Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BFH - Entscheidung vom 20.05.2015

XI R 2/13

Normen:
FGO § 118 Abs. 2
UStG § 1a Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 5a, § 3 Abs. 6, § 3c
MwStSystRL Art. 32, 33, 34
FGO § 118 Abs. 2
UStG § 1a Abs. 1 Nr. 2
UStG § 3 Abs. 5a
UStG § 3 Abs. 6
UStG § 3c
MwStSystRL Art. 32
MwStSystRL Art. 33
MwStSystRL Art. 34

Fundstellen:
BFHE 250, 546
BStBl II 2018, 605

BFH, Urteil vom 20.05.2015 - Aktenzeichen XI R 2/13

DRsp Nr. 2015/18992

Steuerpflicht der Erlöse aus dem Versand von Arzneimitteln durch eine im EU-Ausland ansässige Versandapotheke

Führt eine in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässige Apotheke Arzneimittellieferungen an in Deutschland wohnhafte Privatpersonen aus, können diese Lieferungen nach der sog. Versandhandelsregelung in Deutschland selbst dann steuerbar und steuerpflichtig sein, wenn die Abnehmer eine formularmäßige Vollmacht zur Beauftragung eines Kurierdienstes zum Transport der bestellten Medikamente in ihrem Namen und für ihre Rechnung erteilt haben.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 23. November 2012 1 K 1808/09 U wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Normenkette:

FGO § 118 Abs. 2 ; UStG § 1a Abs. 1 Nr. 2 , § 3 Abs. 5a , § 3 Abs. 6 , § 3c; MwStSystRL Art. 32, 33, 34;

Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine niederländische Kapitalgesellschaft, die zum 1. April 2008 eine Apothekenzulassung nach niederländischem Recht erhielt. Ihr damaliger Geschäftsführer war Herr A. Alleinige Gesellschafterin der Klägerin war die in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) ansässige B GmbH (B) mit A als Geschäftsführer. Ab April 2008 verkaufte die Klägerin in Deutschland an private Kunden Medikamente in Zusammenarbeit mit fünf in Deutschland ansässigen Apotheken.

Vor dem Erwerb der Medikamente füllten die Kunden in der jeweiligen deutschen Apotheke einen an die Klägerin gerichteten Bestellschein aus. Dieser hatte auf der ersten Seite folgenden Text:  "Mir ist bekannt, dass ein Kaufvertrag erst zustande kommt, wenn die X (Anm.: die Klägerin) die Annahme der Bestellung binnen 2 Werktagen ab Abgabe der Bestellung bestätigt oder die bestellte Ware innerhalb der vorgenannten Frist zur Abholung bereitstellt.   0 Ich hole die Medikamente nach der Bereitstellung durch die X selbst in den Geschäftsräumen der X ab.  oder  0 Hiermit bevollmächtige ich die X unwiderruflich, in meinem Namen und auf meine Rechnung einen Kurierdienst mit dem Transport der oben bestellten Medikamente von der X zur C Apotheke zum Preis von 0,50 € pro Bestellung zu beauftragen."  Auf der Rückseite des Bestellscheins befinden sich allgemeine Geschäftsbedingungen, u.a.:  "§ 7 Erfüllungsort und Gefahrübergang  Erfüllungsort ist der Geschäftssitz des Veräußerers (Holschuld). Die Gefahr eines zufälligen Untergangs oder einer zufälligen Verschlechterung der Ware geht auf den Käufer über, sobald die X dem Käufer mitgeteilt hat, dass die Ware ausgesondert und zur Abholung bereit steht.  ...  § 9 Lieferung und Verzug  Gegenstand des Vertrags ist ausdrücklich nicht auch die Lieferung der vom Käufer bestellten Medikamente. Der Verkäufer stellt diese Medikamente vielmehr in seinen Geschäftsräumen zur Abholung für den Käufer bereit und informiert den Käufer darüber. Der Käufer hat aber die Möglichkeit, der X eine Vollmacht zu erteilen, dass diese im Namen und auf Rechnung des Käufers einen Kurierdienst mit dem Versand der Medikamente beauftragt. In dem Fall erfolgt die Lieferung nicht unmittelbar an den Kunden, sondern an die den Kaufvertrag vermittelnde deutsche Apotheke.   ...  § 11 Vermittlung eines Transportunternehmers  In den Fällen des § 5 Abs. 2 dieser Bedingungen wird die X die bestellte Ware im Namen und für Rechnung des Käufers an einen Transportunternehmer übergeben, der die Ware zu der den Kaufvertrag vermittelnden deutschen Apotheke befördert.  Der Käufer entrichtet ... für den Warentransport einen Gesamtbetrag von 0,50 €. Für die Vermittlung der Transportleistung erhält die X eine Bruttoprovision in Höhe des positiven Unterschiedsbetrages zwischen dem vom Käufer zu zahlenden Betrag von 0,50 € und den tatsächlichen Bruttotransportkosten. Die tatsächlichen Bruttotransportkosten wird die X nach Weiterleitung des Betrags durch die den Kaufvertrag vermittelnde deutsche Apotheke im Namen und für Rechnung des Käufers an den Transportunternehmer weiterleiten." 

