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BVerwG - Entscheidung vom 01.02.2006

7 B 80.05

Fundstellen:
NJW 2006, 3156
NVwZ 2007, 478

BVerwG, Beschluß vom 01.02.2006 - Aktenzeichen 7 B 80.05

DRsp Nr. 2007/11937

Gründe:

Die Klägerin, der Verband aller Zeugen Jehovas in Deutschland, begehrt, ihr gemäß Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 Satz 2 Weimarer Reichsverfassung (WRV) die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verleihen. Das beklagte Land Berlin hat insbesondere geltend gemacht, der Klägerin könne der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht verliehen werden, weil sie nicht rechtstreu sei. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten verpflichtet, der Klägerin die Rechtsstellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts im Land Berlin zu verleihen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten durch das angefochtene Urteil zurückgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt: Nach den Feststellungen, die der Senat auf der Grundlage des ihm von den Beteiligten unterbreiteten Erkenntnismaterials und unter Ausschöpfung aller ihm sonst zugänglichen Informationsquellen getroffen habe, lasse sich der Vortrag des Beklagten nicht verifizieren, die Klägerin unterlaufe den staatlichen Schutz Minderjähriger im Falle der Zustimmungsverweigerung der Eltern zu lebenserhaltenden Bluttransfusionen, wirke im Falle des Austritts oder Ausschlusses eines Mitglieds aktiv auf die Trennung von Ehepartnern oder Familien hin und gefährde durch für ihre Mitglieder verbindliche Erziehungsvorgaben das Kindeswohl. Auch sonst bestünden keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass sich die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas, die ihren Glauben in Deutschland seit 1897 praktiziere, in der Vergangenheit nicht rechtstreu verhalten habe, insbesondere die staatlichem Schutz anvertrauten Grundrechte oder die in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen Grundprinzipien des Religions- und Staatskirchenrechts verletzt oder gefährdet habe.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten.

Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO .

Der Beklagte hält für grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage,

ob in einem Rechtsstreit einer Religionsgemeinschaft um die Zuerkennung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gemäß Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV die antragstellende Religionsgemeinschaft oder die die Anerkennung verneinende Behörde darlegungs- und beweispflichtig für die Frage ist, ob die Religionsgemeinschaft die (ungeschriebene) Voraussetzung der so genannten Rechtstreue erfüllt, die Religionsgemeinschaft also insbesondere die Gewähr dafür bietet, dass ihr künftiges Verhalten die in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, die dem staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes nicht beeinträchtigt oder gefährdet.

Diese Frage würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen und rechtfertigt deshalb nicht die Zulassung der Revision. Der Beklagte unterstellt mit seiner Frage, das Oberverwaltungsgericht habe die Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch in tatsächlicher Hinsicht nicht abschließend festgestellt, sondern insoweit eine Entscheidung nach den Regeln der Beweislast getroffen. Das trifft indes nicht zu.

Nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben hatte das Berufungsgericht anhand einer typisierenden Gesamtbetrachtung und Gesamtwürdigung aller entscheidungserheblichen Umstände eine Prognose darüber anzustellen, ob die Klägerin nach ihrem gegenwärtigen und zu erwartenden Verhalten die Gewähr dafür bietet, die in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, die staatlichem Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes nicht zu beeinträchtigen oder zu gefährden (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 19. Dezember 2000 - 2 BvR 1500/97 - BVerfGE 102, 370 , 396). Nach dem insoweit bindenden zurückverweisenden Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Mai 2001 - BVerwG 7 C 1.01 - (Buchholz 11 Art. 140 GG Nr. 66) waren nur bestimmte von dem Beklagten erhobene Vorwürfe hinreichend gewichtig und deshalb geeignet, die Annahme mangelnder Rechtstreue zu rechtfertigen. Nur sie waren deshalb weiter aufzuklären.

Hiervon ist das Oberverwaltungsgericht ausgegangen. Es hat "auf der Grundlage des ihm von den Beteiligten unterbreiteten Erkenntnismaterials und unter Ausschöpfung aller ihm sonst zugänglichen Informationsquellen" nicht feststellen können, dass die gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe zutreffen, die Anlass zu Zweifeln an ihrer Rechtstreue waren. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts bestehen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin sich in der Vergangenheit nicht rechtstreu verhalten hätte. Der Sache nach hat das Oberverwaltungsgericht der Klägerin damit die Prognose gestellt, sie werde sich rechtstreu verhalten, namentlich nicht die unter staatlichem Schutz stehenden Grundrechte Dritter beeinträchtigen oder gefährden. Die Feststellung, dass keine greifbaren Anhaltspunkte für das Gegenteil vorliegen, ist mit der Feststellung gleichbedeutend, dass die Klägerin die Gewähr der Rechtstreue bietet.

