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BGH - Entscheidung vom 10.03.2011

VII ZB 28/10

Normen:
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 1
ZPO § 139 Abs. 1
ZPO § 234 Abs. 1 S. 1

Fundstellen:
NJW-RR 2011, 790

BGH, Beschluss vom 10.03.2011 - Aktenzeichen VII ZB 28/10

DRsp Nr. 2011/6239

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei fehlendem Hinweis des Berufungsgerichts auf seine Zweifel zum Inhalt des Großbriefs

Hat das Berufungsgericht im Verfahren zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Zweifel am Inhalt eines Briefes des Berufungsführers, bedarf es eines Hinweises an diesen.

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe, 9. Zivilsenat in Freiburg, vom 27. Januar 2010 aufgehoben.

Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist gewährt.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 45.000 €

Normenkette:

GG Art. 2 Abs. 1 ; GG Art. 103 Abs. 1 ; ZPO § 139 Abs. 1 ; ZPO § 234 Abs. 1 S. 1;

Gründe

I.

Das klageabweisende Urteil des Landgerichts ist den damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16. Oktober 2009 zugestellt worden. Der Berufungsschriftsatz vom 13. November 2009 ist am 18. November 2009 beim Berufungsgericht eingegangen. Das ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Verfügung vom 19. November 2009 mitgeteilt worden. Die Klägerin hat am Montag, dem 7. Dezember 2009, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Sie hat dazu vorgetragen, der allein sachbearbeitende Rechtsanwalt habe am Freitag und Samstag, dem 20. und 21. November 2009, an einer Baurechtstagung in M. teilgenommen und habe daher erst am Montag, dem 23. November 2009, von der Mitteilung des Berufungsgerichts Kenntnis erlangt. Zur Glaubhaftmachung hat die Klägerin eine Teilnahmebescheinigung des Tagungsveranstalters vorgelegt. Hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist hat die Klägerin vorgetragen, der Berufungsschriftsatz sei bei ihren Prozessbevollmächtigten am 13. November 2009 um 16.00 Uhr von einem privaten Postzustelldienst abgeholt worden, der ihn am 14. November 2009 dem Berufungsgericht hätte zustellen sollen. Der Schriftsatz sei am 13. November 2009 um 19.52 Uhr bei dem Postzustelldienst erfasst worden, die Zustellung sei dort für den 14. November 2009 vorgesehen gewesen. Der verspätete Zugang habe nicht aufgeklärt werden können. Zur Glaubhaftmachung hat die Klägerin eine diese Tatsachen bestätigende E-Mail des Postzustelldienstes vorgelegt.

Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung versagt und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

1.

Die gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ). Indem das Berufungsgericht der Klägerin zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist verweigert hat, hat es das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) verletzt. Es hat zudem nicht die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beachtet.

2.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

a)

Das Berufungsgericht lässt es dahinstehen, ob die Klägerin den Wiedereinsetzungsantrag innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO gestellt hat. Davon ist auszugehen. Die Klägerin hat glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter von der Versäumung der Berufungsfrist erst am 23. November 2009 erfahren hat und dass ihn hieran kein Verschulden trifft.

b)

Das Berufungsgericht hält den Wiedereinsetzungsantrag für unbegründet. Zwar könne eine Prozesspartei auch bei Einschaltung eines privaten Beförderungsdienstes grundsätzlich darauf vertrauen, dass die normalen Postlaufzeiten eingehalten würden. Die Klägerin habe aber nicht glaubhaft gemacht, dass der Berufungsschriftsatz tatsächlich am 13. November 2009 dem privaten Zustelldienst überlassen worden sei. Die vorgelegte E-Mail bestätige lediglich die Übergabe eines an das Berufungsgericht gerichteten Großbriefes von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin an den Zustelldienst. Es gehe daraus aber nicht hervor, dass es sich um den Berufungsschriftsatz im vorliegenden Verfahren gehandelt habe. Es sei daher möglich, dass die Postsendung einen anderen, ebenfalls an das Berufungsgericht gerichteten Schriftsatz enthalten habe.

