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BFH - Entscheidung vom 19.08.2015

V B 26/15

Normen:
§ 96 Abs 1 S 2 FGO
§ 105 Abs 2 FGO
§ 107 Abs 1 FGO
§ 128 Abs 1 FGO
§ 132 FGO
§ 135 Abs 2 FGO
§ 143 Abs 1 FGO
§ 15a Abs 1 S 1 UStG 2005
UStG VZ 2007
FGO § 107 Abs. 1

Fundstellen:
AO-StB 2015, 318
BFH/NV 2015, 1599

BFH, Beschluss vom 19.08.2015 - Aktenzeichen V B 26/15

DRsp Nr. 2015/16859

Zulässigkeit der Berichtigung eines finanzgerichtlichen Urteils

1. NV: Eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 107 FGO liegt nur vor, wenn es sich um ein Versehen handelt, durch das es, wie bei einem Schreibfehler oder Rechenfehler, dazu kommt, dass das wirklich Gewollte nicht zum Ausdruck gelangt. 2. NV: Steht die Urteilsformel im erkennbaren Widerspruch zum Erklärungswillen des FG, ist der Tenor zu berichtigen.

Die Berichtigung eines Urteils darf nur dazu dienen, das vom Gericht erkennbar Gewollte zu verwirklichen, nicht aber, die gewollte Entscheidung inhaltlich zu korrigieren. Die Berichtigung ist insbesondere dann zulässig, wenn die Urteilsformel im Widerspruch zu den Entscheidungsgründen steht (hier: bejaht).

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Thüringer Finanzgerichts vom 20. Februar 2015 3 K 1025/11 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Normenkette:

FGO § 107 Abs. 1 ;

Gründe

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Urteil des Finanzgerichts (FG) nach § 107 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) berichtigt werden durfte.

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) reichte im Jahr 2009 eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung für das Streitjahr 2007 beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) ein, aus der sich eine Steuer von 0 € ergab. Abweichend davon setzte das FA im geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2007 vom 26. Oktober 2009 Umsatzsteuer in Höhe von 1.486,92 € fest. Dieser Festsetzung lagen —geschätzte— (Honorar–)Umsätze von 6.768 € (Umsatzsteuer 1.285,92 €) und ein Vorsteuerberichtigungsbetrag nach § 15a des Umsatzsteuergesetzes ( UStG ) von 201 € zu Grunde. In der Einspruchsentscheidung vom 15. November 2011 erhöhte das FA den Vorsteuerberichtigungsbetrag auf 403 €.

Mit der dagegen erhobenen Klage beantragte der Kläger u.a. "[den] Umsatzsteuerbescheid vom 26.10.2009 für [das] Jahr 2007 [...] in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.11.2011 aufzuheben." Im Klageschriftsatz —vom 9. Januar 2011, Seite 2— führte er u.a. aus, es sei unstreitig, dass er u.a. im Streitjahr unternehmerisch tätig gewesen sei und er (Honorar–)Umsätze getätigt habe, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Im Weiteren wendete er sich ausschließlich gegen die Vorsteuerberichtigung.

Das FG gab der Klage —ausweislich der Urteilsformel im Urteil vom 12. Februar 2014— in vollem Umfang statt und tenorierte entsprechend des klägerischen Antrags: "[Der] Umsatzsteuerbescheid vom 26.10.2009 für [das] Jahr 2007 [...] in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.11.2011 [wird] aufgehoben." In den Entscheidungsgründen setzte sich das FG ausschließlich mit der Möglichkeit einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG auseinander. Zu der —nicht streitigen— Hinzuschätzung der nicht erklärten Honorarumsätze verhält sich das Urteil nicht.

Auf einen entsprechenden Antrag des FA vom 6. August 2014 berichtigte das FG den Tenor seines Urteils mit Beschluss vom 20. Februar 2015 wie folgt: "Der Umsatzsteuerbescheid vom 26.10.2009 für das Jahr 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.11.2011 wird dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuer auf 1.285,92 € festgesetzt wird." Zur Begründung führte es insbesondere aus, ihm sei eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 107 Abs. 1 FGO unterlaufen, indem es den Umsatzsteuerbescheid für 2007 insgesamt aufgehoben habe, obwohl weder die Unternehmereigenschaft des Klägers noch die Steuerpflichtigkeit der (Honorar–)Umsätze von 6.768 € —sondern ausschließlich die Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG— in Streit standen. Über die Honorarumsätze, die weder Gegenstand der Schriftsätze noch der mündlichen Verhandlung gewesen seien, habe es nicht entscheiden wollen.

