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BGH - Entscheidung vom 14.07.2011

VII ZB 118/09

Normen:
ZPO § 775 Nr. 1
InsO § 308 Abs. 1
ZPO § 775 Nr. 1

Fundstellen:
FamRZ 2011, 1583
MDR 2011, 1202
WM 2011, 1708

BGH, Beschluss vom 14.07.2011 - Aktenzeichen VII ZB 118/09

DRsp Nr. 2011/14843

Einstellung einer Zwangsvollstreckung aus einem bereits vorhandenen Titel nach § 775 Nr. 1 ZPO bei Vorliegen eines festgestellten Schuldenbereinigungsplans

Eine Zwangsvollstreckung aus einem bereits vorhandenen Titel kann nicht allein deshalb nach § 775 Nr. 1 ZPO eingestellt werden, weil ein festgestellter Schuldenbereinigungsplan vorliegt.

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Gläubigerin werden der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn vom 24. November 2009 aufgehoben und der Beschluss des Amtsgerichts Schwäbisch Hall vom 27. Oktober 2009 abgeändert.

Der Gerichtsvollzieher wird angewiesen, die Durchführung des Vollstreckungsauftrages der Gläubigerin vom 8. Juli 2009 nicht aus den bisherigen Gründen abzulehnen oder die Zwangsvollstreckung aus diesen Gründen einzustellen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren hat der Schuldner zu tragen.

Beschwerdewert: bis 2.500 €

Normenkette:

ZPO § 775 Nr. 1 ;

Gründe

I.

Die Gläubigerin hat den Gerichtsvollzieher mit der Vollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid beauftragt. Der Gerichtsvollzieher hat die Vollstreckung nicht durchgeführt und die Zwangsvollstreckung eingestellt, weil die titulierte Forderung in einen gerichtlich bestätigten Schuldenbereinigungsplan gemäß § 308 Abs. 1 InsO eingegangen sei.

Die Gläubigerin hat wegen ausgebliebener Zahlungen des Schuldners den Rücktritt vom Schuldenbereinigungsplan erklärt. Sie meint, damit wieder aus dem Vollstreckungsbescheid vollstrecken zu können.

Gegen die Weigerung des Gerichtsvollziehers, die Zwangsvollstreckung durchzuführen, hat sie Erinnerung eingelegt, die das Amtsgericht mit Beschluss vom 27. Oktober 2009 zurückgewiesen hat. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Antrag weiter, den Gerichtsvollzieher anzuweisen, den Zwangsvollstreckungsauftrag zu erledigen.

II.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 , Abs. 3 Satz 2, § 575 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Anweisung an den Gerichtsvollzieher, den Vollstreckungsauftrag nicht mit der bisherigen Begründung abzulehnen bzw. die Zwangsvollstreckung einzustellen.

1.

Das Beschwerdegericht führt aus, der Gerichtsvollzieher habe nicht vollstrecken dürfen, solange der im Verfahren nach § 308 Abs. 1 InsO zustande gekommene und durch gerichtlichen Beschluss bestätigte Schuldenbereinigungsplan bestehe. Dieser stelle einen Vergleich im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO dar, der die Zwangsvollstreckung aus der mit Vollstreckungsbescheid titulierten Forderung, die in den Vergleich eingegangen sei, nach § 775 Nr. 1 ZPO ausschließe.

Dem Gerichtsvollzieher müsse, damit er aus dem ursprünglichen Titel vollstrecken könne, nachgewiesen werden, dass der Vergleich nicht mehr bestehe. Er könne und müsse dies nicht selbst prüfen. Der Nachweis könne nicht durch eine bloße Anfechtungs- oder Rücktrittserklärung, sondern nur durch eine gerichtliche Entscheidung geführt werden. Eine solche könne auch im Erinnerungs- oder Beschwerdeverfahren, in dem nur die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung geprüft werde, nicht erlangt werden. Der Gläubiger müsse entweder das zugrunde liegende Verbraucherinsolvenzverfahren wieder aufnehmen oder Feststellungsklage vor dem Streitgericht erheben, um die Wirksamkeit des Vergleichs zu beseitigen. Der Schuldner müsse nicht seinerseits Vollstreckungsgegenklage gegen die Vollstreckung aus dem ursprünglichen Titel erheben, solange er sich auf den Vergleich berufen könne.

