Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BVerfG - Entscheidung vom 12.10.2011

2 BvR 1954/11

Normen:
GG Art. 13 Abs. 1
GG Art. 13 Abs. 2
BVerfGG § 32 Abs. 1
BNotO § 18 Abs. 1
§ 54 EStDV 2000
StPO § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
StPO § 94
StPO § 97
StPO § 98
StPO § 103
StPO § 105
GG Art. 13 Abs. 1
GG Art. 13 Abs. 2
BVerfGG § 32 Abs. 1
BNotO § 18 Abs. 1
EStDV (2000) § 54
StPO § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
StPO § 94
StPO § 97
StPO § 98
StPO § 103
StPO § 105
StPO § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3

BVerfG, Beschluss vom 12.10.2011 - Aktenzeichen 2 BvR 1954/11

DRsp Nr. 2022/8204

Durchsuchung eines Notariats im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen

In Bezug auf die Durchsuchung eines Notariats sind, wenn die erhobene Verfassungsbeschwerde sich weder als offensichtlich unzulässig noch als offensichtlich unbegründet erweist, die Nachteile, die den Beschwerdeführern im Falle der Ablehnung des Erlasses der einstweiligen Anordnung drohen, gewichtiger als die Nachteile, die im Falle der Stattgabe entstehen.

Tenor

Die Beschlüsse des Landgerichts München II vom 9. Juni 2011 - W 5 KLs 62 Js 9868/10 - und des Oberlandesgerichts München vom 27. Juli 2011 - 2 Ws 639/11 - werden bis zur Entscheidung in der Hauptsache ausgesetzt.

...

Normenkette:

StPO § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 ;

[Gründe]

I.

Die mit einem Eilantrag verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Durchsuchung eines Notariats.

1. Die Beschwerdeführer sind Notare in Hamburg. Im Rahmen eines Strafverfahrens ersuchte das Landgericht München II die Beschwerdeführerum Auskunft darüber, ob in deren Notariat für den Zeitraum vom 1. Januar 1995 bis heute Urkunden über einen Treuhandvertragbetreffend die Gesellschaftsanteile an einer - unterschiedlich firmierenden - GmbH unter Beteiligung mindestens eines derbeiden Angeklagten vorhanden seien. Gleichlautende Auskunftsersuchen sandte die Strafkammer an eine Vielzahl weiterer Notarein Hamburg, Reinbek und Rosenheim.

2. Da die Beschwerdeführer - wie auch andere Notare - die Auskunft unter Berufung auf ihre Verschwiegenheitspflicht verweigerten,ordnete das Landgericht mit dem angegriffenen Beschluss vom 9. Juni 2011 die Durchsuchung der Geschäftsräume der Beschwerdeführernach diesen Urkunden sowie die Beschlagnahme von Kopien im Falle nicht freiwilliger Herausgabe an (§§ 94, 98, 103, 105, 162StPO). Die Urkunden seien als Beweismittel im anhängigen Strafverfahren von Bedeutung. Es bestünden konkrete Anhaltspunkte,dass tatsächlich ein Treuhandvertrag abgeschlossen worden sei und dass die Urkunden bei den Beschwerdeführern aufgefundenwürden. So habe unter anderem ein als Zeuge vernommener Rechtsanwalt bekundet, den Entwurf einer Treuhandvereinbarung vorbereitetzu haben. Da die Angeklagten nach Aktenlage bei verschiedenen Notaren in Reinbek, Hamburg und Rosenheim Urkunden hätten erstellenlassen, sei eine Konkretisierung auf einen Notar aus diesen Bezirken zu erwarten. Die Urkunden selbst unterlägen nicht demBeschlagnahmeverbot des § 97 StPO .

3. Mit ihrer hiergegen eingelegten Beschwerde machten die Beschwerdeführer geltend, der angegriffene gerichtliche Beschlussdiene der Ausforschung. Anhaltspunkte dafür, dass ein Treuhandvertrag durch einen der Beschwerdeführer beurkundet worden sei,gebe es offensichtlich nicht. Schließlich seien entsprechende Durchsuchungsbeschlüsse gegen alle oder fast alle hamburgischenund auch gegen bayerische Notare erlassen worden. Darüber hinaus lasse der Beschluss nicht erkennen, dass die von § 160a Abs.2 StPO gestellten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit von Ermittlungsmaßnahmen bei Berufsgeheimnisträgern beachtet wordenseien.

4. Die Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht München mit angegriffenem Beschluss vom 27. Juli 2011 als unbegründet.

Gegen die beiden Angeklagten laufe gegenwärtig die Hauptverhandlung vor dem Landgericht München II. Sie würden der Steuerhinterziehung(Körperschaftssteuer, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer) beziehungsweise der Beihilfe zur Steuerhinterziehung in den Jahren 2003bis 2008 beschuldigt.

