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BGH - Entscheidung vom 05.11.2007

II ZR 262/06

Normen:
GmbHG § 64 Abs. 2
ZPO § 138

Fundstellen:
BB 2008, 189
BGHReport 2008, 238
DB 2008, 52
DZWIR 2008, 124
GmbHR 2008, 142
NJW-RR 2008, 495
NZG 2008, 75
NZI 2008, 126
WM 2008, 27
ZIP 2008, 72
ZInsO 2007, 1349
ZVI 2008, 55

BGH, Beschluß vom 05.11.2007 - Aktenzeichen II ZR 262/06

DRsp Nr. 2007/23966

Insolvenzrechtlicher Begriff der Überschuldung; Vereinbarkeit von Zahlungen nach Insolvenzreife mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns

»a) Der Insolvenzverwalter genügt seiner Darlegungslast zum Merkmal der Überschuldung, wenn er eine Handelsbilanz mit dem Ausweis eines nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrages vorlegt und erläutert, ob und gegebenenfalls welche Abweichungen nach Insolvenzrecht bestehen und dass danach eine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne gegeben ist. Dabei hat er auf den Gegenvortrag des beklagten Geschäftsführers einzugehen.b) Zahlungen des Geschäftsführers nach Insolvenzreife sind dann mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar i.S. des § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG , wenn durch sie größere Nachteile für die Insolvenzmasse abgewendet werden sollen (vgl. BGHZ 146, 264, 274 f. m. Nachw.).«

Normenkette:

GmbHG § 64 Abs. 2 ; ZPO § 138 ;

Gründe:

I. Die Beschwerde ist begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an einen anderen Zivilsenat des Berufungsgerichts. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

Zwar hat es zutreffend angenommen, dass der - insoweit darlegungs- und beweispflichtige (BGHZ 126, 181 , 200) - Kläger die Voraussetzungen einer Überschuldung in der Zeit ab dem 16. Februar 2001 schlüssig dargelegt habe (vgl. Sen.Urt. v. 7. März 2005 - II ZR 138/03, ZIP 2005, 807 ). Er hat sich nämlich entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht darauf beschränkt, lediglich die vorläufige Handelsbilanz zum 31. Dezember 2000 vorzutragen, sondern hat auch die insolvenzrechtlich bedeutsamen Abweichungen mitgeteilt, nämlich den Liquidationswert der beiden Grundstücke i.H.v. zusammen nur 3.581 TDM - im Gegensatz zu 6.637 TDM in der Handelsbilanz.

Das Berufungsgericht hat aber den Vortrag der Beklagten zu den anzusetzenden Werten nicht beachtet und damit in entscheidungserheblicher Weise gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör verstoßen. Nach diesem Vortrag, der für das drittinstanzliche Verfahren als wahr zu unterstellen ist, liegen die Voraussetzungen einer Überschuldung nicht vor. Es bestanden danach nämlich bezüglich der Grundstücke in H. und W. stille Reserven i.H.v. zusammen 3.000 TDM. Diese Grundstücke sind nach dem Vortrag der Beklagten in einem Überschuldungsstatus daher mit dem Buchwert von 6.637 TDM zuzüglich der stillen Reserven, zusammen also mit 9.637 TDM zu bewerten. Mit den übrigen Aktiva ergibt sich damit ein Aktivvermögen nach Liquidationswerten i.H.v. 16.089 TDM. Weiter ist zu berücksichtigen, dass nach dem Vortrag der Beklagten Rangrücktritte erklärt worden sind für die Verbindlichkeiten gegen Gesellschafter i.H.v. 658 TDM, für Bankverbindlichkeiten i.H.v. 800 TDM und für Ansprüche aus Urlaubsgeld i.H.v. 160 TDM. Die nach dem Vortrag des Klägers mit 16.014 TDM zu veranschlagenden Gesamtverbindlichkeiten verringern sich danach um insgesamt 1.618 TDM auf 14.396 TDM. Damit übersteigt das Aktivvermögen die Verbindlichkeiten.

II.1. In dem neu eröffneten Berufungsverfahren wird - unter Berücksichtigung des Vortrags der Beklagten - aufzuklären sein, ob in dem Zeitraum ab dem 16. Februar 2001 eine Überschuldung vorgelegen hat. Die rückwärts gerichtete Sicht des Oberlandesgerichts auf eine Insolvenzsituation im Jahre 1997 und die daraus gezogenen Folgerungen für die Darlegungs- und Beweislast sind rechtsfehlerhaft (vgl. BGHZ 164, 50 , 58). Weiter wird - gegebenenfalls nach ergänzendem Vortrag der Parteien - der Frage nachzugehen sein, ob die Schuldnerin in diesem Zeitraum zahlungsunfähig war (vgl. dazu die Revisionsentscheidung in dem Parallelverfahren: BGH, Urt. v. 21. Juni 2007 - IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469 ).

