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BVerfG - Entscheidung vom 31.07.2006

1 BvR 1889/06

Normen:
BVerfGG § 32 Abs. 1

Fundstellen:
UPR 2007, 99

BVerfG, Beschluss vom 31.07.2006 - Aktenzeichen 1 BvR 1889/06

DRsp Nr. 2007/6022

Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung gegen die Vollziehung eines Besitzeinweisungsbeschlusses betreffend die Verlängerung der Start- und Landebahn in Hamburg-Finkenwerder

Normenkette:

BVerfGG § 32 Abs. 1 ;

Gründe:

Gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Kann letzteres nicht festgestellt werden, muss der Ausgang des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens also als offen angesehen werden, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 91, 70 [74 f.]; 92, 126 [129 f.]; 93, 181 [186 f.]; stRspr).

1. Gemessen daran kann der Antrag, soweit er die Antragsteller 5) und 8) betrifft, schon deshalb keinen Erfolg haben, weil sich deren Verfassungsbeschwerde von vornherein als unzulässig erweist.

Der Verfassungsbeschwerde der Antragsteller 5) und 8) steht der in § 90 Abs. 2 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Danach muss ein Beschwerdeführer im Ausgangsverfahren alle prozessualen Möglichkeiten erschöpfen, um es gar nicht erst zu dem Verfassungsverstoß kommen zu lassen oder um die geschehene Grundrechtsverletzung zu beseitigen (vgl. BVerfGE 22, 287 [290 f.]; 81, 97 [102 f.]). Dem haben die Antragsteller 5) und 8) nicht entsprochen, denn sie haben gegen den Besitzeinweisungsbeschluss keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl sie beim Landgericht - wie die anderen Antragsteller - einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 7 Abs. 7 Satz 2 Werkflugplatz-Enteignungsgesetz vom 18. Februar 2004 (HmbGVBl 2004, S. 95), § 80 Abs. 5 VwGO hätten stellen können.

2. Hinsichtlich der anderen Antragsteller fällt die im Rahmen des § 32 BVerfGG vorzunehmende Folgenabwägung zu Lasten der Antragsteller aus.

Die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre, wiegen schwerer als die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte.

Es kann offen bleiben, ob und inwieweit die Antragsteller ihr Grundstück als "Sperrgrundstück" halten und welche verfassungsrechtlichen Folgerungen hier daraus zu ziehen wären. Die von ihnen angeführten Grundstücksnutzungen rechtfertigen es nicht, die Vollziehung des Besitzeinweisungsbeschlusses bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde zu untersagen. Das streitgegenständliche Grundstück hat eine Größe von lediglich 100 m² und spielt schon allein deshalb sowie in Anbetracht der zersplitterten Eigentums- und Besitzverhältnisse für die Nutzung zum Obstanbau nur eine geringe Rolle. Hinzu kommt, dass bei einem Erfolg der Verfassungsbeschwerde eine Rekultivierung möglich erscheint. Was die Messungen von Schadstoffemissionen auf dem Grundstück angeht, ist nicht substantiiert dargetan, dass es größere Probleme bei der Auffindung eines Ersatzstandortes geben könnte.

Demgegenüber handelt es sich bei der Verlängerung der Start- und Landebahn - wie die Antragsteller selbst zugestehen - um eine wichtige Voraussetzung für künftige Investitionsentscheidungen im Rahmen des Flugzeugbaus in Hamburg-Finkenwerder (Bau eines Auslieferungszentrums für Passagier- und Frachtversion des Airbus A 380). Hiermit verbinden sich - im Text des Werkflugplatz-Enteignungsgesetzes vom 18. Februar 2004 und im Gesetzgebungsverfahren (vgl. Bürgerschafts-Drucksachen 17/3920 und 17/4129) näher konkretisierte - Erwartungen an eine Stärkung des Wirtschaftsstandortes und des Erhalts und Ausbaus von Arbeitsplätzen in nicht unerheblichem Umfang. Auch wenn prognostische Unsicherheiten bestehen mögen, wäre es eine schwerwiegende Folge der beantragten einstweiligen Anordnung, wenn der Besitzeinweisungsbeschluss nicht vollzogen werden könnte und damit schon deshalb die erhofften Investitionsentscheidungen verhindert würden.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: LG Hamburg, vom 14.07.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 351 O 2/06
Fundstellen
UPR 2007, 99