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BGH - Entscheidung vom 20.01.2005

IX ZB 154/01

Normen:
EuGVÜ Art. 27 Art. 34 Abs. 2

Fundstellen:
BGHReport 2005, 938
InVo 2005, 427
WuM 2005, 203

BGH, Beschluß vom 20.01.2005 - Aktenzeichen IX ZB 154/01

DRsp Nr. 2005/2690

Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung; Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks vor Säumnisentscheidung

Die Vollstreckbarerklärung einer ausländischen, in einem Säumnisverfahren ergangenen Entscheidung kommt nicht in Betracht, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist. Dass er später von der ergangenen Entscheidung Kenntnis erhalten und dagegen keinen nach der Verfahrensordnung des Urteilsstaats zulässigen Rechtsbehelf eingelegt hat, ist rechtlich ohne Bedeutung.

Normenkette:

EuGVÜ Art. 27 Art. 34 Abs. 2 ;

Gründe:

I. Die Schuldnerin und ihr Ehemann (fortan Antragsgegner) mieteten von dem in Aachen wohnenden Gläubiger und Antragsteller eine Wohnung in dessen Haus in Eynatten/Belgien. Auf dessen Mietzins- und Räumungsklage veranlaßte das Friedensgericht des Kantons Eupen eine Ladung der Antragsgegner für den 6. September 2000. Die Ladung war an die Wohnanschrift in Eynatten gerichtet; sie erfolgte am 24. Juli 2000 in einer in Belgien in Mietsachen möglichen vereinfachten Form der Zustellung per Einschreiben gegen Rückschein. Auf dem Rückschein füllte der Postbeamte bei beiden Antragsgegnern die Formularalternativen zu der Frage, wem der Gerichtsbrief übergeben wurde, nicht aus. Die Rubrik für das Empfangsbekenntnis weist eine Unterschrift mit dem Namen "S. ", dem Nachnamen der Antragsgegner, aus; nach der jeweils eingekreisten Formularalternative soll es sich um die Unterschrift "des Bevollmächtigten" handeln. Der Vorname sowie die Nummer der Vollmacht, die nach dem Vordruck anzugeben sind, fehlen.

Die Antragsgegner ließen sich auf das Verfahren vor dem Friedensgericht des Kantons Eupen nicht ein. Deshalb verurteilte das Friedensgericht sie am 6. September 2000 im Versäumniswege "solidarisch und unteilbar" zur Zahlung von Mietrückständen, einer Wiedervermietungs- und Nutzungsentschädigung sowie der Kosten des Verfahrens. Dieses Urteil wurde der Schuldnerin persönlich an ihrem neuen Wohnort in Deutschland zugestellt. Die Schuldnerin legte gegen diese Entscheidung kein Rechtsmittel ein.

Auf Antrag des Gläubigers ordnete der Vorsitzende einer Zivilkammer des für den Wohnsitz der Schuldnerin örtlich zuständigen Landgerichts an, das Urteil mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Die Schuldnerin rügt, das verfahrenseinleitende Schriftstück sei ihr nicht zugestellt worden, weil sie nach der Trennung von ihrem Ehemann bereits im Februar 2000 nach Aachen verzogen sei. Das Oberlandesgericht hat ihre Beschwerde zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde beantragt sie in erster Linie, unter Aufhebung der Beschlüsse des Oberlandesgerichts und des Landgerichts den Antrag des Gläubigers, den Schuldtitel für vollstreckbar zu erklären, zurückzuweisen.

II. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Es ist zulässig. Die am 20. Dezember 2001 eingelegte Rechtsbeschwerde ist gemäß § 15 Abs. 1 des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes ( AVAG ) vom 19. Februar 2001 (BGBl. I S. 288) in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung (§ 26 Nr. 10 EGZPO ) statthaft. Denn das Beschwerdegericht ist von Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften abgewichen; hierauf beruht der angefochtene Beschluß. Das Oberlandesgericht hat entgegen den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 12. November 1992 (EuZW 1993, 39 f.) und vom 10. Oktober 1996 (NJW 1997, 1061 f.) sowie des Bundesgerichtshofs vom 18. Februar 1993 (IX ZB 87/90, NJW 1993, 2688 , 2689) und vom 24. Februar 1999 ( IX ZB 2/98, ZIP 1999, 483 , 486, insoweit in BGHZ 140, 395 nicht abgedruckt) die Auffassung vertreten, ein Zustellungsmangel stelle kein Anerkennungshindernis im Sinne der Art. 34 Abs. 2, Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ dar, wenn der Schuldner von der Möglichkeit, gegen die Entscheidung im Erststaat Rechtsmittel einzulegen, keinen Gebrauch gemacht habe. Die Rechtsbeschwerde ist in der gesetzlichen Form eingelegt (§ 15 Abs. 2 , 3 , § 16 Abs. 1 AVAG ) sowie form- und fristgerecht begründet (§ 16 Abs. 2 AVAG a.F., § 554 ZPO a.F.) worden.

