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BGH - Entscheidung vom 26.11.2007

AnwZ (B) 100/06

Normen:
BRAO § 7 Nr. 9

BGH, Beschluß vom 26.11.2007 - Aktenzeichen AnwZ (B) 100/06

DRsp Nr. 2008/1068

Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfall

1. Vermögensverfall kann auch aufgrund einer einzigen Forderung gegen den Bewerber um die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bestehen, wenn diese hoch (hier: in einer Größenordnung von 100.000 Euro) ist und der Bewerber nicht in der Lage ist, diese in absehbarer Zeit zu tilgen.2. Hat der Gläubiger jedoch in den letzten 20 Jahren keinen Vollstreckungsversuch unternommen, so kommt dies einem konkludenten Vollstreckungsverzicht gleich und rechtfertigt jedenfalls gegenwärtig die Annahme, dass eine Vollstreckung von diesem Gläubiger auch in Zukunft nicht zu erwarten ist. Dies steht der Annahme des Vermögensverfalls entgegen.3. § 7 Nr. 9 BRAO enthält nicht einen § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO entsprechenden Ausnahmetatbestand, wonach die Zulassung trotz bestehenden Vermögensverfalls nicht versagt werden darf, wenn durch den Vermögensverfall die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind.

Normenkette:

BRAO § 7 Nr. 9 ;

Gründe:

I. Der Antragsteller war von 1977 bis 1987 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Ein im Jahr 1994 gestellter Antrag auf Wiederzulassung hatte keinen Erfolg. Am 17. August 2004 beantragte der Antragsteller erneut seine Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft. Die Antragsgegnerin lehnte dies mit Bescheid vom 11. Januar 2006 unter Berufung auf den Versagungsgrund des § 7 Nr. 9 BRAO ab.

Der Antragsteller hat gerichtliche Entscheidung beantragt. Der Anwaltsgerichtshof hat den Versagungsbescheid der Antragsgegnerin aufgehoben und diese verpflichtet, den Antragsteller erneut zu bescheiden. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin.

II. Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 2 und 4 BRAO ), hat in der Sache aber keinen Erfolg. Der Anwaltsgerichtshof hat den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. Januar 2006 im Ergebnis zu Recht aufgehoben. Die Voraussetzungen des § 7 Nr. 9 BRAO für eine Versagung der Wiederzulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft sind nicht erfüllt.

1. Nach § 7 Nr. 9 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn sich der Bewerber in Vermögensverfall befindet; ein Vermögensverfall wird vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Bewerbers eröffnet oder der Bewerber in das vom Insolvenzgericht oder vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 26 Abs. 2 InsO , § 915 ZPO ) eingetragen ist. Die gesetzliche Vermutung für das Vorliegen eines Vermögensverfalls greift nicht ein. Zwar war der Antragsteller kurz nach Eingang seines Antrags auf Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft aufgrund von Haftbefehlen des Amtsgerichts Spandau vom 12. Oktober 2004 (32 M 1037/04) und vom 24. Januar 2005 (33 M 102/05) in das Schuldnerverzeichnis des Amtsgerichts Spandau eingetragen worden. Diese Eintragungen wurden jedoch bereits vor dem Erlass des Versagungsbescheids der Antragsgegnerin wieder gelöscht. Damit entfiel die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls als Grundlage für eine Versagung der Wiederzulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft. Davon ist auch die Antragsgegnerin ausgegangen; sie hat den Versagungsbescheid mit Recht nicht auf einen der gesetzlichen Vermutungstatbestände des § 7 Nr. 9 BRAO gestützt.

2. Unabhängig von den gesetzlichen Vermutungstatbeständen liegt ein Vermögensverfall vor, wenn der Bewerber in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen; Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn (st.Rspr.; vgl. Senatsbeschluss vom 25. März 1991 - AnwZ(B) 73/90, BRAK-Mitt. 1991, 102; Senatsbeschluss vom 21. November 1994 - AnwZ(B) 40/94, BRAK-Mitt. 1995, 126). Auch diese Voraussetzungen waren bei Erlass des Widerrufsbescheids nicht gegeben. Mit den beiden titulierten Forderungen, auf die der Versagungsbescheid der Antragsgegnerin gestützt ist, hat es folgende Bewandtnis:

a) Die Forderung der B. V. e.V. war im Zeitpunkt des Widerrufs nicht mehr, wie die Antragsgegnerin angenommen hat, in ihrer ursprünglichen Höhe von rund 100.000 EUR offen, sondern ausweislich des Schreibens des Deutschen Inkasso-Dienstes vom 29. Dezember 2005 aufgrund eines mit dem Antragsteller geschlossenen Vergleichs nur noch in Höhe von 2.656,70 EUR. Diese Forderung hat der Antragsteller getilgt. Damit hat der Antragsteller seine Vermögensverhältnisse hinsichtlich der Restforderung der B. V. e.V. in Ordnung gebracht.

