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BFH - Entscheidung vom 11.10.2017

IX R 51/15

Normen:
EStG § 17 Abs. 1, § 17 Abs. 2, § 17 Abs. 4
FGO § 118 Abs. 2
EStG § 17 Abs. 1
EStG § 17 Abs. 2
EStG § 17 Abs. 4
FGO § 118 Abs. 2

BFH, Urteil vom 11.10.2017 - Aktenzeichen IX R 51/15

DRsp Nr. 2018/1316

Berücksichtigung des Verlustes aus der Auflösung der Betriebskapitalgesellschaft im Rahmen einer Betriebsaufspaltung bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb

NV: Ergibt sich die buchmäßige Überschuldung der Betriebskapitalgesellschaft vor allem aus der Aufspaltung des Betriebs in zwei rechtlich selbständige Unternehmen, so ist es nicht zu beanstanden, wenn eine Krise des Betriebsunternehmens verneint wird, solange das Besitzunternehmen noch kreditwürdig ist und seinen Kredit vereinbarungsgemäß und nach Bedarf dem Betriebsunternehmen zur Verfügung stellt.

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 26. März 2015 10 K 1107/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Normenkette:

EStG § 17 Abs. 1 , § 17 Abs. 2 , § 17 Abs. 4 ; FGO § 118 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Streitig ist die Höhe des Verlusts aus der Auflösung einer GmbH. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden als Eheleute im Streitjahr zusammenveranlagt.

Im Dezember 1988 gründete der Kläger als Alleingesellschafter die A-GmbH (im Folgenden: GmbH). Das Stammkapital betrug 50.000 DM. Die GmbH betrieb die Herstellung und den Handel mit X. Das Anlagevermögen pachtete sie von dem Kläger als Einzelunternehmer in Firma ... (im Folgenden: Einzelunternehmen). Das Einzelunternehmen gewährte der GmbH zudem Darlehen. In der Bilanz der GmbH zum 31. Dezember 1998 sind unter der Bezeichnung "Verrechnung Fa. ..." kurzfristige Verbindlichkeiten von 471.057,10 DM ausgewiesen.

Mit Vertrag vom 9. November 1998 veräußerte der Kläger als Einzelunternehmer das (vormals an die GmbH verpachtete) Anlagevermögen zum Preis von 700.000 DM an einen Dritten und erzielte daraus einen Veräußerungsgewinn von 306.180 DM. Die Forderung gegen die GmbH überführte er in sein Privatvermögen. Die GmbH veräußerte mit Vertrag vom selben Tag ihr gesamtes Umlaufvermögen (zum 31. Dezember 1998) an denselben Erwerber und stellte den Betrieb (Herstellung und Handel mit X) mit Ablauf des 31. Dezember 1998 ein. 1999 änderte sie die Firma und den Gegenstand des Unternehmens. Der Kläger gewährte der GmbH auch im Folgenden weitere Kredite in laufender Rechnung.

Am 30. November 2000 erklärte der Kläger gegenüber der GmbH den Rangrücktritt mit seinen Forderungen in Höhe von 483.930,54 DM (= 247.429,76 €) und erneuerte diese Erklärung entsprechend noch einmal nach dem 31. Dezember 2008.

Am 18. November 2009 beschloss der Kläger die Auflösung der GmbH. Sie wurde am 12. Januar 2011 im Handelsregister gelöscht. In ihrer Liquidationseröffnungsbilanz wies die GmbH auf der Aktivseite lediglich Vermögen im Wert von unter 2.000 € aus. Dem standen Verbindlichkeiten von 422.345,83 € gegenüber, davon gegenüber dem Kläger 395.876,23 €.

In ihrer Einkommensteuererklärung für 2009 machten die Kläger einen Verlust aus der Auflösung der GmbH von 400.500,79 € geltend (Stammkapital 25.564,59 € ./. Darlehen 426.065,38 €), den der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—), zunächst mangels Nachweises unberücksichtigt ließ (Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 7. September 2011 unter Vorbehalt der Nachprüfung). Im Einspruchsverfahren änderte das FA den Einkommensteuerbescheid für 2009 und berücksichtigte nun die nach dem 30. November 2000 vom Kläger hingegebenen Darlehen als nachträgliche Anschaffungskosten der Beteiligung. Den darüber hinaus geltend gemachten Darlehensausfall berücksichtigte das FA nicht und wies den Einspruch zurück.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt, der Auflösungsverlust sei 2009 entstanden. Zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger nicht mehr mit Rückzahlungen von der GmbH rechnen können. Ein Finanzplandarlehen sei nicht gewährt worden. Das Darlehen sei von beiden Seiten kündbar gewesen. Deswegen liege auch kein krisenbestimmtes Darlehen vor. Vor dem 1. Januar 2000 habe sich die GmbH auch nicht in der Krise befunden. Davon sei der Senat aufgrund der Gesamtwürdigung der Umstände überzeugt. Der vorübergehende Verlust von mehr als der Hälfte des Stammkapitals sei nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nur ein Indiz für die Krise. Im Streitfall sprächen andere gewichtige Indizien gegen die Krise, wobei in Fällen der Betriebsaufspaltung für die Frage der Krise eine Gesamtbeurteilung von Besitz– und Betriebsunternehmen vorzunehmen sei (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 14. Oktober 2009 X R 45/06, BFHE 227, 50 , BStBl II 2010, 274 ). So habe die GmbH bis zur Aufgabe des Betriebs (Herstellung und Handel mit X) Ende 1998 jedes Jahr hohe Erlöse und in allen Jahren mit Ausnahme des Jahrs 1995 ein positives Gesamtergebnis erzielt. Daraus ergebe sich eine positive Fortführungsprognose. Ansonsten hätte ein Dritter das Geschäft nicht für 700.000 DM erworben. Bei den vor dem 1. Januar 2000 gewährten Darlehen handele es sich deshalb um Darlehen, die beim Eintritt der Krise mit dem gemeinen Wert zu bewerten seien, den das FA zutreffend mit 0 € angenommen habe. Die nachträglich geltend gemachten weiteren Aufwendungen seien nicht nachgewiesen. Es sei auch nicht ersichtlich, weshalb der Kläger sie übernommen habe.

