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BFH - Entscheidung vom 22.01.2013

V B 85/12

Normen:
§ 76 Abs 1 S 1 FGO
§ 295 ZPO
§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO
§ 116 Abs 3 S 3 FGO
FGO § 76 Abs. 1

Fundstellen:
BFH/NV 2013, 756

BFH, Beschluss vom 22.01.2013 - Aktenzeichen V B 85/12

DRsp Nr. 2013/4460

Anforderungen an die Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht

NV: Die Rüge, das Finanzgericht (FG) habe den Sachverhalt auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts näher aufklären müssen, setzt voraus, dass der Beschwerdeführer substantiiert darlegt, aus welchen --genau bezeichneten-- Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung (Beweiserhebung) auch ohne entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen, welche (entscheidungserheblichen) Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten, inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des --ggf. auch unrichtigen-- materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können und warum ein fachkundig vertretener Kläger nicht von sich aus --in der mündlichen Verhandlung-- entsprechende Anträge gestellt oder das Unterbliebene der Beweiserhebung in sonstiger Weise gerügt hat.

Die Rüge, das Finanzgericht hätte den Sachverhalt auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen näher aufklären müssen, setzt voraus, dass der Beschwerdeführer substantiiert darlegt, aus welchen genau bezeichneten Gründen sich dem Finanzgericht die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung auch ohne entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten, inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts zu einer anderen Entscheidung hätte führen können und warum ein fachkundig vertretener Kläger von sich aus nicht entsprechende Anträge gestellt oder das Unterbleiben der Beweiserhebung in sonstiger Weise gerügt hat.

Normenkette:

FGO § 76 Abs. 1 ;

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), mit der sie Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) geltend macht, hat keinen Erfolg.

1. Wird die Verletzung von Verfahrensvorschriften durch das Finanzgericht (FG) geltend gemacht, auf deren Beachtung der Betroffene verzichten kann, so setzt eine schlüssige Rüge den Vortrag voraus, dass der im finanzgerichtlichen Verfahren fachkundig vertretene Beschwerdeführer den behaupteten Verstoß in der Vorinstanz gerügt hat oder aus welchen entschuldbaren Gründen er an einer derartigen Rüge gehindert gewesen sein soll (z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 31. Juli 2009 IV B 96/08, BFH/NV 2010, 207 ; vom 28. Oktober 2008 VIII B 62/07, [...], m.w.N.).

Die Verletzung der Sachaufklärungspflicht kann danach nicht mehr mit der Verfahrensrüge angegriffen werden, wenn der in der maßgeblichen mündlichen Verhandlung fachkundig vertretene Beteiligte, obwohl ihm dies in der mündlichen Verhandlung erkennbar gewesen sein muss, den Verfahrensverstoß nicht gerügt hat.

Von einem Rügeverzicht ist daher bereits dann auszugehen, wenn zur mündlichen Verhandlung kein Zeuge geladen worden ist und damit für einen fachkundig vertretenen Beteiligten erkennbar war, dass das FG eine von ihm beantragte Zeugenvernehmung nicht durchzuführen beabsichtigt. Die Rüge der Klägerin, das FG habe den angebotenen Zeugenbeweis durch Anhörung von M nicht erhoben, ist danach unschlüssig.

2. Mit der Rüge, das FG hätte M und P auch ohne entsprechenden Beweisantrag hören müssen und habe daher seine Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt, macht die Klägerin zwar einen Verfahrensmangel geltend. Auch insoweit genügt die Begründung nicht den Anforderungen an die Darlegung dieses Verfahrensmangels.

Die Rüge, das FG hätte den Sachverhalt auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen näher aufklären müssen, setzt nach ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 19. Januar 2006 VIII B 84/05, BFH/NV 2006, 803 ; vom 4. Dezember 2006 VIII B 61/06, BFH/NV 2007, 451 ; vom 9. Januar 2007 VIII B 180/05, BFH/NV 2007, 751 , und vom 27. März 2007 VIII B 152/05, BFH/NV 2007, 1335 ) voraus, dass der Beschwerdeführer substantiiert darlegt, aus welchen --genau bezeichneten-- Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung (Beweiserhebung) auch ohne entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen, welche (entscheidungserheblichen) Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten, inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des --ggf. auch unrichtigen-- materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können und warum ein fachkundig vertretener Kläger nicht von sich aus --in der mündlichen Verhandlung-- entsprechende Anträge gestellt oder das Unterbleiben der Beweiserhebung in sonstiger Weise gerügt hat (vgl. § 295 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO ).

Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass das FG zwar nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen hat. Indes wird der Amtsermittlungsgrundsatz durch die Mitwirkungspflichten der Beteiligten nach § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO begrenzt. Die Sachaufklärungsrüge dient daher nicht dazu, Beweisanträge oder Fragen zu ersetzen, welche eine fachkundig vertretene Partei selbst in zumutbarer Weise hätte stellen können, zu stellen aber unterlassen hat (BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 751 ).

Schon aus dem Fehlen entsprechender Beweisbeschlüsse hätte die --in der mündlichen Verhandlung fachkundig vertretene-- Klägerin entnehmen können, dass das FG die Vernehmung der Zeugen nicht für erforderlich gehalten hat. Das gilt --wie der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) zu Recht ausführt-- umso mehr, als das FG ausweislich des Sitzungsprotokolls die Niederschrift der Aussagen des M im Strafverfahren der Bußgeld- und Strafsachenstelle X wegen Einkommen-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuer sowie auszugsweise das Sitzungsprotokoll betreffend die Zeugenaussage des M in einem anderen Verfahren vor dem Hessischen FG verlesen hatte. Einwendungen hiergegen hat die Klägerin insoweit nicht erhoben, sondern im Anschluss daran, wie sich aus dem Sitzungsprotokoll ergibt, zur Sache verhandelt und ihre Sachanträge gestellt. Für einen fachkundig vertretenen Beteiligten --wie im Streitfall die Klägerin-- musste daher ohne weiteres erkennbar sein, dass das FG weder ihrem Beweisantrag, M als Zeugen zu hören, folgen würde noch die Anhörung anderer Zeugen für erforderlich hielt. Inwiefern danach gleichwohl für die Klägerin überraschend sein konnte, dass das FG keinen weiteren Verhandlungstermin zur Beweisaufnahme durch Anhörung von Zeugen beabsichtigt hat, ist nicht nachvollziehbar. Auch fehlt es am Vortrag der Klägerin, aus welchen entschuldbaren Gründen sie an einer entsprechenden Rüge vor dem FG gehindert gewesen ist (BFH-Beschlüsse vom 30. Januar 2008 X B 55/07, BFH/NV 2008, 964 , und vom 2. Mai 2008 X B 237/07, Zeitschrift für Steuern & Recht 2008, R-647; ebenso vom 15. März 2007 IX B 234/06, BFH/NV 2007, 1179 ).

Aus demselben Grund verhilft auch die Rüge der Klägerin, das FG habe den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verletzt, der Beschwerde nicht zum Erfolg.

Vorinstanz: FG Nürnberg, vom 07.02.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 2 K 220/10
Fundstellen
BFH/NV 2013, 756