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BGH - Entscheidung vom 31.01.2007

5 StR 404/06

Normen:
StGB § 27 Abs. 1 § 32

BGH, Urteil vom 31.01.2007 - Aktenzeichen 5 StR 404/06

DRsp Nr. 2007/4748

Beihilfe durch Dabeisein; Notwehr bei bevorstehendem Angriff

1. Im Einzelfall kann der durch Handeln erbrachte Tatbeitrag des Gehilfen schon darin bestehen, dass der Gehilfe den Haupttäter im Wissen um dessen Verhalten zur Tatausführung begleitet, seine Anwesenheit gleichsam "einbringt", um den Haupttäter in seinem Tatentschluss zu bestärken und ihm das Gefühl erhöhter Sicherheit zu geben.2. Zu den erforderlichen Verteidigungsmaßnahmen berechtigt nicht erst die Verletzungshandlung selbst, sondern bereits ein Verhalten des Gegners, das unmittelbar in eine Rechtsgutverletzung umschlagen kann, so dass durch das Hinausschieben der Abwehrhandlung entweder deren Erfolg gefährdet würde oder der Verteidiger das Wagnis erheblicher eigener Verletzungen auf sich nehmen müsste.

Normenkette:

StGB § 27 Abs. 1 § 32 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten S. Y. wegen "Totschlags, jeweils in Tateinheit mit versuchtem Totschlag, gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe und Sachbeschädigung" zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und den Angeklagten E. wegen Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Den Angeklagten K. Y., einen jüngeren Bruder des Mitangeklagten S. Y., hat das Schwurgericht freigesprochen. Die von den Angeklagten S. Y. und E. geführten Schusswaffen hat es eingezogen. Die Revisionen der verurteilten Angeklagten bleiben ohne Erfolg. Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, führen zur Aufhebung der Freisprechung des Angeklagten K. Y. und bei dem Angeklagten E. zur weitgehenden Aufhebung von dessen - möglicherweise rechtsfehlerhaft zu milder - Verurteilung.

1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:

Der Zeuge S. St. schuldete dem Angeklagten S. Y. 500 Euro wegen Verursachung eines Auffahrunfalls mit dem Pkw dieses Angeklagten. St. versprach am 15. September 2004 Zahlung in zwei Tagen, ohne über Geld zu verfügen. Am 17. September 2004 verlangten E. - dieser unter Drohungen - und K. Y. von St. die Begleichung der Schuld. St. wandte sich verstört an den für ihn ein Vorbild und eine Autorität darstellenden Videothekenbetreiber El-A.. Dieser forderte K. Y. telefonisch auf, zu einem klärenden Gespräch zu erscheinen. Daraufhin fuhren alle drei Angeklagten zu der Videothek. El-A. empfing sie mit aggressiven Worten und ergriff ein bereitgestelltes Schwert, mit dem er im Fahrzeug der Angeklagten herumfuchtelte. In einer sich anschließenden körperlichen Auseinandersetzung wurden der Videothekenbesitzer, auf dessen Seiten der Zeuge C. mit einem Knüppel eingriff, und der Angeklagte S. Y. verletzt. Die Angeklagten flüchteten in ein nahe gelegenes Krankenhaus, wo die Kopfplatzwunde des S. Y. versorgt wurde. Dieser Angeklagte rief die Polizei, erstattete Strafanzeige wegen gefährlicher Körperverletzung und übergab den Beamten die während des Kampfes durch E. erlangten Waffen.