Mit der Revision erheben die Kläger die Sachrüge (Verletzung von § 17 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes —EStG—).

Die Kläger beantragen,

das angefochtene Urteil aufzuheben, den Verlust aus Gewerbebetrieb um 167.979 € höher anzusetzen und den angefochtenen Einkommensteuerbescheid in Gestalt der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung entsprechend zu ändern.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).

1. Der Senat geht davon aus, dass im Revisionsverfahren nur noch streitig ist, ob die vor dem 30. November 2000 gewährten Darlehen eigenkapitalersetzend waren.

2. a) Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört auch der Gewinn oder Verlust aus der Auflösung einer Kapitalgesell-schaft, wenn der Gesellschafter innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft zu mindestens 1 % beteiligt war (§ 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG ). Der Gewinn oder Verlust ist stichtagsbezogen auf den Zeitpunkt zu ermitteln, in dem er entstanden ist. Ein Verlust aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft ist entstanden, wenn der gemeine Wert des dem Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens einerseits (§ 17 Abs. 4 Satz 2 EStG ) und die Liquidations– und Anschaffungskosten des Gesellschafters andererseits (§ 17 Abs. 2 Satz 1 EStG ) feststehen.

b) Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass dem Kläger aus der Auflösung der GmbH ein nach § 17 EStG steuerbarer Verlust entstanden ist, der im Jahr 2009 berücksichtigt wird.

3. Auflösungsgewinn i.S. des § 17 Abs. 1 , 2 und 4 EStG ist der Betrag, um den der gemeine Wert des dem Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens der Kapitalgesellschaft die im Zusammenhang mit der Auflösung der Gesellschaft vom Steuerpflichtigen persönlich getragenen Kosten sowie seine Anschaffungskosten übersteigt. Auflösungsverlust ist der Betrag, um den die vom Gesellschafter getragenen Anschaffungs- und Auflösungskosten den gemeinen Wert des dem Gesellschafter zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens übersteigen.

a) Zwar ist mit der Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH–Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 2008 (BGBl I 2008, 2026 ) die gesetzliche Grundlage für die bisherige Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Aufwendungen des Gesellschafters aus eigenkapitalersetzenden Finanzierungshilfen entfallen. Der Senat hat insofern neue Grundsätze formuliert (vgl. Senatsurteil vom 11. Juli 2017 IX R 36/15, Deutsches Steuerrecht 2017, 2098 ). Aus Gründen des Vertrauensschutzes wendet der Senat jedoch die bislang geltenden Grundsätze weiter an, wenn der Gesellschafter (nach seinem Vortrag) eine eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfe bis zum 27. September 2017 geleistet hat oder wenn eine Finanzierungshilfe des Gesellschafters (nach seinem Vortrag) bis zu diesem Tag eigenkapitalersetzend geworden ist. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

b) Zu den nachträglichen Anschaffungskosten gehören nach den unter Geltung des Eigenkapitalersatzrechts entwickelten Grundsätzen u.a. auch Aufwendungen des Gesellschafters, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst und weder Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen noch Veräußerungs- oder Auflösungskosten sind.

aa) Zu in diesem Sinne funktionellem Eigenkapital werden Finanzierungshilfen oder Finanzierungsmaßnahmen, wenn der Gesellschafter der Gesellschaft in der Krise der Gesellschaft ein Darlehen gewährt und dieses eigenkapitalersetzenden Charakter hat. Davon ist auszugehen, wenn die Gesellschaft im Zeitpunkt der Gewährung des Darlehens entweder insolvenzreif ist oder, sofern Insolvenzreife noch nicht eingetreten ist, wenn die Rückzahlung des Darlehens angesichts der finanziellen Situation der Gesellschaft in einem Maße gefährdet erscheint, dass ein ordentlicher Kaufmann das Risiko der Kreditgewährung nicht mehr eingegangen wäre, d.h., wenn die Gesellschaft unter den bestehenden Verhältnissen von einem Dritten einen Kredit zu marktüblichen Bedingungen nicht mehr erhalten hätte. Fällt der Gesellschafter bei Auflösung der Gesellschaft mit einem in der Krise gewährten Darlehen aus, führt das zu nachträglichen Anschaffungskosten auf die Beteiligung in Höhe des Nennwerts des Darlehens.

