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BGH - Entscheidung vom 23.06.2005

IX ZB 64/04

Normen:
EuGVVO Art. 45 Abs. 1 S. 1 Art. 34 Nr. 1

BGH, Beschluß vom 23.06.2005 - Aktenzeichen IX ZB 64/04

DRsp Nr. 2005/10153

Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Titels

Die Vollstreckbarkeit eines ausländischen Vollstreckungstitels kann nicht schon deshalb versagt werden, weil die ausländische Entscheidung in einem Verfahren erlassen worden ist, das von zwingenden Vorschriften des deutschen Prozessrechts abweicht. Erforderlich ist vielmehr eine Abweichung von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße, dass das Urteil nicht als in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann.

Normenkette:

EuGVVO Art. 45 Abs. 1 S. 1 Art. 34 Nr. 1 ;

Gründe:

I. Die in Italien residierende Antragstellerin (Gläubigerin) erwirkte gegen den in Deutschland ansässigen Antragsgegner (Schuldner) beim Landesgericht Bozen am 30. September 2002 ein Urteil, das den Antragsgegner unter anderem zur Zahlung von 134.645,54 EUR sowie von Verfahrensspesen in Höhe von 12.200 EUR verurteilte.

Die Gläubigerin begehrt insoweit die Zulassung dieses Urteils zur Vollstreckung in Deutschland. Der Schuldner wendet ein, der Vollstreckbarerklärung stünden Versagungsgründe entgegen. Der Vorsitzende einer Zivilkammer des Landgerichts hat dem Antrag der Gläubigerin stattgegeben. Die Beschwerde des Schuldners ist erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich dieser mit seiner Rechtsbeschwerde.

II. Das gemäß § 15 Abs. 1 AVAG , § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsmittel ist unzulässig; denn die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO ).

1. Auf das Verfahren findet die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000

(EuGVVO) gemäß Art. 66 Abs. 2 Buchst. a, Art. 76 EuGVVO Anwendung.

2. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ) liegt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht vor. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGHZ 154, 288 , 291 zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO ). Dahinstehen kann, ob die innerhalb der Frist (§ 16 Abs. 2 Satz 2 AVAG , § 575 Abs. 2 , 551 Abs. 2 Satz 6 a.F. ZPO ) vorgetragene Rechtsmittelbegründung dem Darlegungserfordernis des § 575 Abs. 3 Nr. 2 ZPO , § 16 Abs. 2 AVAG entspricht. Denn die von der Rechtsbeschwerde zu Art. 34 Nr. 1 EuGVVO aufgeworfenen Fragen sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und des Bundesgerichtshofs geklärt.

Nach Art. 45 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO darf die Vollstreckbarerklärung von dem Rechtsmittelgericht nur aus einem der in den Artikeln 34 und 35 aufgeführten Gründe versagt werden. Gemäß Art. 34 Nr. 1 EuGVVO wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde. Zu Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ hat der Europäische Gerichtshof entschieden, daß diese Vorschrift eng auszulegen ist, da sie ein Hindernis für die Verwirklichung eines der grundlegenden Ziele des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 bildet. In der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist daher anerkannt, daß die Ordre-Public-Klausel nur in Ausnahmefällen eine Rolle spielen kann (vgl. z.B. EuGH NJW 1989, 663, 664; 1997, 1061, 1062; 2000, 1853, 1854; 2185, 2186). Dies ist der Fall, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung der in einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates stünde. Damit das Verbot der Nachprüfung der ausländischen Entscheidung auf ihre Gesetzmäßigkeit gewahrt bleibt (vgl. Art. 36, 45 Abs. 2 EuGVVO), muß es sich bei diesem Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln. Dieser Rechtsprechung ist der Bundesgerichtshof gefolgt (BGHZ 144, 390 , 392 f.). Die Vollstreckbarkeit kann nicht schon deshalb versagt werden, weil die ausländische Entscheidung in einem Verfahren erlassen worden ist, das von zwingenden Vorschriften des deutschen Prozeßrechts abweicht. Ein Versagungsgrund ist vielmehr nur dann gegeben, wenn das Urteil des ausländischen Gerichts aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweicht, daß es nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann (BGHZ 48, 327, 331; BGH, Beschl. v. 21. März 1990 - XII ZB 71/89, NJW 1990, 2201 , 2202 f.).