Am Abend des nächsten Tages rief St. auf Veranlassung von El-A. den Angeklagten S. Y. an und verabredete ein Treffen am Wasserfall des Viktoriaparks in Berlin-Kreuzberg zur Übergabe des Geldes. S. Y. forderte St. wiederholt auf, zu diesem Treffen auch seine arabischen Freunde mitzubringen, die er "alle ficken" werde. S. Y. übernahm von einem Bekannten eine Pistole nebst Munition und E. eine Maschinenpistole mit einem Kurz- und einem Langmagazin. Beide Angeklagte trafen gegen 20.00 Uhr am Park ein und warteten auf dem parkseitigen Bürgersteig der Kreuzbergstraße. Nach fast einer halben Stunde - die Angeklagten unterlagen einem Irrtum über den verabredeten Zeitpunkt des Treffens - ging E. im Einverständnis des S. Y. ein paar Meter in den Park, setzte sich auf eine Bank und rauchte einen Joint. S. Y. erkundigte sich telefonisch bei T. St. nach dem Verbleib von dessen Bruder T. St. antwortete zögerlich, S. sei schon unterwegs. S. Y. bestellte nun auch seinen Bruder K. Y. zum Wasserfall. Dieser hatte wegen der Ereignisse am Vorabend mit weiteren Auseinandersetzungen gerechnet und erschien mit einer geladenen Schreckschusspistole 9 mm gegen 20.30 Uhr. Zwischen den Brüdern kam es zu einem lautstarken, nicht näher aufklärbaren Wortwechsel.

El-A. hatte zwischenzeitlich entschieden, dass S. St. nur in Begleitung mehrerer, auch gewaltbereiter Personen zum Treffpunkt fahren sollte. Dementsprechend brachen neun Männer in drei Pkw und zwei weitere zu Fuß zum Viktoriapark auf. Das von dem Zeugen B. G. gesteuerte erste Fahrzeug - mit El-A. auf dem Beifahrersitz und dessen Bruder A., dem Nebenkläger, hinter dem Fahrer sitzend - hielt zehn bis fünfzehn Meter vor den Angeklagten S. u. K. Y. in der Kreuzbergstraße, das zweite Fahrzeug zehn Meter hinter dem ersten an. Die Angeklagten S. u. K. Y. drehten sich um und erkannten, dass die beiden Fahrzeuge im Zusammenhang mit dem verabredeten Treffen standen. Deshalb rief S. Y. dem Angeklagten E. im Park laut zu, dass er kommen solle.

El-A. stieg als erster unbewaffnet aus und war im Begriff, auf die Angeklagten S. u. K. Y. zuzugehen. A. El-A. ergriff einen unter dem Fahrersitz befindlichen Stock und verließ mit diesem in der Hand das Fahrzeug hinten links. Als Letzter stieg der Fahrer G. aus. K. Y. zog seine Schreckschusspistole und feuerte zweimal mit ausgestrecktem Arm in Richtung der Ankommenden. Fast zeitgleich zog auch der Angeklagte S. Y. seine Pistole und schoss zweimal in die Luft. S. Y., der sich bedroht fühlte, gab sogleich danach aus seiner Pistole mit waagerecht ausgestrecktem Arm - tödliche Wirkungen bewusst in Kauf nehmend - gezielt sechs Schüsse in Folge ab, bis das Magazin leer war. El-A. hatte sich bereits wieder abgewandt. Er wurde am rechten Oberarm von hinten getroffen. Das Projektil durchschlug den rechten Lungenflügel und die Hauptschlagader der linken Lunge und trat nach Verursachung dieser tödlichen Verletzung oberhalb der linken Brustwarze wieder aus. G. erlitt einen Durchschuss des linken Oberarms von außen mit einer Austrittswunde im Bizepsmuskel. Des Weiteren wurde der Brustkorb des Nebenklägers oben links durchschossen. Dies führte zu einer Verletzung der Lunge und der Beschädigung einer Rippe. Ferner wurden zwei Pkw von je zwei weiteren Schüssen getroffen. Bis auf den tödlich Getroffenen El-A. flüchteten sämtliche seiner Begleiter vom Tatort weg auf der Kreuzbergstraße - vom Standpunkt der Schützen aus betrachtet - nach links in Richtung Möckernstraße. Der Angeklagte E. rannte, nachdem er die Schüsse gehört hatte, linker Hand an den Angeklagten S. u. K. Y. und den beiden auf der Kreuzbergstraße abgestellten Pkw der Angreifer vorbei. Dann gab er aus seiner Maschinenpistole mit waagerecht ausgestrecktem Arm gezielt eine Salve von 13 Schüssen auf die Oberkörper der insgesamt acht fliehenden Personen ab, bis das Magazin leer war. Fünf Geschosse beschädigten einen Pkw und weitere Geschosse die Fassaden der gegenüber der Parkseite in Richtung Möckernstraße gelegenen Wohnhäuser der Kreuzbergstraße. Menschen kamen nicht zu Schaden. E. wartete, bis auch die letzten Personen der flüchtenden Gruppe in der Möckernstraße verschwunden waren.

