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BVerwG - Entscheidung vom 03.11.2005

7 C 24.04

BVerwG, Urteil vom 03.11.2005 - Aktenzeichen 7 C 24.04

DRsp Nr. 2005/20617

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen die vermögensrechtliche Rückübertragung einer Teilfläche des ehemaligen Grundstücks K.straße 2/Ecke D.straße 11 in Berlin an die Beigeladene zu 1; er begehrt stattdessen ihre Rücküberübertragung an eine Erbengemeinschaft, der er als Miterbe angehört.

Eigentümerin des Grundstücks war seit 1922 Mathilde F., eine Jüdin polnischer Staatsangehörigkeit mit Wohnsitz in Krakau. Sie veräußerte das Grundstück 1936 an Rose-Marie Z.

Eine jetzt nicht mehr streitige Teilfläche des Grundstücks wurde im Jahre 1958 enteignet. Das verbliebene Grundstück mit der heutigen Bezeichnung K.straße 2 wurde im Jahre 1984 auf der Grundlage des Aufbaugesetzes in Volkseigentum überführt. Eigentümer des Grundstücks ist heute die Beigeladene zu 2.

Ein in Polen eingesetzter Nachlasspfleger über den Nachlass von Mathilde F. beantragte im Jahre 1959 bei den Wiedergutmachungsämtern von Berlin die Rückerstattung eines Sparguthabens von Mathilde F., das die Haupttreuhandstelle Ost auf der Grundlage der Verordnung über die Behandlung von Vermögen der Angehörigen des ehemaligen polnischen Staates (so genannte Polen-Verordnung) vom 17. September 1940 (RGBl I S. 1270) beschlagnahmt und zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen hatte. Der Antrag blieb erfolglos, weil eine Rückerstattung nur zugunsten des Geschädigten oder seiner Erben stattfinde, Erben von Mathilde F. jedoch nicht ermittelt seien.

Im September 1990 beantragte Rose-Marie Z. die vermögensrechtliche Rückübertragung des früheren Grundstücks K.straße 2/Ecke D.straße 11. Sie starb im Dezember 1994 und wurde von einer Erbengemeinschaft beerbt, welcher der Kläger angehört.

Im Dezember 1992 beantragte die Beigeladene zu 1 mit drei Schreiben beim Bundesministerium der Justiz, zum Teil auch bei einzelnen Vermögensämtern die Rückübertragung von Vermögenswerten (so genannte Globalanmeldung). Mit der Anmeldung 3 und einer ihr beigefügten Anlage begehrte sie die Rückgabe solcher Vermögenswerte, die aus dort aufgeführten Archiven, deren Beständen und Akten feststellbar seien. Mit Schreiben vom 23. Februar 1994 an das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen präzisierte sie ihre Globalanmeldung dahin, dass diese das Grundstück D.straße 11, Eigentümer F./Krakau erfasse.

Das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen übertrug mit dem hier angefochtenen Bescheid das Eigentum an dem Grundstück auf die Beigeladene zu 1 zurück. Das Vermögensamt stellte ferner fest, dass die Erbengemeinschaft nach Rose-Marie Z. (bezogen auf die 1984 enteignete Teilfläche) von einer Maßnahme nach § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG betroffen sei, lehnte eine Rückübertragung an sie aber unter Hinweis auf § 3 Abs. 2 VermG ab.

Nach erfolglosem Widerspruch hat der Kläger Klage erhoben und beantragt, unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide den Beklagten zu verpflichten, das Eigentum an dem ehemaligen Grundstück K.straße 2/Ecke D.straße 11 an die Erbengemeinschaft nach Rose-Marie Z. zurückzuübertragen.

Unter Abweisung der Klage im Übrigen hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben, soweit der Kläger die Rückübertragung des jetzigen Grundstücks K.straße 2 an die Erbengemeinschaft nach Rose-Marie Z. beantragt hatte: Das Vermögensamt hätte den Restitutionsantrag der Beigeladenen zu 1 ablehnen müssen, weil deren Globalanmeldung die Ausschlussfrist des § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG nicht gewahrt habe.

