welche nach § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Revisionsverfahrens wurden. Damit liegen dem FG-Urteil teilweise nicht mehr existierende Bescheide zugrunde, so dass es insoweit keinen Bestand haben kann (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 15. Mai 2013 VI R 28/12, BFHE 241, 200 , BStBl II 2013, 737 ).

b) Dennoch bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache an das FG gemäß § 127 FGO , da die Sache spruchreif ist. Durch die Änderungsbescheide für die Streitjahre 1995 und 1996 ist keine Verböserung eingetreten. Es haben sich hinsichtlich der weiteren in Streit stehenden Punkte keine Änderungen ergeben. Die Beteiligten haben auch keine weitergehenden Anträge gestellt. Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen bilden danach unverändert die Grundlage für die Entscheidung des erkennenden Senats (BFH-Urteil vom 23. Januar 2003 IV R 71/00, BFHE 201, 269 , BStBl II 2004, 43 ). Dieser entscheidet aufgrund seiner Befugnis nach den §§ 121 , 100 FGO in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 FGO ).

4. Die Revision ist für die Streitjahre 1995 und 1996 gleichwohl als unbegründet zurückzuweisen, denn das Urteil der Vorinstanz ist im Ergebnis zu bestätigen. Die Klage ist als unbegründet abzuweisen. Auch für die Streitjahre 1997 bis 1999 ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO ).

Zu Recht hat das FG entschieden, dass die Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin der W die hinterzogene Einkommensteuer schuldet (s. unter a) und das FA zur Korrektur der Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordung ( AO ) berechtigt war (s. unter b). Entgegen der Auffassung der Klägerin hat sich aufgrund der Steuerhinterziehung der Miterbin C die Festsetzungsfrist auch ihr gegenüber gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 und 3 AO auf zehn Jahre verlängert (s. unter c).

a) Die Klägerin ist gemäß § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ( BGB ) als Erbin in die Steuerschuld der Erblasserin W eingetreten. Danach geht mit dem Tod einer Person (Erbfall) deren Vermögen als Ganzes auf den oder die Erben über. Gemäß § 1967 BGB haften die Erben für die Nachlassverbindlichkeiten. Das hierin für den Erbfall statuierte Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge beschränkt sich nicht auf den Bereich des Zivilrechts. Es erstreckt sich vielmehr auch auf das öffentliche Recht und damit auch auf das Steuerrecht. So ordnet § 45 Abs. 1 Satz 1 AO an, dass bei der Gesamtrechtsnachfolge die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger übergehen. Mehrere Erben haben gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 AO für die in der Person des Erblassers entstandene Steuerschuld wie für Nachlassverbindlichkeiten nach bürgerlichem Recht, d.h. als Gesamtschuldner (§§ 1967 , 2058 BGB ), einzustehen. Jeder Erbe schuldet die ganze Leistung; dem Finanzamt steht es im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens frei, an welche Gesamtschuldner es sich halten will (BFH-Urteil vom 28. März 1973 I R 100/71, BFHE 109, 123 , BStBl II 1973, 544 ).

Die Klägerin ist danach sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht in die abgabenrechtliche Stellung der Erblasserin eingetreten (BFH-Beschluss vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04, BFHE 220, 129 , BStBl II 2008, 608 ). Sie schuldet als Gesamtschuldnerin die Einkommensteuer in der Höhe, in der sie durch die Einkünfteerzielung der Erblasserin W entstanden ist. Auf ihre Kenntnis von der Steuerhinterziehung der Erblasserin W bzw. der Miterbin C kommt es diesbezüglich nicht an.

b) Das FA war zur Änderung der Einkommensteuerfestsetzungen für die Jahre 1995 bis 1999 durch die Änderungsbescheide vom 30. April 2007 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO befugt. Es war ihm aufgrund der Ermittlungen der Steuerfahndungsstelle nachträglich bekannt geworden, dass die Erblasserin W in diesen Jahren höhere Kapitaleinkünfte erzielt hatte, als bislang aufgrund der Steuererklärungen festgesetzt wurden.

c) Zu Recht hat das FG entschieden, dass die Bekanntgabe der Änderungsbescheide für die Jahre 1995 bis 1999 am 30. April 2007 noch innerhalb der Festsetzungsfrist erfolgte.

aa) Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Änderung der Steuerfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist beträgt gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO in der Regel vier Jahre und verlängert sich gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO im Fall einer Steuerhinterziehung auf zehn Jahre. Sie beginnt nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung beim Finanzamt eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist.