Danach entfernten sich die Angeklagten durch den Viktoriapark. Ein Passanten gehörender Hund verbiss sich in ein Hosenbein des Angeklagten E.. Dieser wechselte das Magazin seiner Maschinenpistole und gab auf den Hund mindestens fünf weitere Schüsse ab.

Alle Angeklagten flüchteten zu Verwandten außerhalb Berlins, S. Y. und E. hielten sich dann in den Niederlanden auf, wo sie später festgenommen wurden.

2. Das Landgericht hat seine Feststellungen wie folgt rechtlich bewertet:

a) Das Schwurgericht hat es letztlich offen gelassen, ob der Angeklagte S. Y. auf die Brüder A. u. M. El-A. und auf G. in Notwehr geschossen hat, weil sich dieser Angeklagte jedenfalls wegen einer Absichtsprovokation nicht auf ein Notwehrrecht habe berufen können. Auch eine Nothilfe zugunsten seines Bruders K. Y. scheide aus.

b) Das Landgericht hat den Angeklagten E. nicht als sukzessiven Mittäter hinsichtlich der Schüsse des S. Y. angesehen, weil dieser das tatbestandsmäßige Geschehen zum Zeitpunkt des Eingreifens des E. bereits vollständig eigenhändig verwirklicht habe. Der Aufenthalt des schwer bewaffneten E. in Tatortnähe stelle ferner weder eine physische noch eine psychische Hilfeleistung für den Angeklagten S. Y. dar. Nach dessen Einlassung habe sich dieser im Augenblick der Tat allein gelassen und hilflos gefühlt. Eine Bestrafung des E. könne nur wegen des Waffendelikts erfolgen, weil ein strafbefreiender Rücktritt vom unbeendeten Versuch des Totschlags anzunehmen sei.

c) Der Angeklagte K. Y. sei nicht Mittäter seines Bruders, weil dessen Schüsse nicht ausschließbar einen Exzess darstellten. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Einsatz einer scharfen Waffe Gegenstand der im Vorfeld der Tat getroffenen Absprache gewesen sei. Wegen des Exzesses des Haupttäters komme im Blick auf eine erhebliche Abweichung des von K. Y. vorgestellten Kausalverlaufs auch die Annahme eines Gehilfenvorsatzes nicht in Betracht.

3. Die Revision des Angeklagten S. Y. bleibt erfolglos.

Der Senat kann es dahingestellt sein lassen, ob die gegen die Annahme einer Absichtsprovokation geltend gemachten Verfahrensrügen und die gegen die Beweisführung und Subsumtion des Landgerichts insoweit gerichteten materiell-rechtlichen Angriffe durchgreifen.

Nach den fehlerfrei getroffenen Feststellungen zur Kampflage hat der Angeklagte S. Y. nämlich nicht in Notwehr gehandelt, weil er sich bei Abgabe der Schüsse auf den Getöteten und G. keinem gegenwärtigen Angriff im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB ausgesetzt sah. Diese Personen hatten sich unbewaffnet noch etwa zehn Meter von dem Angeklagten S. Y. entfernt befunden und ihr aggressives Verhalten bereits beendet. Sie hatten sich nämlich von dem Schützen - nach Wahrnehmung zweier Schreckschüsse und scharfer Schüsse in die Luft - abgewandt und wurden dementsprechend von hinten in den rechten bzw. linken Oberarm von außen getroffen. Solches schließt die Annahme von Notwehr aus.