Der Durchsuchungsbeschluss des Landgerichts genüge den Anforderungen nach §§ 103 , 105 StPO . Insbesondere lägen bestimmte Tatsachenvor, die vermuten ließen, dass die als Beweismittel dienenden Gegenstände bei den betroffenen Notariaten gefunden würden.Es liege keine Ausforschung vor, da die Durchsuchung auf die Herausgabe einer Urkunde über ein konkret bezeichnetes Treuhandverhältniszwischen den Angeklagten ziele.

Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig. Von beweiserheblicher Bedeutung sei, ob zwischen den Angeklagten ein Treuhandverhältnisbestehe, so dass das wirtschaftliche Eigentum an den Gesellschaftsanteilen dem einen Angeklagten zuzurechnen sei, währendder andere Angeklagte hinsichtlich seiner eigenen Gesellschafter- und Geschäftsführerposition nur als "Strohmann" zu betrachtensei. Die Durchsuchung und Beschlagnahme stelle (nach dem erfolglosen formlosen Herausgabeverlangen) eine geeignete, unterden geschilderten Umständen erforderliche und unter Abwägung der Interessen der Beschwerdeführer und der den Angeklagten zurLast gelegten massiven Steuerdelikte (Verkürzung von Steuern in Millionenhöhe) auch verhältnismäßige Maßnahme dar.

Eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit liege auch nicht darin, dass sich die Strafkammer zur Zweckerreichung- zur Aufklärung über Existenz und Inhalt einer notariellen Urkunde über ein Treuhandverhältnis - nicht vorab an das Finanzamtgewandt habe. Zwar hätten Notare den Abschluss eines Treuhandvertrages gemäß § 54 EStDV dem Finanzamt anzuzeigen. Das Landgerichthabe sich aber nicht vorab an das Finanzamt wenden müssen, zumal unter dem Gesichtspunkt des Steuergeheimnisses unsicher seinkönnte, ob Finanzämter auf eine Anfrage der Strafkammer tatsächlich unverzüglich Auskunft erteilen würden. Die Ermessenentscheidungüber die konkrete Auswahl zwischen zwei gleichrangigen Ermittlungsmaßnahmen obliege der Strafkammer. Ein Eingriff in diesesrichterliche Ermessen der erkennenden Strafkammer des Landgerichts sei dem Senat im Beschwerdeweg verwehrt, sofern kein Ermessensfehlererkennbar sei. Ein derartiger Ermessensfehler liege hier nicht vor.

5. Mit ihrer am 25. August 2011 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihres Grundrechtsauf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG .

Bei der Auslegung und Anwendung der Tatbestandsmerkmale der §§ 103 , 105 StPO hätten die Gerichte Bedeutung und Tragweite desArt. 13 Abs. 1 und 2 GG gerade mit Blick auf die Eigenschaft der Beschwerdeführer als Berufsgeheimnisträger nicht hinreichendRechnung getragen und hätten Durchsuchungen in deren Geschäftsräumen angeordnet, die unverhältnismäßig in ihr Grundrecht ausArt. 13 Abs. 1 und 2 GG eingriffen und zudem nachhaltig ihre berufliche Tätigkeit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmungihrer Mandanten beeinträchtigten.

Unter anderem sei die vom Landgericht getroffene und vom Oberlandesgericht bestätigte Maßnahme nicht erforderlich. Denn siesei nicht das mildeste Mittel unter im Wesentlichen gleich geeigneten Ermittlungsmaßnahmen. Weniger einschneidende Maßnahmenwären beispielsweise die Vernehmung von Mitarbeitern der beiden Angeklagten gewesen sowie die Anfrage an das Finanzamt nachdem Vorliegen einer Treuhandvereinbarung. Jede notariell beurkundete Treuhandvereinbarung über GmbH-Geschäftsanteile sei demFinanzamt gemäß § 54 EStDV anzuzeigen. Anhaltspunkte dafür, dass ein Notar dies nicht getan habe, hätten die Gerichte nichtgenannt. Gegenüber der Durchsuchung sei die Anfrage beim Finanzamt eine wesentlich mildere Maßnahme gewesen. Die Argumentationdes Oberlandesgerichts - der Beschluss des Landgerichts lasse hierzu jegliche Ausführungen vermissen -, unter dem Gesichtspunktdes Steuergeheimnisses sei unsicher, ob die Finanzämter auf die Anfrage der Strafkammer tatsächlich unverzüglich Auskunfterteilen würde, verfange nicht. Das Landgericht habe offenbar nicht einmal versucht, an die Finanzämter heranzutreten. Auswelchen Gründen die Durchsuchung der Geschäftsräume des Notariats gegenüber Ermittlungen bei den Beschuldigten oder den Finanzämternvorrangig sein solle, hätten sowohl Landgericht als auch Oberlandesgericht unerörtert gelassen.