In aller Regel wählte der jeweilige Kunde per "Ankreuzen" den Transport durch den Kurierdienst und unterschrieb den Bestellschein. In der deutschen Apotheke wurden das Rezept und der Bestellschein "eingescannt" und per Computer "online" an die Klägerin übermittelt. Dem Kunden wurde von der Apotheke ein Abholschein ausgehändigt, der auch dort wieder eingelöst werden sollte.

Anschließend bestellte die Klägerin die Medikamente bei einem deutschen Medikamentengroßhändler, der diese an das Lager am Sitz der Klägerin in den Niederlanden auslieferte, sofern die Medikamente dort nicht vorrätig waren. Ein Mitarbeiter der Klägerin verpackte und adressierte die Medikamente für die einzelnen Kunden. Einmal täglich holte ein Mitarbeiter der B die Medikamente in den Geschäftsräumen der Klägerin ab und transportierte sie nach dem in Deutschland gelegenen Z. In Z wurden die Medikamente an die N übergeben und durch diese an den Bestimmungsort zur jeweiligen deutschen Apotheke weiterbefördert. Dort wurden die Medikamente ausgegeben und von den Kunden bezahlt, soweit die entsprechenden Kosten nicht von den deutschen gesetzlichen Krankenversicherungen (GKVen) übernommen wurden. Die deutsche Apotheke überwies monatlich die erhaltenen Geldbeträge und die Transportkosten an die Klägerin. Die Klägerin machte bei den gesetzlich versicherten Kunden die Verkaufspreise für die Medikamente abzüglich der Zuzahlungen der Kunden über eine in Deutschland ansässige Apothekenverrechnungsstelle bei den deutschen GKVen geltend.

Die Klägerin stellte beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) im Dezember 2007 einen Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft hinsichtlich der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung ihres Geschäftsmodells. Sie war der Auffassung, die sog. Versandhandelsregelung in § 3c des Umsatzsteuergesetzes ( UStG ), wonach der Ort der Lieferung dort liegt, wo eine Beförderung oder Versendung endet, sei nicht anwendbar, da der jeweilige Kunde die Versendung der Arzneimittel in Auftrag gebe, so dass der Ort der Lieferung nach § 3 Abs. 6 UStG in den Niederlanden sei. Die Erteilung der verbindlichen Auskunft wurde mit Bescheid vom 23. Januar 2008 abgelehnt.

Im März 2008 teilte die Klägerin der niederländischen Finanzverwaltung mit, sie wolle für ihre Arzneimittellieferungen nach Deutschland trotz Überschreitens der sog. Lieferschwelle von 100.000 € die (niederländische) Versandhandelsregelung in Anspruch nehmen. Dies genehmigte die niederländische Finanzverwaltung im Mai 2008. Daraufhin erklärte die Klägerin die vorliegend streitigen Umsätze von Beginn an als in den Niederlanden nicht steuerbare Versandhandelsumsätze.

Auch gegenüber dem FA erklärte die Klägerin die an ihre Kunden in Deutschland ausgeführten Lieferungen als nicht steuerbar. Das FA beurteilte diese Umsätze hingegen gemäß § 3c UStG als steuerbar und erließ entsprechende Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für Mai bis Dezember 2008 sowie am 9. März 2009 einen Bescheid über die Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung für 2009. Die Umsätze des Voranmeldungszeitraums April 2008 ließ das FA in voller Höhe und die des Monats Mai 2008 in Höhe von ... € brutto wegen Unterschreitens der Lieferschwelle von 100.000 € außer Ansatz.

Die gegen die Bescheide eingelegten Einsprüche wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 30. April 2009 als unbegründet zurück.

Am 28. Mai 2010 erließ das FA einen Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2008, in dem es auf der Grundlage von § 162 der Abgabenordnung ( AO ) im Wege der Schätzung die Umsatzsteuer auf ... € festsetzte. Dieser Bescheid wurde nach § 68 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) zum Gegenstand des Verfahrens.

Am 13. August 2010 reichte die Klägerin eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2008 beim FA ein, in der sie nicht steuerbare Umsätze in Höhe von ... € erklärte. Diese Steuererklärung wurde vom FA nicht bearbeitet. Laut zuletzt erteilter Auskunft des FA mit Schreiben vom 17. März 2015 blieb es vielmehr bei der Umsatzsteuerfestsetzung für 2008 in Höhe von ... €; die festgesetzte Steuer ist inzwischen auch bezahlt.

Am 26. März 2012 erließ das FA einen Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2009, in dem es ausgehend von steuerbaren und steuerpflichtigen Umsätzen in Höhe von ... € die Umsatzsteuer auf ... € festsetzte.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Soweit die Klägerin den Bescheid über die Sondervorauszahlung für 2009 angegriffen habe, sei die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Die Klage sei aber sowohl betreffend die Umsatzsteuerfestsetzung für 2008 als auch hinsichtlich der Sondervorauszahlung für 2009 im Ergebnis unbegründet. Denn die streitbefangenen Umsätze seien überwiegend nach Maßgabe der Lieferortbestimmung in § 3c UStG in Deutschland steuerbar und mangels Steuerbefreiung steuerpflichtig; im Übrigen seien Saldierungen vorzunehmen.