Auch der Schuss auf den Nebenkläger war nicht durch Notwehr gerechtfertigt. Zwar befand sich A. El-A. mit einem Stock bewaffnet mindestens zehn Meter vom Angeklagten entfernt und nach seiner Körperstellung dem Angeklagten zugewandt. Vom Nebenkläger ist in dieser Lage indes noch kein gegenwärtiger Angriff auf den Angeklagten ausgegangen. Zwar wird dies nicht nur angenommen, wenn der Angriff beginnt, sondern schon dann, wenn er unmittelbar bevorsteht. Zu den erforderlichen Verteidigungsmaßnahmen berechtigt nicht erst die Verletzungshandlung selbst, sondern bereits ein Verhalten des Gegners, das unmittelbar in eine Rechtsgutverletzung umschlagen kann, so dass durch das Hinausschieben der Abwehrhandlung entweder deren Erfolg gefährdet würde oder der Verteidiger das Wagnis erheblicher eigener Verletzungen auf sich nehmen müsste (BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 1). Solches ist hier aufgrund der festgestellten Kampflage ausgeschlossen. Der lediglich mit einem Stock bewaffnete Nebenkläger war in einer Entfernung von zehn Metern für den Angeklagten noch ein harmloser Gegner und verfügte über keine Möglichkeit, einen Angriff auf den Angeklagten vorzutragen; ein Einsatz des Stockes als Wurfgeschoss schied ersichtlich aus. Der Angeklagte war deshalb ohne drohende Einbuße seiner Gesundheit verpflichtet, in dieser Situation die weitere Entwicklung der Kampflage abzuwarten, anstatt dem Nebenkläger in den Oberkörper zu schießen.

Der Senat schließt aus, dass das Schwurgericht bei solcher Subsumtion zur Notwehrlage auf eine andere Strafe erkannt hätte, und holt die Festlegung des Anrechnungsmaßstabs für die in den Niederlanden erlittene Haft nach (§ 51 Abs. 3 Satz 2, Abs. 1 StGB ).

4. Auch die Revision des Angeklagten E. ist unbegründet.

Die Besorgnis des Beschwerdeführers, das Landgericht habe das Beschießen der Flüchtenden mit Tötungsvorsatz zu Unrecht strafschärfend bewertet ist sachlich unbegründet. Das Landgericht musste sich deshalb auch nicht zu weiterer Aufklärung behaupteter - zumal technisch eher unerklärlicher - Abweichungen der Schussbahnen mehrerer Geschosse durch vorheriges Auftreffen auf einen Pkw gedrängt sehen.

5. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt mit der Sachrüge zur Aufhebung der Freisprechung des Angeklagten K. Y..

a) Das Landgericht hat es unterlassen, eine Strafbarkeit dieses Angeklagten wegen unerlaubten Führens einer Schusswaffe nach § 52 Abs. 3 Nr. 2 a WaffG in den Blick zu nehmen. Solches hätte aber die dem Schwurgericht obliegende Kognitionspflicht geboten (vgl. BGHSt 32, 84 , 85). Der Angeklagte war ersichtlich nicht im Besitz eines kleinen Waffenscheins, den er gemäß § 10 Abs. 4 Satz 4 WaffG i. v. m. Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 3 Nr. 2 und 2.1 zum Führen seiner Schreckschusswaffe benötigt hätte (vgl. BGHSt [GS] 48, 197, 204; BGH NJW 2006, 73 , 74). Für die Annahme einer Strafbarkeit wäre es auch nicht auf das Vorliegen einer - hier allerdings ebenfalls auszuschließenden - Notwehrlage für den Angeklagten K. Y. angekommen, weil das Waffendelikt jedenfalls auch tatmehrheitlich verwirklicht worden wäre (vgl. BGH NStZ 1999, 347 ). Die vom Generalbundesanwalt erwogene Strafbarkeit wegen Nötigung liegt demgegenüber angesichts der besonderen Voraussetzungen des § 240 Abs. 2 StGB eher fern.

b) Die Sachrüge der Revision der Staatsanwaltschaft ist darüber hinaus weitergehend begründet. Auf die von der Staatsanwaltschaft erhobene Verfahrensrüge kommt es demnach für eine Aufhebung des Freispruchs des Landgerichts nicht an.