2.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Der Gerichtsvollzieher hat die Zwangsvollstreckung zu Unrecht mit der Begründung eingestellt, es liege ein Schuldenbereinigungsplan vor, der die Forderung erfasse.

§ 775 Nr. 1 ZPO ordnet die Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung durch das Vollstreckungsorgan an, wenn die Ausfertigung einer vollstreckbaren Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass das zu vollstreckende Urteil oder seine vorläufige Vollstreckbarkeit aufgehoben oder dass die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt oder ihre Einstellung angeordnet ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

a)

Dem Schuldenbereinigungsplan kommt nicht die Wirkung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners zu, die zur Unzulässigkeit der Einzelzwangsvollstreckung führen würde, § 89 InsO . Im Gegenteil fingiert der Beschluss des Insolvenzgerichts nach § 308 Abs. 1 Satz 1 InsO , mit dem die Annahme des Schuldenbereinigungsplans festgestellt wird, die Rücknahme des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, § 308 Abs. 2 InsO .

b)

Der Schuldenbereinigungsplan selbst stellt keine gerichtliche Entscheidung im Sinne des § 775 Nr. 1 ZPO dar. Hierunter fallen nur Urteile und Beschlüsse. Der vom Schuldner vorgelegte und von den Gläubigern angenommene Schuldenbereinigungsplan hat materiellrechtlich die Wirkung eines Vergleichs im Sinne des § 779 BGB . In ihm wird über die Zwangsvollstreckung aus dem ursprünglichen Titel keine vollstreckbare Entscheidung getroffen.

c)

Auch der Beschluss des Insolvenzgerichts nach § 308 Abs. 1 Satz 1 InsO , in dem dieses die Annahme des Schuldenbereinigungsplans durch die Gläubiger bestätigt, enthält inhaltlich keine Entscheidung im Sinne des § 775 Nr. 1 ZPO . Es handelt sich lediglich um einen klarstellenden Beschluss, dem Insolvenzgericht kommt darüber hinaus keine materiellrechtliche Prüfungskompetenz zu.

d)

Aus dem Umstand, dass der Auszug aus dem Schuldenbereinigungsplan, dessen Annahme durch die Gläubiger durch Beschluss nach § 308 Abs. 1 Satz 1 InsO bestätigt worden ist, die Wirkung eines Prozessvergleichs nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat, § 308 Abs. 1 Satz 2 InsO , ergibt sich nichts Gegenteiliges.

aa)

Nach ganz allgemeiner Meinung kann ein Prozessvergleich nicht unmittelbar zur Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen führen, da es sich bei einem Prozessvergleich nicht um eine gerichtliche Entscheidung im Sinne von § 775 Nr. 1 ZPO handelt (BayObLG, NJW-RR 1999, 506 ; OLG Hamm, NJW 1988, 1988 ; LAG Bremen, LAGE § 888 ZPO 2002 Nr. 8; LG Itzehoe, SchlHA 2006, 205 ; Zöller/Stöber, ZPO , 28. Aufl., § 775 Rn. 4a; Musielak/ Lackmann, ZPO , 8. Aufl., § 775 Rn. 3; PG/Scheuch, ZPO , § 775 Rn. 5; MünchKommZPO/K. Schmidt, 3. Aufl., § 775 Rn. 10; vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. August 2007 - VII ZB 115/06, BauR 2007, 1934 = NZBau 2007, 706 ; Beschluss vom 16. Juli 2004 - IXa ZB 326/03, NJW-RR 2004, 1718 ).

bb)

Für den Schuldenbereinigungsplan gilt nichts anderes. Er stellt in gleicher Weise wie der gerichtliche Vergleich nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO keine gerichtliche Entscheidung im Sinne des § 775 Nr. 1 ZPO dar, auch wenn das Insolvenzgericht nach § 308 Abs. 1 Satz 1 InsO die Annahme des Schuldenbereinigungsplans durch die Gläubiger oder deren Ersetzung durch Beschluss feststellt und insoweit ein Vollstreckungstitel geschaffen wird.