Zur Begründung der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts und trägt im Wesentlichen vor:

Das FG habe § 3c Abs. 1 UStG unrichtig ausgelegt. Entgegen seiner Auffassung sei nach den im Streitfall getroffenen zivilrechtlichen Vereinbarungen von sog. Abholfällen auszugehen. Die Klägerin sei im Namen und auf Rechnung der Abnehmer zur Durchführung der Medikamententransporte ermächtigt worden. Nach der zivilrechtlichen Gestaltung hätten die Abnehmer die Transporte veranlasst. Eine Anwendung der Versandhandelsregelung sei daher nicht möglich.

Das FG habe eine unzutreffende und unzulässige weite Auslegung von § 3c Abs. 1 UStG unter Bezugnahme u.a. auf Art. 33 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) vorgenommen. Es habe das gefundene "formaljuristische Ergebnis" für Zwecke der Umsatzsteuer korrigiert und im Rahmen der Gesamtschau auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise abgestellt. Danach sei ein indirektes Versenden durch den Lieferer z.B. durch Organisieren des Transports ebenfalls vom Sinn und Zweck der Versandhandelsregelung erfasst. Abzustellen sei dabei auf die "wirtschaftliche Einheit", die namentlich "etwa Schwestergesellschaften, Muttergesellschaften und Gesellschafter" einbeziehe.

Zwar stehe der Wortlaut des § 3c Abs. 1 UStG einer Auslegung dahingehend, dass eine Versendung durch den Lieferer "direkt oder indirekt" erfolgen könne, nicht entgegen. Es seien aber noch andere anerkannte Auslegungsmethoden heranzuziehen.

Aus der Entstehungsgeschichte der Norm ergebe sich, dass Deutschland seinerzeit massiv auf eine Ursprungslandbesteuerung gedrängt habe. Daher sei anzunehmen, dass die Anwendung der —eine Besteuerung im Bestimmungsland vorsehende— Versandhandelsregelung "restriktiv" erfolgen solle. Ein "indirektes" Versenden könne daher nicht in den Anwendungsbereich von § 3c UStG fallen. Maßgebliches Kriterium für die Anwendung der Versandhandelsregelung sei, dass der Lieferer aus dem Transportauftrag berechtigt und verpflichtet werde; auf die tatsächliche Kostentragung (in Anspielung auf die unionsrechtliche Formulierung "auf dessen Rechnung") komme es hingegen nicht an. Im Übrigen unterscheide sich der deutsche Gesetzestext deutlich von der niederländischen Formulierung, in der die Worte "direct or indirect" in die niederländische Versandhandelsregelung aufgenommen worden sei (Art. 5a van de Wet op de omzetbelasting).

Auch eine unionsrechtskonforme Auslegung führe nicht zu einer Anwendung der Versandhandelsregelung im konkreten Fall. Denn das Unionsrecht enthalte insoweit keine verbindlichen Vorgaben. Das FG habe die fehlende Erwähnung der Formulierungen in der Richtlinie auf dieselbe —fehlerhafte— Art und Weise auszugleichen versucht, wie zuvor schon ein österreichisches Gericht (Entscheidungen des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs —VwGH— vom 2. März 2006 2003/15/0014, und vom 22. April 2009 2008/15/0181 "Pflanzenschutzmittel – PSM").

Beide versuchten, die Intention des Richtliniengebers unter Rückgriff auf die Protokollerklärung des Rates der Wirtschafts- und Finanzminister (ECOFIN-Rat) vom 16. Dezember 1991 zur Binnenmarkt-Richtlinie zu ergründen bzw. hiermit ihre Auffassung zu belegen. Diese Protokollerklärung entfalte aber keine Bindungswirkung, weil sie im Unionsrecht letztlich keinen Ausdruck gefunden habe.

Entgegen der Auffassung des FG könnten die vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in der zum Verbrauchsteuerrecht ergangenen Entscheidung EMU Tabac aufgestellten Rechtsgrundsätze (EuGH-Urteil EMU Tabac vom 2. April 1998 C–296/95, EU:C:1998:152, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 1998, 599 ) nicht auf die Versandhandelsregelung übertragen werden. Denn abweichend von Art. 33 MwStSystRL enthalte die einschlägige Regelung in Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 76 vom 23. März 1992, S. 1 —Richtlinie 92/12/EWG—) die Wendung "direkt oder indirekt". Ein Rechtsbegriff aus einem anderen Rechtsgebiet könne aber nicht "willkürlich" auf das Umsatzsteuerrecht übertragen werden. Auch der vom FG aus diesem Urteil übernommene Begriff der "wirtschaftlichen Einheit" im Rahmen der indirekten Versendung durch den Lieferer sei daher nicht zur Begründung des Entscheidungsergebnisses geeignet.

