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BVerwG - Entscheidung vom 20.05.2009

6 A 4.08

Normen:
G 10 § 5 Abs. 1
G 10 § 5 Abs. 1
G 10 § 12 Abs. 1
G 10 § 12 Abs. 2
G 10 § 15 Abs. 7

BVerwG, Urteil vom 20.05.2009 - Aktenzeichen 6 A 4.08

DRsp Nr. 2009/14573

Rechtmäßigkeit einer strategischen Überwachung des Fernmeldeverkehrs sowie im Einzelnen aufgeführter Telekommunikationsverbindungen durch den Bundesnachrichtendienst; Anforderungen an eine Prüfung des richtigen Zeitpunktes für eine Mitteilung durchgeführter Aufklärungsmaßnahmen

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Normenkette:

G 10 § 5 Abs. 1 ; G 10 § 5 Abs. 1 ; G 10 § 12 Abs. 1 ; G 10 § 12 Abs. 2 ; G 10 § 15 Abs. 7 ;

Gründe:

I

Der Bundesnachrichtendienst hat mit Schreiben vom 19. Mai 2008 den Kläger davon in Kenntnis gesetzt, dass er auf der Grundlage von sechs Beschränkungsanordnungen des Bundesministeriums des Innern nach § 5 Abs. 1 G 10 in der Zeit vom 15. November 2001 bis 31. Januar 2003 und vom 27. Juli 2003 bis 27. September 2003 die internationale Telekommunikation überwacht habe, um rechtzeitig die Gefahr der Begehung internationaler terroristischer Anschläge mit unmittelbarem Bezug zur Bundesrepublik Deutschland zu erkennen und ihr zu begegnen. Der Bundesnachrichtendienst sei nach § 12 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 G 10 dazu verpflichtet, dem von einer Maßnahme nach dem G 10 Betroffenen die Erfassung mitzuteilen, sobald ausgeschlossen werden könne, dass durch die Mitteilung der Zweck der Beschränkungsmaßnahme gefährdet werde. Angefügt war dem Bescheid eine nach Datum, Uhrzeit und Anschlussnummern gegliederte Liste von mehr als zwei Dutzend Fällen, in denen - im Rahmen der Durchführung der vorgenannten Maßnahme - Gespräche bzw. Anwahlversuche an Anschlüsse, welche dem Kläger zugeordnet würden, erfasst worden seien.

Daraufhin hat der Kläger Klage erhoben, mit der er grundsätzliche Bedenken gegen die Rechtsgrundlage des Vorgehens der Beklagten erhebt. Außerdem rügt er, erst zu spät über die Abhörmaßnahmen unterrichtet worden zu sein. Er sei nicht wegen terroristischer Straftaten vorbestraft. Ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwaltes sei eingestellt worden.

Der Kläger beantragt,

1.

festzustellen, dass die auf Grundlage der Beschränkungsanordnungen des Bundesministeriums des Innern

vom 3. Juli 2003,

vom 17. Oktober 2002,

vom 4. Juli 2002,

vom 11. April 2002,

vom 24. Januar 2002 und

vom 15. November 2001

vom Bundesnachrichtendienst gegen den Kläger durchgeführte Überwachung der Telekommunikation vom 15. November 2001 bis 31. Januar 2003 und vom 27. Juli 2003 bis 27. September 2003 dem Grunde nach sowie bezüglich des Vollzuges rechtswidrig gewesen sind,

2.

festzustellen, dass die Beklagte nicht zur Überwachung der vom Kläger genutzten Telefonanschlüsse berechtigt war,

3.

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet war, dem Kläger die Überwachung bereits vor dem 19. Mai 2008 mitzuteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus, die angegriffenen Maßnahmen seien rechtmäßig gewesen und hätten insbesondere auf einer verfassungskonformen Rechtsgrundlage beruht. Die Dauer von fünf Jahren bis zur Mitteilung der durchgeführten Maßnahme sei nicht zu lang gewesen. Der Kläger habe nachweislich Kontakt zu einem terroristischen Unterstützernetzwerk gehabt. Deshalb sei es längere Zeit nicht möglich gewesen, ihm von den ausgeübten Telekommunikationsbeschränkungen Kenntnis zu geben. Erst nachdem er auf das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz zugegangen sei, um seine "persönliche Wende" zu dokumentieren, und die Sicherheitsbehörden sich von der Ernsthaftigkeit dieses Entschlusses überzeugt hätten, habe die Mitteilung in die Wege geleitet werden können.