Aus dem Schuldenbereinigungsplan ist die Vollstreckung zulässig, soweit er einen vollstreckbaren Inhalt hat. Ob daneben auch noch die Vollstreckung aus dem ursprünglichen Titel - gegebenenfalls beschränkt auf den Betrag, dem der Gläubiger im Schuldenbereinigungsplan zugestimmt hat - möglich ist, ist Sache der Vereinbarungen der Parteien im Schuldenbereinigungsplan. Ursprünglich erwirkte Titel oder Pfändungspfandrechte können aufrechterhalten, modifiziert, beschränkt oder beendet bzw. aufgehoben werden (vgl. LG Trier, NZI 2005, 405 ). Insbesondere bei bereits begonnener Vollstreckung kann wegen der rangwahrenden Wirkung von Pfändungsmaßnahmen hierfür ein Bedürfnis bestehen. Das ist von den Parteien frei vereinbar und gegebenenfalls durch Auslegung zu ermitteln (FK-InsO/Kohte, 5. Aufl., § 308 Rn. 1). Der Schuldenbereinigungsplan hat daher nicht generell und in jedem Fall die Wirkung der Aufhebung oder Beschränkung eines früher ergangenen Titels über eine einbezogene Forderung oder der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus diesem Titel.

Der Schuldenbereinigungsplan ist daher - wie auch die Restschuldbefreiung (BGH, Beschluss vom 25. September 2008 - IX ZB 205/06, NJW 2008, 3640 ) - keine vollstreckbare Entscheidung, aus der sich ergibt, dass das zu vollstreckende Urteil aufgehoben oder die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt oder ihre Einstellung angeordnet ist. Eine entsprechende Anwendung des § 775 Nr. 1 ZPO scheidet aus. Die Aufzählung in § 775 ZPO ist erschöpfend (BGH, Beschluss vom 25. September 2008 - IX ZB 205/06, aaO; Hk-ZPO/Kindl, 4. Aufl., § 775 Rn. 1; Musielak/Lackmann, ZPO , 8. Aufl., § 775 Rn. 1; Zöller/Stöber, ZPO , 28. Aufl., § 775 Rn. 3). Es ist nicht Aufgabe des Vollstreckungsorgans, im streng formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahren zu entscheiden, ob die Parteien im Schuldenbereinigungsplan den ursprünglichen Titel aufrechterhalten oder aufgehoben haben oder die Zwangsvollstreckung aus ihm beschränkt oder eingestellt haben. Dies ist dem Prozessgericht im Verfahren nach § 767 ZPO vorbehalten, da es sich insoweit um materiell-rechtliche Einwendungen aus dem Vergleich, § 779 BGB , handelt (vgl. Uhlenbruck, InsO , 13. Aufl., § 308 Rn. 13; Buck in Braun, InsO , 2. Aufl., § 308 Rn. 8; Hess, InsO , § 308 Rn. 7; Nerlich/Römermann, InsO , 21. Erg., § 308 Rn. 16; Vallender, DGVZ 1997, 97 , 101).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO .

Vorinstanz: AG Schwäbisch Hall, vom 27.10.2009 - Vorinstanzaktenzeichen M 2088/09
Vorinstanz: LG Heilbronn, vom 24.11.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 1 T 526/09
Fundstellen
FamRZ 2011, 1583
MDR 2011, 1202
WM 2011, 1708