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BGH - Entscheidung vom 31.05.2005

1 StR 290/04

Normen:
StGB § 211 Abs. 2

Fundstellen:
NJW 2005, 2869
NStZ-RR 2005, 264

BGH, Urteil vom 31.05.2005 - Aktenzeichen 1 StR 290/04

DRsp Nr. 2005/10171

Subjektive Seite der Heimtücke

1. Zu den objektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke muss das sog. Ausnutzungsbewusstsein hinzukommen, der Täter muss also die äußeren Umstände der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers wahrgenommen und sie bewusst zur Tatbegehung instrumentalisiert haben.2. Bei "Augenblickstaten" - insbesondere bei affektiven Durchbrüchen oder sonstigen heftigen Gemütsbewegungen - kann je nach den Umständen die nähere Darlegung im Urteil geboten sein, warum der spontan agierende Täter trotz seiner Erregung die für die Heimtücke maßgebenden Aspekte in sein Bewusstsein aufgenommen hat.

Normenkette:

StGB § 211 Abs. 2 ;

Gründe:

I. Der Angeklagte spaltete am Vormittag des 22. Mai 2003 auf dem Speicher des von ihm mit seiner Lebensgefährtin Y. M. und deren 1991 geborener Tochter bewohnten Hauses mit einer Axt alte Schranktüren zu Kleinholz für ein Grillfest. Y. M. war auch auf dem Speicher. Anhaltspunkte für eine massive, etwa sexuell gefärbte Beleidigung des Angeklagten durch Y. M. oder sonst einen ernsthaften Streit zwischen ihnen gibt es nicht, wenn es überhaupt eine Auseinandersetzung gegeben haben sollte, ging es dabei allenfalls um weniger bedeutsame Fragen wie z.B. "den Dachausbau" oder "allgemein ... Unehrlichkeiten". Damit ist z. B. gemeint, daß es ihr nicht gefiel, daß der Angeklagte ihr zwar seit langem ein Auto versprochen hatte, dieses Versprechen aber nicht einhielt. Selbst wenn es aber wegen derartiger Fragen auf dem Speicher zu einer Auseinandersetzung gekommen sein sollte, wollte ihm jedenfalls die ahnungslose Y. M. beim Holzspalten helfen und hielt deshalb eine alte Tür mit beiden Händen umfaßt. Sie befand sich dabei vor ihm in der Hocke und drehte ihm den Rücken zu. In dieser Lage schlug er sie mit mehreren Axtschlägen nieder, um sie zu töten. Da er "sichergehen wollte", daß Y. M., die kein Lebenszeichen mehr von sich gab, auf jeden Fall zu Tode käme, holte er aus der Küche im Erdgeschoß ein großes Messer, mit dem er ihr, weiter in Tötungsabsicht handelnd, eine Reihe wuchtiger Stiche zufügte, was zu ihrem sofortigen Tode führte. Unmittelbar nach der Tat ("sogleich") ging er daran, die "Tatspuren soweit wie möglich zu verwischen". So trug er etwa Kleider und den Beautycase (Schminkkoffer) der Getöteten auf den Speicher, was wiederum die Grundlage dafür war, daß er die Tochter von Y. M., die kurz darauf aus der Schule nach Hause kam, glauben machen konnte, ihre Mutter hätte völlig überraschend auf einen Lehrgang reisen müssen. Es gelang ihm insgesamt, sowohl die Tochter als auch sonstige Verwandte von Y. M. über Wochen hinzuhalten, bis schließlich nach mehr als einem Monat Vermißtenanzeige erstattet und die in einen Teppich eingewickelte Leiche am 2. Juli 2003 auf dem Speicher gefunden wurde.

Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde der Angeklagte wegen heimtückisch begangenen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.

