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BGH - Entscheidung vom 06.06.2007

2 StR 105/07

Normen:
StGB § 224 Abs. 1 Nr. 5 § 225 Abs. 1

BGH, Urteil vom 06.06.2007 - Aktenzeichen 2 StR 105/07

DRsp Nr. 2007/12180

Lebengefährliche Behandlung und tatsächliche Lebensgefahr; Verhältnis zwischen § 224 und § 225 StGB

1. Der Verurteilung gefährlicher, weil das Leben gefährdender Körperverletzung erfordert nicht, dass eine konkrete Lebensgefahr tatsächlich eingetreten ist. 2. Anders als der Grundtatbestand des § 223 Abs. 1 StGB wird die Qualifikation nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht durch die Misshandlungs-Variante des § 225 Abs. 1 verdrängt.

Normenkette:

StGB § 224 Abs. 1 Nr. 5 § 225 Abs. 1 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tatmehrheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde; darüber hinaus hat es den Angeklagten im Adhäsionsverfahren zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt sowie eine Grundentscheidung zur Leistung von Schadensersatz getroffen. Die Revision des Nebenklägers führt mit der Sachrüge zur Aufhebung der Verurteilung wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen und zur Aufhebung der Gesamtstrafe; im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts geriet der Angeklagte, nachdem er von seiner Ehefrau für ca. 7 bis 10 Minuten mit seinem zum Tatzeitpunkt neun Wochen alten Sohn - dem Nebenkläger - in der Familienwohnung allein gelassen worden war, in einen "Zustand der Überforderung". Er versetzte dem weinenden Kind in einer plötzlichen Aufwallung von Aggression zwei wuchtige Faustschläge gegen die linke sowie einen wuchtigen Schlag gegen die rechte Kopfseite. Hierdurch erlitt das Kind mehrere Hämatome. Zeitlich vor oder nach diesen Schlägen ließ der Angeklagte das Kind überdies aus einer Höhe von ca. einem Meter auf den Boden fallen, wo es mit dem Kopf aufschlug. Hierdurch kam es zu zwei Brüchen des Schädelknochens. Das Landgericht hat nicht festzustellen vermocht, dass der Angeklagte beim Fallenlassen des Kindes vorsätzlich handelte. Das geschädigte Kind wurde längere Zeit intensivmedizinisch behandelt. Konkrete Lebensgefahr bestand nicht. Die Verletzungen sind derzeit folgenlos ausgeheilt; Spätfolgen sind nicht auszuschließen.

Das Landgericht hat wegen der ersten Tat eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten und wegen der zweiten Tat eine solche von sechs Monaten verhängt und hieraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren gebildet, deren Vollstreckung es gemäß § 56 Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt hat; als besondere Umstände hat es die siebenmonatige Untersuchungshaft, die Ausländereigenschaft des Angeklagten sowie den Umstand angesehen, dass dieser bislang keine Freiheitsstrafe verbüßt hat.

2. Soweit sich die Revision des Nebenklägers gegen die Beweiswürdigung, namentlich zum Vorsatz bei dem Sturzgeschehen, richtet, ist sie unbegründet; das Landgericht hat insoweit einen Tatvorsatz des Angeklagten mit im Ergebnis noch tragfähiger Begründung nicht festzustellen vermocht. Die Schlussfolgerungen des Tatrichters weisen die von der Revision gerügten Verstöße gegen Denkgesetze nicht auf. Sie sind jedenfalls noch möglich und insoweit rechtsfehlerfrei; zwingend müssen sie nicht sein.

3. Dagegen hält die Verurteilung (nur) wegen Misshandlung Schutzbefohlener im ersten Tatkomplex der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat sich mit der Frage, ob die "wuchtigen" Faustschläge gegen den Kopf des neun Wochen alten Kindes eine lebensgefährliche Behandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB darstellten, nicht erkennbar auseinandergesetzt. Nach den festgestellten Umständen war die Qualifikation aber gegeben. Der Verurteilung (auch) wegen qualifizierter Körperverletzung steht der Umstand nicht entgegen, dass eine konkrete Lebensgefahr letztlich nicht eingetreten ist (vgl. BGH NJW 2002, 3264 ; NStZ 2004, 618 ; 2005, 156 , 157; Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 224 Rdn. 12 f. m.w.N.). Anders als der Grundtatbestand des § 223 Abs. 1 StGB wird die Qualifikation nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB auch nicht durch die Misshandlungs-Variante des § 225 Abs. 1 verdrängt (BGH NJW 1999, 72 ; Tröndle/Fischer aaO. § 224 Rdn. 16; § 225 Rdn. 21).

Der Senat hat insoweit den Schuldspruch selbst geändert. § 265 StPO stand dem nicht entgegen, denn der Angeklagte hätte sich nicht anders als geschehen verteidigen können.

4. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Einzelstrafausspruchs im Fall 1 der Urteilsgründe und des Gesamtstrafenausspruchs. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben; ergänzende Feststellungen durch den neuen Tatrichter sind zulässig.

Vorinstanz: LG Gera, vom 26.10.2006