bb) Die Erblasserin hat die Steuererklärung für 1995 im August 1997, für 1996 im Oktober 1997, für 1997 im November 1998, für 1998 im Januar 2000 und für 1999 im November 2000 abgegeben. Da nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des FG die Demenz der W in diesem Zeitraum bereits so weit fortgeschritten war, dass sie geschäftsunfähig i.S. des § 104 Nr. 2 BGB war, war sie nach § 79 Abs. 1 AO auch im Besteuerungsverfahren nicht zur Vornahme von Verfahrenshandlungen fähig. Die Abgabe der von ihr unterzeichneten Steuererklärungen war somit unwirksam (Urteil des FG Düsseldorf vom 27. April 1971 II 173/69 E, EFG 1971, 511 ; Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung , Finanzgerichtsordnung , § 79 AO Rz 7). Die Festsetzungsfrist begann danach gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO erst mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, zu laufen (für 1995 am 31. Dezember 1998, für 1996 am 31. Dezember 1999, für 1997 am 31. Dezember 2000, für 1998 am 31. Dezember 2001, für 1999 am 31. Dezember 2002).

cc) Für die Streitjahre 1995 bis 1999 hat sich die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 und 3 AO aufgrund einer Steuerhinterziehung der C auf zehn Jahre verlängert, so dass die Änderungsbescheide vom 30. April 2007 noch innerhalb der Festsetzungsfrist ergingen.

aaa) Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass C aufgrund eines Verstoßes gegen die Berichtigungspflicht aus § 153 AO nach erkannter Unrichtigkeit der Steuererklärungen der W eine vorsätzliche Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO durch Unterlassen begangen hat (vgl. Heuermann in Hübschmann/ Hepp/Spitaler —HHSp—, § 153 AO Rz 18; Schindler in Beermann/ Gosch, AO § 153 Rz 35; Meyer in Beermann/Gosch, AO § 370 Rz 102; Klein/Rätke, AO , 13. Aufl., § 153 Rz 21; Klein/Jäger, a.a.O., § 370 Rz 61b). Nach den nicht mit einer Verfahrensrüge angefochtenen Feststellungen des FG war C spätestens ab dem Erbfall im Jahr 2000 bewusst, dass die Erblasserin W gegenüber dem FA ihre Kapitaleinkünfte zu niedrig erklärt hatte. Sie war daher gemäß § 153 Abs. 1 Satz 2 AO verpflichtet, die Einkommensteuererklärungen der Erblasserin zu berichtigen und hat dies vorsätzlich unterlassen. Die Berichtigungspflicht der C war nicht dadurch ausgeschlossen, dass sie bereits vor dem Tod der Erblasserin Kenntnis von dem Kapitalvermögen im Ausland und den unrichtigen Steuererklärungen hatte, da für die nachträgliche Kenntnis auf den Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge zum Zeitpunkt des Todes der Erblasserin abzustellen ist (Heuermann in HHSp, § 153 AO Rz 13c; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 153 AO Rz 17; Klein/Rätke, a.a.O., § 153 Rz 7).

Der Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO steht auch nicht entgegen, dass W aufgrund ihrer Demenz handlungsunfähig gemäß § 79 AO war und deshalb keine wirksamen Steuererklärungen abgeben konnte. Der Begriff "Erklärung" i.S. von § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist weit zu verstehen und bedeutet jede Äußerung mit Einfluss auf die Festsetzung, Erhebung oder Vollstreckung einer Steuer (Heuermann in HHSp, § 153 AO Rz 7; Schindler in Beermann/Gosch, AO § 153 Rz 14; Seer in Tipke/ Kruse, a.a.O., § 153 AO Rz 10). Er umfasst daher auch unwirksame Steuererklärungen.

Danach war C verpflichtet, die unrichtigen Erklärungen der W gegenüber dem FA zu berichtigen, da diese zu einer zu niedrigen Steuerfestsetzung geführt haben.

bbb) Die Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO setzt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht voraus, dass sie selbst eine Steuerhinterziehung begangen hat oder von dieser wusste. Die zehnjährige Frist gilt gemäß § 169 Abs. 2 Satz 3 1. Halbsatz AO auch dann, wenn die Steuerhinterziehung nicht durch den Steuerschuldner oder eine Person begangen worden ist, derer er sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten bedient. Denn für die Anwendung des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO ist es unerheblich, wer die Steuer hinterzogen hat. Es kommt nur darauf an, dass es sich objektiv um hinterzogene oder leichtfertig verkürzte Beträge handelt. Die Eigenschaft einer Steuer, hinterzogen zu sein, haftet der Steuer als solcher an. Danach läuft gegen den Schuldner hinterzogener Steuern eine zehnjährige Festsetzungsfrist ohne Rücksicht darauf, ob er selbst oder ein Dritter die Steuer hinterzogen hat (Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 169 AO Rz 18; Banniza in HHSp, § 169 AO Rz 53; Paetsch in Beermann/Gosch, AO § 169 Rz 52; Klein/Rüsken, a.a.O., § 169 Rz 28; z.B. BFH-Urteile vom 4. März 1980 VII R 88/77, BFHE 130, 131 ; vom 23. März 1982 VII R 68/81, BFHE 135, 563 ; vom 31. Januar 1989 VII R 77/86, BFHE 156, 30 , BStBl II 1989, 442 ).

