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BGH - Entscheidung vom 02.04.2009

IX ZB 245/08

Normen:
InsO § 16
InsO § 17
BGB § 2033 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 02.04.2009 - Aktenzeichen IX ZB 245/08

DRsp Nr. 2009/9093

Berücksichtigung neuen Vorbringens des Insolvenzschuldners zum Vorliegen der Insolvenzgründe in der Beschwerdeinstanz

Auch im Verfahren der sofortigen Beschwerde gegen einen Eröffnungsbeschluss ist neues Vorbringen uneingeschränkt zu berücksichtigen, wenn es sich auf den Zeitpunkt der Eröffnung bezieht.

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Mühlhausen vom 17. Oktober 2008 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert wird auf 15.000 Euro festgesetzt.

Die Vollziehung des Eröffnungsbeschlusses des Amtsgerichts Mühlhausen vom 29. August 2008 bleibt bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts ausgesetzt.

Normenkette:

InsO § 16 ; InsO § 17 ; BGB § 2033 Abs. 2 ;

Gründe:

I.

Wegen rückständiger Erbschaftsteuer in Höhe von 27.232,28 EUR hat der Freistaat Thüringen, Finanzamt Gotha (fortan: Gläubiger), am 14. Januar 2008 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners beantragt. Am 29. August 2008 ist das Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zu 2 (fortan: Verwalter) zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Am 16. September 2008 veranlasste der Schuldner die Überweisung eines Betrages von 29.104,20 EUR (der den bis zu diesem Tag aufgelaufenen Rückständen entsprach) an das zuständige Finanzamt. Mit Schriftsatz vom 22. September 2008 erklärte der Gläubiger seinen Antrag für erledigt. Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Eröffnungsbeschluss ist erfolglos geblieben. Mit seiner Rechtsbeschwerde möchte der Schuldner weiterhin die Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses erreichen. Durch Beschluss vom 5. Februar 2009 hat der Senat die Vollziehung des Eröffnungsbeschlusses vorläufig ausgesetzt.

II.

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1.

Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Der Schuldner sei im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 29. August 2008 zahlungsunfähig gewesen. Er sei bereits im Jahre 2007 nicht in der Lage gewesen, die Forderung des antragstellenden Gläubigers zu begleichen, und habe seine Zahlungsfähigkeit vor der im September 2008 erfolgten Überweisung auch nicht wiedergewonnen. Dass der Schuldner zu 1/3 an einer Erbengemeinschaft beteiligt gewesen sei, der ein Hausgrundstück gehört habe, ändere daran nichts, weil bis zuletzt unsicher gewesen sei, ob der Gläubiger aus der Auseinandersetzung Geld erhalten werde.

2.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie lassen wesentliches Vorbringen des Schuldners außer acht (Art. 103 Abs. 1 GG ).

a)

Der Eröffnung des Insolvenzverfahrens lag ein Gutachten des jetzigen Insolvenzverwalters zugrunde, nach welchem der Schuldner Verbindlichkeiten gegenüber dem antragstellenden Gläubiger in Höhe von 27.232,20 EUR hatte, jedoch nur über liquide Mittel in Höhe von 300 EUR verfügte. Der Schuldner sei außerdem zu einem Drittel an einer Erbengemeinschaft beteiligt, der ein Haus im Wert von 60.000 EUR gehöre. Ob dieses verkauft werden könne, sei nicht absehbar.

b)

Im Beschwerdeverfahren hat der Schuldner jedoch vorgetragen, das Hausgrundstück sei mit notariellem Vertrag vom 10. März 2008 zum Preis von 132.000 EUR verkauft worden. Eine Kopie des Vertrages befindet sich bei den Akten. Der Kaufpreis sei im August 2008 in zwei Raten von 40.000 EUR (am 15. August 2008) und 92.000 EUR (am 18. August 2008) auf dem Fremdgeldkonto des Verfahrensbevollmächtigten des Schuldners eingegangen. Dem Schuldner habe davon ein Drittel, mithin ein Betrag von 44.000 EUR, zugestanden. Die Zahlung an das Finanzamt habe sich nur deshalb verzögert, weil der aktuelle Forderungsstand neu habe berechnet werden müssen.

c)

Die sofortige Beschwerde eröffnet eine vollständige zweite Tatsacheninstanz (BGH, Beschl. v. 21. Dezember 2006 - IX ZB 81/06, ZIP 2007, 188 , 190 Rn. 20). Neues Vorbringen im Beschwerdeverfahren ist deshalb uneingeschränkt zu berücksichtigen (§ 571 Abs. 2 ZPO ; vgl. BT-Drucks. 14/4722, S. 113; BGH, Beschl. v. 27. März 2008 - IX ZB 144/07, NZI 2008, 391 Rn. 6). Das gilt auch im Verfahren der sofortigen Beschwerde gegen einen Eröffnungsbeschluss. Nach §§ 16 , 17 InsO kommt es zwar auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Eröffnung an. Neues Vorbringen in der Beschwerdeinstanz, welches sich auf diesen Zeitpunkt bezieht, ist jedoch bei der Entscheidung über die sofortige Beschwerde zu beachten (BGHZ 169, 17, 20 f Rn. 9 f). Dass dies geschehen wäre, lässt der angefochtene Beschluss nicht erkennen. Der Schuldner hat vorgetragen, ab Eingang der zweiten Rate auf dem Anderkonto habe er über 44.000 EUR verfügen können; traf dies zu, war er im Zeitpunkt der Eröffnung nicht zahlungsunfähig, weil die festgestellten Verbindlichkeiten nur etwa 30.000 EUR betrugen.

d)

Entgegen der Ansicht des Verwalters ist das Vorbringen des Schuldners nicht von vorneherein aus Rechtsgründen unerheblich. Der Schuldner war zwar nicht selbst Verkäufer des Nachlassgrundstücks. Über seinen Anteil an den einzelnen Nachlassgegenständen kann ein Miterbe nicht verfügen (§ 2033 Abs. 2 BGB ). Das galt nicht nur für das Hausgrundstück, sondern auch für den Kaufpreisanspruch und den schließlich gezahlten Kaufpreis. Feststellungen zu weiterem Vermögen der Erbengemeinschaft oder vorab zu begleichenden Nachlassverbindlichkeiten (§ 2046 Abs. 1 BGB ) gibt es jedoch nicht. Dann ist nicht ersichtlich, was einer sofortigen Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft durch Teilung des auf dem Anderkonto verwahrten Geldbetrages nach dem Verhältnis der Erbteile entgegengestanden hätte (§§ 2042 , 2047 BGB ). Sie hat ja auch tatsächlich bereits im September 2008 stattgefunden, unmittelbar nach der Neuberechnung der Forderung des Finanzamts. Erforderlichfalls hätte der Schuldner den Erbteil außerdem als Finanzierungsgrundlage einsetzen können.

III.

Der angefochtene Beschluss kann damit keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben; die Sache ist an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO ). Dieses wird zu prüfen haben, ob der Vortrag des Schuldners zutrifft, er habe im Zeitpunkt der Eröffnung über einen die Forderung des Gläubigers deckenden Geldbetrag verfügen können.

IV.

Die Vollziehung des Eröffnungsbeschlusses bleibt bis zur erneuten Entscheidung des Beschwerdegerichts ausgesetzt (vgl. dazu BGHZ 169, 17, 29 Rn. 30 f).

Vorinstanz: LG Mühlhausen, vom 17.10.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 2 T 215/08
Vorinstanz: AG Mühlhausen, vom 29.08.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 8 IN 16/08