Ferner sei die vom Landgericht angeordnete Maßnahme auch nach den Ausführungen des Oberlandesgerichts zu weitgehend. Das Oberlandesgerichtgehe nämlich davon aus, dass nur ein Treuhandvertrag zwischen den beiden Angeklagten beweiserheblich sei. Dennoch beziehesich die richterliche Anordnung auf einen Treuhandvertrag "unter Beteiligung mindestens eines der Nachbenannten", nämlichder Angeklagten. Damit seien auch Fälle erfasst, in denen einer der Angeklagten einen Treuhandvertrag mit einem unbeteiligtenDritten getroffen habe.

Schließlich sei die durch die Entscheidungen der Gerichte getroffene beziehungsweise bestätigte Maßnahme auch nicht angemessen.Die Gerichte verkennten, dass die Durchsuchung von Geschäftsräumen eines Berufsgeheimnisträgers in Rede stehe. Insoweit seizu berücksichtigen, dass durch die Anordnung nicht nur der Berufsgeheimnisträger in seinem Recht aus Art. 13 GG betroffenwerde, sondern mittelbar auch seine berufliche Tätigkeit betroffen sei und seine weiteren, nicht beschuldigten Mandanten inihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1 , Art. 1 Abs. 1 GG beeinträchtigt würden. Gerade der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischenjuristisch tätigem Berufsgeheimnisträger und Mandant liege auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordnetenRechtspflege. Die Gerichte hätten es vollständig unterlassen, diese Belange in die Prüfung der Angemessenheit der angeordnetenMaßnahme einzustellen.

Die Beschwerdeführer beantragen den Erlass einer einstweiligen Anordnung.

6. Die Gehörsrüge nach § 33a StPO , die die Beschwerdeführer zur Erschöpfung des Rechtsweges und Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzesvorsorglich erhoben haben, wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 27. Juli 2011 zurück.

II.

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, über den wegen Eilbedürftigkeit ohne Anhörung des Justizministeriumsentschieden werden kann, hat Erfolg.

a) Gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung regeln,wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinenWohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragenwerden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich als von vornherein unzulässigoder offensichtlich unbegründet. Kann letzteres nicht festgestellt werden, muss der Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrensalso als offen angesehen werden, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, dieVerfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegen die Nachteile abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweiligeAnordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 91, 70 <74 f.>; 105, 365<370 f.>; stRspr).

b) Danach ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung hier geboten.

Die erhobene Verfassungsbeschwerde erweist sich weder als offensichtlich unzulässig noch als offensichtlich unbegründet.

Die danach gebotene Folgenabwägung ergibt, dass die Nachteile, die den Beschwerdeführern im Falle der Ablehnung des Erlassesder einstweiligen Anordnung drohen, gewichtiger als die Nachteile sind, die im Falle der Stattgabe entstehen.

Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht und erwiese sich die Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren alsbegründet, würde dies dazu führen, dass bei dann zu erwartender Durchsuchung der Geschäftsräume der Beschwerdeführer schwerwiegendin die Unverletzlichkeit der Wohnung eingegriffen würde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführer - ebensowie auch die anderen Notariate in Hamburg, Reinbek und Rosenheim, denen wegen verweigerter Auskunftserteilung eine Durchsuchungdroht - nicht nur als Nichtbeschuldigte mit staatlichen Zwangsmaßnahmen überzogen würden, sondern auch in ihrer Eigenschaftals Berufsgeheimnisträger (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO ) betroffen wären, denen ein besonderer Schutz zukommt (vgl. BVerfGE113, 29 <49 f.>; BVerfGK 5, 289 <291>). Überdies bestünde - im Hinblick auf das beabsichtigte Auffinden auch solcher Urkunden,an denen nur einer der Angeklagten beteiligt ist - die Gefahr, dass Daten von am Strafverfahren unbeteiligten Dritten offenbartwürden.

Demgegenüber führte der Erlass der einstweiligen Anordnung für den Fall, dass sich die Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahrenals unbegründet erweist, lediglich dazu, dass die für erforderlich gehaltene Durchsuchung später erfolgen würde. Es bestehenkeine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass es bei den Beschwerdeführern zu einem Verlust unentbehrlicher Beweismittel kommenkönnte.

Unter diesen Umständen überwiegen die grundrechtlichen Belange der Beschwerdeführer, die für den Erlass der einstweiligenAnordnung sprechen.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG .

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: OLG München, vom 27.07.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 2 Ws 639/11
Vorinstanz: LG München II, vom 09.06.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 62 Js 9868/10