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BGH - Entscheidung vom 12.01.2005

2 StR 449/04

Normen:
StGB § 64

BGH, Beschluß vom 12.01.2005 - Aktenzeichen 2 StR 449/04

DRsp Nr. 2005/3092

Unterbringung trotz uneingeschränkter Schuldfähigkeit

Der Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB steht nicht entgegen, dass das Gericht eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Tatbegehung verneint.

Normenkette:

StGB § 64 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "der unerlaubten Einfuhr sowie der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 122 Fällen" zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt und ein Fahrverbot von drei Monaten verhängt. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten mit dem Antrag, den Rechtsfolgenausspruch aufzuheben. Soweit der Beschwerdeführer mit seinem Revisionsantrag eine Beschränkung des Rechtsmittels beabsichtigt haben sollte, ist die Beschränkung unwirksam, weil er auch geltend macht, er sei bei den Taten "schuldunfähig, jedenfalls aber in seiner Schuld vermindert gewesen."

Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zu der aus der Beschlußformel ersichtlichen Änderung und Klarstellung des Schuldspruchs und der Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO , insbesondere kann der Senat ausschließen, daß der Angeklagte bei Begehung der Taten schuldunfähig war.

1. Der bisherige Schuldspruch des Landgerichts ist in bezug auf die Konkurrenzverhältnisse mißverständlich und deshalb klarzustellen. Er ist bei sachgerechter Auslegung dahin zu verstehen, daß der Angeklagte schuldig ist der Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln jeweils in nicht geringer Menge in 122 Fällen. Dies bestätigen auch die Urteilsgründe, insbesondere die rechtliche Würdigung des Landgerichts (UA S. 7 unter IV.). Dieser Schuldspruch hält jedoch in den Fällen II 1-20 der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand, weil sich diese Taten nur bei der Einfuhr, nicht aber bei der Beihilfe zum Handeltreiben auf nicht geringe Mengen beziehen.

Der Angeklagte hat in den Fällen II 1-20 jeweils einige Gramm Heroingemisch für sich und 10 g Heroingemisch für den gesondert verfolgten C. aus den Niederlanden eingeführt. Bei dem vom Landgericht festgestellten Wirkstoffgehalt von 20 % ergibt dies einen Heroinhydrochlorid-Anteil von jeweils mehr als 2 g, so daß für die Einfuhr die Grenze zur nicht geringen Menge (1,5 g) überschritten ist. Die für C. mitgebrachten Heroinmengen von jeweils 10 g waren aber nur zur Hälfte zum Weiterverkauf bestimmt. Die Handelsmenge, auf die sich die Beihilfehandlung des Angeklagten bezog, betrug daher jeweils 5 g Heroingemisch. Bei einem Wirkstoffgehalt von 20 % ergibt dies eine Wirkstoffmenge von 1 g. Damit erreicht das zum Weiterverkauf bestimmte Heroin nicht die Grenzmenge von 1,5 g Heroinhydrochlorid.

In den übrigen 102 Fällen beziehen sich sowohl die Einfuhr als auch die Beihilfe zum Handeltreiben auf nicht geringe Mengen, so daß der Schuldspruch insoweit Bestand hat.

2. Der Rechtsfolgenausspruch ist insgesamt aufzuheben.

a) Für die Fälle II 1-20 ergibt sich dies schon aus der Änderung des Schuldspruchs. Das Landgericht hat für alle 122 Einzelfälle Freiheitsstrafen von zwei Jahren und zwei Monaten festgesetzt. Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Landgericht auf der Grundlage des zutreffenden Schuldspruchs geringere Einzelstrafen verhängt hätte, zumal das Landgericht bei der Strafzumessung annimmt, daß die vom Angeklagten eingeführten Drogen "zum größten Teil auch gehandelt worden sind" (UA S. 8), während sich aus den Feststellungen ergibt, daß von der eingeführten Gesamtmenge nur die Hälfte der für die anderen Konsumenten mitgebrachten Heroinmengen zum Weiterverkauf bestimmt waren. Hieraus ergibt sich, daß jeweils deutlich weniger als die Hälfte der eingeführten Gesamtmenge zum Handeltreiben bestimmt war. Das Landgericht hat mit der Strafzumessung ferner nicht zugunsten des Angeklagten erwogen, daß sich seine festgestellte Heroinabhängigkeit zu seinen Gunsten auswirken kann. Danach läßt sich nicht ausschließen, daß sich diese Unzulänglichkeiten der Strafzumessung auch auf die Bemessung der Einzelfreiheitsstrafen in den übrigen Fällen zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben. Auf die weiteren in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Bedenken gegen die Strafzumessung kommt es somit nicht mehr an.

b) Das Landgericht hat es desweiteren rechtsfehlerhaft unterlassen, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der Angeklagte in einer Entziehungsanstalt unterzubringen ist (§ 64 StGB ). Die Prüfung dieser Frage drängte sich im vorliegenden Falle auf.

