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BGH - Entscheidung vom 28.08.2007

4 StR 305/07

Normen:
StGB § 323a

Fundstellen:
NStZ-RR 2007, 368

BGH, Beschluß vom 28.08.2007 - Aktenzeichen 4 StR 305/07

DRsp Nr. 2007/16905

Vorsatz und Schuldfähigkeit bei einem chronisch Alkoholkranken

1. Allein das Wissen eines chronisch Alkoholabhängigen um den bei ihm regelmäßig eintretenden Kontrollverlust rechtfertigt nicht die Annahme, die Volltrunkenheit werde jeweils vorsätzlich und uneingeschränkt schuldhaft herbeigeführt.2. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Täter von einem derart starken Drang zum Alkohol beherrscht war, dass seine Fähigkeit, der Versuchung zu übermäßigem Genuss alkoholischer Getränke zu widerstehen, im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war.

Normenkette:

StGB § 323a ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Vollrauschs zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat nur hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift u.a. ausgeführt:

"Keinen Bestand kann der Rechtsfolgenausspruch haben, weil die Strafkammer sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des nach den Feststellungen des Gerichts alkoholkranken Angeklagten bereits zum Zeitpunkt des Sichberauschens eingeschränkt war (BGHR StGB § 323a Abs. 2 Strafzumessung 4). ... Allein das Wissen eines chronisch Alkoholabhängigen um den bei ihm regelmäßig eintretenden Kontrollverlust rechtfertigt nicht die Annahme, die Volltrunkenheit werde jeweils vorsätzlich und uneingeschränkt schuldhaft herbeigeführt (BGH NStZ 1996, 334 ; BGH NStZ-RR 1997, 102 und 299). Im Rahmen der Strafzumessung geht die Kammer von einer Alkoholsuchterkrankung des Angeklagten aus (UA S. 11). Es hätte deshalb Veranlassung bestanden zu prüfen, ob der Angeklagte von einem derart starken Drang zum Alkohol beherrscht war, dass seine Fähigkeit, der Versuchung zu übermäßigem Genuss alkoholischer Getränke zu widerstehen, im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war (vgl. BGHR StGB § 323a Abs. 1 Sichberauschen 1; BGH StV 1984, ... 419). Gegebenenfalls bestand dann Anlass zur Prüfung einer Strafmilderung. Der Strafausspruch kann wegen dieses Mangels nicht bestehen bleiben.

Dagegen hatte das Landgericht ersichtlich keinen Anlass für die Annahme, bei dem Angeklagten liege eine derart schwere alkoholbedingte Persönlichkeitsveränderung vor, dass er möglicherweise für seinen [der Rauschtat] vorangegangenen Alkoholgenuss strafrechtlich überhaupt nicht verantwortlich zu machen sei. Der Schuldspruch, der auch sonst keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist, kann daher bestehen bleiben.

Die Maßregelanordnung kann keinen Bestand haben. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt durch den Tatrichter erweist sich als rechtsfehlerhaft.

Aufgrund der Feststellungen zu den Trinkgewohnheiten und zum Alkoholkonsum des Angeklagten (UA S. 2-4) ist das Gericht zwar rechtsfehlerfrei von einem Hang, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, ausgegangen.

Es fehlt aber die hinreichend sichere Feststellung einer Gefahrenprognose. Eine der weiteren Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist nämlich die Gefahr, dass der Täter zumindest auch infolge seines Hangs erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Eine bloße Selbstgefährdung reicht nicht aus (OLG Hamm NJW 1974, 614 ). Die zu befürchtenden Taten müssen der Anlasstat nicht gleich oder ähnlich sein. Zwar setzt § 64 StGB einen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang zum Rauschmittelmissbrauch, der Anlasstat und zukünftiger Gefährlichkeit voraus; eine darüber hinausgehende 'Konnexität' zwischen der Abhängigkeit und zu erwartenden Straftaten ist jedoch nicht erforderlich. Es reicht grundsätzlich die Gefahr beliebiger Taten, wenn diese suchtbedingt und erheblich sind. Die Maßregel kann aber nicht unabhängig von dieser Gefahr allein zum Zweck der Heilung des Täters angeordnet werden (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 64 Rdn. 12 m.w.N.).

Vorliegend hat die Kammer festgestellt, dass der Angeklagte strafrechtlich noch nie in Erscheinung getreten ist (UA S. 11), dass er allgemein als friedlich und nicht gewalttätig beschrieben wird (UA S. 9) und sich der Angeklagte bei einem Vorfall im Jahre 2000 unter erheblichem Alkoholeinfluss ohne Suizidabsicht selbst einen Schreckschussrevolver an die Stirn hielt und abdrückte (UA S. 2). Zur Begründung der Gefahrenprognose wird ausgeführt, dass aufgrund der Suchterkrankung des Angeklagten und der fehlenden Perspektiven für eine Veränderung der Lebensumstände die Gefahr besteht, dass er auch zukünftig erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Insbesondere sei es bereits früher zu einer rauschbedingten Gewalttat gekommen, auch wenn diese nur gegen den Angeklagten selbst gerichtet gewesen sei. Diese Begründung lässt besorgen, dass das Landgericht von zu einem zu weiten Verständnis der Gefahrenprognose im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist. Hält sich jemand einen Schreckschussrevolver an die eigene Stirn und drückt ab, so ist entgegen der Auffassung des Gerichts fern liegend, dass es lediglich vom Zufall abhängt, ob nicht doch eine dritte Person verletzt wird (vgl. hierzu UA S. 11).

Ein weiterer Mangel liegt darin, dass sich das Urteil in keiner Weise zu der erforderlichen Erfolgsaussicht einer Entziehungsbehandlung verhält. Anordnung und Vollzug der Maßregel müssen an die hinreichend konkrete Aussicht geknüpft sein, den Süchtigen zu heilen oder doch über eine gewisse Zeitspanne vor Rückfall in die akute Sucht zu bewahren (BVerfGE 91, 1 ; Tröndle/Fischer, aaO. § 64 Rdn. 14 ff.)."

Dem schließt sich der Senat an; er verweist im Hinblick auf die Maßregel auf den nunmehr geltenden § 64 StGB i.d.F. des Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I 1327).

Mit der teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils ist die sofortige Beschwerde gegen die Versagung einer Entschädigung und gegen die Kostenentscheidung gegenstandslos.

Der Schriftsatz des Verteidigers vom 17./21. August 2007 hat dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

Vorinstanz: LG Siegen, vom 19.03.2007
Fundstellen
NStZ-RR 2007, 368