Auf die hiergegen eingelegten Revisionen des seinerzeit noch beklagten Landes Berlin und der Beigeladenen zu 1 hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen: Die Anmeldung 3 könne die Frist des § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG gewahrt haben, wenn dort auf bestimmte Akten und Unterlagen verwiesen worden sei, aus denen das - später präzisierte - Grundstück und das Eigentum eines Juden feststellbar seien.

Nach Zurückverweisung der Sache hat der Kläger ergänzend vorgetragen: Aus der Anmeldung 3 und den Anlagen zu ihr ergebe sich nicht, dass Mathilde F. Jüdin gewesen sei. Die hierfür nunmehr herangezogenen Unterlagen der Haupttreuhandstelle Ost seien in der Anlage zur Anmeldung 3 nicht erwähnt. Aus der einschlägigen Akte ergebe sich im Übrigen nur eine Schädigung "der Angehörigen des ehemaligen polnischen Staates Mathilde F.". Die für die Beschlagnahme ihres Vermögens herangezogene Polen-Verordnung habe sich nicht nur gegen polnische Juden gerichtet. Aus der Akte des früheren Rückerstattungsverfahrens ergebe sich ebenfalls nicht, dass Mathilde F. Jüdin gewesen sei. Davon abgesehen habe Mathilde F. als Ausländerin zum Zeitpunkt der Veräußerung ihres Grundstücks im Jahre 1936 noch nicht zu den kollektiv verfolgten Personen gehört. Der Nachweis einer individuellen Verfolgung sei bisher nicht geführt.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten: Die so genannte Polen-Verordnung habe sich in erster Linie gegen Juden gerichtet. Wenn andere Beweismittel fehlten, könne die Entziehung eines Vermögenswertes auf ihrer Grundlage auch zum Nachweis dafür herangezogen werden, dass es sich bei dem Verfolgten um einen Juden gehandelt habe.

Die Beigeladene zu 1 hat unter anderem geltend gemacht: Es sei bereits aktenkundig, dass Mathilde F. im allgemeinen Adressbuch der Stadt Berlin als Eigentümerin des streitigen Grundstücks eingetragen sei. Ihre jüdische Herkunft gehe aus anderen Unterlagen und Akten hervor, die in der Anmeldung 3 und der ihr beigefügten Anlage genannt seien. Dazu gehörten insbesondere die Aktenbestände der Oberfinanzdirektion Berlin, die ihrerseits die Akte der Haupttreuhandstelle Ost und die Akte des früheren Rückerstattungsverfahrens nach Mathilde F. umfassten. Aus dieser gehe eindeutig hervor, dass Mathilde F. Jüdin gewesen sei.