Die Beweiswürdigung des Landgerichts, auf deren Grundlage es die Annahme einer Mittäterschaft oder Beihilfe des Angeklagten K. Y. abgelehnt hat, ist lückenhaft. Das Schwurgericht hat es unterlassen, die fehlerfrei festgestellten Umstände der Kampflage vollständig zu bewerten (vgl. BGH wistra 2002, 260 , 262; 2007, 18, 19 f.; BGH Urteil vom 16. März 2004 - 5 StR 490/03). Das Landgericht hat sich zwar fehlerfrei davon überzeugt, dass es nach dem Eintreffen des mit einer Schreckschusspistole bewaffneten Angeklagten zu einem lautstarken Wortwechsel unbekannten Inhalts mit dessen mit einer Pistole bewaffneten älteren Bruder gekommen ist. Es hat aber nicht feststellen können, dass K. Y. im Rahmen der Absprache vor der Tat zur Kenntnis gebracht worden sei, dass S. Y. über eine scharfe Schusswaffe verfüge. Diese Erwägung beruht indes auf einer nicht ausreichenden Auswertung der die Angeklagten belastenden Umstände in diesem Zusammenhang, die für eine Kenntnis des Angeklagten K. Y. vom Einsatz einer scharfen Schusswaffe sprechen.

Dazu hat das Landgericht folgende Belastungsindizien festgestellt:

Der Angeklagte S. Y. blieb nach dem Telefonat mit T. St. in Erwartung der Kontrahenten am späteren Tatort. Die von diesem Angeklagten und E. mitgeführten Waffen dienten nicht zum Vorzeigen und Abschrecken, sondern sollten im Blick auf die große Menge der mitgeführten Munition auch eingesetzt werden. Der Angeklagte K. Y. kam - nach dem Anruf durch seinen Bruder - nicht als Abholer der übrigen Angeklagten, sondern als Unterstützer der bereits anwesenden Schwerbewaffneten. K. Y. blieb an der Seite seines Bruders in Erwartung der Gegner und schoss fast zeitgleich mit diesem nach vorangegangener Absprache auf die drei Insassen aus dem ersten von zwei als Fahrzeuge der Angreifer erkannten Pkw.

Damit hat das Landgericht den Angeklagten K. Y. in objektiver Hinsicht als Kampfgefährten seines älteren Bruders in das Kampfgeschehen eingeordnet. Dass K. Y. geglaubt haben könnte, sein Bruder verfüge über keine oder über eine weitgehend wirkungslose Waffe, widerspricht kriminalistischer Erfahrung, weil solches bedeuten würde, dass sich K. Y. angesichts der Überzahl der teilweise bewaffneten Gegner in einen hochgradig selbstgefährdenden Kampf begeben hätte. Für eine solche Lage bestehen indes nach den bisherigen Feststellungen keine Anhaltspunkte.

Das Führen der Schreckschusswaffe und die mögliche dolose Mitwirkung des Angeklagten K. Y. an den Schüssen seines Bruders bedürfen demnach neuer Aufklärung und Bewertung.