Der Zweck der Versandhandelsregelung (Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen) rechtfertige das vom FG gefundene Ergebnis nicht. Auch wenn vorliegend eine Konstellation gewählt worden sei, die die Versandhandelsregelung im Einzelfall faktisch leerlaufen lasse, liege keine missbräuchliche Steuerumgehung vor. Denn die dafür vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen (EuGH-Urteile Halifax u.a. vom 21. Februar 2006 C–255/02, EU:C:2006:121, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2006, 232 ; RBS Deutschland Holding vom 22. Dezember 2010 C–277/09, EU:C:2010:810, UR 2011, 222 ) seien im Streitfall nicht erfüllt. Auch § 42 AO sei deshalb nicht anwendbar.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung sowie die Einspruchsentscheidung vom 30. April 2009 aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid für 2008 vom 28. Mai 2010 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf 0 € festgesetzt wird, sowie festzustellen, dass die Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung für 2009 auf 0 € hätte festgesetzt werden müssen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist es im Wesentlichen auf die Vorentscheidung.

II.

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO ).

Das FG hat zu Recht entschieden, dass die von der Klägerin ausgeführten Arzneimittellieferungen an deutsche Abnehmer im Wesentlichen steuerbar und steuerpflichtig waren. Soweit keine Steuerbarkeit der Umsätze vorlag, war die Abweisung der Klage durch das FG wegen der von ihm vorgenommenen Saldierung rechtmäßig.

1. Im Streitfall hat die Klägerin als Unternehmerin i.S. von § 2 Abs. 1 UStG Arzneimittellieferungen i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG ausgeführt. Darüber besteht zwischen den Beteiligten zu Recht kein Streit.

2. Zutreffend hat das FG angenommen, dass der Ort der Lieferungen an Privatpersonen im Inland liegt.

a) Wird bei einer Lieferung der Gegenstand durch den Lieferer oder einen von ihm beauftragten Dritten aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates oder aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet in die in § 1 Abs. 3 UStG bezeichneten Gebiete befördert oder versendet, so gilt nach § 3c Abs. 1 Satz 1 UStG die Lieferung nach Maßgabe der Absätze 2 bis 5 dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung endet.

Nach § 3c Abs. 2 Nr. 1 UStG ist § 3c Abs. 1 UStG anzuwenden, wenn der Abnehmer nicht zu den in § 1a Abs. 1 Nr. 2 UStG genannten Personen gehört oder die in § 3c Abs. 2 Nr. 2 UStG genannten Voraussetzungen nicht erfüllt.

Dabei sind die in § 1a Abs. 1 Nr. 2 UStG genannten Personen für die Durchführung der Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs entweder Unternehmer, die den Gegenstand für ihr Unternehmen erwerben, oder juristische Personen, die nicht Unternehmer sind oder die den Gegenstand nicht für ihr Unternehmen erwerben.

§ 3c Abs. 3 Satz 1 UStG sieht vor, dass § 3c Abs. 1 UStG nicht anzuwenden ist, wenn bei dem Lieferer der Gesamtbetrag der Entgelte, der den Lieferungen in einem Mitgliedstaat zuzurechnen ist, die maßgebliche Lieferschwelle im laufenden Kalenderjahr nicht überschreitet und im vorangegangenen Kalenderjahr nicht überschritten hat. Maßgebende Lieferschwelle ist gemäß § 3c Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UStG im Fall der Beendigung der Beförderung oder Versendung im Inland oder in den in § 1 Abs. 3 UStG bezeichneten Gebieten der Betrag von 100.000 €.

Wird die maßgebende Lieferschwelle nicht überschritten, gilt die Lieferung nach § 3c Abs. 4 Satz 1 UStG auch dann am Ort der Beendigung der Beförderung oder Versendung als ausgeführt, wenn der Lieferer auf die Anwendung des § 3c Abs. 3 UStG verzichtet hat.

b) Art. 33 MwStSystRL enthält die unionsrechtliche Grundlage für die sog. Versandhandelsregelung: Danach gilt abweichend von Art. 32 MwStSystRL als Ort einer Lieferung von Gegenständen, die durch den Lieferer oder für dessen Rechnung von einem anderen Mitgliedstaat als dem der Beendigung der Versendung oder Beförderung aus versandt oder befördert werden, der Ort, an dem sich die Gegenstände bei Beendigung der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befinden, sofern bestimmte in Art. 33 Abs. 1 Buchst. a und b MwStSystRL genannte Voraussetzungen erfüllt sind. Die unionsrechtlichen Vorgaben zur Lieferschwelle sind in Art. 34 MwStSystRL enthalten. Die Regelung entspricht der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Bestimmung in Art. 28b Teil B der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG ).