Das Verwaltungsgericht hat durch das nunmehr angefochtene Urteil unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide die Beklagte wiederum verpflichtet, das Grundstück K.straße 2 an die Erbengemeinschaft nach Rose-Marie Z. zurückzuübertragen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Zwar sei ein Zwangsverkauf nach § 1 Abs. 6 VermG gegeben, weil auch für damals im Ausland lebende Juden die Vermutung des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG gelte und die Vermutung nicht widerlegt sei. Denn es sei weder die fehlende (Mit-)Ursächlichkeit der Herrschaft des Nationalsozialismus für den seinerzeitigen Verkauf noch die Zahlung eines angemessenen Kaufpreises dargetan. Der Restitutionsantrag der Beigeladenen zu 1 hätte jedoch abgelehnt werden müssen, weil sie die Ausschlussfrist des § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG nicht gewahrt habe, insbesondere nicht durch ihre Anmeldung 3. Aus den dort in Bezug genommenen Unterlagen ergebe sich lediglich das Eigentum von Mathilde F. an dem streitigen Grundstück, nicht jedoch, dass sie Jüdin gewesen sei. Eine ausdrückliche Angabe dieses Inhalts finde sich dort an keiner Stelle. Zwar würde es ausreichen, wenn sich diese Angabe mittelbar aus den Unterlagen in der Weise ergebe, dass aus weiteren in den Unterlagen enthaltenen Informationen zwingend darauf zu schließen sei, dass Mathilde F. Jüdin gewesen sei. Ein unwiderlegbarer Nachweis sei insoweit nicht erforderlich. Unverzichtbar sei hingegen, dass aus den Unterlagen jedenfalls mittelbar in gleicher Weise eindeutig der Schluss auf die Zugehörigkeit zum Judentum zu ziehen sei, wie dies bei einer bloßen expliziten Behauptung der Fall sei. Aus der in den Akten der Haupttreuhandstelle Ost dokumentierten Beschlagnahme und Einziehung eines Sparguthabens nach der Polen-Verordnung könne keinesfalls zwingend geschlossen werden, dass die Betroffene Jüdin gewesen sei. Denn die Beschlagnahme sei nach § 2 Abs. 1 der Verordnung auch für das Vermögen von Personen auszusprechen gewesen, die geflüchtet oder nicht nur vorübergehend abwesend gewesen seien. Der polnische Nachlasspfleger über den Nachlass nach Mathilde F. habe im Rückerstattungsverfahren zwar geltend gemacht, es sei angesichts der Ausrottungsaktion gegenüber rassisch verfolgten polnischen Staatsangehörigen während der NS-Gewaltherrschaft nicht anzunehmen, dass noch Erben nach Mathilde F. ermittelt werden könnten. Er habe sich gegen den Standpunkt der Behörde gewandt, es müsse sich wenigstens ein Erbe zum Verfahren melden, und ausgeführt, dadurch werde der Rechtsnachfolger desjenigen, der die Entziehung begangen habe, umso günstiger gestellt, je radikaler während der NS-Gewaltherrschaft im Einzelfall die Judenfrage gelöst worden sei. Damit habe er aber ersichtlich nur dartun wollen, dass der Ausschluss von Abwesenheits- oder Nachlasspflegern aus dem Rückerstattungsverfahren den tatsächlichen Erfolg der Wiedergutmachung umso mehr gefährde, je mehr für sie im Hinblick auf das begangene Unrecht Anlass bestünde. Für diesen Rechtsstandpunkt habe die Zugehörigkeit der von ihm konkret vertretenen Verfolgten zu einer bestimmten Gruppe jedoch keine Rolle gespielt. Darüber hinaus seien Opfer von Ausrottungsaktionen in Polen, und zwar auch von rassisch motivierten, nicht nur Juden gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Beigeladenen zu 1, mit der sie ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiterverfolgt. Sie macht geltend: Aus den vom Verwaltungsgericht selbst festgestellten Tatsachen ergebe sich sowohl das Eigentum von Mathilde F. an dem streitigen Grundstück als auch ihre Zugehörigkeit zum Judentum. Die Anwendung der Polen-Verordnung auf ein ganz geringfügiges Sparguthaben lasse mit hoher Wahrscheinlichkeit den Schluss zu, dass der betroffene Kontoinhaber Jude gewesen sei. Der Vortrag des Nachlasspflegers im Rückerstattungsverfahren umfasse eindeutig die Behauptung, Mathilde F. und deren mögliche Erben seien Opfer der rassisch motivierten Ausrottungsaktionen geworden und mithin Juden gewesen. Es sei nicht erforderlich, dass die Zugehörigkeit des Alteigentümers zum Judentum schon endgültig und zwingend feststehen müsse, damit der Vermögenswert überhaupt als angemeldet gelten könne.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er ist der Ansicht, es reiche nicht aus, die Eigentümerstellung von Mathilde F. nur mit Hilfe des allgemeinen Berliner Adressbuchs zu belegen. Diese Unterlage sei nur für einen einfachen Abgleich mit jüdischen Adressbüchern oder listenmäßigen Verzeichnissen zugelassen. Die Akten der Haupttreuhandstelle Ost und der Wiedergutmachungsämter von Berlin beträfen nicht das Grundstück, sondern ein entzogenes Sparguthaben. Abgesehen davon lasse sich anhand dieser Unterlagen nicht feststellen, dass Mathilde F. Jüdin gewesen sei.