Das Landgericht hat zum Drogenkonsum des 23-jährigen Angeklagten im wesentlichen festgestellt, daß er im Alter von 13 Jahren mit dem Rauchen von Haschisch begann. Nach 1 1/2 Jahren folgte der Konsum von "Chemie, Pillen, Pilzen und LSD." Mit 18 Jahren konsumierte er erstmals Heroin, das er zunächst rauchte und seit dem Tod seiner Mutter im Jahre 2002 intravenös konsumierte. Seit dem Jahr 2000 nahm der Angeklagte täglich Heroin. Anfangs bezog der Angeklagte das Heroin von den gesondert verfolgten H. und C., mit denen er die Droge gemeinsam konsumierte. Im Februar 2002 begann er schließlich mit den vom Landgericht abgeurteilten Beschaffungsfahrten in die Niederlande, um für sich und die beiden anderen Heroin zu besorgen. Im Juni 2003 unterzog sich der Angeklagte einer Entgiftungsmaßnahme, der sich ein Aufenthalt in einer Therapieeinrichtung anschloß. Die Therapie brach er nach Verstößen gegen die Hausordnung ab. Nachdem er seinen Heroinkonsum insoweit zeitweise eingestellt hatte, fuhr er ab Oktober 2003 erneut zur Heroinbeschaffung in die Niederlande (Fälle II, 117-122). Insgesamt führte der Angeklagte bei seinen Beschaffungsfahrten mehr als 2 kg Heroingemisch aus den Niederlanden ein. Das Landgericht geht nach alledem davon aus, daß der seit zehn Jahren drogenerfahrene Angeklagte heroinabhängig ist und die von ihm begangenen Straftaten auf seine Betäubungsmittelabhängigkeit zurückgehen.

Angesichts dieser Umstände lag eine Maßregelanordnung nach § 64 StGB in einer Weise nahe, daß das Fehlen der Prüfung unter diesem Gesichtspunkt einen durchgreifenden sachlich-rechtlichen Mangel darstellt. Die Strafkammer hätte - unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a StGB ) - prüfen müssen, ob die Gefahr besteht, daß der Angeklagte infolge seiner Abhängigkeit rückfällig werden und ob dem durch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt begegnet werden kann, so daß er von seiner Drogensucht geheilt oder doch über eine gewisse Zeitspanne vor einem Rückfall in die Drogensucht bewahrt werden kann (vgl. BVerfGE 91, 1 ). Durch die genannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind der Wortlaut des § 64 Abs. 2 StGB und die vom Generalbundesanwalt zitierte Entscheidung BGHSt 28, 327 , 328 überholt; vielmehr setzt die Maßregelanordnung eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht voraus. Angesichts der eigenen Therapiebemühungen kann dies bei dem Angeklagten nicht ohne weiteres verneint werden. Der Maßregelanordnung steht auch nicht entgegen, daß das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Tatbegehung verneint hat (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 2; Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 64 Rdn. 11 m.w.N.).

Daß nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (vgl. BGHSt 37, 5 ). Die Nichtanwendung des § 64 StGB ist vom Rechtsmittelangriff des Angeklagten auch nicht ausgenommen worden (vgl. BGHSt 38, 362 ).

3. Der neue Tatrichter wird zu beachten haben, daß die Zäsurwirkung der Geldstrafe vom 16. Juli 2003 nicht deshalb entfällt, weil das Landgericht gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB davon abgesehen hat, diese Geldstrafe in die Gesamtfreiheitsstrafe einzubeziehen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 32, 190 ; 44, 179, 184; Tröndle/Fischer aaO. § 55 Rdn. 9 a m.w.N.).

Vorinstanz: LG Trier, vom 21.07.2004