II. Die auf die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt erfolglos.

In der Hauptverhandlung vor dem Senat hat die Revision - im Kern, aber nicht in allen Einzelheiten entsprechend ihren vorbereitenden schriftlichen Ausführungen - im wesentlichen geltend gemacht, die Unerklärlichkeit der Tat spreche für Tatauslösung durch einen hochgradigen Affekt bzw. affektiven Durchbruch. Soweit die Strafkammer nach sachverständiger Beratung zu einer gegenteiligen Auffassung gelangt sei, seien die Ausführungen des Sachverständigen unzulänglich. Er hätte seinen Erwägungen eine Reihe von der Revision näher ausgeführter Hypothesen zu Grunde legen müssen, z. B. die "einer narzißtischen Kränkung" oder die "eines Impulsdurchbruchs bei einer Verführungssituation im Sinne eines kurzschlüssigen Handlungsimpulses". Im übrigen habe aber die Strafkammer auch selbst einen hochgradigen Affekt zumindest zu Tatbeginn nicht völlig ausschließen können. Insoweit habe sie verkannt, daß - unabhängig vom Zustand des Angeklagten beim weiteren Geschehen - hier wegen der Besonderheiten des Falles ein auch nur bei Beginn der Tat vorliegender hochgradiger Affekt zu einer Strafrahmenmilderung gemäß §§ 21 , 49 StGB habe führen müssen. Unabhängig davon führe aber dieser Affekt jedenfalls dazu, daß die objektiv zweifelsfrei vorliegenden Voraussetzungen von Heimtücke in subjektiver Hinsicht zu verneinen seien.

1. Zu den hier offensichtlich erfüllten objektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke muß das sog. Ausnutzungsbewußtsein hinzu- kommen, der Täter muß also die äußeren Umstände der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers wahrgenommen und sie bewußt zur Tatbegehung instrumentalisiert haben (st. Rspr., vgl. zusammenfassend Schneider in Münch-Komm § 211 Rdn. 140 m. zahlr. Nachw. in Fußn. 514 ff.). Auch bei Taten aus rascher Eingebung - Anhaltspunkte für eine andere Annahme hat die Strafkammer nicht festgestellt - bedarf in objektiv klaren Fällen all dies bei einem psychisch normal disponierten Täter keiner näheren Darlegung (vgl. d. N. b. Schneider aaO. Rdn. 142 Fußn. 521). Anders kann es jedoch gerade bei "Augenblickstaten" insbesondere bei affektiven Durchbrüchen oder sonstigen heftigen Gemütsbewegungen sein. Dann kann je nach den Umständen eine nähere Darlegung geboten sein, warum der spontan agierende Täter trotz seiner Erregung die für die Heimtücke maßgebenden Aspekte in sein Bewußtsein aufgenommen hat (vgl. d. N. b. Schneider aaO. Fußn. 522 ff.).

2. Die Strafkammer hat jedoch einen affektiven Durchbruch oder sonst eine in diesem Zusammenhang bedeutsame Gemütsbewegung des Angeklagten rechtsfehlerfrei verneint.

a) Die Urteilsgründe ergeben, daß nach Auffassung der Strafkammer all dies mit Sicherheit ausgeschlossen war. Sie begründet dies mit den Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. sowie den im einzelnen genannten Feststellungen zum Tat- und Nachtatgeschehen und den Feststellungen zum Lebenslauf und der Persönlichkeit des Angeklagten.

b) Zu seinem Motiv hatte er im Ermittlungsverfahren trotz stundenlanger intensiver Befragungen speziell hierzu keine in die genannte Richtung deutenden Angaben gemacht, einen Streit vor der Tat habe es nicht gegeben ebensowenig habe ihn Y. M. vor der Tat beleidigt. Er könne sein Verhalten nicht erklären. Mehrere Monate später erklärte er dann gegenüber dem Sachverständigen, sie hätten "eine glückliche sexuelle Beziehung geführt", nie sei "thematisiert worden, daß der Sex zu wenig gewesen sei". Allerdings habe es auf dem Speicher Streit gegeben, z. B. über die Frage des Dachausbaus oder des Autokaufs. Nachdem er dann in der Anklageschrift gelesen hatte, daß für eine Einschränkung der Schuldfähigkeit jeder Anhalt fehle, wollte er nochmals mit dem Sachverständigen sprechen. Dies wurde ihm ermöglicht. Dabei behauptete er, Y. M. habe ihn vor der Tat mit drastischen Worten wegen seiner Erektionsprobleme beleidigt. Die Strafkammer hat dies mit eingehenden, rechtsfehlerfreien und von der Revision auch nicht konkret in Frage gestellten Erwägungen als prozeßtaktisch bedingte Unwahrheit bewertet. Eine sexuell gefärbte Kränkung oder Beleidigung schließt die Strafkammer dementsprechend "mit Sicherheit" aus.