Einen solchen fundamentalen Verfahrensverstoß zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf. Sie meint, das Landesgericht Bozen hätte den Antragsgegner darüber aufklären müssen, daß trotz der Niederlegung des Mandats durch seinen italienischen Prozeßbevollmächtigten der Prozeß auch dann "weiterlaufe", wenn er keinen neuen Anwalt mit seiner Interessenwahrnehmung beauftrage. Auch hätte es darauf hinweisen müssen, daß trotz Mandatsniederlegung auch weiterhin Zustellungen an den bisherigen Prozeßbevollmächtigten vorgenommen würden. Das italienische Gericht hat jedoch ersichtlich sein Verfahren an Art. 85 der italienischen Zivilprozeßordnung orientiert. Diese Vorschrift entspricht § 87 Abs. 1 ZPO . Auch nach deutschem Recht können das Gericht und der Prozeßgegner dem bisherigen Prozeßbevollmächtigten gegenüber wirksam handeln, solange das Erlöschen der Vollmacht im Außenverhältnis noch keine Wirksamkeit erlangt hat. Insbesondere müssen alle Zustellungen an ihn erfolgen (§ 172 ZPO ). Der Prozeßbevollmächtigte muß die Zustellungen entgegennehmen und die Partei - unabhängig vom Erlöschen der Vertretungsmacht im Innenverhältnis - davon unterrichten (Musielak/Weth, ZPO 4. Aufl. § 87 Rn. 6). Ein Hinweis auf diese Rechtsfolge ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Es ist vielmehr Sache der Partei, sich um den Fortgang ihres Prozesses zu kümmern und für ihre weitere Vertretung vor dem ausländischen Gericht zu sorgen (vgl. BGH, Beschl. v. 19. September 1977 - VIII ZR 120/75, NJW 1978, 1114, 1115; Beschl. v. 21. März 1990, aaO. S. 2203; Geimer, Europäisches Zivilverfahrensrecht 2. Aufl. Art. 34 EuGVVO Rn. 27).

Ob in Einzelfällen aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG etwas anderes hergeleitet werden kann (vgl. BVerwG Rpfleger 1983, 116, 117; Zöller/Vollkommer, ZPO 25. Aufl. § 87 Rn. 4; MünchKomm-ZPO/v. Mettenheim, 2. Aufl. § 87 Rn. 6), bedarf hier keiner Entscheidung. Zwar gehört die Beachtung der Grundrechte zum Inhalt der deutschen öffentlichen Ordnung (BGHZ 48, 327, 330; 144, 390, 392; Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht 7. Aufl. Art. 34 EuGVVO Rn. 15; vgl. auch EuGH NJW 2000, 1853 , 1854). Jedoch legt die Rechtsbeschwerde schon nicht dar, was der Antragsgegner veranlaßt und insbesondere gegenüber dem italienischen Gericht noch vorgetragen hätte, wenn die von ihm für erforderlich gehaltenen Hinweise erteilt worden wären (vgl. zu dem erforderlichen Vortrag bei einer Gehörsrüge BVerfGE 28, 17 , 19 f.; 79, 80, 83 f.; BGH, Beschl. v. 11. Februar 2003 - XI ZR 153/02, WM 2003, 702, 703). Im übrigen würde auch die Entscheidung des Landesgerichts Bozen nicht auf einem - unterstellten - Gehörsverstoß beruhen; denn das Beschwerdegericht hat - für den Senat bindend (§ 17 Abs. 2 Satz 2 AVAG , § 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO ) - festgestellt, daß der Prozeßbevollmächtigte des Antragsgegners diesen und seinen vorinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten trotz Mandatsniederlegung regelmäßig über den Verfahrensfortgang unterrichtet hat.

Auch ein Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren liegt nicht vor. Anders als in der Entscheidung des Senats vom 29. Juni 2000 (BGHZ 144, 390 , 391 f.) hat das Gericht dem Antragsgegner nicht verwehrt, sich im Verfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen.

3. Die vom Antragsgegner vertretene Auffassung kommt nach alledem zweifelsfrei nicht in Betracht. Daher besteht entgegen der Anregung der Rechtsbeschwerde keine Veranlassung, den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mit der von ihr aufgeworfenen Rechtsfrage zu befassen. Zwar ist die zitierte Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ ergangen. Über die Formulierung dieser Vorschrift geht Art. 34 Nr. 1 EuGVVO aber noch hinaus, indem diese Bestimmung ausdrücklich einen offensichtlichen Widerspruch zum ordre public verlangt. In Fortschreibung der schon bislang geübten zurückhaltenden Auslegung soll damit deutlich gemacht werden, daß der ordre public nur in Ausnahmefällen geltend gemacht werden kann (BR-Drucks. 534/99 S. 24 zu Art. 41 des Entwurfs; Kropholler, aaO. Art. 34 EuGVVO Rn. 4). Auch hat der Europäische Gerichtshof schon unter der Geltung des Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ die Anwendung der Ordre-Public-Klausel auf offensichtliche Verletzungen wesentlicher Rechtsnormen des Vollstreckungsstaates beschränkt ( EuGH NJW 2000, 1853 , 1854).

Eine Abweichung des Beschwerdegerichts von einer Entscheidung des Gerichtshofs macht die Rechtsbeschwerde selbst nicht geltend (§ 16 Abs. 2 Satz 3 AVAG ).

III. Mit der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde erledigt sich der Antrag des Antragsgegners vom 14. Juni 2005 auf Aussetzung der Vollziehung (vgl. § 23 Abs. 2 Nr. 4 , § 24 Abs. 2 Nr. 3 AVAG ).

Vorinstanz: OLG Koblenz, vom 19.02.2004