6. Die den Angeklagten E. betreffende Revision der Staatsanwaltschaft hat überwiegend Erfolg.

a) Das Landgericht hat seine Wertung, E. sei nicht Mittäter des S. Y., von einem verengten rechtlichen Ausgangspunkt, einer "bloßen sukzessiven Mittäterschaft" aus getroffen und die gebotene wertende Betrachtung aller Umstände (vgl. BGHSt 37, 289 , 291; BGH Urteil vom 7. November 2006 - 5 StR 164/06), ob E. nicht aufgrund einer vor der Tat des S. Y. diesem zugesagten gegenseitigen Unterstützung und Schützenhilfe Mittäter gewesen sein könnte (vgl. BGHSt 37, 289 , 291), nicht in den Blick genommen. Dafür hat das Landgericht belastende Indizien festgestellt, aber ersichtlich nicht bewertet:

Auch die Maschinenpistole des E. sollte nicht nur zur Abschreckung vorgezeigt, sondern am Tatort eingesetzt werden. Die Mitwirkung des E. war für das Ziel des Treffens, sich gegen die Gegner vom Vortag zu behaupten, besonders wichtig, verfügte dieser Angeklagte doch über die wirksamste Waffe. Schließlich wusste der Angeklagte E., ohne dass er sich mit dem Angeklagten S. Y. in irgendeiner Weise hätte verständigen müssen, was seine Aufgabe in dem Kampfgeschehen war. Er rannte an den übrigen Angeklagten linker Hand vorbei, erfasste die Kampflage und schoss zielgerichtet auf die noch acht Flüchtenden, womit er den Sieg seiner Kampfgenossen endgültig sicherte.

b) Das Schwurgericht hat ferner nicht darauf Bedacht genommen, dass im Einzelfall der durch Handeln erbrachte Tatbeitrag des Gehilfen - was hier äußerst nahe gelegen hätte - schon darin bestehen kann, dass der Gehilfe den Haupttäter im Wissen um dessen Verhalten zur Tatausführung begleitet, seine Anwesenheit gleichsam "einbringt", um den Haupttäter in seinem Tatentschluss zu bestärken und ihm das Gefühl erhöhter Sicherheit zu geben (BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 14 m.w.N.). Dem stünde die Erwägung des Landgerichts (UA S. 108), der Angeklagte S. Y. hätte sich im Augenblick seiner Tatausführung, obwohl er nach E. gerufen hatte, alleingelassen und hilflos gefühlt, eher nicht entgegen. Sie beruht nämlich allein auf der - regelmäßig nicht ungeprüft hinzunehmenden (vgl. BGH NJW 2003, 2179 ; ferner BGHSt 49, 365 , 370) - Einlassung des Angeklagten S. Y., die zudem im Blick auf die Schnelligkeit des Anschlussgeschehens an Plausibilität verliert.

c) Dagegen greifen die Einwände der Revision der Staatsanwaltschaft gegen die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts vom Totschlagsversuch hinsichtlich der 13 von E. abgegebenen Schüsse nicht durch.

Das Landgericht hat mit vertretbaren Erwägungen einen unbeendeten Totschlagsversuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB angenommen. Dem Angeklagten E. war zwar nach Leerschießen des ersten Magazins seiner Maschinenpistole eine Tötung der Flüchtenden für den Augenblick nicht mehr möglich. Dies begründet vorliegend aber noch keinen Fehlschlag, weil der Angeklagte angesichts des ihm zur Verfügung stehenden zweiten befüllten Magazins nach der Wertung des Landgerichts zu der Annahme gelangen konnte, er könne ohne zeitliche Zäsur mit anderen bereitstehenden Mitteln die Tat noch vollenden (vgl. BGHSt [GS] 39, 221, 228 m.w.N.). Diese Würdigung beruht auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage. Der Angeklagte hatte erkannt, dass er keinen Gegner getroffen hatte (UA S. 103). Der im Urteil dargelegte Abstand des Angeklagten zu den Flüchtenden, die bekannte größere Reichweite der Maschinenpistole und die durch die Schüsse auf den Hund belegte Fähigkeit des Angeklagten, ohne Weiteres - sogar in der durch den Angriff des Hundes ersichtlich hektischen Situation - das Magazin schnell zu wechseln und die Maschinenpistole wieder schussbereit zu machen (anderer Sachverhalt: BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch beendeter 7), belegen die Überzeugung des Landgerichts, dass ein Weiterhandeln des Angeklagten nicht erst nach Eintritt einer Zäsur, sondern ohne wesentliche Unterbrechung möglich gewesen wäre. Die Annahme, unter diesen Umständen lägen zwei Taten vor, würde den einheitlichen Lebensvorgang willkürlich auseinander reißen (vgl. BGHSt 34, 53 , 57).