II

1.

Die vorliegende Entscheidung kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 101 Abs. 2 VwGO ).

2.

Mit den Anträgen zu 1. und 2. wendet der Kläger sich gegen die Rechtmäßigkeit der strategischen Überwachung des Fernmeldeverkehrs und der dadurch erfolgten Aufklärung im Einzelnen aufgeführter Telekommunikationsverbindungen (a). Mit dem Antrag zu 3. macht er geltend, dass es rechtswidrig gewesen sei, ihn erst zu einem so späten Zeitpunkt über die Abhörmaßnahmen durch die Beklagtenseite unterrichtet zu haben (b). Beide Begehren bleiben ohne Erfolg.

a)

Die streitgegenständliche strategische Überwachungsmaßnahme des Bundesnachrichtendienstes ist von diesem beantragt, vom Bundesministerium des Innern angeordnet und von der G 10 -Kommission gebilligt worden (§§ 9 , 10 , 15 Abs. 6 G 10 ). Gegen ihre formelle Rechtmäßigkeit sind Bedenken weder erhoben worden noch ersichtlich. Die Maßnahmen sind auch in der Sache nicht zu beanstanden. Ihre Rechtsgrundlage beruht auf § 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 3 Nr. 2 G 10 . Danach ist die strategische Telefonüberwachung u.a. zulässig zur Sammlung von Informationen über Sachverhalte, deren Kenntnis notwendig ist, um die Gefahr der Begehung internationaler terroristischer Anschläge mit unmittelbarem Bezug zur Bundesrepublik Deutschland rechtzeitig zu erkennen und einer solchen Gefahr zu begegnen. Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall erfüllt. Aus den - auch dem Kläger zugänglich gemachten - Unterlagen des Bundesministeriums des Innern und des Bundesnachrichtendienstes ergibt sich, dass die im Streit stehenden Maßnahmen aufgrund eines Lagebildes angeordnet und verlängert wurden, demzufolge von einer Verschärfung der Sicherheitslage in Europa auszugehen war und in Deutschland aufenthältliche islamistische Extremisten in Planungen für Terroranschläge verwickelt waren. Diesbezügliche Erkenntnisse konnten zu einem großen Teil aus der Fernmeldeaufklärung gewonnen werden.

Der Kläger selbst hat keine konkreten rechtlichen Bedenken gegen die Anordnung der streitgegenständlichen strategischen Überwachungsmaßnahme vorgebracht. Sein Hinweis auf die gegen das Urteil des erkennenden Senats vom 23. Januar 2008 (BVerwG 6 A 1.07 - BVerwGE 130, 180 = Buchholz 402.9 G 10 Nr. 2) eingelegte Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht vermag der vorliegenden Klage nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn in der seinerzeitigen Entscheidung des erkennenden Senats sind ausführliche Erwägungen zur Verfassungsmäßigkeit der strategischen Telekommunikationsüberwachung enthalten (a.a.O. Rn. 32 - 36), von deren Richtigkeit er weiterhin überzeugt ist.

b)

