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BVerwG - Entscheidung vom 14.07.2009

10 C 13.08

Normen:
AufenthG § 60 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 4
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 6
AufenthG § 60 Abs. 7
AuslG 1990 § 51 Abs. 1

BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - Aktenzeichen 10 C 13.08

DRsp Nr. 2009/23927

Anspruch eines irakischen Staatsangehörigen arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitisch-islamischen Glaubens auf Abschiebungsschutz wegen der allgemeinen Gefahrenlage im Irak

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 13. August 2007 wird aufgehoben, soweit er die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG betrifft.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Normenkette:

AufenthG § 60 Abs. 2 ; AufenthG § 60 Abs. 3 ; AufenthG § 60 Abs. 4 ; AufenthG § 60 Abs. 5 ; AufenthG § 60 Abs. 6 ; AufenthG § 60 Abs. 7 ; AuslG 1990 § 51 Abs. 1 ;

Gründe

I

Der 1982 in Bagdad geborene Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen der allgemeinen Gefahrenlage im Irak.

Der Kläger ist irakischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitisch-islamischen Glaubens. Im Mai 1999 reiste er nach Deutschland ein. Auf seinen Antrag stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - im Juli 1999 bestandskräftig fest, dass im Hinblick auf Verfolgungsgefahren seitens des Regimes von Saddam Hussein die Voraussetzungen des Flüchtlingsschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG 1990 vorliegen. Nach dem Sturz dieses Regimes widerrief das Bundesamt die Flüchtlingsanerkennung des Klägers wegen der veränderten politischen Verhältnisse im Irak. Zugleich stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen.

Im Klageverfahren hat das Verwaltungsgericht den Widerrufsbescheid des Bundesamtes aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 13. August 2007 die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, der Widerruf sei rechtmäßig, weil der Kläger im Irak keine politische Verfolgung mehr zu befürchten habe, die seine Anerkennung als Flüchtling rechtfertige. Der Kläger könne auch nicht die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG beanspruchen. Insbesondere bestehe kein Anspruch auf Abschiebungsschutz bzw. subsidiären Schutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG und Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie). Die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG komme nicht in Betracht, weil der Kläger sich lediglich auf allgemeine Gefahren berufe und ihm insoweit aufgrund der baden-württembergischen Erlasslage ein der gesetzlichen Duldung entsprechender, gleichwertiger Abschiebungsschutz zustehe. Der Kläger sei bei einer Rückkehr in den Irak auch keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie ausgesetzt. Zwar dürften die punktuellen bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen - insbesondere zwischen Sunniten und Schiiten - in Teilgebieten des Zentralirak (vor allem in Bagdad und anderen Städten im sog. "sunnitischen Dreieck") die Anforderungen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts erfüllen. Den damit verbundenen Gefahren sei aber die gesamte Bevölkerung in den "Kampfgebieten" ausgesetzt. Derart allgemeine Gefahren könnten für eine individuelle Bedrohung noch nicht als ausreichend angesehen werden. Eine individuelle Bedrohung setze darüber hinaus - zusätzlich - eine auf die betreffende Person zugeschnittene besondere - konkrete - Gefahrenlage voraus. Dies sei etwa für Mitglieder politischer Parteien, für Journalisten sowie für die intellektuelle Elite des Irak anzunehmen. Hierzu gehöre der Kläger nicht.

Mit seiner vom erkennenden Senat nur hinsichtlich des Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren auf Abschiebungsschutz bzw. subsidiären Schutz weiter.

Das Bundesamt tritt der Revision entgegen. Der Vertreter des Bundesinteresses macht geltend, das Berufungsgericht habe Art. 15 Buchst. c der Richtlinie fehlerhaft angewandt.

II

Der Senat konnte trotz des Ausbleibens des Klägers in der mündlichen Verhandlung über die Revision verhandeln und entscheiden, weil in der Ladung darauf hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO ).

Die nur gegen die Versagung des Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gerichtete Revision des Klägers ist begründet. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines ausländerrechtlichen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit einer Begründung verneint, die mit Bundesrecht nicht vereinbar ist (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ). Da der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht selbst abschließend entscheiden kann, ob der Kläger einen Anspruch auf Feststellung eines solchen Abschiebungsverbots hat, war die Berufungsentscheidung hinsichtlich des Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG aufzuheben und die Sache insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO ). Wegen der Einzelheiten der Begründung wird in vollem Umfang auf das Urteil vom heutigen Tage in dem Parallelverfahren BVerwG 10 C 9.08 (Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen) Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Verkündet am 14. Juli 2009

Vorinstanz: VGH Baden-Württemberg, vom 13.08.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 2 S 680/06