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BGH - Entscheidung vom 27.09.2007

4 StR 1/07

Normen:
StGB § 315b Abs. 1

Fundstellen:
DAR 2008, 272
NStZ-RR 2008, 83

BGH, Beschluß vom 27.09.2007 - Aktenzeichen 4 StR 1/07

DRsp Nr. 2007/24032

Gefährdung einer Sache von bedeutendem Wert in unbedeutendem Ausmaß; Berechnung des Gefährdungsschadens

1. Für den Straftatbestand des § 315b Abs. 1 StGB reicht nicht aus, dass eine Sache von bedeutendem Wert nur in (wirtschaftlich) unbedeutendem Maße gefährdet wurde, vielmehr muss der konkret drohende Schaden bedeutenden Umfanges sein. 2. Für die Berechnung des Gefährdungsschadens kommt es auf die am Marktwert zu messende Wertminderung an. 3. Die Wertgrenze für die Annahme der Gefährdung einer Sache von bedeutendem Wert im Sinne des § 315 b Abs. 1 StGB lag zu dem für die Wertbestimmung maßgeblichen Gefährdungszeitpunkt (hier: im Jahr 2000) bei mindestens 1.500 DM bzw. 750 Euro.

Normenkette:

StGB § 315b Abs. 1 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in 20 Fällen und wegen Betruges in 21 Fällen, wobei es in vier Fällen beim Versuch blieb, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt und gegen ihn eine Maßregel nach §§ 69 , 69 a StGB festgesetzt. Die Angeklagte hat es wegen Betruges in 21 Fällen, wobei es in vier Fällen beim Versuch blieb, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Angeklagten rügen mit ihren Revisionen die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Die Rechtsmittel der Angeklagten haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

I. 1. Soweit das Landgericht im Fall II. B 5 der Urteilsgründe den Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und beide Angeklagte wegen eines mittäterschaftlich begangenen Betruges zum Nachteil der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners verurteilt hat, haben die Rechtsmittel der Angeklagten mit einer zulässig erhobenen, auf die Verletzung des § 261 StPO gestützten Verfahrensrüge Erfolg.

Das Landgericht hat seine Überzeugung, dass der Angeklagte den Unfall mit dem von ihm geführten Pkw, dessen Halterin die Angeklagte gewesen ist, absichtlich herbeigeführt hat, indem er das Fahrzeug ohne verkehrsbedingten Grund plötzlich bis zum Stillstand abgebremst hat, auf die Bekundungen des in der Hauptverhandlung als Zeugen vernommenen Unfallgegners und einer Zeugin, die den Unfall als Fußgängerin beobachtet hat, gestützt.

Die Angeklagten rügen zu Recht, das Landgericht habe entgegen § 261 StPO die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt, weil es unterlassen habe, die in der Hauptverhandlung verlesene Schadensanzeige des Unfallgegners vom 1. Dezember 2000 und die von diesem gefertigte Unfallskizze, die in Augenschein genommen wurde, in seine Beweiswürdigung einzubeziehen. In seiner Schadensanzeige hatte der Unfallgegner angegeben, ein Bus habe durch Blinkzeichen angezeigt, den Haltestellenbereich verlassen zu wollen, worauf die drei vor ihm fahrenden Pkw abrupt abgebremst worden seien, so dass er nicht rechtzeitig habe halten können und auf den vor ihm befindlichen Pkw aufgefahren sei. Diese mit der von dem Zeugen gefertigten Unfallskizze in Einklang stehende Schilderung des Unfallhergangs lässt sich mit den Bekundungen des Zeugen in der Hauptverhandlung nicht vereinbaren. Das Landgericht hätte sich deshalb in den Urteilsgründen mit diesem Widerspruch auseinandersetzen müssen (vgl. BGH StV 1993, 115 ; BGH, Urteil vom 15. September 2005 - 4 StR 107/05).

2. Soweit der Angeklagte im Fall II. B 19 der Urteilsgründe wegen Betruges verurteilt worden ist, hat sein Rechtsmittel ebenfalls mit einer auf die Verletzung des § 261 StPO gestützten Verfahrensrüge Erfolg.