c) Allerdings erwägt die Strafkammer an anderer Stelle des Urteils folgendes: "Selbst wenn man die Richtigkeit dieser nachgeschobenen Behauptung (bez. sexueller Beleidigung) indes hypothetisch unterstellen würde, hätte dies ... keine (für den Angeklagten günstige) Auswirkungen, da es jedenfalls beim zweiten Tatteil" - gemeint sind damit die Messerstiche - "in jedem Fall an einem hochgradigen ... Affekt fehlt." Hieran knüpft die Annahme der Revision an, die Strafkammer selbst hätte einen hochgradigen Affekt zu Beginn der Tat selbst nicht ausgeschlossen und dessen Bedeutung für die subjektive Seite der Heimtücke verkannt.

d) Der Senat kann dem nicht folgen. Allerdings sollen sich die Urteilsgründe auf die Mitteilung beschränken, welche Tatsachen aus welchen Gründen als erwiesen angesehen werden (vgl. § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO ). Hilfserwägungen, etwa dazu, wie es wäre, wenn etwas Festgestelltes nicht festgestellt wäre oder umgekehrt, sind eine unnötige Belastung der Urteilsgründe, beeinträchtigen ihre Klarheit und können so zu Mißdeutungen Anlaß geben. Im Einzelfall kann auf diese Weise der Bestand des Urteils in Frage gestellt werden, wenn durch solche Erwägungen Zweifel an der Eindeutigkeit der Feststellungen entstehen (in vergleichbarem Sinne Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 267 Rdn. 42 m. w. N.). So verhält es sich hier jedoch nicht, da die Strafkammer die genannten Erwägungen ausdrücklich als "hypothetisch" bezeichnet und insgesamt mehrfach betont, daß sie der nachgeschobenen Behauptung (über sexuell motivierte Beleidigungen) nicht folgt.

e) Es ist auch nicht ersichtlich, daß die Strafkammer rechtlich bedeutsame Möglichkeiten (Hypothesen) hinsichtlich der psychischen Ursachen der Tat außer Acht gelassen hätte. Bei der in Rede stehenden Frage geht es um eine sog. innere Tatsache, für die sich Anhaltspunkte im wesentlichen nur aus dem äußeren Geschehensablauf oder aus den Angaben des Betroffenen selbst ergeben können (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 147 f.; NStZ 2003, 596 f. m. w. N.). Äußere Anhaltspunkte, die für einen schwerwiegenden Affekt sprächen, sind nicht ersichtlich, die unmittelbar nach der Tat einsetzenden systematischen Vertuschungsbemühungen des Angeklagten sprechen vielmehr dagegen (vgl. BGH NStZ 2005, 149 , 150 m. w. N.). Die genannten Angaben des Angeklagten waren teils falsch und teils unbehelflich. Zwar dürfen einem Angeklagten aus seinem Aussageverhalten als solchem keine Nachteile erwachsen, jedoch gilt auch in diesem Zusammenhang der Grundsatz, daß es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten ist, zu Gunsten des Angeklagten (hier: innere) Vorgänge (auch nicht hypothetisch) zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich sind (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH NStZ-RR aaO. 147 m. w. N.).

f) Nach alledem ist es rechtlich nicht zu beanstanden, daß das Gericht (bzw. im Vorverfahren die Staatsanwaltschaft) im Rahmen der ihm (ihr) nach Maßgabe des Einzelfalls obliegenden Leitung des Sachverständigen (§ 78 StPO ) diesem nicht die genannten Hypothesen (vgl. oben II vor 1) vorgegeben hat. Im übrigen hat ein Sachverständiger, wenn er im Rahmen seiner Tätigkeit Feststellungen trifft, die dem bisher bekannten Sachverhalt nicht entsprechen, seinen Auftraggeber hierauf hinzuweisen (in vergleichbarem Sinne Boetticher/Nedopil/Saß und andere NStZ 2005, 59, 61, dort C I 1.8), gegebenenfalls kann er dann als sachverständiger Zeuge in Betracht kommen. Daß dem Sachverständigen Dr. W., dem die Strafkammer zutreffend langjährige Erfahrung und große Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt bescheinigt, all dies unbekannt gewesen sein sollte, erscheint ausgeschlossen. Ersichtlich hatte er keine konkreten Anhaltspunkte für möglicherweise bedeutsame Varianten bezüglich eines Tatmotivs bzw. eines Affekts gefunden.

3. Auch im übrigen sind Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ersichtlich.

Vorinstanz: LG Ulm, vom 05.03.2004
Fundstellen
NJW 2005, 2869
NStZ-RR 2005, 264