Im Übrigen missversteht der Beklagte das angefochtene Urteil. Das Oberverwaltungsgericht hat zwar in den Entscheidungsgründen unter anderem aufgeführt, der Vortrag des Beklagten, die Klägerin unterlaufe den staatlichen Schutz Minderjähriger im Falle der Zustimmungsverweigerung der Eltern zu lebenserhaltenden Bluttransfusionen, wirke im Falle des Austritts oder Ausschlusses eines Mitglieds aktiv auf die Trennung von Ehepartner oder Familien hin und gefährde durch für ihre Mitglieder verbindliche Erziehungsvorgaben das Kindeswohl, lasse sich nicht "verifizieren". Damit hat das Oberverwaltungsgericht aber nicht der beklagten Behörde die Darlegungs- (und Beweis-)last für eine mangelnde Rechtstreue der antragstellenden Religionsgemeinschaft zugewiesen. Ob und in welche Richtung eine Gefährdung von Schutzgütern durch die antragstellende Religionsgemeinschaft zu erwarten ist, hat das Gericht nur insoweit zu untersuchen, als dazu, insbesondere nach dem Vortrag der Beteiligten, aber auch nach sonst erkennbar gewordenen Gesichtspunkten, Anlass besteht. Hiervon ist das Oberverwaltungsgericht zu Recht ausgegangen. Es hat im Übrigen nicht nur den Vortrag des Beklagten herangezogen. Das Oberverwaltungsgericht hat vielmehr auch der Klägerin aufgegeben, die Unterlagen vorzulegen, die Aufschluss über ihr Verhalten in der Frage der Bluttransfusion, des Umgangs mit ausgeschiedenen oder ausgeschlossenen Mitgliedern und hinsichtlich ihrer Erziehungsvorgaben geben konnten.

2. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf dem gerügten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ). Das Oberverwaltungsgericht hat nicht seine Pflicht verletzt, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§ 86 Abs. 1 VwGO ).

Dem Oberverwaltungsgericht musste es sich nicht aufdrängen, vom Beklagten benannte Personen als Zeugen zu der Frage zu vernehmen, ob die Klägerin aktiv darauf hinarbeite, dass ausgetretene oder ausgeschlossene Familienmitglieder von ihren in der Religionsgemeinschaft verbliebenen Familienangehörigen in einer Weise ausgegrenzt würden, die den durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Bestand von Ehe und Familie gefährdet und sich zugleich als nachhaltige Sperre gegen den Austritt auswirken könnte.

Zur Klärung der Frage, ob dieser Vorwurf zutrifft, hat das Oberverwaltungsgericht zunächst die eigenen Verlautbarungen der Klägerin herangezogen und ausgewertet. Insoweit trifft der Vorwurf des Beklagten nicht zu, das Oberverwaltungsgericht habe die von ihm - dem Beklagten - vorgelegten Schriftstücke nicht ausgewertet (S. 19 der Beschwerdebegründung unter aa). Das Oberverwaltungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass die Klägerin im Falle des Austritts oder des Ausschlusses eines Mitglieds ihrer Gemeinschaft empfiehlt, dieses Mitglied zu meiden und keinen Umgang mehr mit ihm zu pflegen. Das Oberverwaltungsgericht hat andererseits der im Verfahren vorgelegten eigenen Literatur der Klägerin, aber auch deren Handlungsanweisung entnommen, im Falle des Ausscheidens oder des Ausschlusses eines engen Familienmitglieds lediglich keine "geistige Gemeinschaft" im Sinne gemeinsamer Anbetung Jehovas mehr zu pflegen, hinsichtlich der Dinge des täglichen Lebens aber weiterhin "in Liebe loyal miteinander umzugehen".

Von dieser Feststellung ausgehend, kam es für das Oberverwaltungsgericht entscheidungserheblich darauf an, ob das tatsächliche Verhalten der Klägerin hiervon abweicht, ob sie also in der Praxis aktiv darauf hinarbeitet, dass über die Verweigerung einer geistigen Gemeinschaft im Sinne gemeinsamer Anbetung Jehovas hinaus innerhalb der Familie auch jeder andere Umgang mit einem aus der Gemeinschaft ausgetretenen oder aus ihr ausgeschlossenen Familienmitglied unterbleibt. Das Oberverwaltungsgericht hat hierzu Umfragen bei Behörden und Institutionen ausgewertet, bei denen Erkenntnisse zu dieser Frage - gäbe es sie - vorliegen müssten. Es hat als Ergebnis festgehalten, dass die insoweit angestellten Ermittlungen nicht nur weitgehend, sondern insgesamt ergebnislos verlaufen seien, obwohl bereits seit Jahren interministerielle Arbeitsgruppen des Bundes und der Länder zum Bereich neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen existierten, die im Wesentlichen dazu dienten, Informationen ressortübergreifend auszutauschen und auf diesem Gebiet mit den kommunalen Spitzenverbänden, der Polizei und anderen Institutionen zusammenarbeiten. Das Oberverwaltungsgericht hat schließlich die im Verfahren umfangreich dokumentierte Rechtsprechung der Familiengerichte daraufhin ausgewertet, ob sie auf einen familienfeindlichen Einfluss der Klägerin oder auf ein systematisches Unterlaufen gerichtlicher Umgangs- und Sorgerechtsregelungen schließen lassen.