bb) Ob und zu welchem Zeitpunkt die Krise eingetreten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und ist im Wesentlichen Tatfrage. Die revisionsrechtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob das FG im Rahmen der Gesamtwürdigung von zutreffenden Kriterien ausgegangen ist, alle maßgeblichen Beweisanzeichen in seine Beurteilung einbezogen und dabei nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat. Fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Folgerungen in der tatrichterlichen Entscheidung oder fehlt die nachvollziehbare Ableitung dieser Folgerungen aus den festgestellten Tatsachen und Umständen, so liegt darin ein Fehler der Rechtsanwendung, der ohne besondere Rüge vom Revisionsgericht beanstandet werden kann (ausführlich z.B. BFH-Urteile vom 2. Dezember 2004 III R 49/03, BFHE 208, 531 , BStBl II 2005, 483 ; vom 20. Juni 2012 X R 20/11, BFH/NV 2012, 1778 ).

4. Die Würdigung des FG, wonach sich die GmbH bis zur Aufgabe des Betriebs (Herstellung und Handel mit X) und vor der Rangrücktrittserklärung des Gesellschafters nicht in der Krise befunden habe, hält rechtlicher Nachprüfung stand. Sie berücksichtigt sämtliche im Streitfall festgestellten Umstände und ist im Ergebnis zumindest möglich. Daran ist der BFH gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO ).

a) Zwar ist nach der Rechtsprechung der Verlust von mehr als der Hälfte des Stammkapitals insbesondere dann, wenn das Anlagevermögen nicht über erhebliche stille Reserven verfügt, ein Indiz dafür, dass die Gesellschaft nicht mehr kreditwürdig ist (vgl. BFH-Urteil vom 13. Juli 1999 VIII R 31/98, BFHE 189, 390 , BStBl II 1999, 724 ). Damit ist die Annahme der Krise jedoch nicht zwingend vorgegeben. Insbesondere ist diese Rechtsprechung nicht zu Fällen einer Betriebsaufspaltung ergangen, die typischerweise dadurch gekennzeichnet sind, dass das Betriebsunternehmen infolge der Aufspaltung nicht über das notwendige Anlagevermögen verfügt und deshalb von vornherein mangels Sicherheiten nur eingeschränkt kreditwürdig wäre. Im Übrigen kann jedes Indiz im Einzelfall durch andere Umstände entkräftet werden.

b) Insofern hat das FG zu Recht berücksichtigt, dass der Verlust des Stammkapitals nur vorübergehend war. Außerdem hat das FG die gleichbleibend hohen Umsatzerlöse der GmbH und die stets (bis auf eine Ausnahme) positiven Jahresergebnisse dahin gewürdigt, dass jedenfalls eine positive Fortführungsprognose bestand. Dabei hat es auch die tatsächliche Entwicklung berücksichtigt, und dass der Kläger das Unternehmen, bestehend aus Besitz– und Betriebsunternehmen, im Jahr 1998 mit Gewinn veräußern konnte.

c) Die darin zum Ausdruck kommende und vom FG auch ausdrücklich bejahte Einheitsbetrachtung von Besitz- und Betriebsunternehmen begegnet, entgegen der Ansicht der Kläger, ebenfalls keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Ergibt sich die buchmäßige Überschuldung der Betriebskapitalgesellschaft vor allem aus der Aufspaltung des Betriebs in zwei rechtlich selbständige Unternehmen, so ist es nicht zu beanstanden, wenn eine Krise des Betriebsunternehmens verneint wird, solange das Besitzunternehmen noch kreditwürdig ist und seinen Kredit vereinbarungsgemäß und nach Bedarf dem Betriebsunternehmen zur Verfügung stellt. So liegt nach den tatsächlichen Feststellungen des FG der Streitfall. Ohne das zum Betrieb (Herstellung und Handel mit X) erforderliche Anlagevermögen, das dem Besitzunternehmen zugeordnet war, verfügte die GmbH von Anfang an über keine eigenen Sicherheiten und war nach dem Verlust von mehr als der Hälfte des Stammkapitals —für sich betrachtet— kaum noch kreditwürdig. Hingegen konnte das Einzelunternehmen den zum Betrieb der GmbH erforderlichen Kreditbedarf bis zum Schluss gewährleisten und hat dies auch getan. Bei dieser Sachlage ist es nicht zu beanstanden, wenn das FG eine Krise der GmbH trotz buchmäßiger Überschuldung verneint hat.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: FG Köln, vom 26.03.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 10 K 1107/13