Nach den Feststellungen brachte die Zeugin F., die mit ihrem Pkw aus einer untergeordneten Straße kommend nach rechts in die Hauptstraße abbiegen wollte, den Pkw vor der Kreuzung an der Sichtlinie zum Halten. Der Angeklagte, der sich mit seinem Fahrrad der Kreuzung auf dem Bürgersteig - aus der Sicht der Zeugin - von links näherte, erkannte, dass die Zeugin mit ihrem Pkw so weit vorgefahren war, dass sie den Bürgersteig nicht mehr im Blick hatte. Als die Zeugin anfuhr, steuerte er sein Rad vor den Pkw der Zeugin und kam, wie von ihm beabsichtigt, zu Fall. Die Haftpflichtversicherung der Zeugin zahlte als Schadensersatz und Schmerzensgeld insgesamt 902,20 Euro an den Angeklagten, weil sie aufgrund der Unfallschilderung in dem Schreiben des vom Angeklagten beauftragten Rechtsanwalts davon ausging, die Zeugin sei mit ihrem Pkw plötzlich und unvermittelt angefahren, als der Angeklagte den Einmündungsbereich bereits nahezu vollständig überquert gehabt habe. Das Landgericht hat seine Überzeugung, dass der Angeklagte den Unfall absichtlich herbeigeführt hat, auf die Bekundungen der Zeugin F. in der Hauptverhandlung gestützt. Aus der Sicht der Zeugin sei die Vorfahrtsstraße in beide Richtungen gerade und gut einsehbar gewesen. Da die Zeugin sich sicher gewesen sei, keinen Radfahrer auf der Fahrbahn gesehen zu haben, müsse sich der Angeklagte, wie die Zeugin "bereits vermutet" habe, außerhalb ihres Sichtfeldes befunden haben und sich mithin über den Bürgersteig angenähert haben.

Die Revision des Angeklagten rügt zu Recht, dass das Landgericht sich entgegen § 261 StPO nicht mit der in der Hauptverhandlung am 18. Januar 2006 verlesenen, von der Zeugin und vom Angeklagten unterschriebenen Unfallanzeige vom 16. November 2002 und mit der in Augenschein genommenen Unfallskizze auseinandergesetzt hat. Dies war deshalb geboten, weil sich sowohl aus der von der Zeugin für die Schadensanzeige bei der Haftpflichtversicherung gefertigten Skizze als auch aus der Beschreibung der Unfallsituation in der Unfallanzeige ergibt, dass der Angeklagte sich der Kreuzung auf dem für Radfahrer freigegebenen Gehweg nicht - wie aufgrund der Bekundungen der Zeugin festgestellt - von links, sondern von rechts näherte. Nach der von der Zeugin gefertigten Skizze war die Sicht nach rechts aus dem auf die Kreuzung zufahrenden Pkw aber durch eine Hecke am Rand des Geh- und Radweges eingeschränkt.

3. Die aufgezeigten Verfahrensfehler führen zur Aufhebung der Verurteilungen in den Fällen II. B 5 und 19 der Urteilsgründe. Das Landgericht hat die Verurteilung in diesen Fällen entscheidend auf die Bekundungen der Unfallgegner gestützt, von deren Glaubhaftigkeit es sich insbesondere auch im Hinblick darauf überzeugt hat, dass sie "auch nicht im Widerspruch zu früheren Angaben und Vernehmungen" standen (UA 107). Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass das Landgericht, hätte es die Beweisergebnisse umfassend gewürdigt, zu anderen, für die Angeklagten günstigeren Feststellungen gelangt wäre. Dass sich die Verfahrensfehler auch auf die der Verurteilung der Angeklagten in den übrigen Fällen zu Grunde liegende Beweiswürdigung ausgewirkt haben können, schließt der Senat aus. Soweit das Landgericht seine Überzeugung, dass der Angeklagte die Unfälle absichtlich herbeigeführt hat, unter anderem auf die Vielzahl der Unfälle, an denen der Angeklagte beteiligt war, die Vergleichbarkeit der jeweiligen Verkehrslage an den Unfallorten und die stets gleiche Abwicklung der Schadensfälle gestützt hat, steht dem nicht entgegen, dass der Angeklagte in den Fällen II. B 5 und 19 der Urteilsgründe die Unfälle möglicherweise nicht provoziert hat. Denn der Unfallhergang in diesen Fällen unterscheidet sich deutlich von dem Unfallgeschehen in den übrigen Fällen, die zahlreiche Gemeinsamkeiten aufweisen, die für eine Unfallprovokation durch den mit den Verhältnissen an den Unfallorten vertrauten Angeklagten sprechen.