Hiergegen richtet sich die —vom FG nicht abgeholfene— fristgerecht eingelegte Beschwerde des Klägers. Er macht geltend, der ursprüngliche Tenor —Aufhebung der Umsatzsteuerfestsetzung für 2007— habe seinem Antrag entsprochen, mit dem er —entsprechend der abgegebenen Umsatzsteuer-Jahreserklärung— eine Umsatzsteuerfestsetzung von 0 € begehrte. Das FG habe von Amts wegen, ohne dass dies einer Begründung in den Klageschriftsätzen bedurft hätte, erkennen müssen, dass die getätigten Honorarumsätze umsatzsteuerfrei seien. Durch die ursprüngliche Tenorierung sei die Steuerfestsetzung, die sich aus der abgegebenen nicht zustimmungsbedürftigen Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2007 über 0 € ergab, richtigerweise wieder hergestellt worden. Infolgedessen komme eine Tenorberichtigung wegen einer vermeintlich offenbaren Unrichtigkeit nicht in Betracht.

Der Kläger beantragt,

den Berichtigungsbeschluss vom 20. Februar 2015 aufzuheben.

Das FA beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Es schließt sich den Ausführungen des FG an.

II. Die nach § 128 Abs. 1 FGO zulässige Beschwerde ist unbegründet und daher durch Beschluss zurückzuweisen (§ 132 FGO ).

Das FG hat die Urteilsformel des Klageverfahrens 3 K 1025/11 wegen einer ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit zu Recht berichtigt.

1. Nach § 107 Abs. 1 FGO sind Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil jederzeit zu berichtigen. Die zu berichtigende Unrichtigkeit kann alle Bestandteile des Urteils i.S. des § 105 Abs. 2 FGO betreffen, so auch —wie im Streitfall— die Urteilsformel (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 15. Mai 2006 VII B 70/06, BFH/NV 2006, 1678 , Rz 7, und vom 9. Juli 1997 V B 6/97, BFH/NV 1998, 46 , Rz 8, m.w.N.).

Die Berichtigung darf nur dazu dienen, das vom Gericht erkennbar Gewollte zu verwirklichen, nicht aber, die gewollte Entscheidung inhaltlich zu korrigieren. Eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit i.S. von § 107 Abs. 1 FGO ist nur dann gegeben, wenn es sich um ein "mechanisches" Versehen handelt, aufgrund dessen —wie bei einem Schreib– oder Rechenfehler–– das wirklich Gewollte nicht zum Ausdruck gelangt. Bereits die Möglichkeit eines Rechtsirrtums, Denkfehlers oder unvollständiger Sachverhaltsermittlung schließt die Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit aus (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 31. August 2012 IX B 86/12, BFH/NV 2012, 1994 , Rz 3, m.w.N., und vom 28. November 2011 III B 96/09, BFH/NV 2012, 742 , Rz 6, m.w.N.). Solche Unrichtigkeiten eines finanzgerichtlichen Urteils können nicht durch Beschwerde, sondern nur durch Revision gegen das Urteil geltend gemacht werden.

2. Nach diesen Maßstäben hat das FG die Urteilsformel zu Recht berichtigt.

a) Im Streitfall steht die Urteilsformel im Widerspruch zu den Entscheidungsgründen. Die Entscheidungsgründe enthalten ausschließlich Erwägungen zur Vorsteuerberichtigung und stimmen insoweit mit dem Sachvortrag des Klägers in dessen Schriftsätzen überein. Darüber hinaus geht das FG im unstreitigen Tatbestand —wie auch im Klageschriftsatz vorgetragen— davon aus, dass der Kläger u.a. im Streitjahr umsatzsteuerpflichtige Umsätze getätigt habe und führt insoweit aus: "Der Kläger erzielt u.a. in den Jahren 2002, 2006 und 2007 aus der Tätigkeit als Maler sowie als Honorardozent umsatzsteuerpflichtige Einkünfte aus selbständiger Arbeit." Tatbestand und Entscheidungsgründe bringen hinreichend zum Ausdruck, dass für das Streitjahr Umsatzsteuer festgesetzt werden sollte. Die Urteilsformel weicht hiervon ab und steht damit erkennbar im Widerspruch zum Erklärungswillen des FG. Die von ihm vorgenommene Berichtigung führt zu einer Übereinstimmung des erkennbar gewollten Tenors mit den abgefassten Urteilsgründen.

b) Ob die unrichtige Urteilsformel darauf zurückzuführen ist, dass der Kläger im Wege der objektiven Klagehäufung —neben der Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr— auch die Umsatzsteuerfestsetzungen für 2003 bis 2006 mit dem Antrag, diese insgesamt aufzuheben, angegriffen hat und das FG diesen Anträgen umfassend nachgekommen ist, bedarf indes keiner Aufklärung.