Auch die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe trotz Wahrnehmung der Schüsse durch Dritte freiwillig von der weiteren Tatausführung Abstand genommen, begegnet keinen Bedenken. Nach den Feststellungen des Landgerichts bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte seine Tat für entdeckt gehalten oder geglaubt hat, mit Entdeckung rechnen zu müssen (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 16).

d) Demnach bedarf eine mögliche Beteiligung des Angeklagten E. an den Schüssen des S. Y. neuer Aufklärung und Bewertung. Dies zieht im Blick auf die schon in der Anklageschrift zu Recht angenommene Tateinheit auch die Aufhebung des Schuldspruchs wegen des Waffendelikts und der Sachbeschädigung nach sich (vgl. BGHR StPO § 353 Aufhebung 1). Indes können die Feststellungen zu den objektiven und subjektiven Umständen der Schussabgabe dieses Angeklagten mit der Maschinenpistole aufrechterhalten bleiben. Diese Feststellungen sind vom Rechtsfehler nicht betroffen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 1997 - 3 StR 297/97). Insoweit ist die Revision der Staatsanwaltschaft unbegründet.

7. Im Übrigen bemerkt der Senat:

a) Der Inhalt der im Rahmen einer Aufklärungsrüge der Staatsanwaltschaft vorgetragenen polizeilichen Vernehmungen der Angeklagten lässt es dem Senat als nahezu ausgeschlossen erscheinen, dass ein neuer Tatrichter daraus - etwa zur Schussreihenfolge - im Widerspruch zu Zeugenaussagen, die der bisherige Tatrichter als glaubhaft bewertet hat, für die Angeklagten Belastendes wird entnehmen können. Eine erneute Stellungnahme des Senats zur Zulässigkeit polizeilicher Vernehmungen in Fällen des dringenden Tatverdachts eines Verbrechens (vgl. BGHSt 47, 233 , 237; NJW 2006, 1008 , 1010), zur möglichen Unzulässigkeit polizeilicher Beschuldigtenvernehmungen vor einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung (vgl. BGHR StPO § 128 Abs. 1 Vorführungsfrist 2), zu einer Vereitelung des Wunsches eines Beschuldigten nach Konsultation eines Verteidigers (vgl. BGHR StPO § 136 Abs.1 Verteidigerbefragung 8 m.w.N.) und zur Verwertbarkeit einer Beschuldigtenvernehmung ohne Belehrung nach Art. 36 Abs. 1b Satz 3 WÜK ist deshalb nicht veranlasst.

b) Die gebotene neue Aufklärung der Beteiligung des Angeklagten K. Y. kann es mit sich bringen, dass die mit diesem Urteil bezüglich des Angeklagten S. Y. rechtskräftig gewordenen Feststellungen in Widerspruch zu den insoweit neu zu treffenden Feststellungen werden treten können. Dies kann auch für die neu festzustellenden subjektiven Umstände hinsichtlich einer Tatbeteiligung des Angeklagten E. an der Tat des S. Y. der Fall sein (vgl. BGHSt 43, 106 , 107).

c) Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, auch bei dem Angeklagten E. den Anrechnungsmaßstab für die in den Niederlanden erlittene Freiheitsentziehung zu bestimmen und erneut über die Einziehung von dessen Maschinenpistole zu befinden.

8. Mit der Aufhebung des Freispruchs entfällt der Entschädigungsausspruch; damit erledigt sich die insoweit eingelegte sofortige Beschwerde des Angeklagten K. Y..

Vorinstanz: LG Berlin, vom 14.12.2005