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet (§ 17 Abs. 1 , 2 AVAG a.F.).

Auf das Verfahren findet noch das Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (EuGVÜ) Anwendung, weil die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (ABl. EG 2001 Nr. L 12, S. 1; im folgenden EuGVVO) erst am 1. März 2002 in Kraft getreten ist (vgl. Art. 66 Abs. 1, Art. 76 EuGVVO). Da die angefochtene Entscheidung vor diesem Zeitpunkt erlassen worden ist, greift die Übergangsvorschrift in Art. 66 Abs. 2 Buchst. a EuGVVO nicht ein.

Nach Art. 34 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ wird eine Entscheidung nicht anerkannt und damit auch nicht mit der Vollstreckungsklausel versehen, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das dieses Verfahren einleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht ordnungsgemäß oder nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, daß er sich verteidigen konnte. Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ gilt auch für Inlandszustellungen (OLG Zweibrücken OLGR 1997, 32, 33; Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht 6. Aufl. Art. 27 Rn. 19).

a) Das Oberlandesgericht meint, das verfahrenseinleitende Schriftstück sei der Schuldnerin zwar nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Der Zustellungsmangel sei aber geheilt worden, weil der Schuldnerin das Urteil des Friedensgerichts des Kantons Eupen verfahrensfehlerfrei zugestellt worden sei und sie es unterlassen habe, eines der hiergegen nach belgischem Recht statthaften Rechtsmittel einzulegen.

b) Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

aa) Allerdings hat das Oberlandesgericht rechtsfehlerfrei angenommen, der Gläubiger habe entgegen Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ nicht nachgewiesen, daß der Schuldnerin das verfahrenseinleitende Schriftstück ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Nach den von ihm vorgelegten Urkunden bleibt es ungewiß, wer tatsächlich den für die Schuldnerin bestimmten Gerichtsbrief entgegengenommen hat und ob diese Person eine entsprechende Vertretungsmacht hatte. Die Annahme des Oberlandesgerichts, der Zustellungsmangel sei geheilt, widerspricht jedoch der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und des Bundesgerichtshofs. Auf Vorlagebeschluß des Senats hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 12. November 1992 (Rs C-123/91; EuZW 1993, 39) erkannt:

Art. 27 Nr. 2 des Brüsseler Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, daß er der Anerkennung eines in einem Vertragsstaat ergangenen Versäumnisurteils in einem anderen Vertragsstaat entgegensteht, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist, selbst wenn er später von der ergangenen Entscheidung Kenntnis erhalten und dagegen keinen nach der Verfahrensordnung des Urteilsstaats zulässigen Rechtsbehelf eingelegt hat.

Diese Rechtsauffassung hat der Gerichtshof in der Entscheidung vom 10. Oktober 1996 bekräftigt, und der Bundesgerichtshof ist ihr gefolgt (vgl. die Zitate unter II. 1.). Auf die Einspruchs- und Berufungsmöglichkeit nach dem belgischen Zivilprozeßrecht kommt es danach nicht entscheidend an.

bb) An dieser Auslegung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ hat sich durch den Erlaß der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen nichts geändert. Denn eine Vorwirkung von Art. 34 Nr. 2 EuGVVO kommt, wie der Senat mit Beschluß vom 22. Juli 2004 ( IX ZB 2/03, NJW 2004, 3189 ) entschieden hat, zweifelsfrei nicht in Betracht.

3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben. Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden, weil diese zur Endentscheidung reif ist (§ 17 Abs. 3 AVAG a.F. i.V.m. § 575 ZPO a.F.; vgl. Thomas/Putzo, ZPO 23. Aufl. § 575 Rn. 1). Der Antrag des Gläubigers, das Urteil des Friedensgerichts des Kantons Eupen vom 6. September 2000 für vollstreckbar zu erklären, war unter Aufhebung auch der erstinstanzlichen Entscheidung abzulehnen.

Vorinstanz: OLG Köln, vom 12.11.2001
Vorinstanz: LG Aachen, vom 24.01.2001
Fundstellen
BGHReport 2005, 938
InVo 2005, 427
WuM 2005, 203