2. Sollte danach eine Insolvenzreife bestanden haben, wird das Berufungsgericht dem Vortrag der Beklagten nachzugehen haben, die "Scheckzahlungen an unbekannte Empfänger" hätten nur dazu gedient, Geld vom Bankkonto in die Barkasse zu transferieren. Sollte sich dieser Vortrag als richtig erweisen, sind das keine Zahlungen i.S. des § 64 Abs. 2 GmbHG .

3. a) Weiter wird zu prüfen sein, ob die etwaigen Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar waren i.S. des § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG . Dazu ist festzustellen, ob durch die Zahlungen größere Nachteile für die Insolvenzmasse abgewendet werden sollten (BGHZ 146, 264, 274 f.). Das kommt hier insbesondere bei den Zahlungen auf die Wasser-, Strom- und Heizrechnungen in Betracht. Ohne diese Zahlungen hätte der Betrieb im Zweifel sofort eingestellt werden müssen, was jede Chance auf Sanierung oder Fortführung im Insolvenzverfahren zunichte gemacht hätte.

b) Der Einwand der Beschwerde, die Beklagten träfe jedenfalls kein Verschulden, weil ein Kollegialgericht, nämlich das Oberlandesgericht Stuttgart in dem Parallelprozess, angenommen habe, dass keine Insolvenzreife vorgelegen habe, bleibt dagegen ohne Erfolg.

Allerdings geht der Bundesgerichtshof im Rahmen der Amtshaftung davon aus, dass einen Beamten in der Regel kein Verschulden trifft, wenn ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Gericht die Amtstätigkeit als objektiv rechtmäßig angesehen hat (BGHZ 97, 97 , 107; 150, 172, 184; Urt. v. 19. Dezember 1991 - III ZR 9/91, ZIP 1992, 947, 948 f.; v. 16. Oktober 1997 - III ZR 23/96, WM 1998, 187 , 188; v. 3. März 2005 - III ZR 353/04, WM 2005, 1328 , 1329). Diese sog. Kollegialgerichtsrichtlinie ist aber bisher nur auf Amtshaftungsansprüche, nicht dagegen auf sonstige zivilrechtliche Ersatzansprüche angewandt worden (BGH, Urt. v. 31. Oktober 1985 - IX ZR 175/84, WM 1986, 199, 202 f.; offen gelassen in Urt. v. 21. Oktober 2003 - XI ZR 453/02, ZIP 2003, 2242 , 2246). Ob sie über die Amtshaftung hinaus gilt, kann auch hier offen bleiben. Denn sie greift jedenfalls dann nicht ein, wenn sich das Gericht seine Überzeugung von der Rechtsmäßigkeit des Handelns aufgrund eines verfahrensfehlerhaft festgestellten Sachverhalts gebildet hat (BGHZ 117, 240 , 250; Urt. v. 5. Juli 1990 - IX ZR 10/90, WM 1990, 1549 , 1551; v. 21. Oktober 2003 - XI ZR 453/02, ZIP 2003, 2242 , 2246). So liegt es hier. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat den maßgeblichen Sachverhalt nur unzureichend aufgeklärt. Das ergibt sich aus der das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart aufhebenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21. Juni 2007 ( IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469 ). Danach hat das Oberlandesgericht Stuttgart nicht geprüft, ob die Schuldnerin mit der Kreditkündigung durch die Bank im Juni 1997 zahlungsunfähig geworden ist, ob sie danach ihre Zahlungen allgemein wieder aufgenommen hat und ob im Hinblick auf die fälligen Zinszahlungen für November und Dezember 2000, die die Schuldnerin nicht erbringen konnte, erneut Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist.

4. Schließlich wird das Berufungsgericht den Beklagten ggf. vorzubehalten haben, nach Erstattung an die Masse Gegenansprüche, die sich nach Rang und Höhe mit den Beträgen decken, die die begünstigten Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätten, gegen den Kläger geltend zu machen (BGHZ 146, 264, 278 f.).

Vorinstanz: OLG Hamburg, vom 06.10.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 11 U 256/05
Vorinstanz: LG Hamburg, vom 05.10.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 401 O 76/05
Fundstellen
BB 2008, 189
BGHReport 2008, 238
DB 2008, 52
DZWIR 2008, 124
GmbHR 2008, 142
NJW-RR 2008, 495
NZG 2008, 75
NZI 2008, 126
WM 2008, 27
ZIP 2008, 72
ZInsO 2007, 1349
ZVI 2008, 55