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BGH - Entscheidung vom 19.07.2007

IX ZB 86/07

Normen:
ZPO § 516 § 233 § 234

Fundstellen:
BRAK-Mitt 2007, 201
MDR 2008, 99

BGH, Beschluß vom 19.07.2007 - Aktenzeichen IX ZB 86/07

DRsp Nr. 2007/14895

Wiedereinsetzungsfrist bei Zurückweisung eines Prozesskostenhilfegesuchs für die Rechtsmittelinstanz

Der Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Berufungsverfahrens beantragenden Partei ist für den Fall, dass Prozesskostenhilfe versagt wird, zunächst eine zusätzliche Überlegungsfrist von ca. drei Tagen zuzubilligen, damit sich die mit Prozesskostenhilfe rechnende Partei darüber schlüssig werden kann, ob sie das Rechtsmittel nun auf eigene Kosten durchführen will.

Normenkette:

ZPO § 516 § 233 § 234 ;

Gründe:

I. Die Klägerin verlangt von der Beklagten Zahlung von Rechtsanwaltsgebühren für zwei Mandate, die sie jeweils wegen fehlenden Kostenvorschusses niedergelegt hat. Mit Versäumnisurteil vom 10. November 2005 verurteilte das Amtsgericht die Beklagte. Auf Einspruch der Beklagten erging am 14. Februar 2006 ein Urteil des Amtsgerichts, in dem das Versäumnisurteil aufrechterhalten wurde. Das Urteil wurde der Beklagten am 18. Februar 2006 zugestellt.

Am 17. März 2006 hat die Beklagte Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Berufungsverfahren beantragt. Mit Beschluss vom 29. Juni 2006 hat das Landgericht das Gesuch zurückgewiesen, weil die Berufung keine Aussicht auf Erfolg habe. Dieser Beschluss ist der Beklagten am 7. Juli 2006 zugestellt worden. Am Montag, 24. Juli 2006, hat die Beklagte durch ihren Rechtsanwalt Berufung eingelegt und Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist gestellt. Mit Schriftsatz eines anderen Anwalts, der am 7. August 2006 eingegangen ist, hat die Beklagte eine Berufungsbegründung abgegeben.

Mit Beschluss vom 2. November 2006 hat das Landgericht die Berufung und den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist als unzulässig verworfen. Dieser Beschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 14. November 2006 zugestellt.

Auf Antrag der Beklagten vom 14. Dezember 2006 hat der Senat der Beklagten mit Beschluss vom 19. April 2007 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für das Verfahren der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts bewilligt. Dieser Beschluss ist der Beklagten am 26. April 2007 zugestellt worden. Sie hat mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten am 4. Mai 2007 Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 2. November 2006 beantragt sowie Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts eingelegt und begründet.

II. Der Beklagten ist auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts zu gewähren. Die Beklagte war ohne ihr Verschulden verhindert, die Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde einzuhalten, weil sie aus finanziellen Gründen nicht in der Lage war, innerhalb der Einlegungs- und Begründungsfrist einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung zu beauftragen (§ 233 Abs. 1 ZPO ). Sie hat jedoch innerhalb offener Rechtsbeschwerdefrist (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 575 Abs. 1 ZPO ) Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren beantragt und die erforderlichen Unterlagen vorgelegt. Dem Antrag hat der Senat mit Beschluss vom 19. April 2007 stattgegeben. Das Hindernis zur Einlegung der Rechtsbeschwerde entfiel mit der Zustellung des Beschlusses am 26. April 2007. Die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde ist innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO formgerecht (§ 236 ZPO ) beantragt und die versäumte Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde nachgeholt worden, § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 ZPO .

III. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ) und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO ). Sie ist begründet.

1. Das Berufungsgericht meint, die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 2 ZPO sei hinsichtlich der Einlegung der Berufung nicht gewahrt worden, da der Antrag nicht rechtzeitig binnen zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses gestellt worden sei, sondern erst am 24. Juli 2006. Fristbeginn für die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist sei Freitag, der 7. Juli 2006 gewesen, da der Beklagten an diesem Tag die ablehnende Entscheidung über die beantragte Prozesskostenhilfe bekannt gegeben worden sei. Eine der Wiedereinsetzungsfrist vorgeschaltete Überlegungsfrist sei der Beklagten nicht zu gewähren.

Die Berufung sei außerdem als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht rechtzeitig innerhalb der Frist von zwei Monaten (§ 520 Abs. 2 ZPO ) begründet und ein Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist nicht gestellt worden sei.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.

a) Die Beklagte hatte die Berufungsfrist versäumt, aber innerhalb dieser Frist Prozesskostenhilfe beantragt. Der die Prozesskostenhilfe ablehnende Beschluss war ihr am 7. Juli 2006 zugestellt worden. Die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung der Berufung betrug gemäß § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO zwei Wochen und begann gemäß § 234 Abs. 2 ZPO grundsätzlich mit der Zustellung des ablehnenden Beschlusses. Die Frist von zwei Wochen hätte deshalb am Freitag, dem 21. Juli 2006 geendet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist aber der Prozesskostenhilfe beantragenden Partei im Falle, dass Prozesskostenhilfe versagt wird, zunächst eine zusätzliche Überlegungsfrist von ca. drei Tagen zuzubilligen, damit sich die mit Prozesskostenhilfe rechnende Partei darüber schlüssig werden kann, ob sie das Rechtsmittel nun auf eigene Kosten durchführen will (BGH, Beschl. v. 10. November 1998 - VI ZB 21/98, VersR 1999, 1123 , 1124 m.w.N.; v. 26. April 2001 - IX ZB 25/01, WM 2001, 1274, 1275). Von dieser Rechtsprechung abzuweichen besteht keine Veranlassung. Jedenfalls durfte sie die Beklagte und ihr Prozessbevollmächtigter der Berechnung der Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung zugrunde legen.

b) Auch die zweite Begründung des Landgerichts, nämlich dass die Berufung unzulässig, weil nicht rechtzeitig innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 ZPO begründet worden sei, ist nicht tragfähig. Die Begründungsfrist lief ab Zustellung des Urteils, also ab 18. Februar 2006. Sie war damit bei Einreichung der Berufungsbegründung am 7. August 2006 abgelaufen. Die Beklagte hat zwar keinen Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Sie hat aber die Prozesshandlung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist von einem Monat gemäß § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO nachgeholt. Deshalb konnte ihr gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO Wiedereinsetzung von Amts wegen gewährt werden.

Da der Wille der Partei, den Rechtsstreit fortführen zu wollen, deutlich und die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung aktenkundig waren, musste Wiedereinsetzung von Amts wegen gewährt werden. Da das Landgericht diese Entscheidung unterlassen hat, kann sie der Bundesgerichtshof im Rahmen des Beschwerdeverfahrens treffen (BGH, Beschl. v. 8. Oktober 1992 - V ZB 6/92, VersR 1993, 713 , 714; Urt. v. 5. Mai 1993 - XII ZR 124/92, NJW-RR 1993, 1091 , 1093; Beschl. v. 24. Mai 2000 - III ZB 8/00, NJW-RR 2000, 1590 ; v. 4. Februar 2004 - VIII ZB 77/03, BGHRep 2004, 846, 847).

Vorinstanz: LG Braunschweig - 8 S 145/06 (010) - 2.11.2006,
Vorinstanz: AG Helmstedt, vom 14.02.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 3 C 343/05
Fundstellen
BRAK-Mitt 2007, 201
MDR 2008, 99