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BGH - Entscheidung vom 14.11.2007

2 StR 308/07

Normen:
StPO § 261

Fundstellen:
NStZ 2008, 303
NStZ-RR 2008, 147
StV 2008, 235

BGH, Beschluß vom 14.11.2007 - Aktenzeichen 2 StR 308/07

DRsp Nr. 2008/578

Beweiswürdigung: Lüge des Angeklagten

Falsche Angaben des Angeklagten lassen regelmäßig keine tragfähigen Schlüsse darauf zu, was sich wirklich ereignet hat; allein der Nachweis einer Lüge kann daher nicht als Schuldindiz gewertet werden.

Normenkette:

StPO § 261 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten H. wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Gegen die Angeklagten L. und S. hat es jeweils wegen Vergewaltigung eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt.

Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechtes rügen. Die Rechtsmittel haben bereits mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO ).

1. Die dem Schuldspruch zugrundeliegende Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Nach den Feststellungen des Landgerichts haben die Angeklagten die Nebenklägerin gegen deren Willen zu Oralverkehr an allen drei Angeklagten und zusätzlich zu Vaginalverkehr mit dem Angeklagten H. gezwungen, wobei das Opfer durch - im Einverständnis mit den anderen erfolgte - Schläge des Angeklagten H. gefügig gemacht wurde. Die Angeklagten haben sich dahin eingelassen, die sexuellen Handlungen seien freiwillig vorgenommen worden. Die wohnsitzlose Nebenklägerin habe dafür in der Wohnung des Angeklagten H. übernachten dürfen und habe sich auch den kostenlosen Erhalt von Rauschgift erhofft.

Das Landgericht hat die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin umfassend gewürdigt und deren Angaben für glaubhaft erachtet. Es war sich dabei bewusst, dass die Beweislage mangels objektiver Indizien sehr schwierig war. Denn die drogenabhängige Nebenklägerin war als Zeugin problematisch, da sie selbst zum Tatzeitpunkt "sich betrunken fühlte" (UA S. 26) und bei mehreren Vernehmungen zum Kerngeschehen verschiedene Angaben machte, wobei ihre Aussage in der Hauptverhandlung vom 10. März 2006 nicht verwertbar war, "weil sie nicht vernehmungsfähig war" (UA S. 84). Wenn auch das Landgericht diese Umstände ausführlich und für sich rechtsfehlerfrei gewürdigt hat, hat es gleichwohl das Nachtatverhalten der Angeklagten als einen wesentlichen Punkt für seine Überzeugungsbildung erachtet. Es hat deshalb unter einem eigenen Gliederungspunkt der Beweiswürdigung bezüglich aller drei Angeklagten ausgeführt, dass das Verhalten der Angeklagten im Zuge ihrer jeweiligen Festnahmen dafür spreche, dass sie die ihnen zur Last gelegte Tat begangen hätten.

Bezüglich des Angeklagten L. weist das Landgericht darauf hin, dass dieser bei der Polizei keine (förmlichen) Angaben gemacht, aber u. a. seine Tatortanwesenheit bestritten und einen Fluchtversuch unternommen hat.

Das Landgericht führt dann aus:

"Stattdessen ist die erste Äußerung des Angeklagten in dem Punkt der behaupteten Abwesenheit von R. nachweislich falsch und widerspricht insgesamt erheblich den späteren Einlassungen des Angeklagten. Hinzu kommt der Umstand, dass der Angeklagte einen Fluchtversuch unternommen hat. Zusammengenommen sprechen diese Gesichtspunkte dafür, dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegte Tat begangen hat, aber die Verantwortung dafür nicht übernehmen möchte. Zugleich macht sein eigenes Verhalten im Zuge seiner Festnahme seine späteren Einlassungen unglaubhaft" (UA S. 131).

Das Landgericht durfte den Fluchtversuch als solchen nicht als Indiz für die Täterschaft des Angeklagten werten (vgl. hierzu auch BGH, Beschl. vom 17. November 1999 - 3 StR 462/99). Für ein derartiges Verhalten sind verschiedene Erklärungen möglich.

Auch ein Unschuldiger kann sich einem Strafverfahren mit einem für ihn ungewissen Ausgang entziehen wollen. Ein Beschuldigter ist nicht gehalten, an der Aufklärung der ihm zur Last gelegten Tat mitzuwirken. Wie bei der Frage der Würdigung des Scheiterns eines Alibis (vgl. u. a. BGH StV 1982, 158; 1984, 495 ; 1992, 259; BGH NStZ-RR 1996, 363 und 1998, 303) oder der Widerlegung sonstiger Angaben eines Angeklagten (vgl. hierzu u. a. BGH StV 1985, 356; 1986, 286; 1986, 369; 1994, 175; BGHSt 41, 153 ) ist zu beachten, dass ein Angeklagter meinen kann, seine Lage durch falsche Angaben verbessern zu können. Ein solches Verhalten lässt regelmäßig keine tragfähigen Schlüsse darauf zu, was sich wirklich ereignet hat (vgl. hierzu BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 5 m.w.N.). Das Landgericht durfte daher aus dem Fluchtversuch des Angeklagten L. kein Indiz für seine Täterschaft herleiten. Auch bezüglich des Angeklagten H. lassen die Urteilsgründe, in denen zu seinen Lasten gewertet wird, dass er sich "dem ihm drohenden Ermittlungsverfahren durch Flucht entzogen hat" (UA S. 132) besorgen, dass das Landgericht seine Überzeugung von der Täterschaft auch aufgrund dieser rechtsfehlerhaften Überlegung gewonnen hat.

Der Senat kann letztlich nicht sicher ausschließen, dass auf dieser rechtsfehlerhaften Würdigung das Urteil beruht, wenn auch das sachverständig beratene Landgericht im Übrigen die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin rechtsfehlerfrei gewürdigt hat und es im Kern nur um die Frage der Freiwilligkeit der objektiv weitgehend unstreitigen Sexualhandlungen geht.

Dieser Mangel erfasst die Beweiswürdigung zum Nachteil aller Angeklagten (§ 357 StPO ). Die Angaben der Angeklagten stehen im inneren Zusammenhang, da sie übereinstimmend Freiwilligkeit der sexuellen Handlungen behauptet haben. Hinzu kommt, dass die Angeklagten auch der "gemeinschaftlich begangenen" Vergewaltigung (§§ 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2; 25 Abs. 2 StGB ) für schuldig befunden wurden (UA S. 148).

2. Hinsichtlich des Angeklagten H. weist der Senat darauf hin, dass auch die Rüge der Verletzung des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO zur Aufhebung des Urteils führen muss.

Das Urteil wurde nicht spätestens am elften Tage nach Schluss der Verhandlung verkündet. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann nur in Ausnahmefällen ein Beruhen des Urteils auf dem Verstoß ausgeschlossen werden (vgl. Senatsurteil vom 30. Mai 2007 - 2 StR 22/07; StV 2007, 458 ).

Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier nicht vor, denn auch die Urteilsberatung hat - ausweislich der dienstlichen Erklärungen der Berufsrichter - erst nach Ablauf der Elftagefrist stattgefunden.

Vorinstanz: LG Koblenz, vom 21.12.2006
Fundstellen
NStZ 2008, 303
NStZ-RR 2008, 147
StV 2008, 235