Im Protokoll der Tagung des ECOFIN-Rates vom 16. Dezember 1991 ist folgende Protokollerklärung zu Art. 1 Nr. 22 der Änderungs-Richtlinie 91/680/EWG zu Art. 28b Teil B der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehen: "Der Rat und die Kommission erklären, dass die Sonderregelung für Fernverkäufe in allen Fällen zur Anwendung gelangt, in denen die Gegenstände direkt oder indirekt vom Lieferer oder in dessen Auftrag versandt oder befördert werden." (vgl. z.B. Lohse/Peltner, 6. MwSt-Richtlinie und Rechtsprechung des EuGH, 2. Aufl. 1999, Art. 28b 6. USt–RL, S. 5; Erkenntnis des Österreichischen VwGH vom 26. Juli 2007 2005/15/0003, www.ris.bka.gv.at).

c) Im Streitfall sind die Voraussetzungen der Ortsbestimmung in § 3c UStG für die von der Klägerin gegenüber den einzelnen Privatpersonen als Leistungsempfänger und Abnehmer ausgeführten Arzneimittellieferungen erfüllt.

aa) Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass Leistungsempfänger nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) grundsätzlich derjenige ist, der aus dem der Leistung zugrunde liegenden Schuldverhältnis als Auftraggeber berechtigt und verpflichtet wird (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 28. August 2013 XI R 4/11, BFHE 243, 41 , BStBl II 2014, 282 , Rz 34, und vom 28. August 2014 V R 49/13, BFHE 247, 283 , BFH/NV 2015, 128 , Rz 25).

bb) Das FG hat vor diesem Hintergrund in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass bei Bestellungen von privat krankenversicherten Personen Kaufverträge nach § 433 des Bürgerlichen Gesetzbuches ( BGB ) zwischen der Klägerin und den Bestellern zustande gekommen sind, so dass diese auch umsatzsteuerrechtlich Leistungsempfänger wurden (vgl. dazu auch BFH-Beschluss vom 24. Februar 2015 V B 147/14, BFHE 248, 478 , BFH/NV 2015, 768 ). Diese Würdigung ist möglich, verfahrensfehlerfrei zustande gekommen und enthält keinen Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze. Sie bindet daher den Senat (§ 118 Abs. 2 FGO ).

cc) Auch die Ausführungen des FG zur Bestimmung der Leistungsempfänger und Abnehmer i.S. von § 3c UStG bei Bestellungen gesetzlich krankenversicherter Personen begegnen insoweit keinen revisionsrechtlichen Bedenken.

(1) Bei Lieferungen nicht rezeptpflichtiger Arzneimittel an gesetzlich Versicherte wurden nach der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Würdigung des FG gleichfalls Kaufverträge i.S. von § 433 BGB vereinbart. Das FG hat insoweit ebenso zutreffend angenommen, dass diese als eigenständige Leistungsempfänger und damit als Abnehmer i.S. von § 3c UStG anzusehen sind.

(2) Auch die Auffassung des FG, dass gesetzlich krankenversicherte Personen, die rezeptpflichtige (erstattungsfähige) Medikamente bei der Klägerin bestellt haben, grundsätzlich selbst Vertragspartner und damit Abnehmer i.S. von § 3c UStG waren, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Zwar findet insoweit bei Abschluss eines zwischen den Apotheken und den GKVen geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrages nach § 129 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch ( SGB V ) oder eines öffentlich-rechtlichen Einzelvertrages gemäß § 140e SGB V zwischen der Apotheke als leistendem Unternehmer und der GKV als Leistungsempfänger ein Leistungsaustausch statt (Urteil des Bundessozialgerichts —BSG— vom 28. September 2010 B 1 KR 3/10 R, BSGE 106, 303 , Rz 13, 14 ), wobei der Kunde das Medikament in Erfüllung des Versicherungsvertrages von seiner GKV als Sachleistung gemäß § 2 Abs. 2 SGB V erhält (sog. Sachleistungsprinzip, vgl. dazu auch BFH-Beschluss in BFHE 248, 478 , BFH/NV 2015, 768 ). Das FG hat hierzu aber festgestellt, dass die Klägerin dem zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband e.V. vereinbarten "Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Absatz 2 SGB V in der Fassung vom 17. Januar 2008" erst zum 1. Februar 2010 und somit nach Ablauf der Streitjahre beigetreten war. Ferner ergibt sich aus den Feststellungen des FG, dass die Klägerin trotz der insoweit für sie bestehenden Möglichkeit ( BSG -Urteil vom 28. Juli 2008 B 1 KR 4/08 R, BSGE 101, 161 ) grundsätzlich keine entsprechenden Einzelverträge mit den GKVen vereinbart hatte. Daher ist die Schlussfolgerung des FG, dass auch in diesen Fällen zwischen der Klägerin und den gesetzlich Versicherten ein Leistungsaustausch auf der Grundlage eines privatrechtlichen Kaufvertrages nach §§ 433 ff. BGB stattgefunden hat, möglich und demnach revisionsrechtlich unbedenklich.