Der Beklagte zieht mit seiner Beschwerde die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts nicht in Zweifel, dass bei den einschlägig befassten Behörden, Gerichten und anderen Institutionen keine Erkenntnisse über das behauptete familienfeindliche Verhalten der Klägerin vorliegen. Er meint, das Oberverwaltungsgericht hätte darüber hinaus von ihm als Zeugen benannte ehemalige Mitglieder der Klägerin zu deren tatsächlichem Verhalten vernehmen müssen. Die in diese Richtung zielenden Beweisanregungen des Beklagten boten jedoch keinen hinreichenden Anlass für eine weitere Beweisaufnahme.

Das Oberverwaltungsgericht hat zum einen darauf verwiesen, der Beklagte habe zwar zahllose Schilderungen ehemaliger Mitglieder der Klägerin eingereicht, diese jedoch nicht auf ihre Relevanz für die Fragen durchgesehen, die nach dem zurückverweisenden Urteil des Bundesverwaltungsgerichts allein noch zu klären waren. Für das Oberverwaltungsgericht war deshalb nicht erkennbar, was eine Vernehmung der vom Beklagten benannten Zeugen an Erkenntnis für die zu entscheidenden Fragen hätte bringen können. Diese Begründung des Oberverwaltungsgerichts wird durch die Beschwerde nicht entkräftet. Der Beklagte hat auch in seiner Beschwerde nur ausgeführt, welche Zeugen er dem Oberverwaltungsgericht benannt hat, ohne dass ein Bezug zu der vom Oberverwaltungsgericht zu klärenden Frage dabei deutlich wird. Ein erheblicher Teil der vom Beklagten benannten Personen sollte nach seiner Darstellung zwar die Praxis der Klägerin gegenüber abtrünnigen Mitgliedern bekunden, jedoch betrafen deren Erfahrungen nicht die hier allein erhebliche Frage des Umgangs mit ausgetretenen oder ausgeschlossenen Familienmitgliedern innerhalb der Familie (Eltern und Kinder). Dass die Klägerin grundsätzlich darauf hinwirkt, ein ausgetretenes oder ausgeschlossenes Mitglied ihrer Gemeinschaft zu meiden und keinen Umgang mehr mit ihm zu pflegen, hat das Oberverwaltungsgericht ausdrücklich festgestellt. Hierzu bedurfte es keiner Beweisaufnahme. Andere Personen sollten Auskunft über das Verfahren geben, in dem die Klägerin Mitglieder aus ihrer Gemeinschaft ausschließt. Ferner hat der Beklagte unter Beweisantritt behauptet, die Klägerin schließe auch solche Mitglieder aus ihrer Gemeinschaft aus, die Schriften Abtrünniger läsen. Sie hat in ihrer Beschwerde auch das Übergehen dieser Beweisantritte dem Oberverwaltungsgericht als Verfahrensfehler vorgeworfen, ohne auch nur ansatzweise auf die Frage einzugehen, inwieweit eine Beweisaufnahme hierzu ausgehend von der materiellrechtlichen Auffassung des Oberverwaltungsgerichts entscheidungserheblich war. Insgesamt bleibt auch nach dem Beschwerdevorbringen völlig offen, welche der zahllosen Beweisangebote und Beweisanregungen auf die Ermittlung von Tatsachen zielten, die für das Verfahren von Relevanz waren.

Jedenfalls mit Blick hierauf brauchte das Oberverwaltungsgericht aus dem weiteren von ihm genannten Grund diesen Beweisangeboten und Beweisanregungen nicht nachzugehen. Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend darauf abgehoben, der Vortrag des Beklagten lasse im Weiteren die Frage offen, ob die von ihm vorgelegten Berichte die hinreichend sichere Einschätzung erlaubten, dass die geschilderten Erfahrungen Einzelner über den Einzelfall hinaus auf ein Verhalten schließen ließen, das den verbindlichen Vorgaben der Klägerin entspreche. Das Oberverwaltungsgericht hat damit die Tauglichkeit der angebotenen Beweise in Zweifel gezogen.

Jedenfalls nachdem es diese Zweifel mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erörtert und der Beklagte im Anschluss daran von förmlichen Beweisanträgen abgesehen hatte, musste sich dem Oberverwaltungsgericht eine Beweisaufnahme nicht aufdrängen, weil der anwaltlich vertretene Beklagte sich offenkundig mit den Hinweisen des Oberverwaltungsgerichts zufrieden gegeben hatte.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 2. Halbsatz VwGO ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO , die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 , § 52 Abs. 2 GKG .

Vorinstanz: OVG Berlin, vom 24.03.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 5 B 12.01
Fundstellen
NJW 2006, 3156
NVwZ 2007, 478