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BGH - Entscheidung vom 16.06.2005

V ZB 48/05

Normen:
ZPO § 516

BGH, Beschluß vom 16.06.2005 - Aktenzeichen V ZB 48/05

DRsp Nr. 2005/11398

Versäumung der Berufungsfrist wegen Nichtbefolgung einer Anweisung

Ein Rechtsanwalt genügt seiner Sorgfaltspflicht, wenn er eine konkrete Weisung zur Übermittlung einer Berufungsschrift erteilt hat, sich nach der ordnungsgemäßen Erledigung seiner Anweisungen erkundigt und sodann aufgrund der positiven Antwort die Berufungsfrist im Fristenkalender streicht. Es gereicht ihm nicht zum Verschulden, wenn er dabei nicht bemerkt, dass die Übermittlung der Berufungsschrift per Telefax unterblieben ist.

Normenkette:

ZPO § 516 ;

Gründe:

I. Gegen das ihr am 8. Oktober 2004 zugestellte Urteil des Landgerichts hat die Klägerin mit einem am 11. November 2004 bei dem Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Nach einem gerichtlichen Hinweis auf den verspäteten Eingang der Berufungsschrift hat die Klägerin mit einem am 22. November 2004 eingegangenen Schriftsatz gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu ausgeführt: Ihr zweitinstanzlicher Prozeßbevollmächtigter habe zur Sicherung der Einhaltung der Berufungsfrist eine Mitarbeiterin, die bis dahin stets zuverlässig und beanstandungslos gearbeitet habe, angewiesen, sogenannte Promptfristen für den 1. November, den 4. November und den 8. November 2004 einzutragen. Hinsichtlich der Promptfristen bestehe die allgemeine Anweisung, daß die entsprechenden Akten am Terminstag dem zuständigen Rechtsanwalt vorgelegt werden müßten. Die in roter Handschrift im Fristenkalender eingetragenen Promptfristen dürften vom zuständigen Rechtsanwalt erst abgezeichnet werden, nachdem der Vorgang erledigt sei. Es bestehe die strikte Anweisung, daß der betreffende Rechtsanwalt vor Verlassen des Büros an noch offene Promptfristen zu erinnern sei und diese selbst abzeichnen müsse. Es bestehe die generelle Anweisung, fristwahrende Schriftsätze am letzten Tag der Frist und an den zwei Tagen vor Fristablauf per Telefax vorab an den Gerichtsempfänger zu übersenden, wobei auf korrekte Anwahl und auf die Kontrolle des Sendeberichts auf ein "OK" zu achten sei. An dem Tag des Fristablaufs für die Einlegung der Berufung habe der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Klägerin seine Mitarbeiterin gebeten, die Berufungsschrift zu fertigen und ihm so rechtzeitig vorzulegen, daß er sie noch vor Verlassen des Büros zu einem auswärtigen Termin unterzeichnen und die Übersendung per Telefax erfolgen könne. Er habe dabei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Versendung der Berufungsschrift vorab per Telefax noch an demselben Tag erfolgen müsse, weil die Berufungsfrist ablaufe. Die Mitarbeiterin habe daraufhin die Berufungsschrift gefertigt und dem zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin zusammen mit dem Anschreiben an die Mandanten zur Unterzeichnung vorgelegt. Dieser habe die Schreiben unterzeichnet und seine Mitarbeiterin angewiesen, sofort die Versendung an das Oberlandesgericht Köln zunächst per Telefax und dann per Post vorzunehmen. Die Mitarbeiterin habe erklärt, daß sie dieses sofort veranlassen werde; sie habe sich auch unmittelbar zu dem Telefaxgerät begeben, um die Absendung vorzunehmen. Da das Gerät aber besetzt gewesen sei, habe sie die Berufungsschrift zunächst auf den Tisch hinter dem Empfangstresen neben das Telefaxgerät gelegt. Sie habe das Anschreiben an die Klägerin versandfertig gemacht und sich in ihr Zimmer begeben, um andere Angelegenheiten zu erledigen. Vor dem Verlassen der Kanzlei habe der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Klägerin seine Mitarbeiterin gefragt, ob die Berufungsschrift per Telefax an das Oberlandesgericht abgegangen und der Sendebericht in Ordnung sei, so daß er die Promptfrist abzeichnen könne. Die Mitarbeiterin habe erklärt, das Fax sei abgegangen und der Sendebericht sei in Ordnung. Daraufhin habe der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin im Fristenkalender die Promptfrist abgezeichnet und das Büro verlassen. Erst durch den gerichtlichen Hinweis habe sich herausgestellt, daß die Mitarbeiterin die Berufungsschrift entgegen ihrer ausdrücklichen Bestätigung nicht an das Oberlandesgericht gefaxt habe.

Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin zurückgewiesen. Dagegen richtet sich ihre Rechtsbeschwerde, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist erreichen will.

II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 ZPO ). Der angefochtene Beschluß beruht auf einer Würdigung, welche der Klägerin den Zugang zu dem von der Zivilprozeßordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies verletzt den Anspruch der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 ZPO (Senat, Beschl. v. 23. Oktober 2003, V ZB 28/03, NJW 2004, 367 , 368 m.w.N.).

Die Annahme des Berufungsgerichts, die Mitarbeiterin des zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin habe die Absendung der Berufungsschrift per Telefax erkennbar nicht auf der Grundlage einer ihr vorliegenden Akte bestätigt, entbehrt der Grundlage. Aus dem Vortrag in dem Wiedereinsetzungsgesuch ergibt sich das nicht. Auch sonst ist nicht ersichtlich, wie der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hätte erkennen können, daß die Auskunft seiner Mitarbeiterin nicht auf einer schriftlichen Unterlage beruhte. Im übrigen überspannt das Berufungsgericht die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfaltspflicht, wenn es meint, die sorgfältige Überprüfung der korrekten Absendung fristgebundener Schriftsätze per Telefax sei nur dann sinnvoll in die Fristenkontrolle eingebunden, wenn sie entweder durch den Rechtsanwalt selbst oder durch einen kompetenten Mitarbeiter vorgenommen werde, der unmittelbar nach der Überprüfung die Erledigung der Frist vermerke. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Rechtsanwalt die einfach zu erledigende Aufgabe einer Telefaxübermittlung seinem Personal überlassen, er braucht sie nicht konkret zu überwachen oder zu kontrollieren (siehe nur Senat, Beschl. v. 23. Oktober 2003, V ZB 28/03, aaO.). Um so mehr genügt der Rechtsanwalt seiner Sorgfaltspflicht, wenn er sich - wie hier - ausdrücklich bei seiner Mitarbeiterin, der er zuvor die konkrete Weisung zur Übermittlung der Berufungsschrift erteilt hat, nach der ordnungsgemäßen Erledigung seiner Anweisung erkundigt und sodann aufgrund der positiven Antwort die Berufungsfrist in dem Fristenkalender streicht, zumal die Mitarbeiterin nach der allgemeinen Anweisung des Rechtsanwalts den Sendebericht auf die Ordnungsmäßigkeit der Faxübermittlung zu überprüfen hat.

2. Dieser Verstoß gegen das Gebot der Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes führt zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde, so daß offen bleiben kann, ob die weiteren in der Beschwerdebegründung dargelegten Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen.

3. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht versagt. Die Klägerin hat hinreichend dargelegt, daß sie ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert war. Ihrem Prozeßbevollmächtigten ist kein Organisationsverschulden vorzuwerfen.

a) Der Rechtsanwalt hat organisatorische Vorkehrungen dafür zu treffen, daß Fristen im Fristenkalender erst dann gestrichen werden, wenn die fristwahrende Handlung tatsächlich erfolgt oder jedenfalls so weit gediehen ist, daß von einer fristgerechten Vornahme ausgegangen werden kann; bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax muß der Rechtsanwalt die Ausgangskontrolle dahin präzisieren, daß er die damit befaßten Mitarbeiter anweist, einen Einzelnachweis über den Sendevorgang ausdrucken zu lassen, der die ordnungsgemäße Übermittlung anzeigt, bevor die entsprechende Frist als erledigt vermerkt wird (Senat, Beschl. v. 23. Oktober 2003, V ZB 28/03, aaO.). Solche allgemeinen organisatorischen Maßnahmen bestanden nach dem Vortrag der Klägerin in dem Wiedereinsetzungsgesuch in dem Büro ihres zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten. Sie wurden hier dadurch konkretisiert, daß er ausdrücklich seine Mitarbeiterin mit der sofortigen Faxübermittlung der von ihm unterzeichneten Berufungsschrift beauftragte und sich nach der ordnungsgemäßen Erledigung des Auftrags erkundigte, bevor er die Berufungsfrist in dem Fristenkalender strich. Das gewährleistete die Fristwahrung, so daß dem zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten kein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden trifft (vgl. BGH, Beschl. v. 4. Oktober 2000, XI ZB 9/00, BGHR ZPO § 233 Einzelanweisung 6). Er durfte auf die Richtigkeit der Auskunft seiner - bis dahin stets zuverlässig und beanstandungslos arbeitenden - Mitarbeiterin vertrauen; besondere Umstände, die Anlaß zu weiteren Nachforschungen gegeben hätten (vgl. BGH, Beschl. v. 12. April 1995, XII ZB 38/95, FamRZ 1995, 1135 , 1136; Beschl. v. 18. Dezember 1997, X ZB 16/97, NJWE-VHR 1998, 86), sind nicht ersichtlich. Nach der allgemeinen Anweisung für die Übermittlung fristgebundener Schriftsätze per Telefax war sichergestellt, daß die Mitarbeiterin die Auskunft nicht lediglich aus ihrer Erinnerung an den Vorgang der Faxübermittlung heraus gab, sondern auch aufgrund des von ihr kontrollierten Sendeberichts. Somit war ein von dem Berufungsgericht vermißtes Schriftstück die - mittelbare - Grundlage für die Streichung der Frist. Überdies bewirkte die konkrete Nachfrage des Prozeßbevollmächtigten - zu der er grundsätzlich nicht verpflichtet ist (BGH, Beschl. v. 21. Oktober 1998, VIII ZR 382/97, NJW-RR 1999, 715 , 716 m.w.N.) -, daß seine Mitarbeiterin ihr Erinnerungsvermögen auf einen ganz speziellen Fall richten mußte; das verringerte die von dem Berufungsgericht hervorgehobene Gefahr falscher Auskünfte aufgrund des mit Schwächen behafteten menschlichen Gedächtnisses.

b) Es kann dahingestellt bleiben, ob es - wie das Berufungsgericht meint - ein organisatorischer Mangel ist, daß in dem Büro des zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin grundsätzlich eine Mitarbeiterin die Übermittlung von fristwahrenden Schriftsätzen per Telefax ausführt und danach der Rechtsanwalt selbst die Frist in dem Fristenkalender streicht. Hier waren jedenfalls die Einzelweisung des zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten an seine Mitarbeiterin und die Kontrolle durch die Nachfrage ausreichend, um einen etwaigen allgemeinen Organisationsmangel auszugleichen. Denn auf allgemeine organisatorische Regelungen kommt es nicht entscheidend an, wenn im Einzelfall konkrete Anweisungen vorliegen, deren Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte (Senat, Beschl. v. 23. Oktober 2003, V ZB 28/03, NJW 2004, 367 , 369). Hiervon geht das Berufungsgericht zwar aus; aber es verkennt, daß der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin nicht nur eine Einzelweisung erteilt, sondern auch ihre Befolgung kontrolliert hat. Mehr brauchte er nicht zu veranlassen.

Vorinstanz: OLG Köln, vom 13.01.2005