dd) Ob die Annahme des FG zutrifft, dass im Hinblick auf die mit der Y–Krankenkasse (Y) am 1. September 2008 geschlossene "Vereinbarung zur Arzneimittellieferung zwischen der X und der Y" ein Leistungsaustausch zwischen der Klägerin und der Y vorliegt, so dass die entsprechenden Kunden nicht als Abnehmer i.S. von § 3c UStG in Betracht kommen, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Das FG hat der Klage insoweit stattgegeben und das FA keine Revision eingelegt.

ee) Hinsichtlich der einzelnen Lieferungen waren die in § 3c Abs. 2 UStG genannten Voraussetzungen erfüllt, da weder die Abnehmer zu dem in § 3c Abs. 2 Nr. 1 UStG genannten Personenkreis gehören noch die in § 3c Abs. 2 Nr. 2 UStG aufgeführten Bedingungen gegeben sind.

ff) Die Arzneimittel sind als Liefergegenstände i.S. von § 3c Abs. 1 UStG aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates (den Niederlanden) in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates (Deutschland) befördert worden.

gg) Außerdem hat die Klägerin auch die nach § 3c Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UStG maßgebliche Lieferschwelle von 100.000 € überschritten.

d) Das FG hat ferner zutreffend angenommen, dass die Arzneimittel durch die Klägerin als Lieferer von den Niederlanden nach Deutschland befördert oder versendet wurden und der jeweilige Transport nicht durch die Abnehmer veranlasst wurde.

aa) Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass es für die Frage, wer die Beförderung oder Versendung der Arzneimittel durchgeführt hat, in erster Linie darauf ankommt, wem der jeweilige Transport im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls nach objektiven Kriterien zuzurechnen ist, und dass in diesem Zusammenhang ggf. auch vergleichbare Regelungen des innergemeinschaftlichen Verbrauchsteuerrechts und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH herangezogen werden können.

(1) Nach Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG entsteht bei der Lieferung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren, die bereits in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind und die vom Verkäufer oder auf dessen Gebiet direkt oder indirekt an eine in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Person nach Absatz 1 versandt oder befördert werden, die Verbrauchsteuer im Bestimmungsmitgliedstaat. Der EuGH hat hierzu entschieden, dass diese Bestimmung nicht nur den Fall der Beförderung oder des Versandes durch den Verkäufer selbst, sondern auch und in viel weiterem Sinne sämtliche Fälle des Versandes oder der Beförderung auf Gefahr des Verkäufers umfasst (EuGH-Urteil EMU Tabac, EU:C:1998:152, HFR 1998, 599 , Rz 45). Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Initiative für die Beförderung nicht vom Verkäufer, sondern von der Privatperson ausgeht, die die verbrauchsteuerpflichtigen Waren erworben hat (EuGH-Urteile EMU Tabac, EU:C:1998:152, HFR 1998, 599 , Rz 48, 49 , und Joustra vom 23. November 2006 C–5/05, EU:C:2006:733, HFR 2007, 179 , Rz 49). Dabei ist der EuGH davon ausgegangen, dass das Zivilrecht sich nicht notwendigerweise für die Anwendung des Steuerrechts eignet, das eigenständigen Zwecken dient (EuGH-Urteil EMU Tabac, EU:C:1998:152, HFR 1998, 599 , Rz 30, 31 ).

(2) Zwar unterscheidet sich die Formulierung in Art. 33 MwStSystRL in der deutschen Sprachfassung insofern von Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG , als in Art. 33 MwStSystRL die Versendung bzw. Beförderung "durch den Lieferer oder für dessen Rechnung" erfolgen muss, während Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG die Versendung bzw. Beförderung "vom Verkäufer oder auf dessen Gefahr" fordert. Das FG hat aber zutreffend darauf hingewiesen, dass andere Sprachfassungen in beiden Richtlinien jeweils identische Begriffe verwenden, so dass es auf diesen sprachlichen Unterschied nicht ankommen kann (englisch: "by or on behalf of the supplier", französisch: "par le fournisseur ou pour son compte (propre)", vgl. zu Art. 33 MwStSystRL Lohse/Peltner, Mehrwertsteuersystem-Richtlinie 2007, und zur englischen und französischen Sprachfassung der Richtlinie 92/12/EWG Official Journal of the European Communities 23.3.92 No L 76/1, Journal officiel des Communautés européennes 23.3.92 No L 76/1).

(3) Für die Übertragung der zu Beförderungen und Versendungen im verbrauchsteuerrechtlichen Sinne ergangenen Rechtsprechung des EuGH auf § 3c UStG spricht außerdem die Protokollerklärung des Rates und der Kommission vom 16. Dezember 1991 zur umsatzsteuerrechtlichen Versandhandelsregelung, wonach diese alle Fälle erfassen solle, in denen die Gegenstände "direkt" oder "indirekt" vom Lieferer oder in dessen Auftrag versandt oder befördert worden sind. Diese Formulierung ist derjenigen in Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG vergleichbar. Es ist daher davon auszugehen, dass auch bei der Versandhandelsregelung entsprechende Liefervorgänge und Beförderungen erfasst werden sollten.