c)

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat der Klägerin zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist versagt.

aa)

Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin auch bei Einschaltung eines privaten Beförderungsdienstes mangels gegenteiliger Anhaltspunkte darauf vertrauen durften, dass die normalen Postlaufzeiten eingehalten werden (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 155/07, NJW-RR 2008, 930 ).

bb)

Die Rechtsbeschwerde rügt jedoch zu Recht, dass das Berufungsgericht gegen seine Hinweispflicht nach § 139 Abs. 1 ZPO verstoßen und damit zugleich den Anspruch der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes und auf rechtliches Gehör verletzt hat.

Das Berufungsgericht hätte die Klägerin auf seine Zweifel zum Inhalt des Großbriefs hinweisen und ihr Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vorbringens hinsichtlich des Versands des Berufungsschriftsatzes geben müssen. Die Klägerin hatte in ihrem Wiedereinsetzungsantrag dargelegt, den Berufungsschriftsatz am 13. November 2009 um 16.00 Uhr dem Postzustelldienst übergeben zu haben. Der Schriftsatz ging auch tatsächlich, wenn auch verspätet, beim Berufungsgericht ein. Es ging im Wiedereinsetzungsverfahren daher aus Sicht der Klägerin in erster Linie um den Grund für diese Verzögerung und um die Frage des Verschuldens. Es musste sich ihren Prozessbevollmächtigen dagegen nicht aufdrängen, dass das Berufungsgericht Zweifel daran haben könnte, dass es sich bei dem vom Postzustelldienst in seiner E-Mail genannten Großbrief nicht um den Berufungsschriftsatz handeln könnte und dass deshalb insoweit von vornherein nähere Erläuterungen und weitere Glaubhaftmachung erforderlich sein könnten. Auf den notwendigen Hinweis hätte die Klägerin in zulässiger Weise ergänzend vortragen können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2010 - XI ZB 34/09, FamRZ 2010, 636 ; vom 16. Dezember 2009 - IV ZB 30/09, FamRZ 2010, 458 und vom 13. Juni 2007 - XII ZB 232/06, NJW 2007, 3212 , je m.w.N.).

3.

Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden. Die Klägerin hat in der Rechtsbeschwerde dargelegt, was sie nach dem gebotenen Hinweis ergänzend dem Berufungsgericht gegenüber vorgetragen hätte: Im vorliegenden und in einem Parallelverfahren seien am 13. November 2009 die Berufungsschriftsätze gefertigt und von einer Kanzleiangestellten in einem einzigen Großbrief dem Postzustelldienst übergeben worden; weitere Rechtsstreitigkeiten seien seinerzeit beim Berufungsgericht nicht anhängig gewesen. Die Klägerin hat eine entsprechende eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten vorgelegt. Da das Berufungsgericht den Hinweis unterlassen hat, ist dieses klarstellende Vorbringen der Klägerin bei der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde zu berücksichtigen.

Der Klägerin war danach unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren. Sie hat glaubhaft gemacht, dass die Kanzleiangestellte ihrer Prozessbevollmächtigten den Berufungsschriftsatz zusammen mit einem weiteren am 13. November 2009 dem Postzustelldienst übergeben hat. Dies wird noch dadurch bestätigt, dass das Berufungsgericht selbst ausführt, in einem anderen Verfahren sei ebenfalls ein Berufungsschriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 13. November 2009 am 18. November 2009 eingegangen. Damit ist davon auszugehen, dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin an der Versäumung der Berufungsfrist kein Verschulden trifft.

Die Verwerfung der Berufung als unzulässig ist gegenstandslos.

Vorinstanz: LG Konstanz, vom 05.10.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 4 O 493/05
Vorinstanz: OLG Karlsruhe, vom 27.01.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 9 U 140/09
Fundstellen
NJW-RR 2011, 790