3. Das Klagebegehren —das im Streitfall nicht mit dem Antrag des Klägers übereingestimmt hat— ist allein auf Beseitigung der Vorsteuerberichtigung gerichtet gewesen. Deshalb hat das FG die Klage im Berichtigungsbeschluss zu Recht nicht teilweise ("im Übrigen") abgewiesen und auch die Kostengrundentscheidung unverändert gelassen.

a) Nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Wie sich der Vorschrift entnehmen lässt, ist zwischen Klagebegehren und Klageantrag zu unterscheiden. Das Gericht hat das wirkliche Klagebegehren anhand des gesamten Beteiligtenvorbringens einschließlich des Klageantrags zu ermitteln (BFH-Urteil vom 4. September 2008 IV R 1/07, BFHE 222, 220 , BStBl II 2009, 335 , unter II.3.a), denn maßgebend ist das materielle Ziel der Klage und nicht dessen Formalisierung durch einen Antrag (BFH-Beschluss vom 7. November 2007 I B 104/07, BFH/NV 2008, 799 , unter II.1.a). Das Gericht verstößt gegen § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO , wenn es die wörtliche Fassung des Klageantrags als maßgeblich ansieht, obwohl diese dem erkennbaren Klageziel nicht entspricht (BFH-Beschluss vom 8. Juni 2006 IX B 30/06, BFH/NV 2006, 1689 ).

b) Danach hat das FG die Klage im Berichtigungsbeschluss zu Recht nicht teilweise abgewiesen. Das Klagebegehren war auf eine betragsmäßige Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für 2007 gerichtet. Zwar trifft es zu, dass der Kläger —ausdrücklich— die Aufhebung des Umsatzsteuerbescheids für 2007 beantragt hat. Darauf kommt es jedoch dann nicht an, wenn die Klagebegründung —wie im Streitfall— dazu im Widerspruch steht und der erkennbare Wille des Klägers —hier: ausschließlich Einwand gegen die Vorsteuerberichtigung— aus dieser Begründung hervorgeht. Das FG konnte und musste daher —auch noch im Berichtigungsverfahren— die gewollte Prozesserklärung und das wahre Klagebegehren durch Auslegung unter Berücksichtigung des Inhalts der Schriftsätze ermitteln. Die Ausführungen des Klägers im Einspruchs– und Klageverfahren richteten sich ausschließlich gegen die Vorsteuerberichtigung. Unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags im Streitjahr steuerpflichtige Umsätze getätigt zu haben, können seine Ausführungen nur dahingehend verstanden werden, dass er eine Änderung —nicht aber die Aufhebung— der Umsatzsteuerfestsetzung begehrt hat. Andernfalls hätte das FG die Klage kostenpflichtig "im Übrigen abweisen" müssen.

Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass das FA Aussetzung der Vollziehung für die gesamte Umsatzsteuerfestsetzung für 2007 gewährt haben soll. Zur Bestimmung des Klagebegehrens sind insbesondere der angefochtene Verwaltungsakt, der Antrag sowie der gesamte Inhalt der Klageschriftsätze heranzuziehen (Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung , 7. Aufl., § 96 Rz 5), nicht hingegen Handlungen des FA in anderen Verfahren.

c) Nachdem die Klage —aufgrund der Auslegung der Prozesserklärung— nicht teilweise abzuweisen war, bedurfte es auch keiner Berichtigung der Kostengrundentscheidung.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 2 FGO . Anders als für das zur jeweiligen Instanz gehörende Berichtigungsverfahren selbst besteht für das Beschwerdeverfahren keine Kostenfreiheit (z.B. BFH-Beschluss vom 11. Mai 2010 IX B 209/09, BFH/NV 2010, 1478 , Rz 6, m.w.N.).

Vorinstanz: FG Thüringen, vom 20.02.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 3 K 1025/11
Fundstellen
AO-StB 2015, 318
BFH/NV 2015, 1599