Die Beigeladene zu 2 stellt keinen Antrag. Sie hat sich zur Sache nicht geäußert.

Der Vertreter des Bundesinteresses verweist auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 2004, das die Wirksamkeit der Globalanmeldung nach der Anmeldung 3 weiter einschränke. Er hält diese Einschränkung für unzutreffend.

II.

Die Revision der Beigeladenen zu 1 ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht und stellt sich nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 137 Abs. 1 , § 144 Abs. 4 VwGO ). Das Verwaltungsgericht hat unter Verstoß gegen § 30 Abs. 1 Satz 1, § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG sowie gegen allgemeine Auslegungsgrundsätze angenommen, dass die Beigeladene zu 1 als Rechtsnachfolgerin von Mathilde F. ihren Rückübertragungsanspruch erst nach Ablauf der Ausschlussfrist des § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG angemeldet hat und ihr Rückübertragungsanspruch deshalb erloschen ist. Bei zutreffender Anwendung dieser Vorschriften hätte das Verwaltungsgericht unter Heranziehung der allgemeinen Auslegungsgrundsätze zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Beigeladene zu 1 mit ihrer Globalanmeldung die Frist des § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG gewahrt hat. Weil in der Sache ein Anspruch der Beigeladenen zu 1 auf Rückübertragung des Grundstücks besteht, hätte das Verwaltungsgericht die Klage abweisen müssen; der vermögensrechtliche Rückübertragungsanspruch der Erbengemeinschaft nach Rose-Marie Z. ist nach § 3 Abs. 2 VermG durch die zeitlich vorangehende Schädigung der früheren Eigentümerin Mathilde F. ausgeschlossen. Weitere tatsächliche Feststellungen sind hierzu nicht erforderlich. Der Senat kann deshalb in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO ).

Unter welchen Voraussetzungen die Globalanmeldung der Beigeladenen zu 1 die Frist des § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG wahrt, hat der Senat in seinem zurückverweisenden Urteil vom 23. Oktober 2003 - BVerwG 7 C 62.02 - (BVerwGE 119, 145 ) dargelegt. An die insoweit entscheidungstragenden rechtlichen Vorgaben war das Verwaltungsgericht gemäß § 144 Abs. 6 VwGO gebunden. Ebenso ist in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift der Senat selbst an seine entscheidungstragenden rechtlichen Vorgaben gebunden (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 6. Februar 1973 - GmS- OBG 1/72 - BVerwGE 41, 363 ).

Das später ergangene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 2004 - BVerwG 8 C 15.03 - (BVerwGE 122, 219 ) stellt keine zusätzlichen Anforderungen an die Individualisierbarkeit des zurückbegehrten Vermögenswertes, auf die es hier ankäme. Namentlich hat das Bundesverwaltungsgericht in jenem Urteil nicht die Möglichkeit eingeschränkt, zur Konkretisierung des beanspruchten Vermögenswertes bei der Oberfinanzdirektion geführte Rückerstattungsakten heranzuziehen (Beschluss vom 8. September 2005 - BVerwG 8 B 88.05 - ZOV 2005, 319), auf die es hier entscheidungserheblich ankommt.