Die Klage bleibt aber auch hinsichtlich der Behauptung einer verspäteten Mitteilung der durchgeführten Aufklärungsmaßnahmen ohne Erfolg. Ob und zu welchem Zeitpunkt einem Betroffenen die strategische Telefonüberwachung mitgeteilt wird, ist in § 12 G 10 geregelt. Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 G 10 sind Beschränkungsmaßnahmen nach § 5 G 10 , sofern die personenbezogenen Daten nicht unverzüglich gelöscht wurden, dem Betroffenen nach ihrer Einstellung mitzuteilen, wenn eine Gefährdung des Zwecks der Beschränkung ausgeschlossen werden kann. Lässt sich in diesem Zeitpunkt noch nicht beurteilen, ob diese Voraussetzung vorliegt, ist die Mitteilung gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 G 10 vorzunehmen, sobald eine Gefährdung des Zwecks der Beschränkung ausgeschlossen werden kann. Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 G 10 kann die Mitteilung unter bestimmten Voraussetzungen aufgrund einstimmiger Feststellung der G 10 -Kommission unterbleiben. Auch hinsichtlich des Zeitpunkts unterliegt die Entscheidung über die Mitteilung der Beschlussfassung durch die G 10 -Kommission. Denn nach § 15 Abs. 7 Satz 1 G 10 unterrichtet das zuständige Bundesministerium die G 10 -Kommission monatlich über Mitteilungen gemäß § 12 Abs. 1 und 2 G 10 oder über die Gründe, die einer Mitteilung entgegenstehen. Nach § 15 Abs. 7 Satz 2 G 10 ist die Mitteilung unverzüglich vorzunehmen, wenn die Kommission sie für geboten hält. Demnach liegt die Entscheidung über die Mitteilung letztlich stets in der Hand der Kommission. Maßstab für die Festlegung des Mitteilungszeitpunkts ist die Frage, ob "eine Gefährdung des Zwecks der Beschränkung ausgeschlossen werden kann". Die Kommission muss sich also bei der Prüfung des richtigen Zeitpunkts davon überzeugen, dass die Möglichkeit einer Zweckgefährdung nicht besteht. Hat sie insoweit Zweifel, ist die Mitteilung - noch - zu unterlassen.

Der erkennende Senat hat in der vorgenannten Entscheidung ausgeführt (a.a.O. Rn. 42) und hält daran fest, dass das Urteil der G 10 -Kommission über den richtigen Zeitpunkt der Mitteilung der Telefonüberwachung an den Betroffenen vom Gericht nur eingeschränkt überprüft werden kann. Der Kommission steht insoweit eine Beurteilungsermächtigung zu, die die Rechtskontrolle begrenzt. Die Beklagte hat dazu für den vorliegenden Fall erläuternd ausgeführt, der Zeitraum von bis zu fünf Jahren zwischen Beendigung der Maßnahme und ihrer Mitteilung an den Kläger erscheine nicht als zu lang. Der den Kläger betreffende Teil der strategischen Aufklärung gemäß § 5 G 10 habe keine individuellen Absichten gegen diesen verfolgt, sondern sei Teil der Erforschung eines gesamten Verdachtsfeldes gewesen. Der Zweck der Überwachung könne in einem solchen Fall sehr viel schneller gefährdet werden, wenn gegenüber einer Einzelperson - zu früh - Mitteilungen von der Maßnahme gemacht würden. Bei dem Kläger handele es sich um eine Person, die nachweislich Kontakt zu einem terroristischen Unterstützernetzwerk gehabt habe. Der Bundesnachrichtendienst habe noch im August 2003 Meldungen, die ihn betroffen hätten, an das Bundeskriminalamt übermittelt. Angesichts dieser bestehenden Kontakte habe es nahegelegen, ihm auch dann noch Daten über die Telekommunikationsbeschränkung vorzuenthalten, als er selbst seine Aktivitäten eingestellt habe bzw. diese nach außen nicht mehr erkennbar gewesen seien. Niemand habe nämlich wissen können, wer bei einer Mitteilung an ihn möglicherweise noch von der strategischen Überwachung erfahren hätte. Nachdem der Kläger selbst aktiv geworden sei, um seine "persönliche Wende" zu dokumentieren und im Oktober 2006 auf das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz zugegangen sei, sei 16 Monate später die Mitteilung in die Wege geleitet worden. Dies sei für die vorliegende Verwaltungstätigkeit ein eher geringer Zeitraum. Es sei abzuwarten gewesen, ob die Abwendung des Klägers ernst gemeint gewesen sei. Außerdem habe der Kläger den Kontakt nicht zum Bundesnachrichtendienst, sondern zum Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz gesucht.

In diesem Vorbringen liegen ausreichende Gründe, die den streitgegenständlichen Mitteilungszeitpunkt im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben aus § 12 G 10 plausibel erscheinen lassen.

3.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen, weil er unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO ).

Beschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10 000 EUR festgesetzt.