II. Soweit es die Angeklagte betrifft, hat die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zu deren Nachteil ergeben. Die Revision des Angeklagten hat jedoch mit der Sachrüge Erfolg, soweit er in den Fällen II. B 2, 3, 7 bis 10, 12, 14 bis 18, 20 und 21 jeweils wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr verurteilt worden ist.

1. Zwar hat der Angeklagte nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen den Verkehrsunfall jeweils absichtlich herbeigeführt (§ 315 b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 a StGB ) und mithin die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, dass er einen "ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff" im Sinne des § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB vorgenommen hat (vgl. BGHSt 48, 233 ). Der Straftatbestand des § 315 b Abs. 1 StGB setzt darüber hinaus aber voraus, dass durch den tatbestandsmäßigen Eingriff Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet werden. Dass in den genannten Fällen Leib oder Leben eines anderen Menschen gefährdet worden sind, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Auch die Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert ist in den genannten Fällen nicht belegt. Dass eine Sache von bedeutendem Wert nur in (wirtschaftlich) unbedeutendem Maße gefährdet wird, reicht hierfür nicht aus; vielmehr muss der konkret drohende Schaden bedeutenden Umfanges sein (vgl. BGH NJW 1990, 194 , 195; Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 315 Rdn. 16 m.w.N.). Für die Berechnung des Gefährdungsschadens kommt es auf die am Marktwert zu messende Wertminderung an (vgl. BGH NStZ 1999, 350 , 351; Barnickel in MünchKomm StGB § 315 Rdn. 71). Die Wertgrenze für die Annahme der Gefährdung einer Sache von bedeutendem Wert im Sinne des § 315 b Abs. 1 StGB lag zu dem für die Wertbestimmung maßgeblichen Gefährdungszeitpunkt (vgl. Barnickel in MünchKomm StGB aaO. Rdn. 69 m.N.) bei mindestens 1.500 DM bzw. 750 Euro (BGHSt 48, 14 , 23; vgl. Barnickel aaO.). Dass in den oben genannten Fällen ein Schaden (zumindest) in dieser Höhe drohte, ist durch die bisherigen Feststellungen nicht belegt:

Soweit im Fall II. B 20 der Urteilsgründe der eingetretene Fremdsachschaden mit 375 Euro beziffert wird, liegt es nach den bisherigen Feststellungen eher fern, dass ein darüber hinausgehender Schaden drohte. In den übrigen Fällen hat die Strafkammer die Höhe des entstandenen Sachschadens nicht genannt. Weder das Schadensbild in den Fällen II. B 8 der Urteilsgründe (Kratzer an der vorderen Stoßstange rechts), II. B 9 ("zwei Punkte" am Fahrzeug des Unfallgegners), II. B 10 (Beschädigung der Stoßstange vorne rechts) und II. B 17 (eine etwa einen Zentimeter tiefe Einbeulung des vorderen Kennzeichens) noch die Feststellungen zum Unfallhergang in diesen und den übrigen Fällen belegen eine zweifelsfrei die Wertgrenze überschreitende konkrete Gefährdung der an dem Unfall beteiligten Fremdfahrzeuge.

2. Die danach gebotene Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in den genannten Fällen lässt jedoch die Verurteilung der Angeklagten in diesen Fällen wegen eines mittäterschaftlich zum Nachteil der Haftpflichtversicherungen der jeweiligen Unfallgegner begangenen Betruges unberührt. Sie zieht nur die Aufhebung der zur Gefährdung von Leib und Leben anderer Personen, zur Gefährdung fremder Sachen von bedeutendem Wert und der insoweit zur inneren Tatseite getroffenen Feststellungen nach sich. Im Übrigen halten die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, zur absichtlichen Herbeiführung der Verkehrsunfälle und zum Schädigungsvorsatz des Angeklagten rechtlicher Nachprüfung stand und können deshalb bestehen bleiben.

Vorinstanz: LG Neuruppin, vom 09.08.2006
Fundstellen
DAR 2008, 272
NStZ-RR 2008, 83