Um die Frist zu wahren, muss die Anmeldung demnach Angaben enthalten, die zu dem bestimmten Vermögensgegenstand hinführen und damit dessen späteren Austausch oder die Möglichkeit einer späteren Substantiierung durch einen beliebigen Vermögenswert ausschließen. Die Anmeldung 3 und die zu ihr gehörenden Anlagen können zu bestimmten Vermögensgegenständen hinführen und damit die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Satz 1 und § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG erfüllen. Eine fristwahrende Anmeldung liegt insoweit vor, wenn auf bestimmte Akten und Unterlagen verwiesen worden ist, aus denen das - im Verfahren nach § 31 Abs. 1 b VermG präzisierte - Grundstück und das Eigentum eines Juden feststellbar ist. Diese Anforderungen werden jedenfalls durch die Bezugnahme auf Akten erfüllt, aus denen sich die Entziehung oder der Zwangsverkauf eines konkreten jüdischen Grundstücks ergibt. Zu derartigen Fallakten gehören etwa Akten, die Aufschluss über vergebliche Wiedergutmachungsanträge jüdischer Geschädigter oder deren Rechtsnachfolger nach 1945 geben.

Das Verwaltungsgericht geht in Übereinstimmung mit den Beteiligten davon aus, dass sich in den Archivbeständen, Akten und Unterlagen, die in der Anmeldung 3 und ihrer Anlage in Bezug genommen sind, kein einzelner Vorgang befindet, aus dem sich zugleich das Eigentum von Mathilde F. an dem zurückbegehrten Grundstück und die Zugehörigkeit der Eigentümerin zum Judentum ergibt. Das ist auch nicht erforderlich. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner zurückverweisenden Entscheidung ausdrücklich zugelassen, dass erst aus einer Zusammenführung mehrerer Unterlagen, die von der Anmeldung 3 und ihren Anlagen erfasst werden, das Grundstück und das Eigentum eines Juden daran feststellbar sind.

Dass Mathilde F. Eigentümerin des zurückbegehrten Grundstücks war, ergibt sich aus dem allgemeinen Adressbuch von Berlin. Dass dieses Adressbuch Ausgangspunkt des zulässigen Abgleichs mehrerer Unterlagen sein kann, obwohl sich aus ihm nach seiner Funktion allein das Eigentum an einem bestimmten Vermögenswert ergeben kann, hat das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls entschieden. In der Nr. 2 der Anmeldung 3 ist eine Verweisung auf Adressbücher enthalten. Mit ihr sind ersichtlich nicht nur jüdische Adressbücher, sondern auch allgemeine Adressbücher gemeint, aus denen sich ergibt, wer Eigentümer der entsprechenden Grundstücke war.

Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht die hinreichende Individualisierbarkeit des zurückbegehrten Vermögenswertes nicht auf die Fälle beschränkt, in denen sich das Grundstück und das Eigentum eines Juden daran aus einem Abgleich des allgemeinen Adressbuchs mit dem jüdischen Adressbuch ergibt. Aus einem solchen Abgleich könnte sich hier nicht ergeben, dass die im allgemeinen Adressbuch als Eigentümerin eingetragene Mathilde F. Jüdin war. Weil sie in Krakau wohnte, war sie nicht im jüdischen Adressbuch verzeichnet.

Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass abweichend von der Rechtsprechung der Rückerstattungsgerichte die Anforderungen des Vermögensgesetzes an die Individualisierbarkeit des zurückbegehrten Vermögenswertes gewahrt sind, wenn sich dieser durch einen Abgleich der Unterlagen feststellen lässt. Das Bundesverwaltungsgericht hat nicht weiter eingegrenzt, welche Unterlagen für einen solchen Abgleich in Betracht kommen. Es ist vielmehr davon ausgegangen, dass hierfür alle Unterlagen herangezogen werden können, die von der Anmeldung 3 und der ihr beigefügten Anlage erfasst werden. Zudem heißt es in den Hinweisen des Bundesverwaltungsgerichts für die weitere Aufklärung des Sachverhaltes, dass die Beigeladene zu 1 nicht gehindert ist, auf andere in der Anmeldung 3 oder der Anlage genannte Unterlagen und Akten zurückzugreifen, um darzulegen, dass das Grundstück Gegenstand der Anmeldung ist, wenn sich herausstellen sollte, dass die frühere jüdische Eigentümerin nicht in dem jüdischen Adressbuch von Berlin aufgeführt ist.

