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BGH - Entscheidung vom 20.06.2007

1 StR 157/07

Normen:
StGB § 239b

Fundstellen:
NStZ-RR 2007, 343
StV 2008, 249

BGH, Urteil vom 20.06.2007 - Aktenzeichen 1 StR 157/07

DRsp Nr. 2007/13307

Zusammenhang zwischen Entführung und beabsichtigter Nötigung

1. § 239b StGB ist - schon wegen der hohen Mindeststrafe von fünf Jahren - einschränkend auszulegen. Zwischen der Entführung eines Opfers und einer beabsichtigten Nötigung muss ein funktionaler und zeitlicher Zusammenhang derart bestehen, dass der Täter das Opfer während der Dauer der Entführung nötigen will und die abgenötigte Handlung auch während der Dauer der Zwangslage vorgenommen werden soll.2. Allerdings kann auch das Erreichen eines Teilerfolges des Täters, der mit Blick auf ein weitergehendes Ziel jedenfalls vorbereitend wirkt, eine Nötigung darstellen. 3. Jedenfalls solche Handlungen des Opfers, die eine nach der Vorstellung des Täters eigenständig bedeutsame Vorstufe des gewollten Enderfolgs darstellen, führen zur Vollendung der mit der qualifizierten Drohung erstrebten Nötigung.

Normenkette:

StGB § 239b ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer ebenfalls auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision, dass der Angeklagte nicht wegen Geiselnahme gemäß § 239b Abs. 1 StGB verurteilt worden ist. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I. 1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Der Mitangeklagte Ö., der seine Verurteilung nicht angefochten hat, hatte bei einem nächtlichen Kontrollbesuch in der Wohnung seiner 17-jährigen Schwester T. Ö. den Zeugen E. vorgefunden. Er hatte deshalb seine Schwester und E. geschlagen und mit einem Messer bedroht. Gemeinsam mit dem telefonisch herbeigerufenen Angeklagten und den gesondert Verfolgten K. und Ek. zwang er sodann den verängstigten E., mit ihnen zu einem abgelegenen Parkplatz zu fahren. Dort erklärte er dem Angeklagten, E. müsse weiter eingeschüchtert werden, damit er seine Schwester nunmehr heirate. Der Angeklagte erwiderte, er werde "dies" nun regeln.

Der Angeklagte setzte sich mit E. auf die Rücksitzbank des Kraftfahrzeugs, ergriff eine (ungeladene) Gaspistole, hielt sie so vor das Gesicht des E., dass dieser sie wegen des nicht verschlossenen Laufs für eine scharfe Waffe hielt, und steckte ihm ihren Lauf gewaltsam in den Mund. Er erweckte den Anschein, die Waffe auslösen zu wollen, woraufhin E. in Todesangst aufschrie. Nunmehr drehte der Angeklagte die Waffe um und schlug mit ihrem metallischen Griff mehrmals kräftig gegen den Kopf des E.. Er zwang ihn, wieder auszusteigen, und forderte ihn auf, sich - wie schon zuvor - bei Ö. nochmals zu entschuldigen und diesem zum Zeichen der Respektbekundung nach türkischer Sitte die Hand zu küssen. Zusätzlich erklärte er, falls Ö. die Geste der Entschuldigung nicht annehme, müsse er damit rechnen, umgebracht zu werden. Ö. seinerseits erließ dem E. den Handkuss, drohte ihm aber an, es werde noch schlimmer kommen, wenn er sich nicht an seine Vorgaben halte, und ließ ihn daraufhin gehen.

Der Angeklagte wusste bei seinem Vorgehen gegen E., dass dieser sich bereits mehrfach bei Ö. entschuldigt hatte und selbst nach weiteren Möglichkeiten zur Entschuldigung und Respektbezeugung suchte. Die Drohungen des Angeklagten dienten nicht dem Zweck, der Aufforderung zur Entschuldigung Nachdruck zu verleihen, sondern sollten die Einschüchterung des E. nochmals steigern, um für die Zukunft sicher zu stellen, dass E. außereheliche Beziehungen zu T. Ö. unterlässt und diese heiratet.

