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BGH - Entscheidung vom 30.03.2011

4 StR 97/11

Normen:
StGB § 174 Abs. 1 Nr. 1

BGH, Beschluss vom 30.03.2011 - Aktenzeichen 4 StR 97/11

DRsp Nr. 2011/9471

Tatbestandsvarianten des Anvertrautseins i.R.d. sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen von unter 16 Jahre alten Person zur Erziehung oder zur Betreuung nur bei Obhutsverhältnis

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 25. Oktober 2010 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen schuldig ist, davon in fünf Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen.

2.

Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Normenkette:

StGB § 174 Abs. 1 Nr. 1 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision. Er beanstandet das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts.

Das Rechtsmittel führt nur zu einer geringfügigen Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen bleibt es ohne Erfolg.

1.

Die Verfahrensrüge greift aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 23. Februar 2011 nicht durch.

2.

Die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs.

a)

Im Fall II. 6 der Urteilsgründe wird die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB von den Feststellungen nicht getragen.

Die im vorliegenden Fall allein in Betracht kommenden Tatbestandsvarianten des Anvertrautseins der unter 16 Jahre alten Person zur Erziehung oder zur Betreuung setzen ein Obhutsverhältnis voraus, kraft dessen einer Person das Recht und die Pflicht obliegt, die Lebensführung des Minderjährigen und damit dessen geistig-sittliche Entwicklung zu überwachen und zu leiten. Ob ein solches Obhutsverhältnis besteht und welchen Umfang es hat, ist nach den tatsächlichen Verhältnissen des Einzelfalles zu beurteilen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 5. November 1985 - 1 StR 491/85, BGHSt 33, 340 , 344 f.; Urteil vom 20. September 1988 - 1 StR 383/88, BGHR StGB § 174 Abs. 1 Obhutsverhältnis 1). Von längerer Dauer braucht das Verhältnis nicht zu sein (BGH, Urteil vom 3. April 1962 - 5 StR 74/62, BGHSt 17, 191, 192 f.). Im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal "Erziehung" kommt es darauf an, dass die jeweilige Person Erziehungsfunktionen gegenüber den Jugendlichen tatsächlich ausübt (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 27. Juni 2000 - 1 StR 221/00, NStZ-RR 2000, 353; BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 - 4 StR 75/92, BGHR StGB § 174 Abs. 1 Obhutsverhältnis 2). Dies wird bei nur gelegentlicher Kinderbetreuung in der Regel nicht gegeben sein (SSW-StGB/Wolters, StGB , § 174 Rn. 7 m.w.N.).

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen bestand zwischen dem Angeklagten einerseits und der Nebenklägerin, ihrer Mutter und deren Lebensgefährten andererseits zum Tatzeitpunkt keine häusliche Gemeinschaft. Das enge Verhältnis der Nebenklägerin zum Angeklagten, die diesen als Vater betrachtete und auch so bezeichnete, ergab sich lediglich aus dem Umstand, dass der Angeklagte in der Vergangenheit mehrere Jahre lang mit deren Großmutter liiert war. Die Mutter der Geschädigten vereinbarte mit dem Angeklagten, zu dem sie weiterhin großes Vertrauen hatte, dass er am Tatabend in ihrer Wohnung ab und an nach dem Rechten sehen sollte, da sie sich mit ihrem Lebensgefährten auf einer Geburtstagsfeier befand. Auf der Grundlage dieser Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass dem Angeklagten mit der einmaligen Übertragung der Aufsichtspflicht über die Nebenklägerin (und deren Brüder) zugleich die Verantwortung für das geistlich-sittliche Wohl und eine Einflussnahme auf die Persönlichkeitsbildung des Kindes übertragen werden sollte; ein Obhutsverhältnis im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB liegt daher fern.

b)

Der Senat ändert dementsprechend den Schuldspruch im Fall II. 6 der Urteilsgründe. Dass ein neuer Tatrichter ergänzende Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB treffen könnte, ist nach Lage der Dinge ausgeschlossen.

3.

Der Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB lässt den Strafausspruch unberührt. Der Senat schließt aus, dass der Tatrichter auf Grund des geänderten Schuldspruchs eine geringere Strafe verhängt haben würde, zumal er im Fall II. 6 der Urteilsgründe den Umstand, dass der Angeklagte zwei Straftatbestände verwirklicht hat, bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt hat.

4.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen, da sich die Schuldspruchänderung hier nicht als Teilerfolg der Revision erweist (§ 473 Abs. 1 StPO ; vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO , 53. Aufl., § 473 Rn. 25).

Vorinstanz: LG Magdeburg, vom 25.10.2010