Für den erforderlichen Abgleich konnten die Akten der Haupttreuhandstelle Ost und die Akte des hierauf bezogenen Rückerstattungsverfahrens herangezogen werden. Sie waren bei der Oberfinanzdirektion Berlin vorhanden und gehörten zu den Beständen, die in der Anlage zur Anmeldung 3 aufgeführt sind. Dort sind unter der Überschrift "I. 4. Oberfinanzdirektionen" erwähnt: Aktenbestände, die aus der Abwicklung von Rückerstattungsverfahren nach dem Bundesrückerstattungsgesetz oder anderen Rückerstattungsverfahren vorhanden sind oder zu ihr herangezogen worden sind, ferner Altbestände, die sich noch im Besitz der Oberfinanzdirektionen befinden, insbesondere Aktenbestände der Oberfinanzdirektion Berlin.

In der Akte über das frühere Rückerstattungsverfahren wird Mathilde F., wenn auch möglicherweise nicht ausdrücklich, dann zumindest schlüssig als Jüdin bezeichnet. Das reicht in diesem Zusammenhang aus. Es geht nur darum festzustellen, welchen Vermögenswert die Beigeladene zu 1 beansprucht. Sie beansprucht alle Vermögenswerte, die einem jüdischen Geschädigten gehört haben. Die Bezugnahme auf das allgemeine Adressbuch hat nicht den Erklärungswert, dass die Beigeladene zu 1 alle dort verzeichneten Grundstücke beansprucht. Sie erklärt mit der Bezugnahme nur, dass sie diejenigen Grundstücke beansprucht, von deren dort genannten Eigentümern aufgrund weiterer Unterlagen eine Zugehörigkeit zum Judentum anzunehmen ist. Aus den in der Anmeldung 3 und ihrer Anlage aufgeführten Unterlagen muss sich mithin nur ergeben, dass nach den dort enthaltenen Angaben ein bestimmter Vermögenswert einem Juden gehört haben soll. Für die Anmeldung ist nicht erforderlich, dass der Geschädigte tatsächlich Jude war. Diese Frage ist nach der Anmeldung im Restitutionsverfahren zu klären, wenn insoweit Zweifel bestehen. Dies ergibt sich auch aus einem Vergleich mit einer von vornherein individualisierten Anmeldung. Macht die Beigeladene zu 1 einen Rückerstattungsanspruch für einen bestimmten Vermögenswert geltend und behauptet sie dabei, der frühere Eigentümer dieses Vermögenswertes sei Jude gewesen, ist ihre Anmeldung wirksam und rechtzeitig, auch wenn sie keinerlei Anhaltspunkte für ihre bloße Behauptung nennt, dass der frühere Eigentümer Jude war. Auch die Globalanmeldung kann nachträglich auf solche Vermögenswerte konkretisiert werden, deren Inhaber in den von der Anmeldung 3 erfassten Unterlagen (ausdrücklich oder schlüssig) als Jude bezeichnet ist.

Das Verwaltungsgericht verletzt möglicherweise bereits deshalb Bundesrecht, weil es von weitergehenden rechtlichen Anforderungen ausgeht. Es verlangt einerseits, aus den Unterlagen müsse zwingend darauf zu schließen sein, dass Mathilde F. Jüdin gewesen sei. Dies wäre unzutreffend, wenn damit der Nachweis einer Zugehörigkeit zum Judentum gemeint ist. Andererseits erläutert das Verwaltungsgericht dieses Erfordernis dahin, aus den Unterlagen müsse mittelbar in gleicher Weise eindeutig der Schluss auf die Zugehörigkeit zum Judentum zu ziehen sein, wie dies bei einer bloßen expliziten Behauptung der Fall ist. Dies wäre zutreffend, wenn das Verwaltungsgericht damit der ausdrücklichen Behauptung die nur schlüssige Behauptung gleichstellen wollte.