2. Das Landgericht hat dieses Geschehen nicht als Geiselnahme gemäß § 239b Abs. 1 StGB gewertet. Der Angeklagte habe dem Geschädigten E. zwar im Rahmen einer zuvor geschaffenen Bemächtigungssituation mit dem Tode gedroht. Die Drohung habe jedoch nicht dazu gedient, E. ein Verhalten noch während der Dauer der Zwangslage abzunötigen.

II. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen eines Verbrechens der Geiselnahme verneint.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 239b StGB - schon wegen der hohen Mindeststrafe von fünf Jahren - einschränkend auszulegen. Zwischen der Entführung eines Opfers und einer beabsichtigten Nötigung muss ein funktionaler und zeitlicher Zusammenhang derart bestehen, dass der Täter das Opfer während der Dauer der Entführung nötigen will und die abgenötigte Handlung auch während der Dauer der Zwangslage vorgenommen werden soll (vgl. BGH NJW 1997, 1082; NStZ 2006, 36 ). Denn der Zweck dieser Strafvorschrift besteht gerade darin, das Sich-Bemächtigen oder die Entführung des Opfers deshalb besonders unter Strafe zu stellen, weil der Täter seine Drohung während der Dauer der Zwangslage jederzeit realisieren kann (BGH StV 1997, 302 ; NStZ 2006, 36 ). Allerdings kann auch das Erreichen eines Teilerfolges des Täters, der mit Blick auf ein weitergehendes Ziel jedenfalls vorbereitend wirkt, eine Nötigung darstellen (BGH NJW 1997, 1082; NStZ 2006, 36 ). Jedenfalls solche Handlungen des Opfers, die eine nach der Vorstellung des Täters eigenständig bedeutsame Vorstufe des gewollten Enderfolgs darstellen, führen zur Vollendung der mit der qualifizierten Drohung erstrebten Nötigung (BGH aaO.).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Angeklagte wollte den Geschädigten E. einschüchtern und ihn dadurch dazu bringen, künftig außereheliche Beziehungen zu der Zeugin T. Ö. zu unterlassen und diese zu heiraten. Damit waren seine Ziele auf ein Verhalten des E. in einem Zeitraum gerichtet, zu dem dieser aus der Gewalt der beiden Angeklagten wieder entlassen sein würde. Aus den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts ergibt sich nicht, dass der Angeklagte erreichen wollte (und erreicht hat), dass E. bereits während der Bemächtigungssituation sich verbindlich zu seinem künftigen Verhalten gegenüber T. Ö. festlegt.

Auch soweit der Angeklagte dem E. eine nochmalige Entschuldigung für dessen bisheriges Verhalten und einen Handkuss als Respektbezeugung abverlangte, ist keine hinreichende Vorstufe des gewollten Enderfolgs - zukünftige Beziehungen zu T. Ö. - gegeben. Es fehlt insoweit bereits die erforderliche finale Verknüpfung zwischen der Bemächtigungslage und ihrer Ausnutzung zum Zwecke der Nötigung. Dem Angeklagten war nach den ausdrücklichen Feststellungen des Landgerichts bewusst, "dass dem Geschädigten E. die Aufforderung zur nochmaligen Entschuldigung und Respektbezeugung als Gelegenheit zur Besänftigung des Angeklagten Ö. willkommen war und dass E. ihr auch ohne zusätzliche Drohungen nachkommen würde." Insoweit wollte der Angeklagte daher schon nicht - was eine Nötigung voraussetzt - einen entgegenstehenden Willen des Geschädigten überwinden.

Damit erfüllt das Verhalten des Angeklagten nur die Tatbestände der tateinheitlich begangenen Freiheitsberaubung, Bedrohung und gefährlichen Körperverletzung.

III. Die Revision des Angeklagten ist aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zutreffend genannten Gründen unbegründet.

Vorinstanz: LG München I, vom 11.09.2006
Fundstellen
NStZ-RR 2007, 343
StV 2008, 249