(4) Auch der Österreichische VwGH hat im Übrigen die Rechtsauffassung bestätigt, dass es unter Berücksichtigung der genannten Rechtsprechung des EuGH zu Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG unabhängig von der zivilrechtlichen Rechtslage auch bei der umsatzsteuerrechtlichen Versandhandelsregelung darauf ankommt, ob der Lieferant ggf. die Transportleistung des Dritten organisiert bzw. dem potentiellen Käufer der Ware die Möglichkeit der Transportleistung angeboten hat (VwGH, Erkenntnis vom 22. April 2009 2008/15/0181, www.ris.bka.gv.at).

bb) Die hiergegen von der Klägerin erhobenen Einwendungen greifen nicht durch.

(1) Soweit die Klägerin vorträgt, diese Sichtweise stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH zu den innergemeinschaftlichen Reihengeschäften, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass im Streitfall die in § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG genannten Voraussetzungen für die Annahme eines umsatzsteuerrechtlichen Reihengeschäfts nicht vorliegen, so dass die von der Klägerin angeführte frühere Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 11. August 2011 V R 3/10, BFHE 235, 43 , BFH/NV 2011, 2208 ; vgl. aber auch BFH-Urteil vom 28. Mai 2013 XI R 11/09, BFHE 242, 84 , BFH/NV 2013, 1524 ) nicht anwendbar ist. Aber auch bei Übertragung der zum Reihengeschäft aufgestellten Rechtsgrundsätze auf die Fragestellung des Streitfalls stützt die neuere Senatsrechtsprechung die Auffassung, dass es für die personelle Zurechnung der Transportleistung in erster Linie auf die objektiven Umstände ankommt (vgl. BFH-Urteil vom 25. Februar 2015 XI R 15/14, BFHE 249, 343 , BFH/NV 2015, 772 , Mehrwertsteuerrecht 2015, 384 , unter II.3.).

(2) Auch das Vorbringen der Klägerin, Deutschland habe seinerzeit die Einführung des Ursprungslandprinzips anstelle des Bestimmungslandprinzips angestrebt (vgl. dazu Gutachten der Ursprungslandkommission, Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen Nr. 52, S. 28 ff.), weshalb die Anwendung der Versandhandelsregelung restriktiv erfolgen solle, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn das FG hat in diesem Zusammenhang zutreffend ausgeführt, dass die aufgezeigte Versandhandelsregelung jedenfalls eine Besteuerung der entsprechenden Umsätze im Bestimmungsmitgliedstaat nach Maßgabe der dort geltenden Steuersätze sicherstellen solle. Würde man der Auffassung der Klägerin folgen, wären die von ihr ausgeführten Arzneimittellieferungen indes weder in den Niederlanden noch in Deutschland steuerbar. Dieses Ergebnis würde eindeutig dem Sinn und Zweck der Versandhandelsregelung widersprechen (vgl. dazu im Einzelnen Rondorf, Deutsches Steuerrecht 1992, 1457 ).

(3) Entgegen der Auffassung der Klägerin kann die genannte Protokollerklärung vom 16. Dezember 1991, wonach die Sonderregelung für Fernverkäufe in allen Fällen zur Anwendung gelangt, in denen die Gegenstände direkt oder indirekt vom Lieferer oder in dessen Auftrag versandt oder befördert werden (vgl. z.B. Lohse/Peltner, 6. MwSt-Richtlinie und Rechtsprechung des EuGH, 2. Aufl. 1999), bei der Auslegung der unionsrechtlichen Regelung berücksichtigt werden. Zwar ist diese Protokollerklärung nicht Bestandteil der Richtlinienbestimmung geworden. Diese Protokollerklärung weist aber die Besonderheit auf, dass sie vom Rat und der Kommission abgegeben wurde, wobei im Rat (ECOFIN–Rat) als Beschlussorgan der Europäischen Union alle Mitgliedstaaten vertreten sind. Im Unterschied zu von einzelnen Mitgliedstaaten abgegebenen Erklärungen ist die betreffende Protokollerklärung damit einstimmig von allen bei der Entscheidung über die sog. Binnenmarktrichtlinie vertretenen Mitgliedstaaten und von der Kommission verabschiedet worden. Dies bedeutet, dass insoweit ein allgemeiner Konsens über die Auslegung der unionsrechtlichen Regelung bestanden hat.

(4) Auch die von der Klägerin in diesem Zusammenhang zitierte EuGH-Rechtsprechung steht dem nicht entgegen: Zum einen hat die Klägerin selbst hervorgehoben, dass der EuGH bei seiner Entscheidung Kommission/Belgien vom 10. April 1984 324/82 (EU:C:1984:152, Slg. 1984, 1861, Rz 26, 33) eine vom Rat und von der Kommission gemeinsam abgegebene Protokollerklärung erwähnt und in seine Entscheidung einbezogen hat. Dagegen ist bei der im EuGH-Urteil Antonissen vom 26. Februar 1991 C–292/89 (EU:C:1991:80, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1991, 351 , Rz 18) genannten Protokollerklärung nicht ersichtlich, wer diese abgegeben hat. Zudem geht es bei diesem Fall um keine steuerrechtliche Fragestellung, für die bei der entsprechenden Beschlussfassung durch den ECOFIN–Rat über indirekte Steuern das Einstimmigkeitsprinzip gilt (vgl. dazu Art. 113 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ). Im Übrigen hat der von der Klägerin zitierte Generalanwalt in seinen Schlussanträgen zu Antonissen, EU:C:1990:387, Rz 27 differenzierend ausgeführt, dass eine Protokollerklärung zur Auslegung einer unionsrechtlichen Bestimmung ergänzend herangezogen werden kann, soweit es um eine Klarstellung geht. Dies ist im Streitfall gegeben.