b) Die verbleibende Forderung des Gläubigers S., die bereits Mitte der 80-er Jahre tituliert worden ist, besteht zwar nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers noch in ihrer ursprünglichen Höhe von 200.000 DM (= 102.256,81 EUR). Von einer Verjährung oder Verwirkung dieser Forderung kann, wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend ausgeführt hat, nicht ausgegangen werden. Auch ist der Antragsteller derzeit nicht imstande, die Forderung zu tilgen. Der Annahme, dass sich der Antragsteller aufgrund dieser Forderung in Vermögensverfall befindet, steht jedoch entgegen, dass der Gläubiger S. in den vergangenen 20 Jahren keinen Vollstreckungsversuch unternommen hat. Dieses jahrzehntelange Stillhalten des Gläubigers kommt in seiner Wirkung einem konkludenten Vollstreckungsverzicht gleich und rechtfertigt, wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend ausgeführt hat, jedenfalls gegenwärtig die Annahme, dass eine Vollstreckung von diesem Gläubiger auch in Zukunft nicht zu erwarten ist. Dagegen bringt die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren nichts vor. Unter diesen besonderen Umständen kann das Vorliegen eines Vermögensverfalls beim Antragsteller - allein auf Grund der Forderung des Gläubigers S. - derzeit nicht mit der Sicherheit bejaht werden, die erforderlich ist, um eine Versagung der Wiederzulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft zu rechtfertigen. Dies gilt jedoch nur solange, wie der Gläubiger S. weiterhin untätig bleibt. Sollte daher der Gläubiger S. seine Forderung in der Zukunft geltend machen und der Antragsteller dann nicht imstande sein, diese zu tilgen, so könnte die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen sein (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ).

3. Zu Recht weist die Antragsgegnerin allerdings darauf hin, dass der Begründung der angefochtenen Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs insoweit nicht gefolgt werden kann, als der Anwaltsgerichtshof davon ausgeht, dass § 7 Nr. 9 BRAO einen § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO entsprechenden Ausnahmetatbestand enthalte, wonach die Zulassung trotz bestehenden Vermögensverfalls nicht versagt werden dürfe, wenn durch den Vermögensverfall die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet seien. Einen solchen Ausnahmetatbestand enthält § 7 Nr. 9 BRAO nicht. Die Bestimmung des § 7 Nr. 9 BRAO über die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls knüpft an eine abstrakte Gefährdung der Rechtspflege an (BVerfGE 108, 150 , 164) und stellt anders als der Widerrufsgrund des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO nicht darauf ab, ob eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden durch den Vermögensverfall aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles ausgeschlossen ist (Senatsbeschluss vom 7. März 2005 - AnwZ(B) 7/04, BRAK-Mitt. 2005, 190).

Auf diesen Begründungsmangel der angefochtenen Entscheidung kommt es jedoch nicht an, weil bereits das Vorliegen des Vermögensverfalls zu verneinen ist und nicht lediglich, wie der Anwaltsgerichtshof angenommen hat, eine konkrete Gefährdung der Rechtsuchenden aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles trotz eingetretenen Vermögensverfalls ausgeschlossen erscheint. Das jahrzehntelange Stillhalten des Gläubigers S. kommt in seiner Wirkung, wie ausgeführt, einem konkludenten Vollstreckungsverzicht gleich; es beseitigt, solange es fortdauert, bereits den Vermögensverfall im Sinne von § 7 Nr. 9 und § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO und ist kein besonderer Umstand, der nur im Rahmen des nur für § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO geltenden Ausnahmetatbestandes zu berücksichtigen wäre.

Vorinstanz: AnwGH Berlin, vom 14.09.2006 - Vorinstanzaktenzeichen I AGH 2/06