Sollte das angefochtene Urteil im Ausgangspunkt in diesem letzteren Sinne zu verstehen sein, verstößt es aber gegen Bundesrecht, weil das Verwaltungsgericht dann unter Verletzung der allgemeinen Auslegungsregeln verkannt hätte, dass nach dem Inhalt der Rückerstattungsakte der Nachlasspfleger die Behauptung aufgestellt hatte, der Antrag werde für eine jüdische Geschädigte gestellt. Das Verwaltungsgericht überspannt bundesrechtswidrig die Anforderungen an eine solche konkludente Angabe der Zugehörigkeit der Geschädigten zum Judentum. Es haftet einseitig am Wortlaut der eingereichten Schriftsätze und verkennt, dass zwar seinerzeit die Zugehörigkeit zum Judentum nicht entscheidungserheblich war, also auch nicht ausdrücklich behauptet werden musste, die Ausführungen aber gleichwohl in diesem Sinne zu verstehen sein können. In dem Verfahren ging es darum, ob der Rückerstattungsanspruch nur für natürliche Personen als Erben nach Mathilde F. geltend gemacht werden konnte. In verschiedenen Schriftsätzen hat der damalige Nachlasspfleger dargelegt, es sei angesichts der Ausrottungsaktion gegenüber rassisch verfolgten polnischen Staatsangehörigen während der NS-Gewaltherrschaft nicht anzunehmen, dass die Ermittlung von Erben in Zukunft erfolgreich sein könne; der an sich zur Rückerstattung Verpflichtete würde umso günstiger gestellt, je radikaler während der NS-Gewaltherrschaft im Einzelfall die Judenfrage gelöst worden sei. Dass es sich bei der Geschädigten um eine Jüdin gehandelt hat, hat der Nachlasspfleger offenbar als so selbstverständlich angesehen, dass er es nicht ausdrücklich hervorgehoben hat. Der gesamte Inhalt seiner Schriftsätze lässt aber nur den Schluss zu, dass er den Rückerstattungsantrag für eine aus rassischen Gründen verfolgte Jüdin gestellt hat.

Danach ist mit der Anmeldung 3 die Frist des § 30 Abs. 1 Satz 1, § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG für den Anspruch auf Rückübertragung des hier in Rede stehenden Grundstücks K.straße 2 gewahrt.

Auch im Übrigen liegen die Voraussetzungen für eine Rückübertragung des Grundstücks an die Beigeladene zu 1 vor. Dies hat das Verwaltungsgericht festgestellt. Mathilde F. gehörte zum Zeitpunkt der Veräußerung des Grundstücks zu dem kollektivverfolgten Personenkreis im Sinne des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG, Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO, obwohl sie die polnische Staatsangehörigkeit besaß und seinerzeit im Ausland lebte (Beschluss vom 23. Juli 1999 - BVerwG 7 B 52.99 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 4). Die danach bestehende Vermutung, dass die Veräußerung des Grundstücks durch sie einen Zwangsverkauf dargestellt hat, ist nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht widerlegt, weil weder die fehlende Mitursächlichkeit der Herrschaft des Nationalsozialismus für den seinerzeitigen Verkauf (Art. 3 Abs. 3 Buchst. a REAO) noch die Zahlung eines angemessenen Kaufpreises (Art. 3 Abs. 2 REAO) dargetan ist. Hiergegen sind Revisionsgründe nicht vorgebracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 , § 162 Abs. 3 VwGO .

Vorinstanz: VG Berlin, vom 19.03.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 31 A 542.03