cc) Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen ist die vom FG im Streitfall vorgenommene Würdigung, wonach von einer Versendung der Arzneimittel durch die Klägerin auszugehen ist, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Das FG hat insoweit im Wesentlichen ausgeführt, dass die Mitwirkung der Abnehmer an der Medikamentenbeförderung sich im Ankreuzen des von der Klägerin vorgefertigten und zur Verfügung gestellten Bestellformulars erschöpft habe, mit welchem diese der Klägerin Vollmacht für die entsprechenden Beauftragungen erteilt hätten. Selbst die Klägerin habe eingeräumt, dass die Möglichkeit der Abholung der äußerst seltene Ausnahmefall sei, was sich auch aus der Höhe der angemeldeten sonstigen nichtsteuerbaren Umsätze in Höhe von lediglich 471 € in 2008 ergebe. Das vorgesehene Transportsystem sei von der Klägerin bereits generell im Vertrag mit der B vom 20./22. März 2008 vorab für alle nachfolgenden Fälle festgelegt worden. Die Klägerin allein habe die Auswahl des Transporteurs bereits vor der Vollmachterteilung vorgenommen. Der Transporteur sei überdies die (100%ige) Muttergesellschaft der Klägerin, die zumindest im streitbefangenen Zeitraum denselben Geschäftsführer gehabt habe. Ferner habe die Klägerin die Höhe der Transportkosten für die Abnehmer verbindlich vorgegeben und auch mit der B vorab vereinbart. Ort und Zeitpunkt der Abholung der Medikamente seien diesen gar nicht bekannt gemacht worden. Sie hätten auch keine Möglichkeit gehabt, den Auslieferungsort zu beeinflussen. Die Ware sei immer —entsprechend der Vorgabe der Klägerin— an die jeweilige Partnerapotheke ausgeliefert worden. Ferner lasse sich die Höhe der Transportkosten von 0,45 € bei einer Entfernung von ca. 110 km bis 140 km auch nur erklären, wenn der Spediteur von Anfang an fest damit rechne, seine täglichen Transportfahrten vollständig mit den vermittelten Aufträgen der Klägerin füllen zu können. Einen einzelnen Transportauftrag auf dieser Preisbasis hätte er nicht rentabel durchführen können, da bereits die Benzinkosten wesentlich höher seien.

e) Vor diesem Hintergrund kann unerörtert bleiben, ob die von der Klägerin gewählte Vertragsgestaltung ggf. auch unter dem Gesichtspunkt eines Gestaltungsmissbrauchs i.S. von § 42 AO entsprechend dem vom FG gefundenen Ergebnis gewürdigt werden müsste (vgl. dazu EuGH-Urteile Halifax u.a., EU:C:2006:121, UR 2006, 232 ; Newey vom 20. Juni 2013 C–653/11, EU:C:2013:409, HFR 2013, 851 ; RBS Deutschland Holding, EU:C:2010:810, UR 2011, 222 ). Die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs erscheint im Streitfall schon deshalb als naheliegend, weil die Klägerin gegenüber den niederländischen Finanzbehörden die entsprechenden Umsätze in den Niederlanden gemäß der Versandhandelsregelung für nicht steuerbar erklärte, während sie für dieselben Umsätze bei den deutschen Finanzbehörden die Erteilung einer verbindlichen Auskunft dahingehend begehrte, dass die Regelung in § 3c UStG nicht anwendbar sei, weil der Ort der Lieferungen sich nach § 3 Abs. 6 UStG in den Niederlanden befinde. Die Klägerin strebte mit der von ihr gewählten Gestaltung damit eine Nichtsteuerbarkeit ihrer Lieferungen an, was mit dem unionsrechtlichen Umsatzsteuersystem nicht im Einklang steht.

3. Der Senat kann im Übrigen offen lassen, ob im Hinblick auf die Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung 2009 die vom FG für zulässig gehaltene Fortsetzungsfeststellungsklage i.S. von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO statthaft war (a.A. für Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide z.B. BFH-Urteil vom 19. Mai 2005 V R 31/03, BFHE 210, 167 , BStBl II 2005, 671 , unter 1.). Denn insoweit gelten die vorstehenden Ausführungen zum Streitjahr 2008 entsprechend; die Revision der Klägerin war auch diesbezüglich zurückzuweisen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: FG Düsseldorf, vom 23.11.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 1 K 1808/09
Fundstellen
BFHE 250, 546
BStBl II 2018, 605