An der objektiven Eigenschaft einer Steuer, hinterzogen zu sein, ändert sich auch nichts dadurch, dass der Steuerschuldner von der Steuerhinterziehung bzw. von der verlängerten Festsetzungsverjährung nichts wusste (Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 169 AO Rz 24). Denn im Rahmen des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO ist es unerheblich, ob und in welchem Umfang den Steuerschuldner überhaupt ein eigenes Verschulden trifft. Daher greift die verlängerte Festsetzungsverjährung auch dann, wenn der Steuerschuldner davon ausgeht, dass Festsetzungsverjährung bereits eingetreten sei und er erst später davon erfährt, dass ein Dritter zu seinen Gunsten Steuern hinterzogen hat.

ccc) Diese Grundsätze gelten auch im Rahmen der Gesamtschuldnerschaft von Miterben. Zwar laufen bei einer Gesamtschuldnerschaft die Verjährungsfristen gegenüber jedem Gesamtschuldner getrennt ab (§ 44 Abs. 2 Satz 3 AO ). Da es nach § 169 Abs. 2 Satz 3 AO jedoch nicht darauf ankommt, wer die Steuer hinterzogen oder leichtfertig verkürzt hat, muss jeder Gesamtschuldner die Steuerhinterziehung eines anderen Gesamtschuldners gegen sich gelten lassen (so ausdrücklich auch Boeker in HHSp, § 44 AO Rz 33; Banniza in HHSp, § 169 AO Rz 65; Paetsch in Beermann/Gosch, AO § 169 Rz 59; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 44 AO Rz 19; Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 169 AO Rz 23; Koenig/Koenig, Abgabenordnung , 3. Aufl., § 44 Rz 19; vgl. zur Gesamtschuld bei Ehegatten BFH-Beschlüsse vom 20. August 2010 IX B 41/10, BFH/NV 2010, 2239 ; vom 19. Februar 2008 VIII B 49/07, BFH/NV 2008, 1158 ; vom 30. März 2005 IV B 161/03, juris).

ddd) Zwar steht der Klägerin die Möglichkeit zu, sich nach Maßgabe des § 169 Abs. 2 Satz 3 2. Halbsatz AO zu exkulpieren. Danach tritt die Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre bei einer Steuerhinterziehung, die nicht von dem Steuerschuldner, sondern von einer anderen Person begangen wurde, u.a. dann nicht ein, wenn der Steuerschuldner selbst durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, da die Klägerin durch die Steuerhinterziehung der C einen Vermögensvorteil in Form einer zu niedrig festgesetzten Steuerschuld erlangt hat, die auf sie als Gesamtrechtsnachfolgerin nach § 1922 BGB übergegangen ist.

dd) Für die Streitjahre 1998 und 1999 ist die Revision im Übrigen schon deshalb unbegründet, weil es hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Änderungsbescheide auf die Verlängerung der Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf zehn Jahre nicht ankommt. Der Ablauf der regulären Festsetzungsfrist von vier Jahren (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO ) für 1998 am 31. Dezember 2005 und für 1999 am 31. Dezember 2006 wurde durch das Schreiben der Steuerfahndungsstelle an die Klägerin vom 21. März 2005 gemäß § 171 Abs. 5 AO gehemmt. Die Festsetzungsfrist lief danach nicht ab, bevor die auf Grund der Ermittlungen zu erlassenen Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind, so dass die Korrekturbescheide für 1998 und 1999 vom 30. April 2007 noch innerhalb der regulären Festsetzungsfrist ergingen.

5. Da das vorinstanzliche Urteil teilweise aufgehoben wird, hat auch die Kostenentscheidung des FG keinen Bestand. Der Senat hält es für angemessen, über die Kosten nach Verfahrensabschnitten zu entscheiden. Auch eine solche Entscheidung wahrt den Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 30. April 2014 XI R 24/13, BFHE 245, 66 , BStBl II 2014, 1014 ; vom 13. April 2016 III R 7/13, BFH/NV 2016, 1462 ).

Für das Klageverfahren beruht die Kostenentscheidung auf §§ 136 Abs. 1 und 135 Abs. 3 FGO . Für das Revisionsverfahren beruht die Kostenentscheidung auf § 135 Abs. 1 , 2 und 3 FGO . Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht gemäß § 139 Abs. 4 FGO erstattungsfähig, da er keinen eigenen Sachantrag gestellt hat (BFH-Beschluss vom 25. Januar 2006 IV R 14/04, BFHE 212, 231 , BStBl II 2006, 418 , m.w.N.).

Vorinstanz: FG Hessen, vom 30.07.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 13 K 2871/09